Schwindende Stressresistenz

Hallo,

vielen Dank, dass Sie sich die Zeit zur Beantwortung meiner Frage nehmen.

Ich habe letztes Jahr im Sommer mein erstes Kind zur Welt gebracht.
Nach einer (von Ängsten geplagten) Risikoschwangerschaft bin ich nach der Geburt komplett zusammengebrochen und musste ein paar Tage in eine Klinik. Unser Baby blieb bei meinem (immer verständnisvollen und geduldigen) Mann.

Seitdem arbeite ich mit einer Psychologin meine Vergangenheit auf, in der sexueller Missbrauch und physische sowie psychische Gewalt vorkamen. All das hatte ich über Jahre hinaus verdrängt, ich hatte immer viele Freunde, habe studiert, geheiratet und wollte immer viele Kinder.
Bis zur Geburt.

Nach außen hin sehe ich wie eine ganz normale Mutter aus und ich liebe mein Baby über alles.

Jedoch habe ich wieder öfter das Gefühl, dem Stress nicht gewachsen zu sein.
Meine Stressresistenz nimmt eher ab, oft macht mich das Babygeschrei wahnsinnig und andere Sorgen belasten mich massiv sodass ich manchmal nicht in der Lage bin, die nötige Geduld und Gelassenheit an den Tag zu legen. Oft fühle ich mich, trotz Therapie und Hilfe von meinem Mann, kraftlos und leer. Andere Familie haben wir leider nicht vor Ort, in der Krippe geht es erst nach dem Sommer los.
Bis dahin muss ich 'durchhalten', so blöd es auch klingt.
Und alles was ich möchte, ist einfach nur meinem Kind eine gute Mutter zu sein.

Wie kann ich wieder stärker und vorallem stressresistenter werden, ohne gleich bei jedem Weinen die Geduld zu verlieren bzw. selber zu weinen ?
Wie kann ich endlich das Muttersein vollkommen genießen und mich sorgenfrei meinem Baby widmen ?

Vielen Dank für Ihre Antwort !

Momma

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Liebe Momma,
erst mal herzlichen Glückwunsch zu eurem Baby!

Da sind im letzten Jahr die Pfeiler deiner Welt ja ganz schön ins Wanken gekommen. Nicht nur, dass du jetzt auch die Mutterrolle inne hast, nein da drängt sich jetzt auch noch deine Vergangenheit in den Vordergrund, die dich sehr belastet. Gut, dass du das mit professioneller Hilfe angehst! Und das wird bestimmt noch seine Zeit brauchen, bis du das alles aufgearbeitet hast.

Du sprichst davon, dass du dich "...kraftlos und leer..." fühlst und das Gefühl hast "...dem Stress nicht gewachsen zu sein...". Das sind Beschreibungen, die zu einer Mutter mit Kleinkind passen. Allerdings kommt bei dir noch dazu, dass du traumatische Erlebnisse zu verarbeiten hast, was ebenfalls enorm Energie raubt.

Du wünscht, dir wieder "...stärker und stressresistenter..." zu werden. Das ist schon mal der erste Schritt, du möchtest etwas verändern, gut so. Und du schreibst, dass du einen "...verständinsvollen und geduldigen Mann..." an deiner Seite hast. Auch das ist eine gute Voraussetzung für dein Vorhaben.

Da dir also durch das Muttersein und die Bearbeitung deiner traumatischen Vergangenheit sehr viel Energie entzogen wird, gilt es die wieder aufzufüllen.
In Anlehnung an die TCM (Traditionellen chinesischen Medizin) gibt es drei Bereiche, aus denen du Energie gewinnst kannst:
- Luft
- Schlaf
- Nahrung
Für deinen Alltag bedeutet das, dass du für genügend und bewußte Frischluft sorgen sollst. Regelmäßige Spaziergänge in der Natur oder bewußte Atemübungen können dies gewährleisten. Achte auf regelmäßige und gesunde Ernährung. Als gestresste Mutter neigt man dazu seine eigene Ernährung hinten an zu stellen und sich eben schnell ein Brötchen "reinzuschieben". Achte auf Abwechslung und Frische. Und nun zum Schlaf: genügend und gut soll er sein. Meine weise Hebamme sagte mir: "Erste Regel: wenn das Baby schläft, dann schläft die Mutter auch!" Du weist am besten, wie und ob du das in deinen Alltag einbauen kannst.

Ein weiterer Tipp zum Thema Energie-Gewinn:
-schließe deine Bedürfnisse nicht weg: was tut dir gut? was macht dir Spaß? was macht dir Freude? Versuche dir jeden Tag etwas gutes zu tun, da reichen schon 15 min. Das kann der Milchkaffee in der Sonne sein, die neue Nagellackfarbe aus zu probieren, im Fotoalbum blättern, ein Telefonat mit einer Freundin...und auch da kannst nur du wissen, was dich zum Lächeln bringt! Und allein, dass es dich zum Lächeln bringt ist Rechtfertigung genug, es zu tun. Vielleicht ist es aber auch mal ein Abend ohne Kind, dann setze alles daran, jemanden zu finden, der dich für ein paar Stunden ersetzen kann.

Hast du schon über eine Mutter-Kind-Kur nachgedacht? Das wäre eine Möglichkeit von deinem stressigen Alltag eine Auszeit zu nehmen, in der du bekocht wirst, Gelegenheit bekommst etwas für dich, deinen Körper und die Seele zu tun und dein Kind wird dabei betreut. (Infos z.B.: www.mukiku.de) Vielleicht ein schöner Ausblick, die Zeit bis zum Kita-Start zu überbrücken.

Und nun ein letztes Wort zu deiner Frage: " Wie kann ich endlich das Muttersein vollkommen genießen und mich sorgenfrei meinem Baby widmen ?" Ich stolpere da besonders über deinen Anspruch das Muttersein VOLLKOMMEN genießen zu wollen. Tut es nicht vielmehr gut, von dem idealisierten Bild weg zu kommen und sich ein zu gestehen, dass auch das Muttersein eine Medaille mit zwei Seiten ist, das es glückliche Momente, Stunden gibt, aber genauso ganz schreckliche, die mich überfordern oder langweilen. Du schreibst: "Nach außen hin sehe ich wie eine ganz normale Mutter aus..." Und auch von innen bist du eine ganz normale Mutter, mit Ängsten und Zweifeln. Und ich bin mir sicher, dass es auch in deinem Umfeld Mütter gibt, die das Gefühl der Überforderung nur zu gut kennen.

Liebe Momma, ich wünsche dir, dass du Wege findest dein Energie-Depot wieder zu füllen und herausfindest, was du brauchst.
Liebe Grüße, Alexandra Geißler-Wölfle

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Vielen liebe Dank für Ihre ausführliche Antwort, das sind wirklich ein paar sehr schöne und hilfreiche Anregungen !

#klee