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Hallo,

ich bin praktisch "betroffen". Meine Eltern waren sozusagen die "Ladenhüter" unserer Ortschaft, meine Mutter schon über 25, mein Vater über 30, als sie zusammenkamen. Sie führen seitdem eine durchaus glückliche Vernunftsbeziehung und Ehe und ergänzen sich gut, obwohl sie wenig gemeinsame Basis haben. Da sie beide religiös sind, leben sie monogam - es waren nie dritte im Spiel.

Meine Mutter hatte vor mir und meinem Bruder eine Totgeburt, über die sie nie hinwegkam. Als sie mit meinem Bruder schwanger war, hat sie sofort gekündigt, alles hingeschmissen und sich zehn Monate nur geschont, weil sie Angst hatte - dennoch war es ihr nicht möglich, zu uns beiden eine stabile emotionale Beziehung aufzubauen. Mein Vater war immer sehr abweisend. Mein Bruder und ich haben ihn oft darauf angesprochen ... er war ausweichend, bis er eines Abends sagte, dass er es als seinen größten Lebensfehler ansieht, uns gezeugt zu haben, da ihm die Vaterrolle eine Last ist und er sie nie wollte. Es tat sehr weh, war aber auch befreiend, weil es das war, was wir auch fühlten - die ganze Zeit.

Es macht etwas mit dir. Als Kind habe ich stundenlang phantasiert, dass ich adoptiert wurde. Ich hatte riesige Selbstzweifel, dass es an mir liegt, dass ich nicht geliebt werde. Ich habe völlig überkompensiert und versucht, auch die kleinste Erwartung, die meine Eltern in mich setzten, zu erfüllen. Meine Eltern haben auf diese kindliche Verzweiflung überhaupt nicht reagiert. Ich denke, sie haben sie überhaupt nicht wahrgenommen. Ich hätte wirklich alles dafür getan, mal in den Arm genommen zu werden, wie ich das bei Freunden sah und ich hätte gerne mal den Satz gehört, dass sie mich lieben.

Als Teenager hatte ich eine Beziehung, die mir gut tat - und auch nicht, weil ich mich bald mit der Mutter meines Freundes viel besser und intensiver verstand als mit meinen eigenen Eltern. Dann rutschte ich praktisch als Co-Narzist in eine narzistische Beziehung und opferte mich so lange auf, bis ich vor dem Suizid stand, weil ich keine Lebenskraft mehr hatte (das habe ich damals natürlich nicht so rational gesehen) - weil ich wieder diese Message bekam "du bist nichts wert". Es war wie ein Mantra.

Es folgten viele dunkle Jahre der Einsamkeit, ich klammerte mich immer an die falschen Typen und investierte ungeheuer in nutzlose Beziehungen. In Freundschaften versuchte ich immer, Bestätigung zu erhalten und führte diese auch weiter, wenn sie mir gar nichts brachten. Meinem Bruder ging es sehr ähnlich, er arbeitet heute noch immens viel, dafür, dass ihm sein Chef gelegentlich ein Lob wie einen Knochen hinwirft.

Heute sind wir beide einigermaßen glücklich verheiratet und haben selbst Kinder - ein Schritt, der viel Überwindung kostete. Rückblickend kann ich sagen, dass so eine lieblose Kindheit für ein Kind wirklich sehr schlimm ist. Der schlimmste Moment für mich war dann auch, als mein Vater (unter Tränen) zugab, dass er uns für "den schlimmsten Lebensfehler" hielt. Wenn ich heute sehe, wie bedingungslos mich meine eigenen Kinder lieben ... nein. Ich finde, man darf keine Kinder zeugen und großziehen, wenn man daran zweifelt, dass man sie lieben kann.