Untersuchung aus Bochum

Schreibabys haben erhöhtes ADHS-Risiko

Babys mit Regulationsproblemen haben ein deutlich erhöhtes Risiko, ab dem Vorschulalter Auffälligkeiten wie Aufmerksamkeitsdefizite oder aggressives Verhalten zu entwickeln. Zu dieser Erkenntnis kam im Oktober 2010 eine Analyse, die 22 internationale Studien mit insgesamt fast 17.000 Kindern ausgewertet hat.

Autor: Kathrin Wittwer

Kinder sind schnell gereizt und können sich nicht beruhigen

Schreibaby mit Muetze
Foto: © Panthermedia.net/ Martin Wöllner

"Insbesondere exzessives Schreien und Schlafprobleme, aber auch Fütterstörungen im ersten Lebensjahr können spätere Verhaltensauffälligkeiten vorhersagen“, fasst die Initiatorin der Untersuchung, Prof. Dr. Silvia Schneider von der Klinischen Kinder- und Jugendpsychologie der Ruhr-Universität Bochum, zusammen. Am häufigsten treten dabei ADHS (Hyperaktivität, Konzentrationsprobleme, Unaufmerksamkeit) und aggressives Verhalten auf. Der Zusammenhang zwischen den Störungen im Baby- und denen im Kindesalter beruht aller Wahrscheinlichkeit nach auf ähnlichen Ursachen: „Es wird vermutet, dass bei diesen Kindern von Beginn an Regulationsprozesse nicht so gut ausgebildet sind beziehungsweise sich schwerer ausbilden lassen.“ Die Kinder bringen demnach wohl eine genetisch bedingte Anlage dafür mit, ihr Verhalten nur sehr schwierig steuern zu können, reagieren schon als Babys außergewöhnlich heftig auf Reize und lassen sich schwerer wieder beruhigen. Wie stark und mit welchen Konsequenzen sich solche Anlagen tatsächlich manifestieren, hängt von der Umwelt des Kindes und bestimmten Risikofaktoren ab. Dazu gehören unter anderem Rauchen in der Schwangerschaft, seelische Probleme der Eltern oder Geburtskomplikationen. Je mehr Risikofaktoren auftreten, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer ungünstigen Entwicklung und stärker ausgeprägten Symptomen. „Zehn bis 20 Prozent der Eltern berichten über belastendes Schreien in den ersten Lebensmonaten. Zwei bis vier Prozent der Säuglinge haben sowohl Schrei-, Schlaf- als auch Fütterungsprobleme.“

Folgenschwer: Schütteltraumata und gestörte Eltern-Kind-Beziehungen

Ingesamt hat ein Baby mit Regulationsschwierigkeiten laut Analyse ein 40fach erhöhtes Risiko, Verhaltensauffälligkeiten zu entwickeln. Möglicherweise besteht dabei auch ein Zusammenhang mit dem hohen Risiko von Schütteltraumata bei Schreibabys: „Die Frustration der Eltern über das exzessive Schreien ist der häufigste Grund für ein gewaltsames Schütteln von Babys. Durch heftiges Schütteln erleiden diese oft bleibende neurologische und Lernprobleme“, sagt Prof. Schneider. Zudem sei die Eltern-Kind-Beziehung erheblich belastet. Solche Störungen können später zu psychischen Erkrankungen der Kinder führen.

Hilfreich: Kindern Entspannungsmöglichkeiten bieten und beibringen

Das heißt allerdings nicht, dass jedes Schreibaby automatisch ein hyperaktives oder aggressives Kind wird. „Unsere Analyse findet, dass 30 bis 40 Prozent der Babys mit Regulationsproblemen später mehr oder weniger starke Verhaltensauffälligkeiten zeigen können“, sagt Prof. Schneider und warnt gleichzeitig: „Man muss solche Zahlen aber immer mit Vorsicht genießen.“ Eltern können die Entwicklung nämlich durchaus positiv beeinflussen: „Es gibt Hinweise aus einer englischen Studie, dass elterliche Feinfühligkeit das biologische Risiko des Kindes abpuffern kann.“ Gut strukturierte Umgebungen durch Ruhe, Rhythmen und Rituale im Familienalltag sowie ein verständnisvoller, aufmerksamer und liebevoller Umgang der Eltern mit ihrem Kind können viel bewirken. Konnten Eltern ihr Verhalten dem Kind gegenüber ändern, zeigten viele Studien einen Rückgang der Auffälligkeiten. „Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass Eltern an den Problemen ihres Kindes Schuld sind“, betont Prof. Schneider. Wichtig sei, dass den betroffenen Familien Interventionsprogramme angeboten werden. „Kinder sollten so früh wie möglich altersgerechte Strategien erlernen, wie sie ihre Erregung runter regulieren können“, rät die Psychologin.