Hilfe für belastete Mütter und Väter

Familien-Hebammen

Kinder brauchen unseren Schutz und gute Chancen für ihr weiteres Leben. Manche Babys aber kommen in einem Haushalt zur Welt, in dem Mutter und Vater zu jung, arm, ohne Ausbildung oder aus anderen Gründen überfordert sind. In dieser Situation können Familien-Hebammen helfen.

Autor: Sybille Fünfstück

Erziehungsbeistand, Coach und wichtige Bezugsperson

Mutter Baby Familienhebamme
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Es ist kurz vor acht. Beate Kraus muss sich beeilen, denn gleich steht eine Besprechung mit ihrer Kollegin an. Sie werden sich wie immer am Montag über die zurückliegende Woche austauschen, sich beraten und die nächsten Einsätze planen. Nach der Besprechung werden Beate nur wenige Minuten bleiben, bis sie sich für ihren ersten Besuch fertigmachen muss. Bis dahin wird sie gegen den immer größer werdenden Stapel von Anträgen auf ihrem Schreibtisch anarbeiten und sich auf das Mutter-Kind-Seminar vorbereiten, das sie am Abend leiten wird. Zeit für ein Frühstück ist nicht. Ein ungewöhnlich hektischer Start in den Tag? Keinesfalls.

Seit zwei Jahren besucht die examinierte Familienhebamme im Auftrag des Gesundheitsamtes junge Familien zu Hause und hilft überall dort mit Rat und Tat aus, wo Eltern alleine nicht mehr weiterwissen. Sie unterstützt frischgebackene Mütter und Väter bei der Bewältigung des noch ungewohnten Alltags mit dem Säugling, bietet ihnen Orientierungshilfe bei der Pflege und Versorgung ihres kleinen Nachwuchses, begleitet sie zu Ämtern und vermittelt weitere Hilfsangebote. Damit entlastet sie die Eltern, verbessert das Wohlergehen des kleinen Zuwachses und stärkt nicht zuletzt den Zusammenhalt der jungen Familien.

Als reiner Erziehungsbeistand oder Alltagscouch versteht sich Beate jedoch nicht. Ihre unerschütterliche Ruhe gepaart mit ihrer energischen und dennoch einfühlsamen Art lassen sie schnell zu einer wichtigen und vertrauten Bezugsperson werden. Außerdem ist sie die Ansprechpartnerin bei medizinischen Problemen aller Art, begleitet werdende Mütter durch die aufregende Zeit der Schwangerschaft, bereitet sie auf die Geburt vor und übernimmt die Nachsorge nach den überstandenen Strapazen im Kreißsaal. Aber da hören ihre Aufgaben noch lange nicht auf.

Häufig benötigen sehr junge Mütter eine Familienhebamme

Familienhebammen sind Hebammen mit einer Vielzahl zusätzlicher Tätigkeitsfelder, für die sie sich in einer Fortbildung weiterqualifiziert haben. Häufig sind sie bei staatlichen Einrichtungen wie Gesundheitsämtern, Jugendämtern oder Familienzentren angestellt oder arbeiten freiberuflich, etwa als Mitarbeiterinnen des Jugendamtes. Auch karitative Institutionen wie die Caritas, Familienbildungsstätten oder der Kinderschutzbund können die besonders qualifizierten Hebammen beschäftigen. Finanziert werden sie unter anderem aus kommunalen Geldern, aus Projektmitteln und aus Geldern der Jugendhilfe.

Das Angebot der Familienhebammen richtet sich an Schwangere und junge Mütter und Väter, die mit außergewöhnlichen Belastungen leben müssen und daher eine intensivere Fürsorge benötigen, als sie eine traditionelle Hebamme leisten kann. Die Gründe für den erhöhten Hilfsbedarf können vielfältig sein. Häufig sind es besonders junge Mütter, Familien mit vielen Kindern, Migrantinnen oder Familien, die durch Arbeitslosigkeit, Gewalterfahrungen, Armut, Behinderungen oder Krankheit stark belastet sind und deswegen Unterstützung benötigen.

Um zu gewährleisten, dass die speziellen gesundheitlichen, psychischen oder sozialen Bedürfnisse dieser Familien erfüllt werden, arbeitet eine Familienhebamme nicht allein. Sie ist in ein enges Netzwerk eingebunden und arbeitet mit Institutionen und Berufsgruppen wie  Erziehungs- und Schwangerschaftsberatungsstellen,  Ärzten und Psychologen und nicht zuletzt dem Jugendamt zusammen.

Beispiel Susanne: Hilfen für eine minderjährige, alleinerziehende Mutter

Es ist kurz vor elf. Gleich ist Beate mit Susanne verabredet. Es ist der dritte Besuch bei der gerade erst 16-jährigen Mutter. Vor zwei Wochen hat sich eine Freundin der minderjährigen Mutter an den Jugendärztlichen Dienst des Gesundheitsamtes gewendet. Einer Sachbearbeiterin schilderte sie, wie hoffnungslos überfordert Susanne bei Versorgung und Erziehung ihres kleinen Sohnes Paul ist. Der Vater des Kindes hat sich seit der Geburt nicht mehr gemeldet. Kontakt zu den eigenen Eltern hat Susanne nicht. Außerdem fehlt der jungen Mutter jede Perspektive. Einen Schulabschluss besitzt sie nicht, Vorstellungen davon, welche Sozialleistungen ihr zustehen, fehlen der jungen Mutter völlig. Die Sachbearbeiterin handelt prompt.

Nur zwei Wochen später lernen sich Beate und Susanne in einem vermittelten Mutterseminar kennen, das die Familienhebamme zweimal in der Woche betreut. In einem anschließenden persönlichen Gespräch zeigt sich schnell, dass die junge Mutter eine individuelle, direkte Unterstützung und Beratung benötigt. Doch sie möchte die Hilfe nicht um jeden Preis. Susanne betont sofort, dass für sie eine Zusammenarbeit mit einer Sozialarbeiterin vom Jugendamt nicht in Frage kommt. „Häufig sperren sich die Eltern gegen die Unterstützung durch das Jugendamt, weil sie fürchten, dass man ihnen ihr Kind wegnehmen könnte“, erläutert Beate. Diese Angst muss Susanne nicht haben.

Bei einem ersten Besuch in der winzigen Zwei-Zimmer-Wohnung lernt Beate schließlich Mutter und Sohn kennen. Der kleine Paul ist gerade erst drei Monate alt, quicklebendig, kerngesund. Dennoch verlangt er Susanne weit mehr Energie ab, als die noch minderjährige Mutter aufbringen kann. Es vergeht kaum eine Stunde, in der Paul nicht schreit. Beruhigen lässt er sich nur schwer. Susanne fällt es in solchen Augenblicken nicht immer leicht, sich zu beherrschen. Manchmal ist ihre Verzweiflung so groß, dass sie mit dem Gedanken spielt, einfach wegzulaufen und den Jungen zurückzulassen. Der Verantwortung ist sie einfach nicht gewachsen, und das verwundert die Hebamme nicht, denn Susanne ist mit ihren 16 Jahren selbst noch ein halbes Kind.

Ziel: Stabile Lebensverhältnisse und neue Perspektiven

Mittlerweile ist es zehn Uhr. Beate bereitet sich auf ihren nächsten Termin vor. In zwei Tagen wird sie wieder bei Susanne vorbeikommen und mit ihr erarbeiten, welche Sozialleistungen ihr zustehen und wie sie diese beantragen kann. Wenn die beiden es schaffen, werden sie danach ein neues Bettchen für den kleinen Paul kaufen. Welche Herausforderungen nächste Woche auf die Familienhebamme zukommen, weiß sie noch nicht. Sicher ist nur, dass sie sich wieder pünktlich bei der überforderten Mutter einfinden wird.

Beate wird der jungen Mutter so lange zur Seite stehen, bis sich ihre sozialen Lebensverhältnisse stabilisiert haben, Susanne neue Perspektiven entwickelt hat und nicht nur in der Lage ist, Verantwortung für den kleinen Paul zu übernehmen, sondern in schwierigen Situationen das nötige Selbstvertrauen hat, um weiterführende Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Bis es soweit ist, kann jedoch noch einige Zeit vergehen.

Eltern bekommen die Zeit, die sie benötigen

Bei so genannten Familienhebammen ist der Betreuungszeitraum nicht auf wenige Wochen vor und nach der Geburt beschränkt. Je nach Bundesland oder Träger können die Kosten für die Dienste einer Familienhebamme übernommen werden, bis das Kind ein Jahr alt ist. In besonderen Härtefällen ist auch eine Betreuung bis zum dritten Lebensjahr möglich. Wie viele Besuche dabei im Einzelnen stattfinden, wird individuell entschieden. Beate erklärt: „Wir finden gerade deswegen schnell Zugang zu den hilfsbedürftigen Eltern, weil es kein engen Zeitrahmen gibt. Wir lassen die jungen Eltern nicht nach einigen Wochen allein, sondern können sie gegebenenfalls über einen langen Zeitraum hinweg unterstützen.“

Irgendwann jedoch ist die gemeinsame Zeit zu Ende. Bei der Frage, was sich Beate für die Familien wünscht, wenn sie geht, muss sie nicht lange überlegen. „Ich möchte meine Arbeit in dem Wissen beenden, dass die jungen Mütter und Väter eine gute Bindung zu ihrem Kind aufgebaut haben, eigene Ressourcen erkennen und ein Bewusstsein als Eltern entwickelt haben. Außerdem sollen sie wissen, dass sie im Notfall nicht allein sind. Nur wenn sie Verantwortung übernehmen können und im Bedarfsfall um Hilfe bitten können, habe ich meinen Auftrag wirklich erfüllt.“