Antonia spricht weiter

Mein freches Baby-Tagebuch (2)

Die kleine Antonia hat es geschafft: Sie kann sich jetzt drehen. Und während sie eine Drehung nach der anderen übt, kreisen auch ihre Gedanken weiter um ihr kleines Babyleben in abgetragenen Stramplern, um ihre geizigen Eltern und um die richtige Fördermaßnahme, die sie zum Nobelpreis bringt.

Autor: Daniela Egert

Und ich drehe mich doch!

Baby Tagebuch Teil2
Foto: © Daniela Egert

Habe ich letzthin geschrieben, dass ich Probleme damit habe, mich zu drehen? Ich fass' es nicht! Inzwischen drehe ich mich nicht nur, ich kugle, purzle, rolle in der Gegend herum, dass mir ganz schwindlig wird. Dann kriege ich vor Schreck ganz große Kulleraugen und versuche, irgendwie das Gleichgewicht zu halten.

Emanzipation in grauen Stramplern. Wie soll das gehen?

Was mich noch schockiert: Von Emanzipation und weiblicher Selbstverwirklichung hat man in meiner Familie noch nie nix gehört. Wie soll ich es sonst interpretieren, dass die mich in die abgetragenen Klamotten meiner großen Brüder stecken? Von blau bis grau muss ich in puncto Textilien alles über mich ergehen lassen. Wenn ich versuche, dagegen zu protestieren, merken diese Armleuchter das noch nicht mal. Jeden Morgen das gleiche Theater: Mama kommt hektisch an mein Bettchen herangeschossen und lacht mich an, bis ich gelangweilt zurückgrinse. Dann stopft sie mich in so einen Strampler, auf dem garantiert dieser hirnlose Bob der Baumeister seinen Bagger bedient oder in riesigen Lettern „Ich bin Papa's Stammhalter!“ draufsteht. Wenn ich das Zeug dann völlig aufgescheuert habe, geben sie es in so eine Altkleider-Sammlung, und meine ererbten Jeans wandern nach Kambodscha aus.

Haben Ma und Pa eigentlich überhaupt keinen Respekt vor mir? Außer dieser Wickelauflage für knapp 20 Euro haben die zwei buchstäblich nichts dazugekauft, als sie mit mir schwanger waren. Keinen rosenverzierten Baldachin fürs Babyzimmer, keine Spitzenschuhe für meine späteren Ballettauftritte, nichts, was aus dem Online-Baby-Shop heraus in rosa oder lila in die Wiege purzelt. Von einem eigenen Zimmer kann ich eh nur träumen. Sie kleben mich stattdessen mit so einer Art Beistelltischchen an ihr Ehebett und sind fest davon überzeugt, dass mich die Nähe zu meinen schnarchenden Eltern vor Neurosen und psychisch bedingtem Hautausschlag bewahrt. Alles Käse!

Wie komme ich an eine englische Nanny?

Ich traue es mich fast nicht laut zu sagen, aber meine Eltern sind solche Geizkragen, dass einem schlecht werden kann. Meinen Wunsch nach einem erstklassigen Urlaubshotel inklusive englischer (Super-)Nanny, die mich tagsüber betreut und bespielt, kann ich mir abschminken. Wie ich die beiden in den letzten Wochen so kennengelernt habe, landen wir bloß wieder fünf Tage in einer eBay-Absteige im Hunsrück. Und ich kriege bestimmt keine trainierte Baby-Fachfrau mit japanischem Grundwortschatz, sondern lande in meinem altbekannten Maxi-Cosi, dessen Ausmaße ich inzwischen auch schon sprenge. Wenigstens haben es meine Erzeuger in diesen zugigen Bruchbuden auch nicht besser: Morgens ein Frühstück mit Aldi-Margarine und –Erdbeermarmelade, und dann ist Selbstbespaßung angesagt. Ätsch! Kein schickes Wellness-Spa-Runderherum-Sorglos-Paket, sondern durchgewetzte Wanderstiefel und Kniebundhosen. Ich kann es mir wenigstens in der Babytrage gemütlich machen, während die schwitzend durch die Pampa irren. Ich habe ja versucht, gegen meine spontane Depression anzujodeln, aber was dabei herausgekommen ist, war nur ein weinerliches „Wäääähhh!“

Ich bin reif für den Nobelpreis

Wie soll ich unter diesen Umständen meine Anlagen entwickeln, wie sie das ja auch immer wollen? Alles, was meiner Mutter im Moment einfällt, ist so eine dämliche Spielanlage mit zwei herunterhängenden Hölzchen, die man gegeneinanderschlagen kann. Genauso öde wie die Sache mit dem Hasen-Mobile über meinem Wickeltisch, und mindestens genauso sinnlos. Ich streike - wenn die sich keine Mühe geben, in die Frühstförderung ein paar Euro mehr zu investieren, dann spiele ich eben auch nicht mit. Punkt. Betont gleichgültig habe ich gestern diese Mess- und Wiegeprozedur beim Kinderarzt über mich ergehen lassen. Ja, haben die denn sonst nichts zu tun?

Ständig will irgendeiner wissen, ob ich schon wieder einen Millimeter in die Länge geschossen bin. Leider geben sämtliche Eltern auf unserem Spielplatz mit den Fortschritten ihrer Brüllwürfel an, als wären ihre Kleinen reif fürs Guinness-Buch. Mann, habe ich mich geschämt, als meine Mutter da auch gleich voll mitgemischt hat. Vorläufig haben sie mir den Nobelpreis noch nicht angetragen, auch wenn Pa und Ma tun, als hätten sie mir den zumindest reserviert. Wohl um uns für diesen Fall schon mal an die schwedische Lebensart zu gewöhnen, gehen wir immer in dieses große Möbelhaus mit den vier Buchstaben einkaufen, und die Großen essen dieses schrecklich riechende Köttbullar. Meine Geschwister und ich müssen uns jeden Abend die „Geschichten aus Bullerbü“ anhören, damit ich dem gelangweilten Schweden-König bei dem sich an die Verleihung anschließenden Dinner was zu erzählen habe. Das Ganze wäre bei mir etwa 2050 fällig, und ich schiebe dann meine Mama im Rollstuhl vor das Nobel-Komitee in Stockholm. Zurück kommt sie wohl nicht mehr mit, weil sie bei der Zeremonie garantiert vor Stolz geplatzt ist.

Trotzdem: „God Dag, Majestät!“ Für den Anlass in ferner Zukunft übe ich schon mal die komplizierte Landessprache. Die kann ich auch gleich den anderen Babys in unserer Straße beibringen. Denn die kriegen auch alle den Nobelpreis, sagen ihre Mamas. Muss ein ziemlich häufig verliehener Preis sein, vielleicht habe ich ja mal gar keine Lust darauf.