Spannende erste Wochen

Mit Baby Leo in Italien

Vom italienischen Schwangerschaftstest bis zu den letzten Presswehen und der Geburt von Baby Leo Francesco im Ospedale begleiteten wir Julia Rubin durch ihre Schwangerschaft in Turin. Nun berichtet sie über die ersten Wochen mit Baby zwischen Passantrag und Rückbildungs-DVD im kindervernarrten Italien.

Autor: Julia Rubin

Eine italienische U2 und Schaulaufen im Kindergarten

Baby Leo
Baby Leo Francesco
Foto: © Julia Rubin

24 Stunden Krankenhaus – die waren Leo und mir genug. Der Wunsch nach einem richtigen Bett und gutem Essen war groß, also verließ ich Bett Nummer zehn ganz schnell wieder. Im Gepäck: ein kleiner, frischer Leo, meine fast unberührte Krankenhaus-Tasche, ein weißer Din-A5-Ordner mit Telefonnummern und Tipps rund ums Großwerden in Italien und außerdem die Termin-Bestätigung für die U2 inklusive Sehtest an Tag drei. Sehtest? Ich dachte bislang, dass kleine Babies in den ersten Tagen und Wochen ohnehin noch nicht richtig sehen können. Solch einen Sehtest kenne ich aus Deutschland nicht, entsprechend neugierig bin ich. (Gibt es vielleicht sogar italienische Designer für Babybrillen?)

An Tag drei packen wir unseren kleinen Italiener also wieder ein, um für die U2 (hoffentlich) ein letztes Mal das Krankenhaus zu betreten. Die Untersuchung verläuft genau wie in Deutschland, (Fersenblut, Motorik-Check) und der Sehtest entpuppt sich als Augendruck-Messung. Leo bekommt zwei Tropfen in jedes Auge, eine halbe Stunde später wird der Augendruck gemessen. E basta. Tutto bene, alles in Ordnung mit dem Kleinen. Er kann also weiterhin ohne Brille im Kinderwagen liegen. Che fortuna!

Kinder lösen hier Entzückungsschreie aus

Wir sind froh und verlassen das ruinengleiche Ospedale in Richtung Kindergarten. Dort steht das nächste große Ereignis im Leben des kleinen Leo an: zum ersten Mal „Schaulaufen“ bei den Freunden der großen Brüder. Wer in Italien mit Kindern unterwegs ist, darf sich an spontane Entzückungsrufe vorbeilaufender Passanten gewöhnen, an kleine Menschenansammlungen rund um den Kinderwagen, an fröhliches Getätschel, an „Fremdküsser“ und Menschen, die einfach mal - schwuppdiwupp, hast du nicht gesehen - Dein Kind im Arm haben. Mittlerweile liebe ich diese italienische Herzlichkeit und finde das Verhalten der meisten Deutschen schon eher seltsam. Dort umgibt mich in der Schlange an der Supermarktkasse, mein Baby im Kinderwagen und meine Kinder nebendran, eine ungewöhnliche Stille. Sind meine Kinder vielleicht hässlich? Unerzogen? Vielleicht sogar unsichtbar? Oder warum sagt hier keiner was zu ihnen oder über sie? Kein „Mensch, wie süß - Sie haben ja tolle Kinder – herzlichen Glückwunsch!“ oder „Kompliment – das sind aber Prachtkerle. Wie alt sind die denn?“ So etwas hört hier in Italien jeder, der mit seinen Kindern unterwegs ist. Balsam für die Mutter- oder Papaseele.

Die nächste Stufe der italienischen Kinder-Euphorie erreicht man dann, wenn man mit einem Neugeborenen auftaucht. Geküsst wird dann (Gott sei Dank) nicht, aber die Entzückensschreie in diesem Moment werden lauter, durchdringender. Da muss nun auch Leo durch.

Typisch herzlich italienisch: Leos erstes Bad in der Menge

Wir kommen mit dem Auto am Kindergarten an, und zwei Minuten später drücken 30 Kinder ihre Nasen am Fenster platt. Mittendrin unser größter Sohn und stolzer Bruder. Die Nasen der Kindergärtnerinnen haben keinen Platz mehr am Fenster, also drängeln sie sich hinter der Kindermeute und Leo wird mit einem lauten „Aaaaaaah, ooooooh, che piccolo, che bambolotto, che cicone, un topolino, ahhhhhh, ohhhhhhhhh“ begrüßt und - schwupps – verschwindet er in seinem Maxi-Cosi in dem bunten Erzieherinnen-Kinder-Knubbel und taucht erst ein paar Minuten wieder auf. Leo ist, Gott sei Dank, noch drin und er sieht, Gott sei Dank, auch nach wie vor recht entspannt aus. Sein erstes Bad in der Menge hat er also souverän überstanden. (Ich glaube ja mittlerweile, dass Drittgeborene irgendwo ein Entspannungs-Gen sitzen haben, wie sonst können sie das Chaos ihrer Geschwister, Omas, Opas, Freunden usw. um sie herum ohne Schaden überstehen?)

Langsam bahnen wir uns den Weg zu unserem kleinsten Sohn und bleiben gerührt vor einem großen selbstgebastelten Papier-Storch stehen. In seinem Schnabel hält er einen Zettel mit der Aufschrift:„ Tanti Auguri! È nato Leo, il frattelino de Luis e Ben.“ („Herzlichen Glückwunsch! Leo ist geboren, das Brüderchen von Luis und Ben“). Das Team vom Kindergarten hat Daumen gedrückt für die Geburt. Mitgefiebert während der Geburt. Schließlich Leos Begrüßung vorbereitet. Und jetzt wollen sie das Ergebnis feiern. Also bleibt Leo noch ein paar Minuten länger mitten im Trubel. Wird gestreichelt, liebkost, getätschelt, bewundert. Herzlicher hätte seine Ankunft hier im Ort nicht gefeiert werden können. Eben typisch herzlich italienisch.

Jetzt wird's offiziell: Ein deutscher Pass aus Italien

Nach dieser inoffiziellen Begrüßung im italienischen Leben, muss natürlich auch Deutschland irgendwann etwas von der Geburt des neuen Erdenbürgers erfahren. Denn auch, wenn Leo Francesco in Italien geboren ist und sein Name italienisch klingt, er ist Deutscher. Und damit das amtlich ist und er vier Wochen nach seiner Geburt ohne Probleme in unser Heimatland fliegen kann, brauchen wir für ihn einen Pass. Und dieses Prozedere läuft auch hier in Italien sehr bürokratisch ab. Italienisch bürokratisch. Die Unterlagen für Leos Pass bekomme ich hier im Ort.

Bürokratie in Turin: Wie schimpfe ich auf italienisch?

Also: Der erste Spaziergang nach der Entbindung führt zum Rathaus. Mit dabei: Leo im Kinderwagen, die Unterlagen vom Krankenhaus, unsere Ausweise und Geld. Bearbeitungsgebühren muss ich auch hier bezahlen. Ha, aber einfach zahlen? Das wäre ja zu einfach! Die Gebühr kann nicht bar bezahlt werden, erklärt mir die Dame hinter dem Rathaustresen, sondern mit einer Gebührenmarke. Ich schmunzele. „Allora, va bene, una marca da bollo, per favore“ - OK, dann bitte eine Gebührenmarke! Jetzt schmunzelt die Dame. Diese Gebührenmarke im Wert von 4,53 Euro bekomme ich nicht im Rathaus, sondern im Tabakladen, zwei Straßen weiter Richtung Zentrum. Nun vergeht mir das Schmunzeln. Ich packe alle Sachen und Leo wieder ein und laufe zum Tabakladen. Nur, der macht gerade Mittagspause. Und wenn seine Mittagspause vorbei ist, hat das Rathaus wieder zu (bei nächster Gelegenheit werde ich meine Italienisch-Lehrerin bitten, mir anwendbare italienische Schimpfwörter beizubringen). Kurzum: Einen Tag und zwei Spaziergänge später habe ich alle Unterlagen zusammen. Puh.

Die nächste Station für Leos Pass liegt knappe 180 km von Turin entfernt: das deutsche Generalkonsulat in Mailand. Und das ist natürlich unglaublich cool - wer hat in seinem ersten Pass schon als ausstellende Behörde „Generalkonsulat Mailand“ stehen? Die Stadt der Modenschauen. Der Designer. Der Schuhgeschäfte und Modeboutiquen. Und hier haben wir  Glück: Das Generalkonsulat liegt mitten in der Innenstadt, den Pass erhalten wir – wider aller Erwartungen - innerhalb einer Stunde, und so haben wir mit schlafendem Baby doch noch viel Zeit für einen Bummel durch diese beeindruckende Stadt.

Einen Grappa auf Leo in Mailand

Erst beim Mittagessen wacht Leo wieder auf und beschert uns in einem kleinen Lokal abseits der Touristenmassen das zweite eindrückliche Erlebnis italienischer Kinder-Euphorie: Mein Mann und ich steuern einen kleinen Tisch mit Platz für den Kinderwagen an, vorerst wenig beachtet von unseren Tischnachbarn rechts - sieben Frauen im geschätzten Alter von 35 bis 40 - und unsere Tischnachbarn links - einer Mutter (um die 60) und ihrer Tochter (um die 40). Bis zu dem Augenblick, als ich den zwei Wochen alten Leo aus dem Kinderwagen hole. Ich beuge mich über den Kinderwagen, an den Tischen um mich herum wird es stiller. Ich hebe den Neugeborenen heraus - von den Tischen um mich herum ertönt ein lautes „Aaaaaaaaah. Ooooooooooohhhhh, che bello! Che piccolo!“ Und dann ist das Eis gebrochen: „Bimbo o bimba? (Junge oder Mädchen?) Wie alt ist er? Ist der süß! Was, schon der Dritte? Drei Jungs? Oh, herzlichen Glückwunsch!“ Klein-Leo inmitten von neun völlig ausflippenden Italienerinnen, die offenbar nur eines wollen: unseren Leo mal auf den Arm nehmen.

Und eine nutzt die Gunst der Stunde: Als ich von der Toilette wiederkomme, liegt Leo im Arm unserer linken Tischnachbarin und mein Mann stößt mit deren Mutter mit Grappa an. Einen auf den kleinen Leo und einen auf den großen. Leo heißt nämlich auch der Ehemann der Mutter. Und das muss natürlich gefeiert werden – Salute! Recht haben sie!

Von Kinderliebe und allgegenwärtigen Nonnas

Selten habe ich Menschen erlebt, die so sehr in Kinder vernarrt sind wie die Italiener. Italiener lieben Kinder, sie betütteln ihre Kinder. Und zwar gnadenlos lang. Italienische Kinder wohnen bei ihren Eltern, oft, bis sie um die 30 sind (und Söhne gerne auch länger...). Dass unsere beiden zwei und knapp fünf Jahre alten Söhne alleine in ihren Zimmern im ersten Stock schlafen, während unser Schlafzimmer im Erdgeschoss ist, daran musste sich unsere italienische Nachbarin erst gewöhnen. Und das hat lange gedauert.

Kinder gehören zu ihren Eltern, und vor allem zur Mamma, wie denn sonst sollen Kinder gut schlafen – so weit weg von Mamma und Papa? Richtig entsetzt reagierte unsere Nachbarin dann, als sie das Bett  des mittlerweile zwei Monate alten Leo vergeblich in unserem Schlafzimmer suchte. „Ma donna, dove dorme il piccolo?“ („Aber wo schläft der Kleine?“) In diesem Augenblick glaubte ich in ihren Augen Verzweiflung und Mitleid zu erkennen und vorsichtig öffnete ich die Tür zu Leos Kinderzimmer. Um sie ganz langsam auf das Bevorstehende vorzubereiten: Leos Kinderbett in Leos Kinderzimmer. Ohne Mama nebendran. Ein entsetztes „Mamma mia, povero Leo!“ („Armer Leo!“) und sie drückt ihn gleich noch fester an ihren italienischen Oma-Busen.

Ich bin in diesem Moment froh, dass sie nur unsere Nachbarin und nicht die italienische Oma ist: Die Nonna, also die Oma, die hat in der italienischen Familie ordentlich was mitzureden. Sie ist da - in allen Bereichen des Lebens: Nonna wartet vor dem Kreißsaal, sie hält Nachtwache am Bett der frisch Entbundenen, sie geht spazieren mit dem Baby, Nonna begleitet Mamma und Kind zum Babyschwimmen, sie hilft Mama mit Kind beim Einkaufen, zum Kindergarten - Nonna ist allgegenwärtig. Das Leben eines Neugeborenen scheint ohne die Nonna nicht zu funktionieren. Entsprechend mitleidig werde ich angeschaut, weil ich hier überall alleine auftauche. Ohne Nonna. Alleine einkaufen, alleine zum Babyschwimmen, und beim Sport steht Leo im Kinderwagen nebendran. Was aus italienischer Sicht ohne Nonna nicht geht, wird eben gehend gemacht. Bislang hat‘s gut funktioniert.

Rückbildung auf italienisch: Eine DVD aus dem Internet

Acht Wochen nach einer Geburt steht in Deutschland dann meist der Rückbildungskurs auf dem Programm einer frisch Entbundenen. Acht Wochen lang suchte ich hier nach einem solchen Kurs, ohne Erfolg. Auch meine Freundin, die zwei Tage nach mir entbunden hat, konnte mir keinen Tipp geben. Ich weiß nicht, wie die Italienerinnen ihren Beckenboden wieder in Ordnung bringen und wo sie das machen. Und ob sie das überhaupt machen. Nach der Geburt des dritten Kindes weiß ich, wie wichtig Rückbildung ist. Also bestelle ich mir eine deutsche Rückbildungs-DVD im Internet und turne so mit Leo vor dem Fernseher rum. Ich muss nirgendwo hinfahren, brauche keine Nonna als Babysitter und kann turnen, wann und wie lange ich will.

Mittlerweile ist Leo Francesco viereinhalb Monate alt. Ich esse eifrig Parmesan und trinke auch das ein oder andere Glas Wein, denn das soll milchbildend sein. Sagen zumindest die „Nonnas“ hier in Bella Italia und – jawohl - Nonnas haben immer Recht!