"Du machst ja noch ins Bett"

Als Familie stark gegen Mobbing

Dass Kinder sich auch einmal ärgern ist normal, wenn die Hänseleien jedoch überhandnehmen, brauchen die betroffenen Kinder dringend die Unterstützung ihrer Familien. Wie Eltern ihre Kinder stärken können - vor allem wenn behandlungsbedürftige Symptome vorliegen - erfahren Sie hier.

Autor: Monika Maruschka

Auch außerhalb der Schule nach Hilfe und Unterstützung suchen

Mobbing Kinder Auslachen
Foto: © iStockphoto.com/ mandygodbehear

Übergewicht, nächtliches Bettnässen, Schüchternheit oder einfach nur der Kleinste in der Klasse sein – Gründe, aus denen Kinder ihre Klassenkameraden aufziehen und hänseln, im schlimmsten Fall sogar mobben, gibt es viele. Gerade untereinander können Gleichaltrige sehr gemein sein. Die betroffenen Kinder ziehen sich zurück und meiden soziale Kontakte. Eltern sollten aufmerken, wenn sich ihr Kind verändert, schlecht träumt oder häufig nicht zur Schule will.

Natürlich muss ein Problem wie Mobbing bei den Lehrern angesprochen werden, es ist Aufgabe der Schule hier einzugreifen. Trotzdem kann es helfen, sich unabhängig davon um Hilfe für sein Kind zu bemühen, damit sein Selbstwertgefühl nicht zu sehr leidet.

Wer als Kind ständig Hänseleien ausgesetzt ist, zweifelt schnell an sich und seinen Fähigkeiten. Da hilft es, wenn außerhalb des Systems Schule positive Erfahrungen gemacht werden. Übergewichtige Kinder können z.B. in Jugendgruppen des Roten Kreuzes oder der Pfadfinder Erfolgserlebnisse haben, die weniger an körperlichen Leistungen fest gemacht sind. Als Bettnässer abgestempelte Kinder können in einem ganz neuen Umfeld wieder neu und vorurteilsfrei mit anderen spielen. Der Kleinste der Klasse ist in dieser Gruppe vielleicht gar nicht mehr der Kleinste?

Jedes Kind hat Stärken, die man weiter fördern kann

Diplompsychologe Marcus Böhmer arbeitet in einer Kölner Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie und kennt Fälle von Hänseleien und Mobbing unter Kindern zu Genüge. „Wenn diese Kinder zu uns kommen, arbeiten wir sehr lösungsorientiert“, beschreibt er sein Vorgehen. „Wir überlegen mit dem Kind, wann in seinem Leben schon einmal Schwierigkeiten aufgetreten sind und wie es diese erfolgreich gemeistert hat. Da findet sich immer etwas und so bekommt es das Gefühl, den anderen etwas entgegensetzen zu können.“ Außerdem werde der Blick weg von den „Mobbern“ gerichtet und aufgezeigt, dass aus anderen Ecken auch positives Feedback komme.

Neben der Stärkung des Selbstwertgefühls müssen bei behandlungsbedürftigen Symptomen wie Übergewicht oder Bettnässen natürlich auch diese angegangen werden. Marcus Böhmer rät - neben dem Gang in eine psychotherapeutische Praxis - den betroffenen Familien dazu, eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen. Zu sehen, dass andere Familien und Kinder das gleiche Schicksal haben, kann bereits viel Druck von allen Beteiligten nehmen. Ein Thema wie das Bettnässen, das oft versucht wird zu verheimlichen, kann hier endlich offen angesprochen werden. Für andere gesundheitliche Probleme wie z.B. Übergewicht bieten Krankenhäuser Kuren an.

Ohne die Motivation der Kinder geht es natürlich nicht. Böhmer berichtet von einem zehnjährigen Mädchen, die mit ihren Eltern wegen nächtlichen Einnässens in die Praxis kam. Das Bettnässen wurde zwar seltener, ging aber nie ganz weg. Nach einigen Monaten kam das Mädchen wieder und erklärte, sie wolle nur fünf Wochen kommen, denn dann sei Klassenfahrt. Im zweiten Anlauf war die Behandlung dann erfolgreich.

Unterstützung im Alltag: Was können Familien tun?

Neben der Behandlung durch Spezialisten ist es trotzdem die Familie, die dem Kind täglich den Rücken stärken sollte und es auf schwierige Situationen in der Schule vorbereiten kann. „Das Kind sollte auf jeden Fall immer gelobt werden, wenn es sich den Eltern anvertraut. Dazu gehört Mut, das ist der erste Schritt raus aus der Opferrolle,“ erklärt Psychologe Böhmer weiter. In den Gesprächen können die Eltern ihr Kind fragen, was tatsächlich passiert ist und wie sich das Kind dabei gefühlt hat.

Gemeinsam zu überlegen, wie das Kind in Zukunft mit ähnlichen Situationen umgehen kann, ist dann der nächste Schritt. Vielleicht nützt es etwas, den Schulweg zu ändern, so dass es mit Freunden gemeinsam läuft und nicht alleine in der Schule ankommt? Schreiben Sie mit Ihrem Kind Sätze auf, mit denen es auf typische Angriffe kontern kann. Überlegen Sie, welche Kinder in der Klasse ihm helfen könnten.

Auf keinen Fall sollten Eltern etwas unternehmen, ohne das mit ihrem Kind besprochen zu haben, also das Problem in der Schule thematisieren oder gar die Eltern des mobbenden Kindes kontaktieren. Aus Mitleid mit dem Kind dessen Wunsch nicht zur Schule zu gehen nachzugeben, ist ebenfalls keine Lösung. „Dass es schlimm und schwierig ist, das Kind leiden zu sehen, ist keine Frage, aber die Überwindung wieder hinzugehen, wird immer größer“, so Marcus Böhmer.

Zum Aufheben der Opferrolle gehört auch unbedingt immer wieder zu vermittelt, dass es nicht in Ordnung ist, was die anderen machen. „Gemobbte Kinder haben schnell das Gefühl, dass sie schuld am Geschehen sind, weil mit ihnen ja etwas nicht stimmt“, bestätigt Böhmer. Der vorwurfsfreie Rückhalt der Familie ist jetzt besonders wichtig. „Das Thema sollte nicht so viel Raum einnehmen, um das Kind nicht darauf zu reduzieren“, empfiehlt der Experte. Besser ist es, den Blick auf positive (Familien-)Erlebnisse zu richten.

Die ganze Familie muss mitziehen

Wichtig ist dem Psychologen gerade bei Themen wie dem Bettnässen, dass die ganze Familie auch in eine professionelle Behandlung mit einbezogen wird. Bei diesem sogenannten systemischen Ansatz wird das Kind als ein Teil des Systems Familie gesehen, das nur gesund werden kann, wenn sich auch in seinem Umfeld etwas ändert. „Wir versuchen alle Beteiligten ins Boot zu holen, also Eltern, Schule und andere wichtige Bezugspersonen“, so der Psychologe.

Hedwig (65) erinnert sich noch heute daran, wie ihre jüngste Tochter mit elf Jahren wieder anfing ins Bett zu machen. „Wir waren im Urlaub im Hotel und ich musste mehrmals nach frischer Bettwäsche fragen. Alle waren im Stress. Mein Mann und ich gingen nach den Ferien zu einer Erziehungsberatungsstelle. Man erklärte uns, dass der Druck auf die Blase ein Zeichen dafür sei, dass das Kind unter Druck steht und empfahl uns allgemein klarere Regeln im Alltag aufzustellen, weil Regeln und Grenzen für ein Kind entlastend sind. Das hat tatsächlich funktioniert. Das Bettnässen hörte bald danach auf.“

Nicht alle Eltern sind zunächst so offen für Veränderungen, weiß auch Marcus Böhmer. „Ich versuche aber, solche Familien nicht als „schwierige Fälle“ zu sehen. Wer zu uns kommt, sucht Hilfe und hat oft schon viel hinter sich und die Zuversicht aufgegeben. Man muss die Eltern langsam darauf hinführen, dass das Problem des Kindes auch etwas mit ihnen zu tun hat.“ Durch die Unterstützung der Experten erfahren die Eltern, dass ihr Verhalten eng mit dem des Kindes verknüpft ist. Böhmer beschreibt einen Fall, in dem das nächtliche Bettnässen des Sohnes stark mit Streitigkeiten am Tag zwischen den Eltern zusammenhing. „Da muss man sich dann schon fragen: Was ist das eigentliche Thema? Wenn die Eltern dann aber auch merken, dass sie durch ihr Verhalten, durch Lob und Aufmerksamkeit die Symptome beeinflussen können, sind sie schnell motiviert dabei.“