Erziehungs-Tipps

Älteste(r) oder Nesthäkchen: der bedeutende Unterschied

Erstgeborene sind perfektionistisch, Mittelkinder drücken sich und Nesthäkchen tanzen aus der Reihe. Die Position eines Kindes in der Geschwisterreihe beeinflusst die Eigenschaften, die es entwickelt.

Autor: Dr. Andrea Schmelz

Erstes, zweites, drittes Kind: Besonderheiten der Geschwisterposition

drei Geschwister
Foto: © iStockphoto.com, YinYang

Je nachdem, ob ein Kind als erstes, zweites oder drittes Kind der Familie auf die Welt kommt, wird es zu bestimmten Charaktereigenschaften neigen. Diese haben Auswirkungen auf das gesamte Leben. Unsere Erziehungstipps helfen Ihnen, Ihre Kinder je nach Geschwisterposition gezielt zu stärken.

Recht plakativ hat der amerikanische Psychologe Dr. Kevin Leman die Charakteristika der verschiedenen Geschwisterpositionen auf den Punkt gebracht: Erstgeborene sind perfektionistisch, Mittelkinder drücken sich und Nesthäkchen tanzen immer aus der Reihe. Natürlich ist das sehr vereinfacht, doch beeinflusst die Rangfolge in der Geschwisterreihe tatsächlich unser Verhalten. Kinder werden dabei nicht nur durch die Eltern, sondern auch durch ihre Geschwister stark beeinflusst. Am stärksten wird ein Kind immer von demjenigen Geschwisterkind beeinflusst, das in der Geschwisterposition genau vor ihm ist, also Zweitgeborene vom ersten, dritte Kinder vom zweiten.

Das Erstgeborene: meist besonders tüchtig

Das erstgeborene Kind bekommt zunächst die ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern, leidet dann aber stark unter dem Schock der "Entthronung", wenn das zweite Kind auf die Welt kommt. Nach Auffassung verschiedener Psychologen führt das zu einem "Knacks" im Urvertrauen, was Erstgeborene durch besondere Tüchtigkeit wieder wettmachen wollen. Den jüngeren Geschwistern sind sie in vielen Dingen überlegen und spielen ihre Macht auch gerne aus, übernehmen aber häufig auch viel Verantwortung. Speziell älteste Schwestern werden nicht selten in die Rolle der Aufpasserin oder des Kindermädchens gedrängt.

Erziehungstipps für Erstgeborene

  • Achten Sie darauf, die Neigung zum Perfektionismus nicht zu verstärken. Bitte nicht verbessern, wenn Ihr Kind selbst etwas tut oder vorschlägt.
  • Überhäufen Sie das Erstgeborene nicht mit Aufgaben und Pflichten, sondern ziehen Sie auch die jüngeren Kinder vermehrt dazu heran. Achten Sie insbesondere darauf, das Älteste nicht zu häufig auf das/die kleineren Geschwister aufpassen zu lassen.
  • Ihrem Ältesten gebühren gewisse Privilegien gegenüber den jüngeren Geschwistern, z. B. eine etwas spätere Schlafenszeit. Diese sollten konsequent geachtet werden. Auch wenn es sich für Sie nur um Kleinigkeiten handelt: Für Ihr Kind sind sie sehr wichtig!
  • Verbringen Sie Zeit allein mit dem Ältesten. Gerade Erstgeborene reagieren auf das Zusammensein mit Erwachsenen besonders positiv.

Das Zweitgeborene: oft das pure Gegenteil des/r Älteren

Für Zweitgeborene ist es völlig normal, die Eltern teilen zu müssen. Sie sind unbekümmerter und haben weniger Angst, die Liebe der Eltern zu verlieren. Da sie dem Ältesten jedoch in vielen Dingen unterlegen sind, stehen sie in ständiger Konkurrenz dazu. Schon in den ersten Lebensjahren entscheidet sich für den zweitgeborenen "Herausforderer", ob er mit dem Erstgeborenen in Konkurrenz treten wird oder aber sich in eine ganz andere Richtung entwickeln wird. Ist zum Beispiel das erste Kind in der Schule gut, entwickelt sich das zweite dann zu einer Sportskanone. Die Abgrenzung vom Geschwisterkind ist insbesondere unter gleichgeschlechtlichen Kindern schwierig und führt zu starker Rivalität. Beträgt der Altersabstand weniger als fünf Jahre, entwickelt sich das zweite Kind oft zum puren Gegenteil des ersten.
In Familien mit mehr als zwei Kindern gehört das Zweitgeborene zu den Mittelkindern.

Erziehungstipps für Zwei-Kinder-Familien

  • Beachten Sie die Erziehungstipps für das Erstgeborene
  • Verteilen Sie die Rechte und Aufgaben in der Familie gerecht: Das ältere Kind sollte ruhig etwas mehr übernehmen, aber auch zum Beispiel mehr Taschengeld bekommen oder etwas länger aufbleiben dürfen. Achten Sie darauf, dass das jüngere Kind seinen Teil der Arbeiten erledigt.
  • Vermeiden Sie Vergleiche der beiden Kinder (Deine Schwester kann schon... Warum kannst du das noch nicht?). Das ist allerdings oft schwerer, als man denkt!
  • Versuchen Sie nicht sklavisch, beide Kinder genau gleich zu behandeln. Behandeln Sie statt dessen jedes Kind nach seinen individuellen Bedürfnissen.
  • Verbringen Sie Zeit mit jedem Kind alleine.

Mittelkinder: fordernder oder auch verschlossener

Mittelkinder, auch Sandwich-Kinder genannt, haben oft einen schweren Stand. Sie besitzen nicht die Überlegenheit und Privilegien des Erstgeborenen, genießen aber auch nicht die besondere Aufmerksamkeit des Jüngsten. So kämpfen sie nicht selten durch provokatives Verhalten um die Beachtung der Eltern, sind fordernder und aggressiver. Doch auch das Gegenteil, ein besonders verschlossenes Verhalten und schon früh viele Kontakte außer Haus, können auftreten. Am besten getroffen hat es noch der einzige Sohn unter lauter Schwestern, dem besondere Aufmerksamkeit sicher ist. Die einzige Schwester unter Brüdern genießt ebenfalls oft den Status einer kleinen Prinzessin, sofern in der Familie nicht Mädchen grundsätzlich gering geschätzt werden.

Erziehungstipps für Mittelkinder

  • Ein Mittelkind braucht das Gefühl, auch etwas Besonderes zu sein. Beachten und loben Sie seine Leistungen gebührend, vermitteln Sie ihm jedoch auch, dass Sie es auch unabhängig davon lieben.
  • Verschlossenen Mittelkindern helfen Gespräche unter vier Augen, sich zu öffnen.
  • Achten Sie besonders darauf, wie Ihr Kind seine Umwelt wahrnimmt oder über bestimmte Situationen denkt. Um Konflikte zu vermeiden, neigt es dazu, vieles mit sich selbst auszumachen.
  • Räumen Sie auch Ihrem Mittelkind bestimmte Privilegien ein, zum Beispiel, auch mal alleine die Großeltern besuchen zu dürfen oder alleine mit Ihnen in die Bücherei zu gehen.
  • Damit es nicht immer die Sachen des/der Älteren vererbt bekommt, sollten Sie hin und wieder bewusst ein neues, möglichst besonderes Kleidungsstück kaufen, etwa ein T-Shirt mit seinem Lieblingshelden.

Nesthäkchen: verwöhnt, charmant und witzig

Das Nesthäkchen wird oft verwöhnt und bedient und von den Eltern besonders beachtet, was nicht selten zu starker Eifersucht der älteren Geschwister führt. Diese können dem Jüngsten das Leben dann recht schwer machen. Um bei den "übermächtigen" Geschwistern Anerkennung ernten zu können, versucht es oft, diese zum Lachen zu bringen und entwickelt sich so zum Clown. Ist das Nesthäkchen ein Nachzügler und hat daher bereits erheblich ältere Geschwister, wird es meist auch von diesen umsorgt und wächst als kleiner Prinz oder kleine Prinzessin heran. Nicht selten bleibt es sein ganzes Leben lang das "Baby", das sich um nichts kümmern muss und von allen erwartet, dass sie für es sorgen.

Erziehungstipps für Nesthäkchen

  • Sorgen Sie dafür, dass auch das Jüngste altersgemäße Aufgaben im Haushalt erledigt und Verantwortung übernimmt.
  • Auch das Nesthäkchen muss die allgemein gültigen Familienvorschriften und -regeln einhalten.
  • Fordern Sie Ihr Nesthäkchen. Letztgeborene sind meist nur wenig ehrgeizig oder geben den Kasper, weswegen sie oft hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben.
  • Ähnlich wie Mittelkinder brauchen auch jüngste Kinder das Gefühl, wichtig und etwas Besonderes zu sein. Speziell bei einer großen Kinderschar können sie sich zu wenig beachtet vorkommen. Stellen Sie seine Leistungen daher besonders heraus, indem Sie zum Beispiel darauf achten, dass auch seine Bilder und Basteleien ausgestellt und gewürdigt werden.

Zwillinge: Auch sie rivalisieren miteinander

Zwillinge sind ein Sonderfall. Dass Zwillinge nicht aufeinander eifersüchtig wären, immer zusammenhielten oder bereitwillig teilen würden, sind Ammenmärchen. Unter Zwillingen gibt es Rivalität wie bei anderen Geschwistern. Oft vergleichen sie sich, im Gegenteil, besonders stark miteinander und haben Angst, zu kurz zu kommen. Im Verlauf der ersten beiden Lebensjahre kristallisiert sich meist eine Rangfolge heraus: Eines der Kinder wird die Rolle des Älteren bzw. Erstgeborenen übernehmen. Doch sind Zwillinge (insbesondere eineiige) naturgemäß viel stärker aufeinander bezogen als andere Geschwister. Daher haben sie oft Schwierigkeiten, die eigene Identität zu finden.

Erziehungstipps für Zwillinge

  • Fördern Sie die eigene Identität. So ist zum Beispiel die Gepflogenheit, Zwillinge stets gleich zu kleiden, zwar niedlich, aber nicht unbedingt förderlich für die Kinder.
  • Fördern Sie individuelle Neigungen und Interessen jedes Kindes (eines geht z. B. ins Ballett, das andere in die Musikschule).
  • Stärken Sie das Selbstwertgefühl jedes einzelnen Kindes, indem Sie individuell loben (also nicht: "Das habt ihr gut gemacht!") und es nicht an den Leistungen des anderen Zwillings messen.
  • Trennen Sie die Zwillinge zeitweise voneinander, zum Beispiel indem sie verschiedene Kindergarten-Gruppen besuchen. Dies verringert einerseits den ständigen Wettbewerbsdruck untereinander, andererseits aber auch Entwicklungen in einen verantwortlichen und einen eher passiven Zwilling.

Übersicht: Typische Eigenschaften erster, zweiter und dritter Kinder

Natürlich sind diese Charakteristika nicht in jedem Fall zutreffend und müssen aus Platzgründen hier auch vereinfacht und zusammengefasst dargestellt werden.

Geschwisterposition Typische Eigenschaften und Verhaltensweisen
 
Erstgeborene
 
  • sind ängstlicher und unzufriedener mit sich selbst und neigen daher zu Perfektionismus
  • gehen Konflikten eher aus dem Weg, unberechenbare Situationen machen ihnen Angst
  • im Vergleich zu den Geschwistern sind Eigenschaften wie Willensstärke, Verantwortungsbewusstsein, Leistungsbewusstsein, und Gewissenhaftigkeit stark ausgeprägt
 
Zweitgeborene bzw. Mittelkinder
 
  • können gut Kontakte knüpfen und bei Konflikten vermitteln
  • sind raffiniert und können ihre Ziele gut durchsetzen, sind sozusagen geborene Diplomaten
  • haben oft viele Freunde, können aber auch sehr verschlossen sein
  • im Vergleich zu den Geschwistern sind Eigenschaften wie Spontaneität, Gelassenheit und Geduld, manchmal aber auch eine gewisse Zerrissenheit stark ausgeprägt
 
Dritt- bzw. Letztgeborene
 
  • sind unbekümmert und fühlen sich oft nicht allzu sehr verantwortlich
  • sind häufig unkompliziert und unordentlich, doch lieb und unterhaltsam, sodass sie oft die Rolle als Charmeur oder Clown annehmen
  • im Vergleich zu den Geschwistern sind Eigenschaften wie Flexibilität und Selbstbezogenheit, aber auch Passivität, Unterwürfigkeit, Hilfsbedürftigkeit und Zurückgezogenheit stark ausgeprägt

Übersicht: Typische Eigenschaften in Abhängigkeit von Geschlecht und Geschwisterposition

Geschwisterposition Typische Eigenschaften und Verhaltensweisen
 
Ältester Bruder eines oder mehrerer Brüder
 
  • Anführertyp, der gerne Verantwortung übernimmt, was sich für die Brüder sowohl in Fürsorge, aber auch Bevormundung ausdrücken kann
  • ehrgeizig, besitzorientiert, oft starkes Konkurrenzdenken, daher häufig streitsüchtig
 
Jüngster Bruder eines oder mehrerer Brüder
 
  • oft fröhlich, verspielt, verschmust, charmant
  • strebt nach Aufmerksamkeit und versucht sich deutlich von den Brüdern abzuheben, oft in der Rolle als Clown
 
Ältester Bruder einer oder mehrerer Schwestern
 
  • fürsorglich und nett zu den Schwestern, die für ihn als "Prinz" der Familie keine wirkliche Gefahr darstellen
  • weniger ehrgeizig als andere Erstgeborene, Gefahr bei geringem Altersabstand: wird von der jüngeren Schwester überflügelt, dann verschärfte Rivalität
 
Jüngster Bruder einer oder mehrerer Schwestern
 
  • genießt in der Familie oft einen Sonderstatus, der redlich ausgenutzt wird (oft Liebling der Eltern), lässt sich gerne bedienen
  • häufig selbstbewusst, feinfühlig, friedlich, aufgeweckt
  • kann zuhören und Konflikte gewaltfrei lösen
 
Älteste Schwester eines oder mehrerer Brüder
 
  • übernimmt schnell mütterliche Aufgaben und kümmert sich um den/die Brüder, insbesondere, wenn sie glaubt, weniger wert zu sein als die Brüder und nur so die elterliche Anerkennung erringen zu können
  • hilfsbereit, kameradschaftlich, oft aber auch sehr ehrgeizig und eifersüchtig
 
Jüngste Schwester eines oder mehrerer Brüder
 
  • selbstbewusst, vergnügt, freundlich, charmant bis kokett
  • spielt außerhalb der Familie gerne die Anführerin
  • wenig ehrgeizig, Ausnahme: nur ein älterer Bruder in geringem Altersabstand, den sie mit ihren Leistungen übertreffen kann
 
Älteste Schwester einer oder mehrerer Schwestern
 
  • übernimmt gerne mütterliche Aufgaben, möchte aber auch Macht über die jüngeren Schwestern ausüben und als Vorbild anerkannt werden
  • verantwortungsvoll, gewissenhaft, folgsam, ernst, rational
 
Jüngste Schwester einer oder mehrerer Schwestern
 
  • fühlt sich häufig als Mittelpunkt, anfällig für Verwöhnung, Gefahr der Unselbstständigkeit
  • erfährt sie viel Beachtung und Lob, läuft sie zur Höchstform auf, lässt sich aber bei zu wenig Beachtung schnell hängen

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