Regeln für die Familien-Mahlzeit

Welche Tischmanieren müssen sein?

„Ob der Philipp heute still wohl bei Tische sitzen will?“ hieß es im Jahre 1845 im "Struwwelpeter". Die Erziehungsmethoden haben sich seitdem geändert, vieles wird lockerer gesehen. Dennoch ist gutes Benehmen immer noch ein wichtiger Bestandteil unseres Zusammenlebens. Welche Tischmanieren sind heute noch zeitgemäß?

Autor: Julia Rubin

Tischmanieren gehören zum respektvollen Umgang miteinander

Kind Tischmanieren
Foto: © iStockphoto.com/ ua6ct

Der siebenjährige Alexander isst noch immer alles nur mit dem Löffel, die zweijährige Anna bastelt aus Nudeln lieber ein Muster auf dem Teller, anstatt sie zu essen und Timo, fünf Jahre alt, versteht immer noch nicht, dass das Wasser im Becher nicht zum Suppe verdünnen, sondern zum Trinken gedacht ist. Für viele Familien ist dies das normale Chaos am Esstisch. Für Dr. Hans-Michael Klein ist das ein untragbarer Zustand. Klein ist Leiter der Knigge Akademie auf Schloss Eringerfeld in Geseke. Für ihn sind Tischsitten mindestens genauso wichtig, wie jedes andere Verhalten gegenüber den Mitmenschen: „Wenn in der Schule, im Beruf und überall in gesellschaftlichen Gruppen ein gutes Benehmen erwartet wird, dann natürlich auch beim gemeinsamen Essen. Und wer sich nicht an Tischsitten hält, der kann sich auch nicht in die Gesellschaft einfügen." Auch Dagmar von Cramm kennt sich aus mit Tischmanieren. Sie ist Ernährungswissenschaftlerin und Buchautorin zahlreicher Bücher zu den Themen Ernährung, Gesundheit, Kochen. Außerdem hat sie einen Kinderknigge für Eltern geschrieben. Von Cramm sieht die Einhaltung von Tischmanieren vor allem als Ausdruck des Respekts vor der Tischgemeinschaft: „Es ist kein schöner Anblick, wenn sich jemand beim Essen daneben benimmt. Außerdem verdirbt er damit den anderen den Appetit und stresst die anderen am Tisch." So kann man auch den Kindern erklären, warum richtiges Benehmen beim Essen so wichtig ist.

Wer stellt die Regeln auf?

Doch wie sollen sich Kinder beim Essen verhalten? Die Wissenschaftlerin rät zunächst zu einer Diskussion mit dem Partner. „Beide Elternteile müssen sich unbedingt über den Ablauf des gemeinsamen Essen einig sein und welche Verhaltensregeln gelten sollen." Für die Kinder ist das eine wichtige Orientierungshilfe. Für Entspannung und einen strukturierten Essensablauf sorgen Regeln und Rituale, die so früh wie möglich eingeführt werden sollen, so von Cramm: „Ein Spruch kann den Beginn des gemeinsamen Essen signalisieren – und die Kinder verstehen schnell: Erst, wenn alle sitzen und der Spruch aufgesagt ist, beginnt das Essen." Eine einfache Regel, die auch kleine Geschwister schnell nachahmen.

Welches Verhalten gilt bei Tisch?

Welches Benehmen von Kindern erwartet werden kann, hängt vor allem vom Alter der Kinder und deren motorischen Fähigkeiten ab. „Für alle Kinder ab vier Jahren gelten die gleichen Regeln, man muss nur Nachsicht haben mit der Ausführung", mahnt Hans-Michael Klein. „Ein Achtjähriger sollte tadellos mit Messer und Gabel essen, bei einem Vierjährigen kann es durchaus vorkommen, dass er dabei links und rechts verwechselt. Außerdem kann ich von ihm nicht erwarten, dass er Spaghetti nur mit der Gabel essen kann." Aber nicht nur die Entwicklung der Motorik, auch das Verstehen spielt dabei eine wichtige Rolle, fügt Dagmar von Cramm hinzu: „Einem Zweijährigen zu erklären, dass er nicht schmatzen soll, macht nicht viel Sinn – er weiß wohl kaum, was 'schmatzen' bedeutet. Ein Kindergartenkind hingegen versteht das schon ganz gut." Wichtig ist, dass Eltern ihr Kind beobachten. Was kann es schon? Was klappt noch nicht? Die Anforderungen an das Benehmen des Kinders müssen altersgemäß sein, sich aber vor allem an den persönlichen Fähigkeiten des Kindes orientieren. Manch ein Zweijähriger hat einen Riesenspaß, die Erbsen fein säuberlich auf seinen Löffel zu schieben, bei anderen endet das in einer riesen Sauerei – dann also besser auf ein Essen mit Kullererbsen verzichten und ruhig bleiben, rät der Knigge Fachmann Klein.

Nur, welche Regeln sollten gelten beim Essen? Die beiden Experten sind sich einig: Nicht schmatzen, den Teller nicht zu voll laden, Besteck nicht ablecken, nicht zu schnell und nicht zu langsam essen, Ellenbogen vom Tisch, gerade sitzen und nicht über dem Teller hängen. Gemeinsamer Beginn und gemeinsames Ende beim Essen bringt Ruhe in die gemeinsame Mahlzeit. „Am einfachsten ist es, wenn Eltern sich so verhalten, wie sie es von ihren Kindern erwarten", rät von Cramm.

Was ist tabu?

„Sobald das Kind mit am Tisch sitzt, muss es lernen: Wenn gegessen wird, dann wird gegessen. Es wird also nicht gespielt oder Bücher angeschaut", betont Hans-Michael Klein, „denn Kinder müssen lernen, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Das gilt fürs Essen, Spielen und Lernen." Eine Fähigkeit, die das Kind auch später in der Schule noch brauchen wird, so Klein. „Hier muss das Kind auch in der Lage sein, sich auf einen Lehrer zu konzentrieren und sich nicht ständig ablenken zu lassen." Dagmar von Cramm rät den Eltern, Störfaktoren beim Essen zu verbannen: „Fernseher und Radio ausstellen, Anrufbeantworter anschalten - so kehrt bei der gemeinsamen Mahlzeit automatisch Ruhe ein." Knigge Experte Klein mahnt: „Wenn ein Kind von Anfang an immer Spielzeug neben dem Teller stehen hat, geht es irgendwann so weit, dass es nur isst, wenn es währenddessen auch spielen kann. Und so weit darf es nicht kommen." Eltern sollten das Verhalten ihrer Kleinen am Tisch genau beobachten. Ist das Kind unruhig? Lässt es sich leicht ablenken? Dann könnte es vielleicht ganz einfach daran liegen, dass das Kind gar keinen Hunger hat. „Wenn Kinder richtig Hunger haben, dann spielen sie nicht während des Essens. Dann konzentrieren sie sich nur auf das, was auf dem Teller liegt. Und alles andere ist egal", so Klein. „Eigentlich müssten Eltern ab und zu eine Situation des Mangels herstellen, raus aus der Kultur des Überflusses, in der es alle drei Stunden etwas zu essen gibt. Denn sobald Kinder Hunger haben, wird das Essen wieder interessant und sie essen ordentlich und ohne Ablenkung."

Dagmar von Cramm kann sich aber trotz aller Tipps auch noch gut an stressige Momente am Tisch mit ihren Kindern erinnern: „Ich kam mir vor wie eine tibetanische Gebetsmühle, immer wieder die gleichen Sätze 'Ellenbogen vom Tisch, setzt Euch gerade hin'. Ich konnte mich irgendwann selbst nicht mehr reden hören", schmunzelt sie. Aber sie hat die Erfahrung gemacht: Einen Sofort-Effekt gibt es nicht, aber dran bleiben lohnt sich und übertreiben hilft nichts. „Benimmt sich ein Kind daneben, sollten Eltern es kurz und knapp an die Regeln erinnern, das reicht schon völlig aus. Wenn Kinder ständig ermahnt werden, dann stellen sie ihre Ohren irgendwann auf Durchzug", so die dreifache Mutter.

Leckeres Essen macht gute Laune – Unbekanntes Essen soll neugierig machen

Freude bereitet natürlich auch das Lieblingsessen - klar, dass die Kinder dabei mehr Spaß am Essen haben als bei einem ungeliebten Spinatkuchen. Da ist das Rumstochern fast schon vorprogrammiert. Aber: „Es ist ein Muss, dass Kinder auch Unbekanntes probieren, das gehört zu den Tischmanieren genau wie gutes Benehmen", betont Ernährungsexpertin von Cramm. Ein einfacher Trick: tarnen und täuschen. Geriebenes Gemüse im Pfannkuchen verstecken, Apfelschnitze in Pommesform anbieten, kurzum: bekannte, beliebte Strukturen nehmen, um dem Kind gesundes Essen nahezubringen. Laut Cramm muss man ein Nahrungsmittel 16 mal probieren, bevor man es mag – das gilt für Kinder und Erwachsene. Werdende Mütter können schon in der Schwangerschaft einen Grundstein für das spätere Essverhalten ihrer Kinder legen, so von Cramm. „Schwangere sollten drauf achten, vielseitig zu essen und das auch während der Stillzeit, wenn möglich, weitermachen". Und danach? „Weiterhin so gut es geht auf Salz und Zucker verzichten", rät Hans-Michael Klein, „dann haben es die Kinder einfacher, die verschiedenen Geschmacksrichtungen zu entdecken". Wenn dann noch der traditionelle Nachtisch abgeschafft wird, wird die Chance nochmal größer, das Kind zum Essen zu bewegen. „Wenn das Kind weiß, dass es nach dem Abendessen immer einen Nachtisch gibt, dann ist es klar, dass es dann nur im Essen stochert, um Hunger zu haben für das Süße", so Klein. Von Cramm empfiehlt: „Süßes gehört – wenn überhaupt – an den Nachmittag, getrennt von der Hauptmahlzeit". Wer Kinder aber nur mit Bestechung zum Essen bekommt („wenn Du das gegessen hast, bekommst Du eine Belohnung"), dann nicht mit süßem Essen belohnen, sondern mit Aufklebern, Sammelstickern oder Ähnlichem, rät von Cramm.

Die gemeinsame Mahlzeit als Zeit der Erholung

Mahlzeiten waren schon immer nicht nur zum Essen und Satt-Werden da, sondern dienen auch als Pause, als Erholungsmoment und natürlich der Geselligkeit. Ernährungsexpertin von Cramm empfiehlt das Abendessen als gemeinsame Mahlzeit. „Am Abend sind meist alle zu Hause und jeder kann den anderen von seinem Tag zu berichten." Wichtig bei der gemeinsamen Mahlzeit: Zeit mitbringen, ohne Hektik essen. Denn der Stress der Eltern wirkt sich auch auf das Verhalten der Kinder aus. Dies gilt aber auch für alle anderen Tageszeiten. Wenn Eltern zum Beispiel schon hektisch in den Tag starten, dann müssen sie unbedingt ihr eigenes Time-Management überdenken, mahnt Klein: „Wer morgens Stress vermeiden will, sollte abends einfach rechtzeitig schlafen gehen und früher aufstehen. Den Tag ausgeschlafen beginnen, das bringt Ruhe in den Morgen und in die erste gemeinsame Mahlzeit – das Frühstück".

Weiterführende Links: