Immer wieder einfach ausprobieren

Wie Kinder aus Fehlern lernen

Dass Fehler machen etwas Gutes und Produktives ist, haben die meisten Erwachsenen vergessen. Dabei dürfen Kinder nicht nur, sondern sie müssen sogar ständig Neues ausprobieren, dabei Fehler bzw. Fehlversuche machen, um zu lernen und sich zu entwickeln.

Autor: Nicole Borrasch

Die Entdeckerwelt der Kleinsten

Mädchen Fehler
Foto: © fotolia.com/ altanaka

„Wer aufhört, Fehler zu machen, lernt nichts mehr dazu", hat schon Theodor Fontane gesagt – und lag damit goldrichtig. Denn wer Fehler macht, sammelt nützliche Erfahrungen, die häufig der Weg zum Erfolg sind. Beobachtet man Babys und kleine Kinder, wird genau dies bestätigt. Unentwegt entdecken sie etwas Neues, probieren aus, testen alle möglichen Optionen und kommen so zum Ziel. Versucht ein Baby die ersten Schritte, so fällt es viele Male hin. Es steht auf und versucht es erneut. Jedes Mal testet es aus, wie viel Schwung es braucht, wie es die Füße aufsetzen muss, wie am besten das Gleichgewicht zu halten ist. Es lernt aus den eigenen Fehlern, bis es schließlich das große Ziel, das eigenständige Laufen, erreicht.

Und so geschieht es bei fast allem, was Menschen in diesem jungen Alter lernen. Egal, ob beim ersten Greifversuch, beim Laufen, Sprechen oder Fahrradfahren – Kinder lernen durch und aus Fehlern. Sie sind der Weg zum Erfolg und zur Weiterentwicklung. Dabei entwickeln sie auch ihre erste Frustrationstoleranz in Bezug auf diese „Niederlagen". Und die ganz Kleinen verfügen offenbar über ein sehr großes Potenzial, mit Fehlschlägen positiv umzugehen und sie als Mittel zum Zweck zu nutzen. „Haben Sie schon mal ein Kind gesehen, das nach zwei Monaten Laufen lernen gesagt hat, dass es die Sache jetzt schmeißt? Das kommt nicht vor", veranschaulicht Professor Dr. Dr. Manfred Spitzer dieses Phänomen in einem Symposiumsvortrag zum Thema „Wie Kinder lernen und was man darüber wissen sollte". Denn der Vorgang des Ausprobierens, wieder Aufstehens und von vorne Versuchens ist angeboren. Kinder wollen entdecken und lernen, sind voller Enthusiasmus und Elan und lassen sich so schnell nicht demotivieren.

Fehler sind Helfer

Auch wenn man es oft vergisst, so zeigt das Wort „Fehler" doch selber schon, was es eigentlich ist: Vertauscht man die Buchstaben, so wird aus „Fehler" das Wort „Helfer". Schon vor hundert Jahren wusste das der Vater des späteren Verhaltensforschers und Nobelpreisträgers Konrad Lorenz. Der kleine Konrad verbrachte mit seinem Vater Zeit im Garten, als er einen ganz besonderen Käfer fand. Natürlich wollte er von seinem Vater wissen, wie dieses Exemplar wohl heiße. Doch anstatt dem Jungen die Antwort zu präsentieren, schickte er ihn los, in seinem Käferbuch nach der Lösung zu suchen. Es dauerte einige Zeit, in der Konrad immer wieder die Bilder im Buch mit dem Käfer vergleichen musste. Dabei machte er immer wieder kleine Fehler. Dachte er, er hätte die Lösung, fand er doch wieder Unterschiede bei den Abbildungen und fing erneut an zu suchen. Schließlich fand er nach einiger Zeit des Ausprobierens die Lösung – es war ein Maikäfer. Voller Glücksgefühl und mächtig stolz, teilte er seinem Vater die richtige Lösung mit. Konrad hatte aus eigener Erfahrung entdeckt und gelernt. Viele kleine Fehlversuche haben den Weg zum Erfolg geebnet. Das fördert die Selbständigkeit und das selbstverantwortliche Lernen.

Jeder kennt den Lerneffekt der heißen Herdplatte

„Babys lernen Laufen von Fall zu Fall. Und anhand der einzelnen Fälle wird nicht der Einzelfall gelernt, sondern das, was dahinter steckt. Nämlich wie bleibt man oben und nicht, wo bin ich überall hingeplumpst … Das ist der Normalmodus unseres Gehirns“, erklärt Spitzer. Der Experte mit dem Forschungsschwerpunkt im Grenzbereich der kognitiven Neurowissenschaft und Psychiatrie weiß, wie das Hirn am besten lernt und vor allem, wie Gelerntes am besten abgespeichert wird: „Wer aus eigenen Fehlern lernt, bekommt ein Glücksgefühl, wenn es dann endlich klappt. Wissen, das man über diese Art des Lernens erwirbt, ist im Hirn fest verankert, da es über ein starkes Gefühl eingespeichert wurde.“ Denn im Gehirn werden gemachte Erfahrungen mit dem Gefühl verbunden, das in dieser Situation empfunden wird. Je intensiver dieses Gefühl ist, desto fester ist die Erfahrung, das Gelernte, im Gehirn verankert. Man nehme das Beispiel mit der heißen Herdplatte. Wer einmal drauf gefasst hat, wird diesen Fehler nicht noch einmal machen. Lernen aus Fehlern, durch Ausprobieren und eigene Erfahrungen erzeugt auch ein intensives Gefühl und ist somit sehr effektiv.

Wer das einmal verstanden hat und für sich annehmen kann, steckt insgesamt Niederlagen im Leben besser weg. So fand eine Studie der Michigan State University heraus, dass Menschen, die wissen, dass man aus Fehlern lernt, eine andere Gehirnreaktion auf Fehler zeigen als Menschen, die denken, dass sie nicht aus Fehlern lernen können. Solche, die sich des Positiven eines Fehlers bewusst sind, können nicht nur schneller aus diesen lernen, sie gehen auch viel besser mit ihnen um und fühlen sich durch Fehler nicht niedergeschlagen. So wie unser Kleinkind, das sich gerade mitten im Prozess des Laufenlernens befindet.

Kinder "Fehler" machen lassen

Die Leichtigkeit des Ausprobierens und einfach mal Fehler zu machen geht bei größeren Kindern oft verloren. Die Gründe liegen vor allem in der Fehlerkultur unserer Leistungsgesellschaft, in der Perfektionismus und Fehlerfreiheit oberste Gebote sind. Aber auch die so genannten „Helicopter-Eltern“ und pädagogische Konzepte der Lehrer tragen ihren Teil dazu bei. Kinder, denen Eltern nicht die Freiheit lassen, Fehler zu machen, können weder mit solchen umgehen, noch aus ihnen lernen. Man muss Kinder einfach mal machen, sie ihre Forscher- und Entdeckerseite ausleben lassen. Kinder brauchen keine Eltern, die immer nur „Vorsicht“ sagen und alle Lösungen vorgeben. Kinder brauchen Abenteuer im Leben, Aufgaben, an denen sie wachsen können. Eltern können ihre Kinder unterstützen, indem sie ihnen immer wieder herausfordernde Aufgaben stellen – so wie im Beispiel von Konrad Lorenz Vater. Und auch wenn es uns Erwachsenen schwer fällt: Lassen deine Kinder auch mal ungeschickt den Hochstuhl hochklettern oder auf ihre eigene seltsame Weise das Fleisch schneiden. Das erhält die Lernfreude und ergibt manchmal erstaunlich kreative Lösungen. Eile nicht sofort bei jedem Fehler zu deinem Kind und korrigiere es. Das könnte ihm eine wertvolle Lerngelegenheit nehmen.

Eine positive Fehlerkultur ist wichtig für das Lernen

In der Schule gibt es ebenfalls verschiedene Arten mit Fehlern umzugehen. Professorin Maria Spychiger, deren Fachgebiet unter anderem das Lernen aus Fehlern und die Entwicklung von Fehlerkultur ist, erklärt: „Ein Lehrer, der eine positive Fehlerkultur vertritt, nutzt den Fehler eines Schülers als Lernchance. Das bedeutet zum Beispiel, dass der Lehrer auf eine nicht richtige Antwort eines Schülers nicht mit einem „Falsch“ und einem unmittelbar folgenden Wechsel zu einem Schüler, der die richtige Antwort weiß, reagiert. Stattdessen geht der Lehrer auf diese nicht perfekte Antwort ein. Ein gemeinsames Diskutieren darüber, wie das Kind zu dieser Lösung kam und eine positive Zuwendung sorgen nicht nur dafür, dass der Schüler sich gut fühlt. Es ermöglicht auch, die Antwort nochmal gemeinsam zu überdenken und aus dem Fehler zu lernen.“ Wie Eltern oder Pädagogen mit dem gemachten Fehler des Kindes umgehen, entscheidet auch darüber, wie das Kind in Zukunft damit umgehen wird. „Optimal ist das, was ich das „pädagogische Halten“ nenne. Sich nicht vom Kind abwenden, sondern dabei bleiben und auf den gemachten Fehler eingehen, bis eine Lösung gefunden ist. So werden Fehler produktiv“, betont die Expertin.

Trotz des Plädoyers für eine positive Fehlerkultur muss eines am Ende aber klar sein: Es kann immer nur um Fehler gehen, die im gesunden Rahmen, körperlich wie auch psychisch, für das Kind stattfinden. Niemand sollte sein Kind aus dem Fehler lernen lassen, unbedacht über eine Straße zu laufen oder ähnlich gefährliche Situationen zulassen.

US-Studie zum Thema: http://msutoday.msu.edu/news/2011/learning-from-our-mistakes-is-hardwired/