Gemeinsame Aktivitäten

Quality Time: Gute Zeit mit dem Kind

Jeder hat eine ungefähre Vorstellung davon, was sie bedeutet: die Idee von der begrenzten, aber dafür hochwertigen Zeit fürs Kind. Doch was genau meint "Qualität" bei Quality Time, mit dem Kind zu spielen, vorzulesen, Ausflüge zu machen oder einfach gemeinsamen Alltag?

Autor: Gabriele Möller

Qualität statt Quantität

quality time
Foto: © colourbox

Den Begriff der Quality Time gibt es schon länger, als unser Bauchgefühl es uns glauben macht: Bereits 1972 entstand in den USA die Forderung nach dieser "hochwertigen Zeit", die Berufstätige dem Partner und den Kindern widmen sollten, damit das Familienleben unter dem Job nicht leiden muss. Unausgesprochen schwang dabei von Anfang an die Forderung "Qualität statt Quantität" (Wert vor Menge) mit. Denn es versteht sich von selbst, dass sich vor allem diejenigen mit der Idee von der Quality Time anfreunden konnten, deren Zeit für die Familie eher knapp war.

Inzwischen hat der Begriff zumindest in Deutschland eine Bedeutungsverengung erfahren und meint fast nur noch die mit Kindern verbrachte Zeit. Doch funktioniert die Idee von der "Qualitätszeit" in der Erziehung wirklich? "Ich finde den Begriff unrealistisch ", beschreibt eine Mutter in einem Online-Elternforum ihre Bedenken. "Natürlich versuche auch ich trotz meiner  Berufstätigkeit so oft wie möglich, körperlich und geistig für meine Kinder anwesend zu sein. Dennoch sind das vielleicht nicht gerade die Momente, in denen meine Kinder mich brauchen würden. Vielmehr ist es doch so, dass ich mich hinstelle und sage: 'Jetzt darfst du mich brauchen. Nicht nachher oder morgen oder dann, wenn Du es nötig hast.'" Die gemeinsame Zeit muss sich aber nicht nur nahtlos in die Tagesplanung der Erwachsenen einfügen, sondern auch in die der Kinder, die ebenfalls oft volle Terminkalender haben.

Quality Time - ein unerreichbares Ideal?

Überhaupt scheint die Wirklichkeit die gut gemeinte Idee von der Quality Time oft auszuhebeln. Denn wer gerade acht Stunden im Job funktioniert hat, hat Mühe, nochmal den Elan hervorzukramen, um seinem Kind eine irgendwie unvergessliche Zeit zu bieten. Der zweifache  Vater und IT-Fachmann Frank zum Beispiel klagt: „Ich bin jeden Tag bis 20 Uhr unterwegs und anschließend total erledigt. Für das, was ich unter hochwertiger, gemeinsam verbrachter Zeit verstehe, habe ich dann einfach keine Energie mehr. Es läuft dann auf ein bisschen Vorlesen und einen Gute-Nacht-Kuss hinaus."

Wertvolle Zeit steckt in fast allem

Wenn aber Quality Time zu einer kaum erfüllbaren Forderung wird, hakt es vielleicht einfach an einer zu hohen Erwartung an sie. Und die entmutigt und macht Müttern und Vätern fast zwangsläufig ein schlechtes Gewissen. Doch wer sagt denn, dass nur pädagogisch durchdachte Brettspiele, das Herstellen aufwändiger Bastelarbeiten oder unvergesslich spannende Abenteuerspiele bereichernd sind? Hochwertig ist jede Zeit und Situation, in der ein Kind sich gesehen und anerkannt fühlt. Und diesen Zustand herzustellen, ist gar nicht so schwer:

  • Auf dem Hinweg zur Schule, zum Kindergarten oder zur Betreuung können Eltern und Kind sich gegenseitig erzählen, was sie geträumt haben. Der Nachwuchs kann schon laut überlegen, was (oder mit wem) es gleich bzw. in der Pause am liebsten spielen wird. Auf der Heimfahrt können Mutter und Vater ihren Sprössling fragen, wie es sich heute in der  Schule oder im Kiga angefühlt hat und hören, was vielleicht an Erstaunlichem passiert ist. Die Großen können aber auch selbst von ihrem Tag erzählen.
  • Ein ausgedehntes Abendessen, bei dem man nicht so genau auf die Uhr schaut, bietet Kindern Nahrung auch für die Seele. Gemeinsam genießen (und nicht für jedes Kleckern ermahnt werden), sich etwas erzählen, lachen - das macht ein warmes Bauchgefühl und gute Erinnerungen. Umso mehr, wenn schon die Vorbereitung des Essens gemeinsam stattfindet. Auch ein schnelles Abendessen verträgt die Mithilfe von Kinderhänden: Ein Kind kann mit Mamas Hilfe Kartoffelhälften schneiden und auf einem Backblech verteilen. Ein Geschwister mit Papas Unterstützung schon mal den Dip für die Kartoffelecken rühren.
  • Ein beliebtes Ritual ist bei vielen Berufstätigen das abendliche Lesen der Tageszeitung. Damit Mutter oder Vater hinter der Zeitung nicht unerreichbar werden, können sie zwischendurch seltsame oder lustige Meldungen vorlesen oder erzählen. Ein Hund, der hunderte Kilometer nach Hause gefunden hat, eine Kuh, die mittels Kran aus einer Grube gehievt werden musste, ein Räuber, der sein Handy am Tatort verlor und deshalb schnell gefangen wurde - das interessiert auch Kinder. Überhaupt ist das Vorlesen jeder Art Quality Time pur.
  • Die meisten Kinder lieben es, alten Kram, der sich im Keller angesammelt hat, zum Wertstoffhof an der städtischen Müllverbrennungsanlage zu bringen, wo man anschließend eine Weile dem großen Greifarm beim Fassen des Hausmülls zuschauen kann. Aber auch schon das Einwerfen von Altpapier oder Flaschen an den üblichen Containern, bei dem das Kind mithelfen und es klirren lassen kann, ist ein erstaunlich zuverlässiger Garant für Spaß.
  • Tätigkeiten, die Erwachsene langweilig finden, Kinder aber ganz und gar nicht, sind auch das Fegen oder das Schneeschippen vor dem Haus, wobei das Kind mit einem Kinderbesen oder einer Kinder-Schneeschaufel assistiert. Auch das abendliche Bewässern des  Gartens mit dem Schlauch oder das Gießen der Balkonpflanzen (vor allem, wenn auch Pflänzchen des Kindes dabei sind), das Durchfahren der Autowaschanlage mit ihren rotierenden Bürsten oder das gemeinsame Einkaufen, bei dem das Kind den Wagen schiebt.
  • Sogar die bei Eltern und Kind meist ungeliebten  Hausaufgaben bergen Qualitätszeit. Dabei eine gute Stimmung auszulösen, ist gar nicht so schwer: Eltern können Anstrengungen loben ("Diese Lösung hast du aber schnell heraus bekommen!") und Ideen anerkennen ("Ich finde den Aufsatz wunderschön! Besonders toll finde ich den Einfall..."). Sie können nebenbei von ihrer eigenen Schulzeit erzählen ("Ich musste auch manchmal so ellenlange Gedichte auswendig lernen. Ich habe das immer so gemacht:") oder auch mal mitleiden: "Mensch, das ist aber auch eine vertrackte Aufgabe. Soll ich mal mitknobeln?".

Qualität braucht Zeit

Dennoch muss es gesagt werden: Qualität braucht auch Zeit. "Quality Time enthält die Hoffnung, den allgemeinen Zeitverlust durch Einplanen von Zeiten des intensiven Zusammenseins so kompensieren zu können, dass die Beziehung keine Qualitätseinbußen erleidet. Aber dies ist eine Art, den Effizienzkult vom Büro auf das Zuhause zu übertragen", warnt die US-amerikanische Soziologin Professor Arlie Russell Hochschild. Es ist nicht möglich, in allzu knappe Zeitspannen all das Gute hineinpacken zu wollen, das man seinem Kind mitgeben will. Genug Zeit für einander zu haben, ist ein ebenso wichtiger Bestandteil unseres Wohlstands, wie das Einkommen. Zu Recht spricht das Bundesfamilienministerium vom "Zeitwohlstand": „Zeitwohlstand gehört zu den grundlegenden Voraussetzungen, um ein funktionierendes Familienleben führen zu können", heißt es im Memorandum "Familie leben" (2009).

Eine feste Empfehlung zur Mindestdauer der Quality Time gibt es auch von Experten nicht. Zu sehr hängt es vom Alter des Kindes und seinem Bedürfnis nach Nähe und Bindung zu den Eltern ab, welches Mindestmaß an individueller Zuwendung es braucht. Generell gilt: Je länger Eltern und Kind täglich etwas gemeinsam machen, desto besser.