Studie über Trennungsfolgen

Worunter Scheidungskinder leiden

Im Jahr 2009 erlebten laut Statistischem Bundesamt 145.700 Kinder in Deutschland die Scheidung ihrer Eltern. Eine Langzeitstudie vergleicht die Entwicklung von Kindern aus traditionellen Familien mit Kindern aus Trennungsfamilien.

Autor: idw pf

Studie über Scheidungsfolgen

Maedchen laechelnd Pagenschnitt

"Bis dass der Tod uns scheidet..." gilt schon lange nicht mehr als allein denkbares Ende einer Beziehung. In Deutschland geht etwa jede dritte Ehe in die Brüche, was besonders für die Kinder aus diesen Beziehungen weit reichende Folgen hat. Sie müssen nicht nur die Trennung der Eltern verkraften, sondern in der Folgezeit oft auch mit neuen Partnern ihrer Eltern zurechtkommen. Das Forschungsprojekt "Familien in Entwicklung: Kinder und Jugendliche in Deutschland" untersucht seit 1994 unter anderem, welche Einflüsse die Trennung der Eltern auf die weitere Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hat. Dabei nehmen die Wissenschaftler traditionelle Familien (Kernfamilien), Familien mit allein erziehenden Müttern sowie Stiefvater-Familien in verschiedenen Regionen Deutschlands ins Visier. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Einflüssen, die aus der durch die Trennung veränderten finanziellen Lebenssituation, aus der Gestaltung der Beziehung zwischen den leiblichen Eltern und gegebenenfalls den Eltern und ihren neuen Partnern, sowie vor allem auch aus der Beziehung der Kinder zu den leiblichen Eltern erwachsen.

"Das Hauptaugenmerk der Studie gilt familiären Stressfaktoren, die aus einer elterlichen Trennung und neuen Partnerschaft resultieren und Besonderheiten der kindlichen Entwicklung erklären können", so Professor Sabine Walper vom Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München, die federführend an dem Projekt beteiligt ist. "Dazu gehören Probleme der leiblichen Eltern vor und nach der Trennung, deren Einfluss auf den Kontakt des Kindes zum getrennt lebenden Elternteil und ökonomische Belastungen, die sich aus der Trennung ergeben können. Versuchen die Eltern etwa, die Kinder in eine Allianz gegen den anderen Elternteil zu ziehen, leiden die Kinder häufig unter den Kontakten zum getrennt lebenden Elternteil."

Folgen finanzieller Engpässe

Eines der Zwischenergebnisse der Studie lautet: Finanzielle Engpässe betreffen vor allem allein erziehende Mütter und beeinträchtigen die Kinder insbesondere dann, wenn sie sich gegenüber Gleichaltrigen als benachteiligt erleben. "Besonders dieses Gefühl war ausschlaggebend für eine Beeinträchtigung der Befindlichkeit von Kindern und Jugendlichen aus finanziell schlecht gestellten Familien", berichtet Walper. Häufig ist dann auch das Erziehungsverhalten der Eltern belastet und trägt dazu bei, dass das Selbstwertgefühl der Jugendlichen unterhöhlt wird.

Eine herausragende Rolle spielen aber auch die Altersgenossen. So führt bei Kindern aus finanziell schlecht gestellten Familien eine Ablehnung durch Gleichaltrige zu ansteigender Depressivität und Belastungen des Selbstwertgefühls der Kinder und Jugendlichen.

Konflikte zwischen den Eltern

Eine der häufigsten Fragen, die sich Paare in einer Beziehungskrise stellen, lautet: Was schadet meinem Kind mehr? Wenn wir uns trennen oder wenn es regelmäßig Zeuge unserer Konflikte und Streitereien wird. Ein besonderes Augenmerk der Studie liegt daher auf der Frage nach den Folgen elterlicher Konflikte für die Befindlichkeit und die Entwicklung der Kinder. Dafür wurde zusätzlich zu den genannten Familienformen eine Gruppe von konfliktbelasteten Kernfamilien befragt und mit den anderen Familientypen verglichen. Es stellte sich heraus, dass die Entwicklung und das Befinden der Kinder besonders in dauerhaft konfliktreichen Vater-Mutter-Kind-Familien belastet waren. Sie wiesen teilweise auch im Vergleich zu Kindern aus Trennungsfamilien ein niedrigeres Selbstwertgefühl, höhere Depressivität und vermehrte körperliche Beschwerden auf und berichteten von vermehrter Ablehnung durch Gleichaltrige.

Besonders belastet werden Kinder sowohl in konfliktreichen "Normal"-Familien, als auch in Trennungsfamilien von Loyalitätskonflikten, also dem belastenden Gefühl, sich im Streit der Eltern auf die Seite der Mutter oder des Vaters schlagen zu müssen. In diesem Zusammenhang stellte sich außerdem heraus, dass in Trennungsfamilien die Eltern mehr Druck auf die Kinder ausüben, sich mit einem Elternteil gegen den anderen zu verbünden. Erstaunlicherweise macht dies jedoch in der Wahrnehmung der Kinder und Jugendlichen keinen großen Unterschied aus. Egal, ob die Eltern in Trennungsfamilien mehr Druck ausübten, oder ob sie sich in traditionellen Familienformen stritten, ohne dabei die Kinder auf ihre Seite ziehen zu wollen: Die Kinder und Jugendlichen fühlten sich in ähnlicher Weise belastet und im inneren Konflikt, zu wem sie halten sollten.

Ein weiteres Zwischenergebnis der Studie lautet: Das Selbstwertgefühl und Befinden der Kinder und Jugendlichen wird nicht nur direkt durch die Konflikte der Eltern selbst, sondern auch durch ein - als Folge der Konflikte - weniger unterstützendes Erziehungsverhalten (vor allem der Väter) beeinträchtigt. Dies gilt insbesondere für die Teilnehmer der Studie aus konfliktbelasteten Kernfamilien und weniger für Kinder aus Trennungsfamilien. Auch da litt zwar das Erziehungsverhalten, vor allem der Väter, unter den Streitigkeiten der Eltern, aber es hatte weniger nachteilige Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl der Kinder.

Wie wichtig ist der Kontakt zum getrennt lebenden Elternteil?

Dem Verlust eines Elternteils durch eine Trennung wird seit langem eine große Bedeutung für mögliche Entwicklungsnachteile von Scheidungskindern beigemessen. Allerdings hat sich inzwischen gezeigt, dass dies nicht verallgemeinert werden kann, sondern dass auch zu berücksichtigen ist, wie der Kontakt zum getrennt lebenden Elternteil weiterhin verläuft. Im Rahmen des Forschungsprojekts "Familien in Entwicklung" wurden daher besonders die Auswirkungen von Trennung auf die Entwicklung von Scheidungskindern vor dem Hintergrund der Gestaltung der Beziehung, der Kontakthäufgkeit und der Beziehungsqualität untersucht. Ein direkter Zusammenhang der Kontakthäufigkeit mit der Sozialentwicklung und dem Befindenden der Kinder und Jugendlichen konnte dabei nicht nachgewiesen werden. Häufige Kontakte gingen jedoch oft auch mit einer besseren Beziehungsqualität zum Vater einher und hatten daher einen indirketen Einfluss auf die Entwicklung. Insgesamt lautet das Ergebnis jedoch: Nicht die Häufigkeit der Kontakte ist das entscheidende Kriterium, sondern die Qualität der Beziehung zum getrennten Elternteil ist bedeutsam für die Befindlichkeit und die Sozialentwicklung der Kinder und Jugendlichen.

"Als besonders brisant ist unser Befund zu werten, dass Kinder und Jugendliche aus Trennungsfamilien, die keinen Kontakt mehr zum getrennt lebenden Vater haben, in ihrer Entwicklung gegenüber Kindern und Jugendlichen aus harmonischen Kernfamilien gänzlich unauffällig sind", heißt es außerdem im Zwischenbericht des Forschungsprojekts.

Scheidungskinder: Spätfolgen durch Qualität der Beziehung verhindern

"Trotz der vielfältigen Anforderungen an Eineltern- und Stieffamilien: Wir konnten bei Kindern und Jugendlichen aus Scheidungsfamilien kaum Nachteile in der Persönlichkeits-, Sozial- und Kompetenzentwicklung im Vergleich zu ihren Altersgenossen in traditionellen Kernfamilien mit beiden leiblichen Eltern nachweisen", lautet daher das vorläufige Resümee von Professor Sabine Walper. "Neu ist allerdings, dass sich in manchen Fällen Belastungen erst im Lauf der Zeit abzeichnen, bedingt durch die größere Instabilität der Lebensverhältnisse in Trennungsfamilien", so die Wissenschaftlerin. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass weniger die Familienstruktur als vielmehr die Qualität der Beziehungen ausschlaggebend dafür ist, ob die Kinder und Jugendlichen Belastungen ihrer Persönlichkeitsentwicklung erfahren. Allerdings zeigen sich auch späte Nachteile der Scheidungskinder bis ins Erwachsenenalter hinein. "Dies betrifft weit weniger Jugendliche aus stabilen Trennungsfamilien, also mit dauerhaft allein erziehender Mutter oder mit einer stabilen neuen Partnerschaft der Mutter", so Walper. "Diese Kinder unterscheiden sich statistisch nicht von Gleichaltrigen aus Kernfamilien. Schlechter geht es vor allem denjenigen, die im Untersuchungszeitraum eine Trennung der Eltern, der Stiefeltern oder eine neue Partnerschaft erlebt haben - die also akut von familiären Umbrüchen oder Übergängen betroffen sind." (idw/pf)

Der Zwischenbericht des Forschungsprojekts mit dem Titel "Familienentwicklung nach Trennung der Eltern" kann von der Webseite der Universität München im pdf-Format heruntergeladen werden.

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