Kolumne „Fröhliches Familienleben"

Pommes, Pleiten und Piraten

Kindergeburtstagsfeier – das ist der ganz normale Wahnsinn in potenzierter Form. Felicitas Römer berichtet von ihrem ambitionierten Versuch, eine kleine Gesellschaft durch Spiele bei Laune und von Handgreiflichkeiten abzuhalten.

Autor: Felicitas Römer

Ein fröhlicher Kindergeburtstag mit Johnny Depp und anderen Peinlichkeiten

Felicitas Roemer

Alles war bestens vorbereitet: Einladungen waren per Flaschenpost verschickt, die Muffins frisch gebacken. Aus diversen Büchern à la „So wird Ihre Kinderparty ein echter Hit“ hatte ich ein paar nette Spiele ausgesucht. Johnny Depps Konterfei auf Girlanden, Tellern und Servietten verlieh meinem Wohnzimmer ein leicht verwegenes Piratenambiente. Eigentlich konnte gar nichts schief gehen.

Prima klappte der Kinder-Korso vom Kindergarten zum Ort des Geschehens: Sechs kleine Seeräuber schritten vergnügt hinter mir her, äugten durch Plastikfernrohre und schwenkten Totenkopfflaggen. Mein seit heute fünfjähriger Sohn hatte einen ungewöhnlich schnellen Schritt am Leib, seine Piratenkapitänsmütze wackelte bedenklich. Im heimischen Hafen eingelaufen, eroberte die fröhliche Bande im Nu Piratenschiff und Schatzinsel, die das Geburtstagskind seit heute stolz sein eigen nannte.

„Da ist ein Playmo-Seeräuber drin, den hab ich auch!“, verriet ein Kleiner mit schwarzem Kopftuch beim Überreichen eines Kartons. Ungeduldig zerrte mein Filius am Geschenkpapier herum, bis er den Inhalt freigelegt hatte, ihn kurz begutachtete und schließlich unkommentiert zur Seite legte. „’Danke’ kannst du aber schon mal sagen“, warf ich ein, und es gelang mir, einen beiläufig wirkenden Tonfall zu treffen. Der Gemeinte nickte und griff hastig nach einem blauen Päckchen, das verdächtig rappelte. „Da ist eine Pippi-Langstrumpf-Kassette drin“, verkündete der Schenkende stolz: „Hab’ ich selber ausgesucht!“

Nachdem der kleine Kapitän die fette Beute in seiner Schatztruhe verstaut hatte, enterten die Kids die festliche Tafel. Ein zierlicher Blonder schaufelte sich drei Muffins, zwei Schaumküsse und eine Handvoll Gummibärchen auf seinen Johnny-Depp-Teller. Alle schlürften Saft durch Strohhalme. „Ich will spielen“, quengelte mein Sohn und sprang vom Stuhl. Beherzt rief ich: „Wer will Brezelnschnappen?“ Ein einsamer jubelnder Schrei: „Iiiiiiich“. Der junge Gastgeber rollte genervt die Augen: „Wir wollen mit dem Piratenschiff spielen!“ Muffin-Man hüpfte dreimal nach dem Salzgebäck, dann hatte auch er keine Lust mehr und verschwand im Kaufmannsladen, um lautstark Holzobst anzupreisen.

Laut Animationsplan war nun das Eierlaufen dran. Doch hier kniff sogar der Muffin-Man: „Nö, keine Lust!“ Dann Stopptanz? Doch kaum schmetterte Volker Rosin „Wir feiern ein Piratenfest, statt Wasser gibt es Rum!“, war die Meuterei perfekt: „WIR WOLLEN MIT DEM PIRATENSCHIFF SPIELEN!“ Ich hisste die weiße Fahne – froh, nicht wirklich Gefahr zu laufen, auf einer einsamen Insel ausgesetzt zu werden.

Während die kleinen Korsaren nun Anker lichteten, Segel setzten und Schätze erbeuteten, katapultierte ich frostige Pommes in den Backofen und ließ Fleischklößchen auf Johnny Depps Antlitz kullern. Seufzend sank ich aufs Sofa, als mich ein schrilles „He, gib mir meine Augenklappe wieder, du Blödmann!“ zusammenzucken ließ. Ich hetzte die Treppe hoch und konnte gerade noch rechtzeitig verhindern, dass der eine dem anderen Piraten schwungvoll einen Plastiksäbel über den Schädel zog.

Zurück in der Kombüse wunderte ich mich, wie unbeeindruckt die Pommes sich von den 200 Grad zeigten, denen sie immerhin mittlerweile 35 Minuten lang ausgesetzt waren. Bleich schlummerten sie in der Gluthitze vor sich hin, während mir die ersten Schweißtropfen auf der Stirn standen. Schon klingelte eine Mutti an der Tür: „Bin ich zu früh?“ Während ich mit zunehmender Verzweiflung 27 Mal in den labberigen Pommes herumstocherte, füllte sich meine Johnny-Depp-Stube mit weiteren Mamas. Einige plumpsten fröhlich aufs Sofa, andere starrten auf ihre Armbanduhren. Ein mitfühlendes Wesen munterte mich schließlich auf: „Ich hatte genau das gleiche Problem: Die Dinger wollten und wollten nicht fertig werden, und am Ende haben sie geschmeckt wie Gummi.“

So war es dann auch. Die Mini-Seeräuber nahmen es gelassen und kauten wacker auf den Gummifritten herum. „Mein Papa schläft im Wohnzimmer auf dem Sofa“, plauderte unvermittelt ein kleiner Dunkelhaariger aus. Sein Gegenüber trumpfte mit der Nachricht, sein Vater schnarche. Ein dritter verkündete glucksend, seiner pupse sogar! Herzliches Kinder-Gegröle - betretenes Schweigen der Mütter. Ich wischte mir mit dem Topflappen einen Schweißtropfen von der Stirn und versuchte ein furchtloses Lächeln.

„Pupsi-Kacka-Kopf“, platzte nun einer heraus, die anderen stimmten ein. Eine Mutter raunzte ihrem Sohn etwas ins Ohr, eine andere versuchte es mit: „So was sagt man aber nicht!“ Doch da hatte sie sich getäuscht. Unsere echten Piratenkerle sagten so etwas nämlich, und zwar immer wieder und immer lauter und mittlerweile von den heftigsten Lachkrämpfen geschüttelt: „Pupsi-Kacka-Kopf, haha, Kacki-Pupsi-Kopf, haha, Kopfi-Pupsi-Kacka …“

Irgendwann waren dann die letzten Gummi-Pommes zu Ende gekaut und meine Schweißtropfen getrocknet. Ich war nicht unbedingt traurig, als die Piratenhorde das Deck meiner Galeone dann um gefühlte 23 Uhr verlassen hatte. Mein Sohn war an diesem Abend der glücklichste Seeräuberkapitän der Welt und ich bin sicher, dass er in seiner kuscheligen Leichtmatrosenkoje von allerlei Schätzen und köstlichen Piratengummipommes träumte. Und natürlich von Pupsi-Kacka-Köpfen – was auch immer das sein mag.