Wie sinnvoll ist die Einlagerung?

Stammzellen aus der Nabelschnur

Soll ich das Nabelschnurblut meines Babys aufbewahren lassen? Können die Stammzellen meinem Kind in Zukunft vielleicht nützen? Und was spricht für eine kostenlose Nabelschnurblutspende? Hier gibt es Infos zu einem vieldiskutierten Thema.

Autor: Gabriele Möller

"Leben retten leicht gemacht?"

Babywaage panther Ph Raspe
Foto: © panthermedia, Ph. Raspe

Es gibt kaum eine Broschüre oder Zeitschrift für werdende Mütter, in der sie nicht auftaucht: Eine Anzeige für die private Einlagerung von Nabelschnurblut. Wer seinem Kind eine Art Lebensversicherung mitgeben möchte, für den sei die Einlagerung der Stammzellen aus der Nabelschnur ein Muss, so der Tenor. Einer der Anbieter wirbt sogar mit dem Slogan „Leben retten leicht gemacht“. Doch wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die teure private Einlagerung des Nabelschnurbluts dem Kind im Falle einer Krankheit später wirklich helfen kann? Wofür werden Stammzellen heute und in Zukunft eingesetzt? Welches sind die Vorteile einer kostenlosen Nabelschnurblutspende? Und ist die Entnahme des Bluts aus der Nabelschnur eigentlich vollkommen unbedenklich fürs Baby?

Stammzellen sind nicht gleich Stammzellen

Wenn eine menschliche Eizelle befruchtet wurde, beginnt sie, sich unaufhörlich zu teilen. Am vierten bis fünften Tag enthält der so entstandene Zellhaufen (sog. Blastozyste) embryonale Stammzellen. Diese Zellen sind Alleskönner (pluripotent), das heißt, sie können sich in alle sehr unterschiedlichen Körperzellen entwickeln. Die Herstellung solcher Blastozysten zur Stammzellgewinnung ist in Deutschland verboten, es dürfen aber zu Forschungszwecken embryonale Stammzellen importiert werden.

Rechtlich kein Problem ist dagegen die Entnahme von Stammzellen aus dem Nabelschnurblut eines Neugeborenen. Diese Zellen sind aber nicht mehr dieselben Alleskönner, wie noch die embryonalen Stammzellen. Sie sind reife (= adulte), allerdings noch sehr junge Blutstammzellen. Auch sie haben noch die Fähigkeit, sich in unterschiedliche Zelltypen zu differenzieren, jedoch nicht mehr in alle, sondern nur noch in bestimmte.

Reife Stammzellen kommen auch bei Erwachsenen in vielen Geweben vor: im Knochenmark, im Blut, in der Haut, im Fettgewebe, dem Gehirn, der Leber, der Bauchspeicheldrüse oder im Fruchtwasser von Schwangeren. Diese Form der adulten Stammzellen ist denen aus der Nabelschnurblut noch sehr ähnlich, unterscheidet sich jedoch zugleich bereits in einigen Merkmalen von ihnen. Die Verwendung von aus Knochenmark oder Blut gewonnenen Stammzellen ist in der Medizin momentan am weitesten verbreitet.

Können eigene Stammzellen dem Kind helfen, wenn es krank wird?

Wenn werdende Eltern über eine private Einlagerung von Nabelschnurblut nachdenken, haben sie dabei oft eine mögliche Leukämie- oder andere Krebserkrankung ihres Kindes im Kopf. Der Krebsspezialist Prof. Dr. Josef Vormoor von der Uni-Klinik Münster stellt jedoch ernüchternd fest: „Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Kind oder später beim Erwachsenen eigene Nabelschnurstammzellen zur Behandlung von Tumor- oder sonstigen Erkrankungen sinnvoll angewandt werden können, ist extrem gering. Hier stehen schon jetzt sinnvolle und hochwirksame andere Behandlungsoptionen (z. B. Stammzelltransplantation von einem nicht verwandten Spender oder die Sammlung von Stammzellen aus dem Blut des Patienten selber) zur Verfügung“, so der Fachmann in einer offiziellen Stellungnahme des Universitätsklinikums Münster zum Thema.

Warum die eigenen Zellen bisher fast nie verwendet werden

Aber warum überträgt man bei einer Erkrankung des Kindes nicht dessen eigene Stammzellen? Man hat festgestellt, dass erste Anzeichen für die spätere Leukämieerkrankung oft bereits im Blut von Neugeborenen vorhanden waren. Es besteht also die Gefahr, dass man die Krankheit durch eigenes Nabelschnurblut noch verstärkt. Zudem besteht der Nutzen einer Stammzelltransplantation bei Leukämie wesentlich auf dem „Graft-versus-Leukaemia“(GvL)-Effekt: Der besagt, dass die fremden Stammzellen die körpereigenen Krebszellen immunologisch unter Kontrolle halten und sie am Weiterwachsen hindern. Dieser wichtige Effekt entfällt bei der sog. autologen Stammzelltransplantation, also der Verwendung von körpereigenen Zellen. Für Transplantationen entnimmt man deshalb überwiegend Stammzellen verwandter oder fremder Spender aus deren Knochenmark oder Blut. "Für die Aufbewahrung von Nabelschnur-Präparaten zur späteren Eigenbehandlung ist zurzeit keine medizinische Indikation bekannt. Sie ist daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht notwendig", schreibt die Bundesärztekammer denn auch in ihren Richtlinien.

Verwandte profitieren manchmal von „familieneigenen“ Stammzellen

In sehr seltenen Fällen können Geschwister und andere nahe Verwandte von privat eingelagertem Nabelschnurblut profitieren: Bei bestimmten Formen von Leukämie, seltenen, angeborenen Störungen des blutbildenden Systems, Immundefekten oder Stoffwechselerkrankungen haben Stammzellen von Verwandten bestimmte Vorteile, weil sie geringere Immunreaktionen auslösen. Doch auch hier ist die Wahrscheinlichkeit für einen Einsatz gering: In Deutschland stammen überhaupt nur ein bis zwei Prozent aller Stammzelltransplantationen bei Kindern aus Nabelschnurblut, und zwar sowohl unter Verwandten als auch Nichtverwandten. In den USA hingegen stammen ein Fünftel aller Stammzelltransplantationen aus Nabelschnurblut. Wegen der begrenzten Zellenzahl eines einzelnen Nabelschnurblutpräparats eignet sich die Transplantation unter Verwandten allerdings überwiegend für Kinder unter 40 Kilogramm. Wird eine Spende von Verwandten notwendig, kann man hierfür meist auch Stammzellen aus Blut oder Knochenmark verwenden.

Zudem ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Geschwisterkinder erkranken, vergleichsweise klein. Hierzulande bekommen etwa drei bis vier von 100.000 Kindern Leukämie. Und 13 bis 14 pro 100.000 bekommen ein anderes Krebsleiden, gegen das Stammzellen helfen könnten.

Was kostet die private Einlagerung?

Bei den privaten Nabelschnurblutbanken, die gewinnorientiert arbeiten, werden niedrigere Ansprüche an die Anzahl der im Blutpräparat enthaltenen Stammzellen gestellt als bei öffentlichen Blutbanken. Private Blutbanken lagern Nabelschnurblut bereits mit einem Anteil von vier- bis fünfmal 108 Stammzellen ein. Unterschreitet das Präparat die gewünschte Grenze, können die Eltern meist entscheiden, ob sie das Blut dennoch aufbewahren oder verwerfen wollen.

Die private Einlagerung kostet für 20 Jahre etwa zwischen 1400 und 2500 Euro (Anbieterliste siehe Serviceteil). Einige private Krankenversicherungen sind dazu übergegangen, die Kosten für die Stammzelleinlagerung teilweise zu übernehmen, oder haben für ihre Versicherten einen Rabatt mit einem bestimmten Anbieter ausgehandelt.

Die Alternative: Nabelschnurblut-Spende

Stammzellen aus Nabelschnurblut tragen auf ihrer Oberfläche weniger Merkmale, die von Abwehrzellen als fremd erkannt werden, als von Erwachsenen gewonnene Stammzellen. Damit ist es leichter, hier einen passenden Spender zu finden. Viele Fachleute sehen die Spende an eine öffentliche Nabelschnurblutbank daher als sehr sinnvoll an, um in Zukunft vermehrt auf diese Zellen zurückgreifen zu können. Vorteile des Einsatzes von Stammzellen aus fremdem Nabelschnurblut sind auch „der große Spenderpool, die einfache, risikofreie Gewinnung und die geringe Durchseuchung des Neugeborenenblutes mit Viren. Außerdem ist das tiefgefrorene Nabelblut bereits typisiert und daher schnell verfügbar“, so Prof. Vermeer in der Stellungnahme der Uni-Klinik Münster.

Die öffentlichen Banken nehmen keine Gebühr und haben höhere Ansprüche, was die Anzahl der Stammzellen im Präparat betrifft: Die Düsseldorfer Stammzellbank zum Beispiel friert nur etwa jede dritte Probe ein. Entscheidend ist, dass das Präparat mindestens 109 Zellen enthält. Wissenschaftler haben beobachtet, dass mehr Patienten überleben, wenn man ihnen ein Präparat mit einer hohen Zellzahl gibt. Öffentliche Banken sind zumeist an Universitätskliniken angegliedert.

Eltern haben hier später keinen Anspruch auf das Nabelschnurblut ihres eigenen Kindes. Sie können jedoch bei medizinischer Notwendigkeit nach ihrem Transplantat bei der Spenderbank fragen und haben - wie andere Suchende auch - die Chance, es zu bekommen, falls es tatsächlich eines Tages eine Anwendungsmöglichkeit für das Blut dieses Kindes bei ihm selbst oder Geschwistern geben sollte und es noch verfügbar ist.

Wie werden die Stammzellen entnommen?

Direkt nach der Geburt wird der noch pulsierende Nabel des Babys abgeklemmt und das Blut aus der Hauptvene der Nabelschnur entnommen. Weder Baby noch Mutter spüren dabei etwas. Die Entnahme kann von Gynäkologen oder Hebammen mit Zusatzausbildung durchgeführt. 50 bis 100 ml Blut werden so gewonnen. Nun reist das Blut per Kurier ins Labor, wo umfangreiche Tests folgen. Es wird überprüft, ob ausreichend Stammzellen im Blut vorhanden und keine Krankheitserreger in die Nabelschnur gelangt sind. Stimmt alles, landen die Stammzellen in Kältetanks bei etwa minus 196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff. Innerhalb von 16 bis 24 Stunden muss dabei entweder das gesamte Blut mit den Stammzellen oder auch die herausfiltrierten Zellen allein eingelagert werden. Wie lange sie diesen Kälteschlaf überleben, ist strittig. Bisher wurden Stammzellen aus Nabelschnurblut verwendet, die bis zu 15 Jahren eingelagert waren.

Ist die Entnahme des Nabelschnurbluts völlig unbedenklich?

Nicht alle Ärzte befürworten eine Entnahme des Nabelschnurbluts. In der Frauenklinik des Vinzenz Pallotti Hospitals in Bensberg bei Bergisch Gladbach zum Beispiel wird Neugeborenen kein Nabelschnurblut entnommen. „Wir haben uns mit unseren Ärzten und Hebammen dagegen entschieden, weil wir in die besonders wichtige Phase unmittelbar nach der Geburt nicht eingreifen möchten“, erläutert Dr. Simeon Korth, Chefarzt der Frauenklinik des Pallotti Hospitals im Gespräch mit urbia. „Denn in diesen ersten Minuten mit dem Baby findet zwischen Mutter und Kind das sog. Bonding statt. Das bedeutet, die Mutter findet und erkennt ihr Kind, nimmt es auf (und damit auch an) und legt es an die Brust. Dieser Vorgang ist archaisch und angeboren, er läuft bei jeder Frau in etwa gleich ab.“ Wenn man in diesen ersten Minuten eingreife, werde das Bonding unnötig gestört oder gar unterbrochen, so Korth.

Und noch einen zweiten Nachteil habe die Nabelschnurblut-Entnahme: Das Abklemmen der noch pulsierenden Nabelschnur enthält dem Baby eine zwar kleine, aber nicht ganz unbedeutende Menge Bluts vor: Forscher haben herausgefunden, dass eine möglichst späte Abnabelung dem Neugeborenen eine zusätzliche Eisenreserve beschert und es damit vor Blutarmut schützt.

„In dringenden Einzelfällen jedoch, wenn zum Beispiel ein Geschwisterkind an Leukämie erkrankt ist und eine Stammzelltransplantation aus der Nabelschnur des Neugeborenen helfen kann, würden wir diese Verwandtenspende nach entsprechenden Vorgesprächen gestatten“, betont Korth.

Forschung mit Stammzellen aus der Nabelschnur sinnvoll

„Zum heutigen Zeitpunkt ist eine flächendeckende, vorbeugende Kryokonservierung (Tiefkühlung) von eigenen Nabelschnurstammzellen aus ökonomischen, logistischen und medizinischen Gesichtspunkten nicht sinnvoll und zur Versorgung von Kindern und Erwachsenen in fast allen Fällen unnötig“, betont die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Knochenmark- und Blutstammzell-Transplantation (DAG-KBT) in einer Stellungnahme zum Thema. „Wenn Stammzellen des Nabelschnurblutes eines Neugeborenen zur späteren Nutzung gelagert werden, so ist eine solche Nutzung für dieses Kind in Deutschland extrem unwahrscheinlich.“ Ausnahmen könnten sich für Familien mit besonderer Krankheitsbelastung oder bereits erkrankten Geschwistern ergeben. Solche Familien sollten sich durch Ärzte mit Erfahrung in der Knochenmarktransplantation beraten lassen.

Aber vielleicht ist man in 20 Jahren weiter, so dass die Einlagerung doch lohnt?

Neben der Hilfe bei Blut- und Stoffwechselkrankheiten wird momentan intensiv geforscht zum Einsatz von Stammzellen für die Reparatur von geschädigten Geweben, z.B. nach Hirnschlag, bei Parkinson, Alzheimer, Nervenschäden, oder einem Herzinfarkt, bei kaputten Herzklappen oder auch bei Knochen- oder Knorpelschäden. Für diese Techniken sind junge Stammzellen ideal. Nabelschnurblut stellt daher für diese „Patches“ (Gewebeflicken) eine optimale Stammzellquelle dar. Auch Zuckerkranken könnten Stammzellen aus der Nabelschnur eines Tages helfen: Erste Forschungen im Labor zeigten bei Diabetes Typ 1, dass Stammzellen Insulin produzieren und die eigenen, noch vorhandenen insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse vor weiterer Zerstörung schützen können.

Die DAG-KBT hält die Forschung an Stammzellen aus dem Nabelschnurblut daher für sinnvoll und eine Stammzellspende an eine öffentliche Blutbank für fördernswert. Die Forschungsergebnisse rechtfertigten jedoch nicht eine private Einlagerung in größerem Umfang, so die DAG-KBT: „Die einwandfreie Qualität von langzeit-kryokonservierten (tiefgefrorenen) Stammzellen ist vorerst nicht erwiesen. Für einen erwachsenen Patienten stehen mit der eingelagerten eigenen Nabelschnurstammzellmenge zudem nicht ausreichend Zellen zur Verfügung“, heißt es auf der Homepage der DAG-KBT. Und ob man in der Zukunft irgendwann Nabelschnurstammzellen auch zum Eigengebrauch einsetzen könne, sei momentan Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, deren Ergebnis niemand vorhersagen könne.

Professor Josef Vormoor von der Uni-Klinik Münster ergänzt: „Sicher ist auch, dass keine Pharmafirma Therapieverfahren entwickeln wird, die nur mit Stammzellen aus der Nabelschnur und nicht ebenso gut mit Knochenmarkstammzellen funktionieren. Denn sonst müsste man nach der Entwicklung der Therapie erst einmal 30 bis 50 Jahre warten, bis genügend Patienten ihr Nabelschnurblut eingefroren und das Alter für die entsprechenden degenerativen Erkrankungen erreicht haben.“ Zudem könnten auch aus dem Blut des Erwachsenen sowie aus einer Reihe von Geweben, wie beispielsweise der Haut, Stammzellen gewonnen werden.

Adressen und Links

Öffentliche Banken (Nabelschnurblutentnahme meist regional gebunden)

  • Nabelschnurblutbank Dresden
    Tel: (0351) 450 4555
    Fax: (0351) 450 4545
  • Nabelschnurblutbank Düsseldorf
    Tel: (0211) 8104343
    Fax: (0211) 8104340
  • Nabelschnurblutbank Erlangen
    Tel: (09131) 8536972
    Fax: (09131) 8536973
  • Nabelschnurblutbank Freiburg
    Tel: (0761) 270-3529
    Fax: (0761) 270-3485
  • Nabelschnurblutbank Mannheim
    Tel: (0621) 3706-0
    Fax: (0621) 3706-876
  • Nabelschnurblutbank München
    Tel: (089) 89326628
    Fax: (089) 89326629

Private Banken (bundesweite Entnahme in angeschlossenen Kliniken möglich)