Gute Idee oder zu viel des Guten?

Fremdsprachen lernen in der Kita?

Englisch, Französisch oder gar Chinesisch: Immer mehr Kitas reagieren auf Elternwünsche und wollen schon kleine Kinder fit in Fremdsprachen machen. Doch Experten streiten über den nachhaltigen Nutzen frühen Sprachenlernens.

Autor: Heike Byn

Immer mehr bilinguale Kitas

Fremdsprachen in der Kita
Foto: © colourbox

Während heute Fremdsprachen auf den Grundschullehrplänen aller 16 Bundesländer stehen, meist ab der dritten und manchmal sogar ab der ersten Klasse, war Fremdsprachenlernen im Kindergarten lange Zeit wenig verbreitet. Doch die Zeiten ändern sich: Seit Pädagogen und Bildungsexperten mit immer neuen Studien die Vorteile von möglichst frühen Fremdsprachenkenntnissen beweisen, möchten viele Eltern ihr Kind auch auf diesem Gebiet optimal fördern. Kindertagesstätten reagieren auf die neuen Anforderungen, wollen sich gegenüber Mitbewerbern profilieren und bieten Sprachkurse oder gleich bilinguale Konzepte an. Nach einer Erhebung des Vereins für Frühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen (FMKS) gab es Ende 2014 in Deutschland 1.035 bilinguale Kindertagesstätten, zehn Jahre zuvor waren es nur 340.

Experten streiten über Nutzen früher Fremdsprachen

In der Praxis wird aber längst nicht in allen Kindergärten mit Fremdsprachenangebot auch ganztägig zweisprachig gespielt und gearbeitet, meist sind es nur zeitlich begrenzte Angebote, die die Kinder schon früh und möglichst sanft mit einer anderen Sprache und Kultur in Kontakt bringen wollen. Experten wie der Erziehungswissenschaftler Professor Norbert Huppertz, der ein Projekt zur bilingualen Bildung mit Französisch in 40 deutschen Kitas wissenschaftlich begleitete, plädieren dafür, die Phase bis zum sechsten Lebensjahr nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, „in der sich Kinder ungehemmt, spielerisch und allein durch Imitieren eine Fremdsprache mühelos aneignen können“. Doch wo der eine Experte „pro“ sagt, findet sich mit Sicherheit ein anderer, der das „contra“ betont. Zum Beispiel Renate Zimmer, Direktorin des niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung. Eltern hätten oft das Gefühl, dass ihre Kinder schon im Kindergarten gezielt auf die Schule vorbereitet werden müssen. „Daraus erwachsen dann auch Fremdsprachenangebote. Dabei ist längst erwiesen, dass die in der Kita nicht viel bringen. Es sei denn, die Kinder wachsen sowieso mehrsprachig auf oder haben regelmäßig eine Bezugsperson um sich, deren Muttersprache nicht Deutsch ist“, so Renate Zimmer.

Bilinguale Kitas: Nicht jedes Kind profitiert davon

Eines ist klar: Auch wenn Kindern das Erlernen von neuen Sprachen erwiesenermaßen besonders leicht fällt, muss nicht jedes Kind im Kindergarten schon gut Englisch oder Französisch sprechen lernen. Damit Kinder tatsächlich von einer frühen Zweitsprache profitieren können, sollten bestimmte Bedingungen erfüllt sein: „Die Kinder sollten in ihrer Muttersprache ihrem Alter entsprechend gefestigt sein, sonst geht der Versuch nach hinten los“, erklärt die Psychologin und Sprachwissenschaftlerin Pauline Schröter vom Berliner Max-Planck-Institut (MPI) für Bildungsforschung in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“. Ist es sprachlich noch unsicher, sei die Gefahr groß, dass das Kind am Ende weder die eine noch die andere Sprache ordentlich sprechen kann. Auch mache es einen Unterschied, wie intensiv das Kind mit der anderen Sprache in Kontakt kommt. „Wer möchte, dass das Kind die zweite Sprache genauso gut spricht wie seine Muttersprache, wird das nicht mit wöchentlich ein bis zwei Stunden erreichen“, sagt die Sprachwissenschaftlerin. Wenn eine Kita den Namen „bilingual“ trägt, so gehöre die zweite Sprache zur tagtäglichen Kommunikation dazu.

Andere Experten warnen trotz positiver Forschungsbefunde davor, bilinguale Konzepte flächendeckend in deutschen Kitas einzusetzen: Nicht alle Kinder eigneten sich gleichermaßen für die Mehrsprachigkeit. Ob ein Kind sich gut und schnell eine neue Sprache aneignet, hat demnach nichts mit Intelligenz zu tun, sondern mit Sprachbegabung und damit, ob es auch von seiner Persönlichkeit her offen für Fremdes und Neues ist.

Spielerisch Sprachen lernen ohne Druck

Auch wenn sich Experten über Sinn und Unsinn frühen Fremdsprachenerwerbs nicht einig ist: Eltern, die sich für eine Kita mit Fremdsprachenangebot entscheiden, brauchen keine Sorgen zu haben, dass frühes Sprachenlernen ihre Kinder überfordert. Norbert Huppertz und viele seiner Kollegen halten das für unbegründet. Solange das Prinzip „Eine Person – eine Sprache" eingehalten werde oder die Zweitsprache zu bestimmten Zeiten oder in einem speziellen Raum gesprochen wird, komme es keineswegs zum befürchteten Sprachchaos. Außerdem lernen die Kinder in der Kita die neue Sprache ja nicht in einer festen Struktur aus Vokabellernen, Grammatik verstehen und Themen abhaken: Vielmehr steht hier der spielerische Aspekt im Vordergrund – und damit die konkrete Lebenswelt von kleinen Kindern. Gemeinsam plaudern Sprachlehrer und Gruppe über Geburtstage, das Wetter, Spiele, Mahlzeiten, Familie und Freunde.

Gelernt wird auch nicht, während die Kinder auf ihren Stühlen am Tisch sitzen, sondern in Bewegung und mit allen Sinnen. Denn beim Hören, Reichen, Schmecken, Sehen, Singen, Sprachen und Lachen lernt es sich einfach leichter und ohne das Gefühl von Leistungsdruck und Arbeit. Was „orange juice" heißt, erfahren Dreijährige so ganz beiläufig. Dabei ist es auch völlig in Ordnung, wenn die Kleinen am Anfang in französisch-deutschem Mischmasch antworten, „ich habe schon mangé".

5 Tipps zum Sprachenlernen im Alltag

Auch für zu Hause gilt: Besonders leicht lernen Kinder Sprachen mit regelmäßigem Training und praktischem Bezug zum Familienalltag.

  1. Gelerntes im Urlaub anwenden. Fahre mit deinen Kindern in Länder, wo es seine Kenntnisse anwenden kann. In Frankreich beim Bäcker „une baguette“ zu bestellen oder am Pool im Süden nach einer „ice cream“ zu fragen und verstanden zu werden, ist gut für das Selbstbewusstsein.
  2. Mit Musik geht alles besser. Ob zuhause, unterwegs im Auto oder während sie gemeinsam warten: Für Kinder gibt es viele Hörspiele mit Musik, Musik-CDs und Download-Angebote in diversen Fremdsprachen, die du auch nebenbei laufen lassen kannst.
  3. Gegenstände des Alltags gemeinsam benennen.  Beim gemeinsamen Kochen, am Familientisch oder beim Spielen im Kinderzimmer – benenne mit deinem Kind alle möglichen Dinge des Alltags in der Fremdsprache. Wenn du nicht sicher bist, wie man einen Begriff richtig ausspricht, helfen dir Online-Wörterbücher (z.B. dict.cc) weiter
  4. Multi-Kulti-Kontakte suchen und pflegen. Kennst du fremdsprachige Familien aus deiner Nachbarschaft, dem Kindergarten, Job oder Freizeitangeboten? Knüpfe Kontakte und unternimmt etwas zusammen. Davon profitieren beide Seiten!
  5. Angebote von Sprachschulen für Kinder suchen. In der Kita gibt es kein Fremdsprachenangebot oder du hast keinen Platz in einer Einrichtung bekommen, die Sprachkurse anbietet? In vielen Städten und Gemeinden kann man Kinderkurse bei Volkshochschulen oder privaten Sprachschulen buchen – oft gibt es die Möglichkeit, gemeinsam mit dem Kind eine Probestunde zu besuchen.