Entwicklungsschritte

Was Kinderzeichnungen verraten

Wie die sprachliche und die motorische Entwicklung, so verläuft auch die "künstlerische" Entwicklung von Kindern in bestimmten Phasen. Auf welcher Entwicklungsstufe sich Ihr Kind beim Malen von Bildern gerade befindet, können Sie hier erfahren.

Autor: Jumana Mattukat

Was kindlichen 'Kunstwerken' gemeinsam ist

Kinderbild

„Dann mal ich jetzt eben ein Bild mit ganz viel Schwarz für Dich“ - die vierjährige Paula stapft wütend in ihr Zimmer und will die Farbe nehmen, die ihre Mutter Nicole überhaupt nicht mag. Das Mädchen ist sauer auf seine Mama, weil sie kein zweites Stück Schokolade von ihr bekommt. Nach dem Malen hat sich Paula beruhigt, aber das Bild spricht Bände. Nicole betrachtet die tiefschwarze Fläche und sieht förmlich den Groll, der ihr entgegen springt. Trotzdem freut sie sich, denn ihre Tochter hat einen Weg gefunden, ihre Wut zu verarbeiten, ohne um sich zu schlagen oder etwas kaputt zu machen.

Bilder von kleinen Kindern drücken nicht immer so offensichtlich aus, was in einem Kind vorgeht, aber wenn Eltern genau hinsehen, dann können sie eine Menge aus den Kunstwerken ihres Nachwuchses herauslesen. Zum Beispiel, in welcher (künstlerischen) Phase sich ihr Kind gerade befindet. Denn wie die Sprachentwicklung und die motorische Entwicklung läuft auch die "künstlerische" Entwicklung nach bestimmten Mustern ab, die allen Kindern gemeinsam sind.

Phasen kindlicher (Mal-)Entwicklung

Martin Schuster, Professor am Psychologischen Institut der Universität Köln, unterscheidet in seinem Buch "Kinderzeichnungen" folgende Phasen:

Die Schmierphase (bis 12 Monate)

Bereits Babys sind kleine Künstler. Das Verschmieren von Brei auf dem Tisch ist schon eine erste Form des Malens. Es ist nicht ganz klar, ob das Baby mit diesem Breiwerk schon etwas darstellen möchte, aber wenn Eltern darin erste Kunstwerke erkennen, fällt es vielleicht leichter, das Schmieren zuzulassen.

Die Kritzelphase (1 Jahr bis 2,5 Jahre)

Mit einem Jahr können die meisten Kinder einen Stift meist gut genug halten, um ihn auf das Papier zu schlagen – diese Technik nennt man Hiebkritzeln. Gefolgt wird es vom Schwingkritzeln, das ins Kreiskritzeln übergeht.

Mit etwa 2 Jahren werden erste Linien gemalt, etwa drei Monate später erklären die meisten Kinder, was ihre Kritzeleien zu bedeuten haben. Dabei interessieren sie sich meist noch nicht für die Farbe und bleiben bei einem Stift bis sie das Bild zu Ende gemalt haben.

Schemaphase (im Alter von 2,5 bis 5 Jahren)

Mit etwa drei bis vier Jahren malen Kinder zum ersten Mal einen Kreis. Der ist zu diesem Zeitpunkt aber nicht zwingend kreisförmig, sonder eher ein irgendwie geschlossener Bogen (unten, Foto links). Aus dem Bogen werden die unterschiedlichsten Schemata wie Kreis, Strich, Oval oder Zickzack, aus denen dann alle Bilder aufgebaut werden (unten, mittleres Bild). In dieser Phase wird sehr häufig der Kopffüßler gemalt - ein Mensch ohne Bauch. (unten, rechtes Bild)

Kinderbilder Schemaphase Kleinkind

 

Außerdem werden nun Farben interessant (unten, Bild links). Zunächst suchen die Kinder die Farben ganz willkürlich aus (unten, Mitte). Erst später wählen sie die „richtigen“ Farben, etwa grün für die Wiese, oder braun für den Baumstamm (unten, rechts).

Kinderbilder Schemaphase Farben

 

Schemaphase (im Alter von 5-8 Jahren)

Kinderbild Schemaphase Kids

Jetzt können die Kinder auch schon graphische Konturen malen, z.B. das Gesicht im Profil. Außerdem werden Menschen nicht mehr nur als Kopffüßler, sondern etwas detaillierter dargestellt (Bild rechts). Viele Kinder malen so genannte Transparentbilder, das heißt man kann das eigentlich nicht sichtbare Innere sehen. Obwohl Menschen Kleider anhaben, kann man ihren Körper sehen. Die Kleider werden einfach drüber gemalt.

Ab einem Alter von acht Jahren schaffen die meisten Kinder die richtige Perspektive und können auch verdeckte Teile eines Objekts weglassen. Comic-Figuren und Karikaturen werden interessant. Je älter die Kinder werden, umso weniger gerne malen sie allerdings.

Ein anderes Modell

Auch Helga Zumpfe unterteilt in ihrem Buch „Die Zeichensprache des kleinen Kindes“ die Malentwicklung der Kinder in drei Phasen - jedoch mit einem anthroposophischen Ansatz. Nach anthroposophischer Sicht zieht die Seele eines Kindes in den ersten sieben Jahren erst allmählich in den Körper des Kindes ein - vorher befindet sie sich noch mehr in der Umgebung des Kindes als im Kind selbst.

Dieser „Einzug der Seele“ in den Kinderkörper findet nach Ansicht von Helga Zumpfe seinen Ausdruck in den Zeichnungen der Kinder. Wer sich ein Bild also genau anschaut, kann erkennen, in welchen Teil des Körpers die Seele gerade hineinwandert. Was zunächst sehr spirituell anmutet, erscheint plausibler, wenn man die Phaseneinteilung genauer betrachtet:

Kinderbild Kleinkind Spiralen

In den ersten drei Jahren ist das Kind danach noch sehr verbunden mit seinem Umkreis und nähert sich erst allmählich dem eigenen „Leibesmittelpunkt“. In dieser Zeit malen Kinder Spiralen, die von außen nach innen gemalt werden. Für Helga Zumpfe ist dies ein Ausdruck der seelischen Verbundenheit des Kindes mit seinem äußeren Umfeld (Bild links).

Im Alter von etwas mehr als zwei bis etwa viereinhalb Jahren passiert im Kinderkörper vieles im Brustbereich. So wird beispielsweise aus der Zwerchfellatmung die Brustkorbatmung. Die Anthroposophen nennen dies die „Durchgestaltung des Brustraumes“. Häufig werden zu der Zeit Rechtecke gemalt, die man durchaus als Brustraum identifizieren kann (Bild unten links). Malt das Kind immer wieder Leitern oder andere skelettartige Motive, so ist dies für Helga Zumpfe ein Zeichen dafür, dass die Seele gerade in die Wirbelsäule einzieht (Bild unten rechts).

Kinderbilder Baeume

 

Kinderbild Laterne

Sind die Kinder zwischen viereinhalb bis sieben Jahre alt, verändert sich die Gestalt des Kindes enorm: der Rumpf wird schlanker, die Taille bildet sich. Anthroposophisch gesehen zieht die Seele in diesen Teil des Körpers ein. Auf den Zeichnungen wird dies laut Helga Zumpfe deutlich dadurch, dass Menschen nicht mehr nur noch als Kopffüßler gemalt werden, sondern im Ganzen. Nun ist die Seele im ganzen Kinderkörper angekommen (Bild rechts).

Bilder als Schlüssel zum Gefühlsleben des Kindes

Kinderbilder Kids Interessen

Dass Kunstwerke einen Einblick ins Gefühl- und Seelenleben des Künstlers zulassen, machen sich Psychotherapeuten mit der Kunsttherapie zu Nutze. Dabei lassen sie ihre Patienten Bilder malen oder andere Kunstwerke schaffen, denn mit jedem selbst geschaffenen Objekt drückt der Künstler – hier der Patient – sich und sein Seelenleben aus.

Die Kölner Kunsttherapeutin Astrid Raimann erklärt, dass Eltern zunächst einmal genauso an eine Kinderzeichnung herangehen können wie Kunsttherapeuten. „Was fällt als erstes auf?“ Wirkt das Bild zum Beispiel fröhlich oder eher traurig? Außerdem können sich Eltern fragen, ob auf den Bildern bestimmte Themen immer wieder kehren. Für diese Themen interessiert sich das Kind zu der Zeit sehr wahrscheinlich besonders. „Ein Dinosaurierfan wird sicherlich öfter einen Dino malen als ein Pferdenarr“ (Bild unten links). Oft werden die Motive auch durch das Umfeld bestimmt. Malen die anderen Kinder im Kindergarten gerade Drachen? Oder lassen die Kinder sich von der elterlichen Fußball-WM-Euphorie anstecken? (Bild unten rechts)

 

„Malt ein Kind vorwiegend gefährliche Saurier und Säbelzahntiger, wünscht es sich vielleicht deren Kraft und Macht. Autos und Waffen können den Wunsch nach Kontrolle ausdrücken. Prinzessinnen wollen gefallen und beliebt sein“, so die Kunsttherapeutin. Kinder verarbeiten in ihren Bildern wie im Spiel, was sie erleben.

Kinderzeichnungen KÖNNEN auch Hinweise auf eine Entwicklungsstörung geben. Wenn z.B. eine "Malphase" auffällig lange beibehalten wird. Auch andere psychische Probleme können sich in Kinderbildern darstellen, „wenn z.B. die Personen und Gegenstände auf den Bildern keinen Bezug zueinander haben, wie beispielsweise einen gemeinsamen Hintergrund. Oder wenn fortwährend Bilder ohne Boden gemalt werden.“ Je nachdem, wie groß Menschen gemalt werden, wie sie angeordnet sind und welche Farbe das Kind für sie wählt, kann es damit Hinweise auf seine Beziehung zu diesen Personen senden. Wenn Eltern aufgrund von Kinderzeichnungen das Gefühl haben, dass ihr Kind psychische Probleme hat, sollten sie sich professionelle Unterstützung bei einem Psychologen oder Kunsttherapeuten suchen.

„Reininterpretieren sollten die Eltern dennoch nichts in die Bilder ihrer Kinder,“ sagt Astrid Raimann. Wenn ihnen etwas merkwürdig erscheint, sollten sie erst einmal die Künstler selbst befragen. Manchmal lösen sich da bestehende Zweifel in Luft auf. So wie Julia, die beim Anblick eines Bildes innerlich erschrak und ihren Sohn Marco fragte: „Warum hast Du alles so rot gemalt? Das sieht richtig gefährlich aus.“ Der Fünfjährige zeigte auf seine Stiftebox und erklärte: „Na, Mami schau, die Spitzen von den anderen Stiften sind doch abgebrochen“ und machte sich fröhlich ans Anspitzen.

An erster Stelle: Einfach Spaß am Malen haben

Ohnehin sollte die Qualität und Bedeutung der Bilder zweitrangig sein. Hauptsache ist der Spaß am kreativen Gestalten. Und den Spaß daran können Eltern laut Astrid Raimann ganz leicht fördern. Dazu hat sie fünf Tipps:

  • 1. Schaffen Sie eine schöne Atmosphäre.

    Das Kind sollte einen Tisch haben, an dem es immer malen darf. Dieser sollte an einem Ort stehen, an dem es sich wohl fühlt.

  • 2. Bieten Sie ausreichend Materialien an.

    Viele unterschiedliche Stifte wie Wachsmalkreiden, Buntstifte, Wasserfarben und Filzstifte - dazu viel Papier, vielleicht auch eine Tafel und Kreide lassen dem Kind die Möglichkeit sich auszuprobieren.

  • 3. Machen Sie keine Vorgaben.

    Lassen Sie Ihr Kind frei malen, worauf es Lust hat. Allzu strenge Vorgaben wie „Mal mir doch mal ein Haus“ schränken zu sehr ein und bringen Kinder eher dazu, den Stift aus der Hand zu legen.

  • 4. Lob und Tadel – nicht am Maltisch!

    Dass Sätze wie „Wie bitte, das soll ein Haus sein - mit so einem schiefen Dach?“ entmutigen, ist nachvollziehbar. Schwerer aber fällt es Eltern sicherlich, auf ein Lob wie "Das hast du aber toll gemalt" zu verzichten. Es ist eine Bewertung - und im Grunde wird das Bild damit ähnlich schnell abgetan. Außerdem soll das Kind ja nicht in erster Linie zum Wohlgefallen seiner Mutter oder seines Vaters malen, oder? Sinnvoll ist es, sich ehrlich für das Bild zu interessieren, Details zu entdecken und nachzufragen. Damit wird das "Kunstwerk" richtig anerkannt. Hängen Sie das Bild dann noch (mit Erlaubnis des Kindes natürlich) auf, geben Sie dem Bild Wertschätzung.

  • 5. Malen Sie mit.

    Wenn Sie sich dazu setzen und auch kreativ tätig werden, animiert das Ihr Kind, es Ihnen gleichzutun.

Paula und Nicole jedenfalls setzten sich nach dem Malen des düsteren Bildes zusammen an den großen Maltisch und bemalten mit Wasserfarben gemeinsam einen großen Stock, den sie von einem Spaziergang mitgebracht hatten. Den Streit um die Schokolade konnten sie dabei leicht hinter sich lassen.

Zum Weiterlesen:

  • Martin Schuster, „Kinderzeichnungen“, Wie sie entstehen, was sie bedeuten, Ernst Reinhardt Verlag
  • Helga Zumpfe, „Aus dem Tagebuch der kleinen Kinder“, Ein Blick in die Kleinkindzeichnungen, Verlag Ch.Möllmann
  • www.kunsttherapie.de
  • Mit einer farbenfrohen Überarbeitung sorgt Kinderkritzel dafür, dass die Zeichnungen Ihrer Kinder zum Leben erwachen. Zeichnung fotografieren oder scannen und auf der Webseite hochladen. Danach machen sich Künstler an die Arbeit und verwandeln sie in ein einmaliges Kinderkritzel. Je nach Bestellung bekommen Sie Ausdrucke, ein Poster, einen Leinwanddruck oder einen ausschneidbaren Wand-Sticker. www.kinderkritzel.de