Kontrolle ist gut?

Wie sinnvoll ist Kinder-Tracking per GPS?

Immer mehr besorgte Eltern überwachen ihre Kinder per GPS. Die entsprechenden Sender stecken in Kinderuhren oder Apps und sind umstritten. Denn der dauerhafte Kontrollzwang vieler Eltern schadet dem Vertrauen und hemmt die Kinder in ihrer Entwicklung.

Autor: Heike Byn

Big mother is watching you

Kinder GPS Tracking
Foto: © colourbox

Die Kollegin wundert sich. Neulich war ein Freund ihres Sohnes zu Gast. Die beiden wollten im Park Fußballspielen. Nach fünf Minuten kommt der Gast zurück und fragt etwas gestelzt: „Ist mein Handy bei euch? Ich brauche es, damit meine Mutter mich orten kann." Meine Nachbarin wundert sich dagegen schon lange nicht mehr: Sie arbeitet in Leverkusen, der Mann in Düsseldorf, die Familie wohnt mit Tochter und Sohn in einem Kölner Vorort, wo die beiden die Schule besuchen und nach der Grundschule alleine nach Hause gehen, während die Eltern noch arbeiten. „Wie oft ist es vorgekommen, dass sie auf dem Heimweg stundenlang herumgetrödelt und nicht angerufen haben, als sie zu Hause waren." Wenn die zweifache Mutter heute wissen will, wo ihre Kinder sind, schaut sie einfach auf ihrem Computer auf einer Karte nach. Seit sie eine GPS-App zum Lokalisieren ihrer Kinder auf deren Smartphones installiert hat, läuft bei ihr mittags kein Kopfkino mit Horrorszenarien mehr ab, was ihren Kindern alles passiert sein könnte.

Kinder-Tracking mit GPS-Uhren und Apps

Ihr denkt jetzt vielleicht: alles Einzelfälle! Von wegen! Denn mit dem Kinder-Tracking ist das wohl so ähnlich wie mit Trash-Serien; keiner gibt es zu – aber alle kennen sie. Offizielle Verkaufszahlen gibt es zwar nicht, doch der steigende Umsatz bei Anbietern von Kinder-GPS-Produkten spricht für sich. Viele nutzen die Technik von GPS-Apps oder-Uhren zum Orten ihrer Lieben, um damit ihre Furcht vor dem Verschwinden des Kindes – die größte Angst aller Eltern überhaupt – zu lindern. So sind Mama und Papa wenigstens virtuell immer bei ihnen. Die Produkte haben allesamt eines gemeinsam: Sie werben mit positiv besetzten Begriffen wie Sicherheit, Unbeschwertheit und Fürsorge – und machen letztlich ein gutes Geschäft mit der Angst. Eine kleine Auswahl beliebter Produkte:

Dauer-Überwachung, Alarm-Funktion und „Geo-Fencing"

„Obwohl wir nicht aktiv werben, steigt die Nachfrage von Jahr zu Jahr", erzählt Eric Kozlik, Geschäftsführer bei der deutschen Firma Wo ist Lilly? Am Anfang bot sie vor allem GPS-Sender für Hunde an, stieg dann später mit grünen und rosa Uhren in das Geschäft mit der Kindersicherheit ein. GPS-Uhren enthalten einen Sender, per dazugehöriger App kann dieses lokalisiert werden. Der Hersteller Hereo bietet nach eigener Aussage „die kleinste und coolste GPS-Uhr für Kinder" an. Die kleinen Zeitmesser werben mit Snoopy und Kleinkindern in Gummistiefeln und mit Superhelden-Umhang. Andere Eltern ziehen GPS-Apps den Uhren vor: Die App des Unternehmens Familonet nutzen derzeit hierzulande knapp eine halbe Million Menschen. Neben einer Alarmfunktion, die beim Auslösen alle Gruppenmitglieder informiert, bietet die App drei Ortungs-Modelle: Ein dauerhaftes Tracking, eines nur beim Betreten und Verlassen eines Bereichs oder wenn eine Person ihren Standort mitteilen will. Auch die Tabaluga SOS Familienapp der deutschen Firma Migardo verspricht Eltern und Kindern „Sicherheit, die mich unbeschwert sein lässt" und lässt dazu den Drachen Tabaluga über den Bildschirm fliegen. Wie eine echte „Nanny, die sich um ihr Kind sorgt", will die App Little Nanny sein. Mit ihr, so Unternehmensgründer Rolf Bauer, „können Eltern ihren Kindern die Freiheiten geben, die sie brauchen!" Fazit: So unterschiedlich das Design auch sein mag, der Großteil der Funktionen von GPS-Uhren und -Apps ist bei den Anbietern ähnlich: Neben einer Dauer-Kontrollfunktion zur Standortfeststellung besitzen die meisten einen Alarmknopf und eine „Geo-Fencing"-Funktion: Damit können Eltern ein bestimmtes Bewegungsfeld markieren. Betritt oder verlässt das Kind den Bereich, bekommen die Eltern eine Mitteilung aufs Smartphone.

GPS-Tracking schadet dem Selbstvertrauen

Was die Hersteller von GPS-Apps und Co freut, stimmt Pädagogen wie Renate Blum-Maurice vom Kinderschutzbund skeptisch. Statt auf Technik zu setzen, plädiert sie für Absprachen zwischen Eltern und Kindern, die das Unterwegssein von Söhnen und Töchtern sinnvoll und für beide Seiten verlässlich regeln – inklusive Notfallplänen, falls mal etwas Unvorhergesehenes passiert. Damit zeigten Väter und Mütter, dass sie ihren Kindern etwas zutrauen und ihnen auch vertrauen. Schließlich sind Vertrauen und wachsende Selbstständigkeit wichtige Bestandteile der kindlichen Entwicklung, findet die Familienberaterin. „Überbesorgte Eltern behindern durch den Einsatz von Technik die Kinder nur in ihrer Autonomie. Wie sollen sie so lernen, Verantwortung zu übernehmen und durch Erfahrungen in ihrer Eigenständigkeit zu reifen"? so Blum-Maurice. Ein Kind, das ständig überwacht wird, kann kein Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen bilden. Für den Psychologen Stephan Grünewald vom Kölner Marktforschungsinstitut Rheingold zeigt die GPS-Überwachung von Kindern aber auch, wie sehr sich Kindheit heute verändert hat. Er glaubt durchaus, dass die meisten Eltern GPS-Produkte aus einer guten Absicht heraus kaufen, wünscht sich aber, dass Eltern wieder mehr auf ihr Bauchgefühl hörten. „Die meisten Väter und Mütter entwickeln instinktiv eine eigene Art von Wachsamkeit. Die geht jedoch verloren, wenn sie sich nur noch auf eine Kinderkontrolle per GPS verlassen."

Statt GPS: Klare Absprachen treffen

In einem Punkt sind sich die Experten und die allermeisten Eltern aber einig: Kein Kind darf ohne sein Wissen per GPS überwacht werden, sonst wird das Vertrauen zu seinen Eltern nachhaltig gestört. Zudem muss der elterliche Nutzen für die Kinder nachvollziehbar sein. Den gefährlichen oder schwierigen Schulweg nachzuverfolgen, das mag für Töchter und Söhne noch okay sein. Aber nicht, dass ihre Eltern dieselbe App nutzen, um ihre Facebook-Freundschaften zu checken, Instagram-Bilder zu durchstöbern oder das Handy sogar aus der Ferne zu sperren, bis das Kind endlich zurückruft. Gegen eine allumfassende und ständige Überwachung wehren sich auch Kinder- und Datenschützer. „Sie kann in bestimmten oder gefährlichen Situationen sinnvoll sein – oder wenn Kinder das elterliche Vertrauen schon mehrfach missbraucht haben. Dann sollten Eltern und Kinder aber gemeinsam den nötigen Zeitrahmen für ein GPS-Tracking festlegen", sagt Rainer Becker, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe. Ansonsten rät nicht nur er allen Eltern, besser persönliche und verlässliche Absprachen mit ihren Kindern zu treffen, statt auf GPS-Technik zu setzen.

Kinder fit für Notfälle machen

Dazu ein paar Beispiele:

  • Gehen eure Kinder von der Schule alleine nach Hause, während ihr noch arbeitet oder unterwegs sind? Dann sollen sie euch kurz anrufen, sich per SMS oder über die Whatsapp-Gruppe melden, sobald sie zu Hause ankommen.
  • Sind die Kinder in ihrer Freizeit alleine oder mit Freunden unterwegs, vereinbart ihr mit ihnen eine Uhrzeit, zu der sie zu Hause sein müssen. Verspäten sie sich mehr als nur etwa zehn oder 15 Minuten, müssen sie euch anrufen. Dann könnt ihr im Gespräch alles Weitere klären.
  • Besucht euer Kind alleine einen Freund zum Spielen in der Nachbarschaft, bleibt aber nicht da, sondern zieht weiter zu einem anderen Kind, soll es euch Bescheid geben, damit ihr wisst, wo es ist.

Wichtig: Damit eure Kinder Absprachen und Regeln auch ernstnehmen, dürfen beliebte Ausreden wie „Ich habe mein Handy nicht mehr gefunden und konnte dich nicht erreichen" nicht gelten. Ob in der Schule, bei Nachbarn oder unterwegs – überall gibt es Telefone, die ein Kind kostenlos benutzen darf oder Erwachsene, die ihm gerne helfen. Wenn wir unsere Kinder auf diese Weise fit machen, können sie nicht nur ihren Kinderalltag gut bewältigen, sondern meistern auch unvorhergesehene Situationen und kleine Notfälle. Damit zeigen wir unser Vertrauen in ihre Fähigkeiten und stärken ihr Selbstbewusstsein.