Geburt und Wochenbett woanders

Entspanntes Wochenbett in China

Nach der Entbindung einen gesamten Monat im Bett bleiben und sich in aller Ruhe erholen: Was für viele deutsche Mütter wie ein Traum klingt, hat in China Tradition und ist für die Mehrzahl chinesischer Mütter noch heute ganz normal.

Autor: Jana Kötter

Wochenbett: Familie kümmert sich um Haushalt

Wochenbett_China: Frau mit Baby im Bett
Foto: © iStock, Sasiistock

Nach der Geburt möglichst schnell zurück zum Pre-Baby-Körper, nach wenigen Wochen schon wieder an den Schreibtisch? Den Haushalt und den neuen Alltag möglichst alleine schmeißen, ohne Freunde und Familie mit Bitten um Hilfe zu „nerven"? Was hierzulande langsam der angestrebte Soll-Zustand zu sein scheint, ist in China eindeutig ein Tabu. Das Wochenbett, also die Zeitspanne vom Ende der Entbindung bis zur Rückbildung der schwangerschafts- und geburtsbedingten Veränderungen, hat hier höchste Priorität.

Nach der Geburt soll eine junge Mutter mindestens „einen Monat machen" – so lautet die wörtliche Übersetzung der chinesischen Tradition „zuo yue zi". Traditionell muss sie dabei tatsächlich im Bett bleiben, darf einen Monat lang keinen Fuß vor die Tür setzen und kann sich so voll und ganz dem Nachwuchs widmen. Während der ersten drei Tage sind oft sogar Haare waschen und Zähne putzen ein Tabu. Zudem sollte die junge Mutter nach traditionell chinesischer Auffassung in dieser Zeit nicht viel reden, um sich nicht noch weiter zu schwächen. In besagtem Monat kümmert sich dann die Familie um Haushalt und Versorgung von Mutter, Vater und Kind(ern). Zum Beispiel kocht sie dann ein überliefertes Gericht aus roten Datteln sowie vermehrt Eierspeisen, damit die Mutter wieder zu Kräften kommt.

Omas schenken Erstausstattung fürs Baby

„,Zuo yue zi' ist heute immer noch sehr verbeitet", sagt Lillian Zhang, die gerade ihr erstes Kind erwartet. „Alle Frauen, die ich kenne, bleiben einen Monat lang zuhause – meistens im Bett – und werden dort von ihren Familien gepflegt." Obwohl Zhang bereits seit einigen Jahren in Hamburg lebt, hält sie an der Tradition fest. Ihre Tante kommt unmittelbar nach der Geburt für drei Monate nach Deutschland, um der jungen Mutter unter die Arme zu greifen, im Anschluss löst die Mutter sie ab. Die Mutter einer Schwangeren ist es auch, die für die gesamte  Erstausstattung des Babys zuständig ist, die sie ihrer Tochter nach der Geburt übergibt. Die Geschenke vor der Geburt zu bekommen, bringt hingegen nicht nur Pech, sondern beleidigt auch die chinesische Großmutter.

Wie stark die verschiedenen Aspekte der Traditon befolgt werden, hängt heute aber auch von der Frau und ihrer Familie ab. „Nicht alle jungen Mütter bleiben tatsächlich den gesamten Monat im Haus", sagt auch Lillians Freundin Chuanxiu. „Wenn es draußen nicht gerade sehr kalt ist, gehen sie durchaus auch mal spazieren." Auch eine Dusche zu nehmen sei heutzutage in Ordnung, sagt Lillian Zhang.

Schwangerschaft und Geburt: Traditionen weichen auf

Allerdings weichen Traditionen und Aberglaube auch in China vielerorts immer mehr auf und werden nicht mehr allzu streng befolgt, besonders in Städten mit spürbar westlichem Einfluss und umfassender medizinischer Aufklärung rund um Geburt und Schwangerschaft. „Die Generation meiner Mutter hat die Tradition tatsächlich noch um einiges ernster genommen", sagt auch Lillian Zhang. „Sie haben zum Beispiel einen ganzen Monat lang Wasser – insbesondere, wenn es kalt war – vermieden, nicht geduscht und viele Eier gegessen. Das ist heutzutage nicht mehr so."

Auch in Deutschland sind Traditionen und Gepflogenheiten rund ums Wochenbett in vielen Familien weitestgehend verlorengegangen. Dabei sei diese traditionell auf 40 Tage ausgelegte Zeit durchaus wichtig, meint Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Colette Marie Mergeay: „Neben der Erholung ist die seelische Verarbeitung der Geburt außerordentlich wichtig. Deshalb sollte die Frau im Wochenbett ein Recht darauf haben, sich versorgen und verwöhnen zu lassen. Ja, sie darf gewissermaßen in ihrem Haus thronen, mit ihrem Kind kuscheln und es gemeinsam mit dem Vater kennenlernen", sagt Mergeay. „Ansonsten ist es gut, die Mutter in dieser Zeit von Alltagspflichten zu entlasten."

Hilfe nach der Geburt: Den eigenen Weg finden

Doch vielen Frauen fällt es schwer, solch eine Hilfe zu finden oder sie überhaupt anzunehmen – sei es aus der wirtschaftlichen Not heraus, möglicht schnell wieder auf eigenen Beinen zu stehen, dem mangelnden Netzwerk oder dem Willen, die Geburt und das Wochenbett möglichst eigenständig zu meistern. Berichte von Stars, die nach wenigen Wochen ihren alten Körper zurückhaben, tun oft ihr Übriges und stacheln einen falschen Ehrgeiz an.

In China gibt es mittlerweile auch eine neue Generation junger Frauen, die sich am vermeintlichen westlichen Ideal orientieren: So wie Lian Peng, die wenige Tage vor ihrer Geburt steht. Mit dem traditionellen Umgang mit Schwangerschaft und Geburt, den ihre Mutter und Großmutter ihr Zeit ihres Lebens vorgelebt haben, kann sie sich nicht mehr identifizieren. Auch wenn es zu Streit in ihrer Familie geführt hat, habe sie ihr „zuo yue zi" abgelehnt und ihre Mutter gebeten, nur wenige Male pro Woche vorbeizuschauen – statt komplett einzuziehen und den Alltag zu übernehmen. „Das wäre mir viel zu stressig", sagt Peng und lacht verschämt. Sie hat lange in Deutschland studiert und dort gesehen, wie junge Kolleginnen ihre ersten Kinder geboren haben. „Ich mag das deutsche System der medizinischen Versorgung."

Geburt in China: Hohe Kosten in der Klinik

Kliniken wie das Beijing United Family Hospital profitieren von der neuen Generation von Patientinnen. Gegründet wurde die Klinik 1998 von zwei US-Amerikanerinnen, die in Peking lebten. Während der beginnenden Familienplanung haben sie gespürt, dass sie Vor- und Nachsorge sowie die Geburt selber keinesfalls in einem chinesischen Krankenhaus erleben wollten – Sprachbarriere und kulturelle Unterschiede hätten das Erlebnis dieser besonderen Zeit womöglich getrübt. „Als wir damals eröffneten, waren unsere Patientinnen zu 100 Prozent Ausländerinnen", sagt Jenifer Sullivan, Sprecherin des Hauses. „Heute ist das Verhältnis ungefähr 50:50." Gerade die neue chinesische Mittelschicht, die selber bereits im Ausland gelebt hat, akzeptiere zunehmend die Bedeutung privater Gesundheitsvorsorge – besonders dann, wenn es um den eigenen Nachwuchs geht. Das Zimmer im Hospital kostet 7.000 Yuan (1.050 Euro) pro Nacht, eine VIP-Suite gibt es für 11.000 Yuan (1.700 Euro) – Arzt- und Medizinkosten kommen zusätzlich hinzu. Vor allem in Anbetracht dieser Kosten können ihre Eltern die Tatsache, dass Lian Peng lieber Krankenhaus-Personal nach sich schauen lässt, statt die Dienste der Frauen der Familie in Anspruch zu nehmen, nicht verstehen, bedauert die junge Frau.

Geburt und Wochenbett: Wichtige Rolle der Väter

Die Ansichten von Mutter und Tochter klaffen auch auseinander, wenn es um die Rolle des Ehemanns geht. „Traditionell hat der Vater in China mit der Geburt überhaupt nichts zu tun", erklärt Klinik-Sprecherin Jennifer Sullivan. „ Wir wollen die Väter aber aktiv einbinden, so dass sie – wie bei uns im Westen üblich – am Geburtsprozess teilhaben können und im Kreißsaal mit dabei sind." Ein Wunsch, den auch Lians Ehemann hat. Er wird die zwei Wochen nach der Geburt gemeinsam mit seiner Frau daheim bleiben. „So, wie es viele westliche Männer tun", sagt das Paar stolz.

Natürlich ist das Wochenbett auch für den Mann von großer Bedeutung, sagt die Psychotherapeutin Colette Marie Mergeay: „Es ist wichtig für ihn, denn auch er braucht Zeit, das Geburtsgeschehen seelisch zu verarbeiten, das Kind kennenzulernen, seine Partnerin neu zu sehen und sich in seinen neuen Aufgaben zu erproben." Optimal sei dann ein Netz von Freunden, Nachbarn und Verwandten, die helfen, dass sich die neue Familie vierzig Tage lang möglichst gut fühlt", sagt sie. Die Idee, „einen Monat zu machen" scheint also auch für deutsche junge Mütter keine schlechte Idee zu sein.