Hoffnung auf das Wunschgeschlecht

Mädchen oder Junge?

Auch wenn es die wenigsten Eltern offen zugeben: Ein Wunschgeschlecht für ihr Baby haben die meisten. Auf Nachfrage erfuhr Maja Roedenbeck, welche Gründe jenseits von rosa-hellblauen Ansichten für einen bestimmten Geschlechterwunsch angeführt werden.

Autor: Maja Roedenbeck

Baby: Lieber Jungs oder Mädchen?

Mädchen_oder_Junge: Frau ist schwanger
Foto: © iStock, doble-d

"Hauptsache gesund!" gilt als moralisch korrekte Antwort auf die Frage: "Hättest du lieber einen Jungen oder ein Mädchen?" Aber moralisch korrekte Antworten sind oft keine ehrlichen Antworten. Und so ist es auch in diesem Fall. Vielen werdenden Mamas und Papas ist es eben doch nicht egal, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen bekommen - sie haben ein Wunschgeschlecht. Und das, obwohl es hierzulande keine dringenden kulturell bedingten Gründe gibt, das eine oder das andere vorzuziehen, wie zum Beispiel in Indien, wo sich die Eltern Söhne wünschen, weil die keine Mitgift kosten. Gründe für die persönlichen Vorlieben deutscher Paare finden sich trotzdem zu Genüge.

Kleine Zicke oder wilder Junge: Gründe für das Lieblingsgeschlecht

Manche bleiben an der Oberfläche und sind oft vorurteilsbehaftet: Man hätte bitte gern einen Jungen, weil Mädchen den ganzen Tag herumzicken und einem sowieso nur Jungennamen einfallen. Ach wenn es doch bloß ein Mädchen würde, weil: die sind nicht so wild und man kann sie viel süßer anziehen! Einigen werdenden Eltern ist es sehr ernst mit solchen Dingen. Andere führen Gründe an, die sich mit ihrem persönlichen Hintergrund erklären lassen. "Mein Mann ist ein ganz sanfter, sensibler Typ, darum dachte ich, ein Mädchen passe viel besser hier rein", beschreibt Bärbel Mierke (34) aus Berlin, Mutter einer Tochter (4) und eines Sohnes (1), ihre Gedanken während der ersten Schwangerschaft. Wieder anderen geht es um die „Vollständigkeit“ ihrer Familie, die in ihren Augen erst dann gegeben ist, wenn männlicher UND weiblicher Nachwuchs dazugehört. Oder sie möchten einfach keine der beiden wunderbaren Erfahrungen verpassen, so wie Andrea Rübsam (37) aus Berlin, deren Kinder 5 und 3 Jahre alt sind: „Es war mir bei beiden Schwangerschaften wirklich egal, welches Geschlecht die Kinder haben würden, aber nach zwei Jungs hätte ich jetzt doch gern noch ein Mädchen.“

Frauen, die wie Andrea ein Mädchen bevorzugen, meinen häufig, es sei kein Klischee, sondern eine Tatsache, dass Jungs zwar als Kleinkinder an Mamas Rockzipfel hängen, sich jedoch mit zunehmendem Alter von der Familie distanzieren. Wenn sie erst ausgezogen sind, rufen sie nicht mehr an und bringen schon gar nicht die Enkel vorbei, heißt es. Und die Jungsmutter leidet ewig darunter, dass ihre Schwiegertöchter einen viel engeren Kontakt zum Elternhaus pflegen und dass sie für die Enkel nur die Oma zweiter Wahl ist. „Da ist statistisch gesehen bestimmt etwas Wahres dran“, überlegt Andrea Rübsam, die soeben ihr nachgeholtes Kunstgeschichts- und Geschichtsstudium abschließt, „Genau so ist die Rollenverteilung jedenfalls bei meinen Schwestern, meinem Bruder und mir. Ich könnte mir vorstellen, dass das mit den vorherrschenden geschlechtsstereotypen Erziehungsweisen zu tun hat. Die drängen Jungs ja geradezu dahin, sich emotional von der Familie zu lösen, während sie Mädchen dazu anhalten, sich um familiäre Belange zu kümmern.“ Tina Schuster (31) aus Mainz, die schwanger ist und noch nicht weiß, was es wird, bringt eine positive Sichtweise ins Spiel: „Es stimmt, dass sich Jungs eher abnabeln oder von den Eltern eher gehen gelassen werden, damit sie in ihrer eigenen Partnerschaft den stärkeren Part übernehmen können. Aber ich würde das als Vorteil begreifen! Immerhin geben sie ihren Eltern damit schneller eine gewisse (Sorgen-)Freiheit zurück.“

Gibt das eigene Geschlecht Sicherheit?

Kommt das Thema Wunschgeschlecht unter Freunden auf, entsteht oft der Eindruck, dass sich zumindest beim ersten Kind die Mehrzahl der Frauen ein Mädchen und die Mehrzahl der Männer einen Jungen wünscht. Die Vermutung liegt nahe, dass das mit unseren Erinnerungen an die eigene Kindheit zu tun hat. Versuche ich mir als Erwachsener vorzustellen, wie sich das Leben mit Kind wohl anfühlen wird, greife ich unwillkürlich auf Szenen aus meiner Vergangenheit zurück. Und darin hat das Kind natürlich mein Geschlecht. Tina Schuster versucht eine andere Erklärung: „Ich fühle mich als Frau einem Mädchen näher verbunden – sicher geht es einem Mann mit einem Jungen genauso. Ich glaube zu wissen, was Mädchen interessiert und wie sie sich fühlen, wenn sie sich zur Frau entwickeln. Ich könnte mir vorstellen, dass es mir leichter fällt ein Mädchen zu erziehen, weil ich gewisse Vorerfahrungen habe. Ich wüsste nicht, wie ich einem Jungen seinen pubertierenden Körper erklären sollte, und finde ja schon allein den Gedanken, einen Jungen zu wickeln, komisch. Was, wenn er eine Erektion kriegt? Hilfe!“

Kann man dem Wunschgeschlecht nachhelfen?

Für viele Paare, die sich auf ein Wunschgeschlecht geeinigt haben, schließt sich an die Frage "Junge oder Mädchen?" eine nächste Frage nahtlos an: Können wir etwas dafür tun, um unser Wunschgeschlecht auch tatsächlich zu bekommen? Es gibt da bestimmte Tricks, die allerdings alle nach dem Motto: "Versuchen kann man's ja mal" funktionieren und aufgrund ihrer Vielzahl und Komplexität hier nur angerissen werden können. So haben Forscher der University of Exeter herausgefunden, dass Frauen, die sich zum Zeitpunkt der Zeugung kalorien- und nährstoffreich ernähren, zu 56 Prozent Jungen auf die Welt bringen, während Frauen, die auf Diät sind, etwa genauso häufig Mädchen bekommen. Wesentlich bekannter ist die so genannte Shettles-Methode nach Dr. Landrum Shettles, der in seinem Klassiker "How to choose the sex of your baby" erklärt, dass Sex vor dem Einsprung die Zeugung eines Mädchens begünstigt, während Sex zum Zeitpunkt des Eisprungs oder kurz danach eher zu einem Jungen führt. Die weiblichen Spermien sind nämlich langsamer als die männlichen, aber auch robuster, und werden nur, wenn es schnell gehen muss, von den männlichen ausgestochen. Dann ist da noch die Studie des Zoologen Alexander Lerchl von der Universität Münster, die besagt: Im Sommer, aber auch in einem überdurchschnittlich warmen Winter werden mehr Jungen als Mädchen gezeugt. Weiterhin schlagen Experten vor, beim Mädchenwunsch Sex in der Missionarstellung beziehungsweise beim Jungenwunsch Sex im "doggy-style" zu haben, um den schwächelnden Y-Spermien den Weg zum Muttermund je nachdem zu erschweren oder zu vereinfachen. Und last but not least wird ein Blick in den Chinesischen Empfängniskalender angeraten, der im 13. Jahrhundert entstand und aus dem Alter der Mutter und dem Monat der Empfängnis eine Prognose für das Geschlecht des Kindes errechnet.

Und wenn sich das "falsche" Geschlecht ankündigt?

Und so geht es munter weiter mit den Studien und Theorien und wir können uns herauspicken, welche uns am besten gefällt - oder es einfach bleiben lassen. Es gibt zwar, wenn man sich mal umhört, erstaunlich viele Paare, die die eine oder andere Methode ausprobieren. Andererseits gibt es genauso viele Kritiker, die diesen Frauen und Männern vorwerfen, "Gott spielen zu wollen", und mit einer erschreckenden Zukunftsvision winken, in der es per künstlicher Befruchtung und DNA-Test möglich ist, nicht nur das Geschlecht, sondern auch Haarfarbe und Charakter eines Kindes im Vorhinein zu bestimmen. Die gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte Bärbel Mierke formuliert vorsichtiger: "Ich würde niemals versuchen, das Geschlecht des Kindes zu beeinflussen. Das käme mir nicht ,echt' oder ,richtig' vor. Ich lasse der Natur lieber ihren Lauf." Grundsätzlich bleibt die Sache mit dem Wunschgeschlecht - zumindest für das durchschnittliche Paar aus unseren Breitengraden - ein Luxusthema. Klar ist es ganz witzig, mit dem Neugeborenen im Arm in den Chinesischen Empfängniskalender zu schauen, ob die Prognose eingetroffen ist. Aber wer das Ganze allzu ernst nimmt, sollte sich einmal ehrlich fragen, was eigentlich wirklich dahintersteckt.

Warum will ich überhaupt ein bestimmtes Geschlecht?

Spätestens wenn der Gynäkologe im Ultraschall erkennen kann, ob Junge oder Mädchen, und dann das "falsche" Geschlecht ankündigt, müsste die Schwangere an ihrer spontanen Reaktion merken, ob sie sich vielleicht zu sehr in ihre Hoffnung hineingesteigert hat. Wobei die Grenzen da fließend sind. Eine moderate Enttäuschung ist sicher völlig normal. „Ich finde es wichtig, dass man seiner Traurigkeit freien Lauf lässt, solange man das Kind mit dem ‚falschen’ Geschlecht nicht total ablehnt“, meint Tina Schuster, die als Landschaftsarchitektin bald in den Mutterschutz geht, „Man sollte sich deswegen kein schlechtes Gewissen machen lassen. Ein Arzt wie der, der mir bei der Feindiagnostik sagte: ‚Das Geschlecht nenne ich Ihnen aber heute nicht, das hat keinen diagnostischen Wert’, nimmt die Gefühle von uns Eltern nicht ernst.“ Frauen erzählen, dass sie "geknickt" gewesen seien oder "geschockt", weil ihnen der Babygeschlechtswunsch nicht erfüllt wurde, und dass sie sich dafür "geschämt" oder sogar "gehasst" und dem Kind gegenüber "mies gefühlt" hätten. Und Bärbel Mierke berichtet: "Wir haben eine Bekannte, die sich sehnlichst ein Mädchen wünschte. Name und Ausstattung des Mädchenzimmers standen fest, sie war richtig verrannt in den Wunsch. Sie wollte einfach eine Maus zum Verhätscheln. Rosa Träume, Zöpfe flechten. Sie war am Boden zerstört, als sie erfuhr: ihr Mädchen wird ein Junge. In der 34. Schwangerschaftswoche wurde ihr das mitgeteilt und sie weinte tagelang und war bitter enttäuscht. Ich war etwas erschrocken, wie man das Geschlecht so überbewerten kann, denn ich gehöre zur Hauptsache-gesund-Fraktion."

Dann vielleicht doch lieber ein "Überraschungs-Ei"?

Während es manchen Frauen in der Situation jener Bekannten hilft, über ihre Gefühle zu sprechen und festzustellen, dass sie damit nicht alleine dastehen, können andere spätestens dann nicht mehr nachvollziehen, warum das Geschlecht jemals so wichtig für sie gewesen ist, wenn sie ihr Baby zum ersten Mal im Arm halten. Es gibt allerdings auch Frauen, die über das "falsche" Geschlecht ihres Nachwuchses in eine echte Krise geraten. So klagt ‚anira’ im urbia-Forum: "Ich habe nun den dritten Sohn und bin ein Stück daran zerbrochen. Schlimme Depris hatte ich und dachte sogar jedes Mal, dass ich das Kind nicht will. Natürlich liebe ich meine Männer, aber dennoch fehlt mir etwas und es tut so weh. Ich sage immer locker, ich warte nun auf die Enkeltöchter, aber in Wirklichkeit zerreißt es mir das Herz. Ich werde wohl deswegen in Behandlung gehen." Bei dem Versuch, sein Weltbild ein wenig gerade zu rücken, wenn die Hoffnung auf das Wunschgeschlecht sich verselbständigt hat, kann die Motivation jener Frauen inspirieren, die das Geschlecht ihres Ungeborenen vor der Geburt gar nicht erst wissen wollen. Ihre Vorfreude auf die große Überraschung bringt eine völlig neue Perspektive ins Bild. Und noch dazu schützt ihre Strategie vor dem Schockmoment im Kreißsaal, der häufiger vorkommt als man denkt und für Eltern mit einer ausgeprägten Hoffnung aufs Wunschgeschlecht das totale Gefühlschaos bedeuten kann: wenn sich nämlich der Arzt beim Ultraschall geirrt hat und es statt dem versprochenen Mädchen doch ein Junge wird - oder umgekehrt.