Serie: "Schwanger in Italien", 4. Teil

Nachsorgehebamme? Sie haben doch die Mama!

Auch in Woche 28 erlebt Julia Rubin in Turin neue Überraschungen: "CTG? Wozu?", fragt ihr Dottore, als sie nach dem Herztonwehenschreiber fragt. Ebenso überflüssig in seinen Augen: eine Nachsorgehebamme. Das kann doch die Mama machen!

Autor: Julia Rubin

"Tutto bene, piano, piano!"

Julia Rubin Arztbesuch Teil4
Juila Rubin
Foto: © Julia Rubin

Julia Rubin lebt zur Zeit in Italien. Ihre ersten beiden Söhne kamen in Deutschland zur Welt, ihr drittes Kind wurde im März 2010 in Turin geboren. Dies klingt zunächst nicht spektakulär, denn schließlich ist Italien nicht Papua Neuguinea. Aber Mamma Mia, andere Länder, andere Sitten! Was das für die Begleitung durch die Schwangerschaft und die Geburt bedeutete, berichtete Julia Rubin für urbia im Rahmen ihrer Serie "Schwanger in Italien".

Ich bin in Schwangerschaftswoche 28 angekommen und freue mich auf das Wiedersehen mit dem Dottore, meinem Frauenarzt in Turin. Ja, ein bisschen habe ich ihn nämlich schon vermisst, ihn, seine Kommentare in gebrochenem Deutsch und seine lustige, unkomplizierte, italienische Art: „Tutto bene, signora, piano, piano“ - „es wird schon alles werden, nur keine Panik“. Das hat mir gefehlt, die letzten Wochen und ich habe festgestellt: Meine Unsicherheit wird weniger und der Optimismus dieses Arztes und sein fester Glaube an einen guten Verlauf meiner Schwangerschaft tun mir mittlerweile richtig gut. Ich werde ruhiger und lerne, immer mehr meinem Gefühl zu vertrauen. Ok, bei Kind Nummer drei ist das auch nicht so schwer. Meine Wehwehchen während einer Schwangerschaft kenne ich, und ich weiß auch ein Ziepen und Ziehen zu deuten. Vielleicht scheine ich mich aber auch ganz einfach an die italienische Art der Schwangerschaftsbetreuung gewöhnt zu haben. Und genau diese hat mir in den letzten Wochen gefehlt. Denn: Ich gestehe, ich war „untreu“! Habe Kontrolle Nummer vier in Woche 24 während eines Kurzurlaubs in Deutschland machen lassen.

Deutsches Zwischenspiel

Blutabnahme, Abstrich, Urinkontrolle, Ultraschall – ratzfatz - alles in einem Abwasch, die Ergebnisse werden nach Italien geschickt. Arzt zufrieden, ich zufrieden. Schwarz-weißes Ultraschallbild bekommen. Grüße nach Bella Italia. Fertig. Tschüss. Der Nächste bitte! Vorschriftsmäßig hat mein deutscher Arzt alle Ergebnisse sorgfältig in meinen deutschen, blauen Mutterpass eingetragen. Da steht zwar dieses Mal nicht viel drin, aber immerhin diese eine Untersuchung. Um seinem italienischen Kollegen die Arbeit zu erleichtern, ist mein deutscher Arzt sogar besonders gewissenhaft gewesen und hat jedes noch so kleine Detail notiert, inklusive dem Hinweis, dass ich zwischen Woche 28 und 32 unbedingt eine weitere Anti-D-Prophylaxe brauche. Meine Blutgruppe ist rhesus-negativ, ich hatte zwischenzeitlich leichte Blutungen, und um den Schutz meines dritten Kind weiter zu gewährleisten, sei diese Spritze unerlässlich, sagte der deutsche Arzt in Woche 24.

„Oche ja, kanne man mache, musse aber nischt“, sagt Dottore vier Wochen später. Benvenuti in Woche 28 - da bin ich wieder – in Italien und bei Dottore! Es folgt ein fünfminütiger Vortrag von Dottore über das Für und Wider der aus deutscher Sicht so wichtigen Anti-D-Prophylaxe, und ich bin froh, meinen Mann dabei zu haben. Zusammen verstehen wir beide wenigstens 80 Prozent von dem, was Dottore da in seinem Vortrag über uns ausschüttet, alleine hätte ich wahrscheinlich sehr schnell aufgegeben. Er scheint nicht hundertprozentig überzeugt, dass diese Spritze wirklich so wichtig ist, aber er wäre nicht der Arzt, wie ich ihn mittlerweile kenne, wenn er am Ende nicht doch bereit gewesen wäre, seinem deutschen Kollegen (und mir) den Wunsch zu erfüllen und mir eine weitere Anti-D-Spritze zu verabreichen. Dafür werde ich Dottore in drei Wochen außerhalb seiner Praxis-Sprechzeiten im Krankenhaus treffen müssen und kann mir dann endlich auch das italienische Krankenhaus anschauen, in dem mein dritter Sohn in wenigen Wochen zur Welt kommen soll. Der Endspurt kann also losgehen.

 

"CTG, warum? Dem Kind geht's doch gut!"

In Deutschland würde nun bald die Zeit beginnen, in der die Kontrolltermine beim Frauenarzt alle zwei Wochen stattfinden und jedes Mal mit eine halbstündigen „Pause“ am CTG beginnen. Wie gerne erinnere ich mich daran! Eine halbe Stunde auf einer Liege vor mich hindösen, dem Herzschlag meines Kindes lauschen, keine kreischenden Söhne um mich herum und einfach mal ausspannen. Für eine zweifache Mutter ist das Erholung pur. Und wie habe ich mich auf diese Auszeit hier in Italien gefreut! Dieser Gedanke zaubert ein glückliches Lächeln auf mein gestresstes Zweifach-Mutter-und-noch-dazu-wieder-im-siebten-Monat-schwanger-Gesicht. Aber prompt holt mich Dottore mit einem freundlichen: „Ma Signora, tutto bene con il bimbo, non dobbiamo farlo.“ - „Mit dem Kind ist doch alles in Ordnung, so was müssen wir doch nicht machen“, in die Realität zurück. Kein CTG beim Frauenarzt? Nein, denn das reicht auch, wenn es mit den Wehen losgeht. Ist ja auch ein Wehenschreiber. Eigentlich logisch. Aber dennoch bin ich erstmal echt überrascht. Keine Kontrolle? Aber warum wurde ich denn bei meinen bisherigen Schwangerschaften in Deutschland eigentlich immer schon ab Woche 33 regelmäßig ans CTG gehängt? Die Schwangerschaften sind alle normal verlaufen, ich gehörte zu keiner Risikogruppe, die Babies hatten beide keine Auffälligkeiten. Und trotzdem verbrachte ich während meinen ersten beiden Schwangerschaften mehrere Stunden auf einer Liege, angeschlossen an ein externes CTG. Aus heutiger Sicht kann ich eigentlich keinen Grund für diese Untersuchung finden, aber – ja!, ich habe sie trotzdem genossen, diese Zeit am CTG, aber je mehr ich über das nachdenke, was Dottore gesagt hat - „Iste alles ok, warum dann CTG?“ - , desto mehr muss ich ihm recht geben. Ist diese Untersuchung, im Normalfall, nicht eigentlich völlig überflüssig?

Vor- und Nachteile der beiden Gesundheitssysteme

So langsam habe ich einen Einblick in das italienische System der Schwangerschaftskontrolle und merke, dass hier anders kontrolliert wird als in Deutschland – und das hat mich verunsichert. Einiges wurde bei mir bislang gar nicht kontrolliert: Ist der Muttermund noch zu, wo sitzt die Gebärmutter, wie ist der Zustand des Abstrichs? Vieles ist hier auch unpraktisch, umständlich und aus meiner (deutschen) Sicht nicht immer nachvollziehbar: Blutabnahme und Urinkontrollen im Extra-Labor. Einiges ist aber durchaus zu vergleichen mit Deutschland, das erzählt mir eine deutsche Gynäkologin, die in Turin arbeitet. Die gesetzliche Krankenkasse zahlt zum Beispiel auch hier in Italien drei Ultraschalluntersuchungen und die Urin- und Blutkontrollen. Und seit Anfang des Jahres soll hier im Piemont sogar tatsächlich nach und nach eine Art Mutterpass eingeführt werden. Der ist grün und soll dem deutschen angeblich sehr ähnlich sein, erzählt mir die Ärztin. Für diesen Pass bin ich wohl ein halbes Jahr zu früh schwanger geworden in Italien.

Und bei vielen Dingen haben es die italienischen Frauen sogar tatsächlich besser als wir in Deutschland: Der monatliche Toxoplasmosetest wird komplett von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt, genau wie die Nackenfaltenmessung oder ein intensives Organscreening – auch ohne, dass man zu einer Risikogruppe gehört. Und der Diabetes-Test in Woche 22 wird hier auch bezahlt, erzählt mir die Gynäkologin. In Deutschland musste ich den privat bezahlen. Jeder, der hier bei der gesetzlichen Krankenkasse aufgenommen wird, wird auch in diesem Maße unterstützt. Da ich jedoch nur für eine begrenzte Zeit in Turin lebe, organisiere ich mich mit einer privaten Extra-Versicherung. Muss dafür bar zahlen, kann mir aber den Arzt auch aussuchen. Und Dottore nimmt in seiner exklusiven Praxis mit seinem neuen Ultraschallgerät eben nicht jeden.

Statt Nachsorge-Hebamme, "Mamma italiana"

Nach ein paar Minuten habe ich die Überraschung der nicht stattfindenden CTG-Kontrolle verdaut, da setzt Dottore noch einen drauf – und zwar bei meiner Frage, ob er mir denn eine gute Hebamme empfehlen könne, die mich und mein Baby vor, während und nach der Geburt betreut und nach uns schaut. „Una ostetrica per la casa? Mi dispiache, non c' è“ - „Eine Hebamme für Zuhause? Tut mir leid, das gibt es hier nicht“. Wie taff sind die Frauen hier in Turin eigentlich, dass sie die Zeit nach der Geburt mit ihrem frisch geborenen Baby alleine hinbekommen? Ich habe viel rumgefragt, im Internet geschaut, aber tatsächlich: Die intensive Hebammenbetreuung, wie es sie in Deutschland gibt, gibt es hier in Turin nicht. "Sie abe doch die Mamma, die kanne helfe, Signora. Und wenne sinde Fragen, dann rufen Sie einfache an im Ospedale."

Die Turiner Frauen vertrauen also auf ihre Familie und ganz besonders auf ihre Mütter. Die kommen nach der Geburt ins Krankenhaus, betütteln die frisch gebackene Mamma und kümmern sich drum, dass alles mit dem Baby so läuft, wie sie es für richtig halten. Mamma-italiana-Erfahrung statt Hebammen-Wissen, das ist die italienische Art der Nachsorge in Turin. Nur, ich habe eben keine "mama italiana", meine "mamma tedesca" wohnt im 800 Kilometer entfernten Deutschland und ist eben nicht sofort zur Stelle, wenn Sohn Nummer drei die Welt betritt. Gut, dass die weltbeste Hebamme, die mich bei meinem zweiten Sohn betreut hat, mittlerweile eine gute Freundin geworden ist. Ich rufe sie an und verabrede mit ihr ab März eine telefonische Standleitung nach Deutschland. Aber für die direkte Versorgung? Ich wäre schon beruhigt, auch jemanden persönlich in der Nähe zu wissen, wenn das Baby da ist. Ja, betüttelt werden, auch bei Kind Nummer drei, das will ich! Und - hupps – da merke ich: Er hat mich anscheinend schon angesteckt, der Optimismus des Dottores. Ich werde jemanden finden, irgendwo in Turin, der mal nach mir schauen kann, wenn das Baby da ist! Neugeborenen-Massagen gibt es hier, Babyschwimmkurse und Massageangebote für Schwangere, da wird es doch hier wohl irgendwo eine Frau geben, die ihr Geld als Hebamme verdient. Noch zwölf Wochen bis zum errechneten Termin - der Countdown hat begonnen und damit auch die Suche nach einer Hebamme. Ich bin optimistisch: Ich werde sie finden, die „ostetrica italiana“. Basta. Und falls nicht: "Signora, piano, piano, es wird auch so werden." Höre ich da die Stimme von Dottore? Ok, falls nicht, dann läuft es eben typisch italienisch. Va bene!

Lesen Sie im fünften Teil: "Geburtsvorbereitung? Wozu? Hier wird gepresst und geatmet wie in Deutschland."