"Ich schäme mich für meine Tochter"

Hallo Forum.

Ich schreibe mir hier meine Gedanken von der Seele. Ich bin w, 46 Jahre alt. Ich habe schon sehr viel erlebt im Leben; seit 3 Jahren ist es ruhig; da habe ich den Kontakt zu meiner Mutter abgebrochen, weil ich an die Grenzen meiner Belastbarkeit kam. Mein Vater lebt schon lange nicht mehr, bevor er 2004 starb, ist er über Nacht einfach verschwunden, hat mich und meine Mutter zurück gelassen und fing 1000 km von uns entfernt ein neues Leben mit einer neuen Frau an. Ich habe ihn seit meinem 16. Geburtstag nicht mehr gesehen; in der Nacht danach verschwand er für immer. Er ging Zigaretten holen und kam nie wieder zurück.

Ich bin Einzelkind und meine Mutter hat ihr ganzes Leben von klein auf auf mich ausgerichtet. Ich stand ununterbrochen in ihrem Fokus und heute weiß ich, dass sie mich gebraucht hat, um ihrem Leben einen Inhalt zu geben. Habe ich gemacht, was sie wollte, war ich die Tolle. Habe ich gesagt, was sie hören wollte, war ich die Beste.
Tat ich Dinge, die ich machen wollte, wurde ich als "egoistisch" bezeichnet. Mein Leben war davon geprägt, dass ich viele, viele Jahre hinweg ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte; ich hatte immer das Gefühl, dass ich sie nicht im Stich lassen dürfte und dass es ihr gut gehen muss. Deshalb habe ich mich auch nie wirklich von ihr weg entwickelt, sondern blieb mehr oder weniger in ihrem Dunstkreis. Zog ich ein Stück weiter weg, aus beruflichen Gründen, dauerte es kein halbes Jahr, und sie zog in die gleiche Ortschaft.
Ich habe es über Jahrzehnte versucht, ein ausgewogenes Verhältnis zu schaffen, eine Balance aus Nähe und Distanz, aber es ist mir nicht gelungen: Sobald sie etwas von mir wusste, nutzte sie es hintenrum gegen mich und/oder übertrat immer wieder meine Grenzen. Sprach ich es an, fing sie an zu weinen und jammerte, dass sie es doch "nur gut" meine und sie habe Angst vor mir.
Egal, was ich tat: Das, was sie von mir brauchen konnte, nutzte sie für sich. Das, was ihr nicht in den Kram passte, verwendete sie gegen mich. Ein Beispiel: Ich sprach sie Ende 2016 darauf an, dass ihre Rente nicht reichen könnte, um die Miete für ihre 4Zimmer-Mietswohnung zu zahlen; es war schon mit dem Gehalt knapp gewesen. Ich schlug ihr vor, dass wir gemeinsam ein Wohnkonzept erarbeiten, was sie gut wuppen könnte und mit dem sie sich wohl fühlt.
Sie war eingeschnappt, meinte nur knapp, dass man das irgendwann mal machen könnte. Hintenrum erzählte sie dann rum, ich würde sie zwingen, aus der Wohnung auszuziehen, weil ich die Wohnung haben wolle (ich wollte die Wohnung zu keinem Zeitpunkt...habe mir selbst ein sehr schönes Zuhause geschaffen...)
Sie legte mir immer wieder Bilder von anderen Frauen vor und zeigte mir, wie sehr sie sich mich anders wünschte: Mit dunkleren Haaren, Hut tragend, und vor 5 Jahren freundete sie sich mit einer jungen Frau an, die sie mir als "ihre Wunschtochter" vorstellte. Ich steckte das alles mehr oder weniger gut weg, hatte durch diverse Therapien in der Vergangenheit auch einige Werkzeuge gelernt, mit seltsamen Situationen meiner Mutter umzugehen. Aber ich traute mich nicht, den finalen Cut zu machen: "Es ist Deine Mutter", "Das macht man nicht"..."Sie kann nichts dafür"..."Sie macht das nicht mit Absicht"..."Sei nicht so engstirnig"...das waren alles Argumente, die mich davon abhielten, wirklich einen Strich zu ziehen.

Nachdem sie 2017 heimlich hetzerische Briefe gegen mich an meinen Exmann und die Patentante meiner Tochter geschrieben hat, bei mir aber fröhlich ein- und ausging; ohne zu fragen das Zimmer meiner Tochter komplett umräumte und mein Wohnzimmer unter Wasser setzte, indem sie wohl eine 10-Liter-Kanne in eine kleine Topfpflanze gegossen hatte, ging ich auf Abstand und teilte das mit: Ich kann nicht mehr; ich möchte diesen hausgemachten Trouble nicht mehr und auch nicht mehr diese Spielchen "böse Tochter...gute Tochter..." Ich teilte mit, dass ich jetzt keinen Kontakt mehr möchte. Meine Tochter konnte weiterhin Kontakt zur Oma haben - aber ich wollte jetzt da zumindest vorerst mal raus sein. Ich wurde ab dem Moment von anonymen Anrufen terrorisiert, mein damaliger Arbeitgeber erhielt Hetz-Briefe von ihr - aber ich hielt das alles aus.
Und ab dem Moment ging es mir von Tag zu Tag besser. Plötzlich funktionierte meine Beziehung. Plötzlich war mein Asthma weg. Plötzlich war ich jeden Tag gut gelaunt...

Ich schäme mich nicht, als erwachsene Tochter die Entscheidung getroffen zu haben, keinen Kontakt mehr mit meiner Mutter zu wollen. Ich habe mehr als 40 Jahre damit zugebracht, einen Tanz auf rohen Eiern zu führen und ständig erpresst zu werden: "Mach, was ich will, und Du stehst in meiner Gunst" - das war der Tenor unserer Mutter-Tochter-Beziehung. Insgeheim hatte ich das wohl durchschaut und mich rausgezogen.

Nun - im August dieses Jahres ist meine Mutter sehr überraschend gestorben. Sie hatte im Juni die Diagnose für eine Krankheit bekommen. Davon habe ich nichts gewusst. Eine Nachbarin hat mich angerufen, dass meine Mutter im Krankenhaus verstorben sei.

Ich habe mich um alles gekümmert, habe ihren Wunsch nach einer Seebestattung erfüllt, und durch die Auflösung ihres Nachlasses habe ich Zugang zu vielen Unterlagen bekommen - ich hatte Recht mit der Rente und der hohen Miete; meine Mutter hat Konsumkredite aufgenommen, um die Miete zahlen zu können...sie war einfach nicht bereit, den Tatsachen ins Auge zu sehen.

Sie hat Briefe vorbereitet, die sie an mein ganzes Umfeld schicken wollte (Ex-Schwägerinnen, Ex-Schwiegereltern, mein Exfreund), in denen sie unter anderem schreibt, dass sie sich schämt, so eine Tochter wie mich zu haben und dass sie sich Sorgen um meine Tochter machen würde, die sehr unter mir leide. Ich bin ein sehr nüchterner Mensch, was das angeht: Wenn sie sich angeblich Sorgen um meine Tochter macht - wieso hat sie dann nie das Jugendamt informiert??? By the way: Ich führe ein ganz normales Leben mit Job, Kind, Beziehung, Haus, Urlaub, Hobbys, ohne Zigaretten, ohne Alkohol, ohne Drogen, ohne Krankheiten oder anderen schweren Problemen?!

Sie hat,das habe ich den Unterlagen entnommen, einer Psychiatrie geschrieben mit der Bitte, mich einzuweisen und einer selbst erstellten Diagnose über mich. Ich sei gefährlich, unberechenbar und ich sei ja schon mal in einer Psychiatrie gewesen - das stimmt: Nachdem ich 2010 auf sehr dramatische Weise meine ungeborenen Zwillinge verlor und danach meine Beziehung zerbrach, ging mir mal kurzfristig die Puste aus; ich habe mir proaktiv Hilfe gesucht und war nach zwei Wochen wieder stabiler und konnte entlassen werden.

All das hatte sie auch gewusst - aber gegen mich verwendet. Seitenweise schreibt sie, wie faul ich sei, dass sie damals das Kinderbett für meine Tochter hätte aufbauen müssen (Hä??) #kratz#kratz, ich würde nachts zu fremden Männern fahren #kratz#kratz#kratz und ich wäre krankhaft neidisch auf ihr Leben #kratz#kratz#kratz
Sie hat zig Brieffreundschaften geknüpft und allen Leuten schrieb sie diesen Kram über mich. Und sie schrieb auch ziemlich ätzendes Zeug über meinen Vater, den SIE groß gemacht habe und der IHR alles zu verdanken hätte.

Ich habe hier Ordner voller Aufschriebe über mich - sie hat mein Leben genau beobachtet, dokumentiert und auch interpretiert und sogar mein Beruf legte sie negativ aus.

Warum schreibe ich das alles hier auf?

Ich bereue nichts. Ich bereue es nicht, auf mich geachtet zu haben. Ich bereue es nicht, den Kontakt abgebrochen zu haben. Und auch wenn meine Mutter jetzt starb, ohne dass wir uns ausgesprochen haben - es ist, wie es ist. Man muss sich als erwachsene Kinder nicht alles gefallen lassen. Und wenn eine Beziehung nicht gut tut - sei es Mann/Frau-Beziehung oder Eltern-Kinder-Beziehung oder eine andere Beziehung, dann darf man sich rausnehmen und eigene Wege gehen. "Du sollst Vater und Mutter ehren", das steht in der Bibel und hält vielleicht viele erwachsene Töchter und Söhne, die unter ihren Eltern leiden, klein. Aber es müsste auch ein weiteres Gebot geben: "Du sollst Deine Kinder ehren", denn manche Eltern wissen einfach nicht, was sie ihren Kindern eigentlich mit ihrem gestörten Verhalten antun.

Danke fürs Lesen und alles Gute.

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Oha, ich bin total geschockt, dass eine Mutter ihrem Kind sowas antut. Es tut mir sehr sehr leid für dich und freue mich, dass dies nun ein Ende hat. Beseitige all die Dokumentationen und leb dein Leben. Sie kann dir nichts mehr. Der Kontaktabbruch war die einzig richtige Entscheidung. Alles Gute wünsche ich.

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Ich kann mich lassjutsein nur anschließen, wobei ich nicht ganzs so überrascht bin. Zwei meiner Freundinnen haben ähnlich strukturierte Mütter - wohl nicht ganz so schlimm wie deine, aber mehr als man als "Kind" brauchen kann. Mein Vater ist/war auch jemand, bei dem man sich wie auf rohen Eiern fühlte, allerdings nicht so proaktiv bösartig wie deine Mutter oder die meiner Freundinnen - nach sechs Jahren Kontaktabbruch gibts eine lockere Annäherung, gerechnet hatte ich damit nicht mehr, habe aber auch keine weiterführenden Erwartungen.

Ich weiß genau, was du meinst und ich kann mit diesem mahnenden Satz "aber das ist doch dein Vater/deine Mutter" auch nicht soviel anfangen. In manchen Fällen mag er gerechtfertigt sein, in manchen nicht. Bevor man nicht die Geschichte hinter Kontaktabbrüchen kennt, ist Zurückhaltung bei moralischen Zurechtweisungen das Mittel der Wahl.

Ich wünsche dir alles erdenklich Gute, du hast es hinter dir, auch wenn ein Teil immer übrigbleibt. Du scheinst aber auf einem guten Weg zu sein #herzlich

LG sommerflieder

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Auch wenn du es schon weißt und auch gesagt hast: Du hast alles richtig gemacht!

Sie war psychisch wohl ebenfalls sehr krank. Leider bist du zum Opfer dessen geworden. Gut, dass du die Notbremse für dich gezogen hast.

Hut ab, das schaffen nicht viele!

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Ich muss gestehen, ich verstehe den Sinn Deines Textes nicht so richtig. Sollte das alles so stimmen, ist es sicher schlimm. Gut, dass Du Dich daraus befreien konntest.

Trotzdem bin ich bei solchen Beiträgen immer sehr skeptisch. Das ist mir alles zu schwarz - weiß. Kein Mensch ist von Grund auf Böse und macht alles falsch, kein Mensch ist von Grund auf gut und macht alles richtig. Sie hat Dich unterdrückt, gegen Dich gehetzt, ihr Leben und ihre Finanzen nicht im Griff; Du hast versucht, ihr alles Recht zu machen, hast ihre Finanzen überblickt, hast Dich um alles gekümmert, rutscht aber immer wieder in die Opferrolle. Das klingt mir alles etwas zu plakativ.

Es gibt sicher schwierige Charaktäre und problemgeladene Eltern-Kind-Beziehungen. Sollte das alles so stimmen klingt Deine Mutter ernsthaft psychisch krank. Kranke Menschen brauchen Hilfe/Therapeien. Viele lassen sich aber nicht helfen. Wahrscheinlich gehörte Deine Mutter dazu. Bleibt trotzdem der Fakt, dass sie offensichtlich krank war. Nicht böse, nicht schlecht, sondern krank.

Das alles ist jetzt Vergangenheit. Sie ist tot. Eine Therapie könnte Dir helfen, auch wenn Du scheinbar schon mehrere hattest. Wie ein Internetforum Dir helfen könnte, weiß ich nicht. Viele Fremde, anonyme User "tätscheln" Dir jetzt virtuell den Kopf, hilft Dir das? Ich verstehe es nicht wirklich, sorry.

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Vielleicht tut es manchmal gut, einfach zu schreiben und das ganze Elend, was man da erlebt hat, mal zusammen zu fassen.

Muss nicht alles nen Sinn haben.

Und vielleicht setzt ihr Beitrag einen "aha"-punkt, die eine andere tochter gerade braucht, um einen impuls zu erhalten, sich aus ihrer problematischen mutter-tochter-beziehung kritisch zu hinterleuchten.
Ich habe eine Kollegin, die das dringend tun sollte. Sie ist noch nicht so weit, aber wenn sie mal irgendwo im netz im entscheidenden Moment auf so einen Beitrag stößt, initiiert das vielleicht auch bei ihr irgendwann mal ne Handlung.

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Ich kauf mich mal ne tüte grammatik, aber ich denke, man versteht trotzdem was ich meine....

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Hallo!

Deine Mutter hatte echt gewaltig einen an der Klatsche. Gut, dass Du rechtzeitig die Reißleine gezogen hast - und eigentlich auch ein Glücksfall, dass sie schnell gestorben ist. So eine Mutter als Pflegefall an der Backe haben wäre der absolute Horror. Ich weiß, das hört sich böse an, aber ganz realistisch hätte dich das wirklich kaputt gemacht.

Du hast absolut richtig gehandelt.

Die Briefe würde ich übrigens verbrennen. Heb sowas nicht auf.

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Das deine Mutter krank war muss dir wohl keiner sagen, denn ihr Verhalten ist mehr als deutlich daran gibts nichts zu rühren.
Ich kann dir sagen ich hab solche Dinge zwar nicht durch aber ne Menge anderer Sachen. Meine Eltern jedoch leben noch haben sich aber auch genug geleistet. Ich bin sicher jetzt kannst du einiges hinter dir lassen und entspannter nach vorne blicken weil nichts mehr nachkommen kann!

Ela

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Meine Mutter hat Borderline, mir gegenüber vom Typ Hexe, daher auch solche Briefe.

Mein Rat ist das Zeug erstmal im Keller einlagern und erst wenn du wirklich komplett damit abgeschlossen hast, das ganze in einer Zeremonie zu verbrennen.

Und vergiss die anderen Menschen. Du wirst immer Menschen finden, die dir mit blöden Worten kommen. Teilweise geben Sie sogar zu mit meiner Mutter nichts zu tun haben zu wollen und trotzdem kommt der dämliche Satz "Aber es ist doch deine Mutter". Im besten Fall geht es ihnen um das abwehren, eigener Gefühle. Im schlechtesten Fall, darum meine Mutter endlich los zu werden. Also gar nicht um dich, oder die reale Situation.
Also lasse das Problem bei Ihnen und höre einfach nicht zu.

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Fühle Dich umarmt und ganz viel Kraft!

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Anhand der Parallele zum Begriff "Erzeuger" sagen einige Menschen ja auch "Erzeugerin". Von daher, Vater und Mutter ehren, das stimmt schon. Aber ein Kind zu gebären macht einen nicht gleichzeitig zu einer Mutter, die auch geehrt werden kann.

Deine Erzeugerin war sehr krank, konnte Dir keine Mutter sein, da gibt es nichts zu beschönigen. Daher wäre auch eine Aussprache unmöglich gewesen, davon bin ich absolut überzeugt. Sie wäre niemals auch nur für einen Teil Deines Lebens stolz auf Dich gewesen, aber das ist vielleicht auch gar nicht nötig. Du hast eine Tochter, die sehr stolz auf Dich sein kann, wenn sie Deine Geschichte irgendwann erfährt. Du bist nämlich eine Mutter, die sie mit Recht auch ehren kann, wenn sie möchte.