Rentnerin wird anders

Vielleicht könnt ihr mir mal Meinungen oder Einschätzungen geben.

Wir haben eine ältere Frau in der Familie, sie lebt mit ihrem ebenso älteren Mann zusammen und man hat das Gefühl, da stimmt was gar nicht mehr.

Gesundheitlich (körperlich) ist sie angeschlagen, aber sie verweigert Medikamente und Arztbesuche kategorisch. Auch Hilfsmittel wie Gehhilfen oder Notfallknopf obwohl sie wegen der nicht behandelten gesundheitlichen Probleme stürzt und sich auch mal verletzt.
Ihr Mann verweigert auch Arztbesuche und Hilfsmittel, die zwei nehmen sich nichts. Er kann ihr aber auch nicht mehr helfen im Notfall.
Soweit schon sehr traurig, aber ihre Entscheidung.

Aber seit einigen Jahren wird sie auch sehr negativ und streitlustig.
Seit ungefähr anderthalb Jahren verschiebt sich ihre Wachzeit von tagsüber zunehmend auf Nacht bis morgens um 6. Sie nimmt praktisch nicht mehr an Tagesablauf und Sozialleben teil. Ihren Teil der klassischen Rollenverteilung bei den beiden hat sie lang aufgegeben. Das alles hat auch Auswirkungen auf ihren Mann, den sie z.B. nachts wach hält und immer wieder weckt.

Sie wird eigenartig in Unterhaltungen. Noch ist es eher schräges Zeug was sie erzählt. Bekannte, die sie nicht zuordnen kann. Dinge, die sie eigentlich wissen sollte. Komische Einschätzungen von Situationen. Nichts, worauf man jetzt ganz konkret den Finger legen kann.

Enge Kontakte, ihren Mann und Kinder, macht sie bei jedem Gespräch klein. Es ist, als kann sie Lächeln oder dass es ihnen gut geht nicht ertragen.

Auf Ansprache der Probleme reagiert sie nicht. Alles ausgedacht oder bösartig, zum Arzt geht sie unter keinen Umständen. Sie ist sicher, dass man sie nur krank machen und loswerden will.
Interventionsversuche gab es von praktisch dem gesamten Umfeld, haben alle nicht funktioniert.

Es ist ein Elend. Für sie, ihren Mann, ihre Familie.
Kann man in so einem Fall wirklich nur zusehen, bis etwas ernstes passiert?
Habt ihr Erfahrungen? Gedanken? Alles wäre momentan gut als Anregung.

Bearbeitet von SelmaFlintstone
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Hey!

Es gibt einen vergleichbaren Fall in der Familie. Die Berater sagen, dass man sich auch selbst zugrunde richten dürfe und medizinische Hilfe ablehnen. Die einzige Möglichkeit wäre, einen Antrag auf einen gesetzlichen Betreuer zu stellen.
Ansonsten können auch kranke Menschen leben, wie sie wollen.
Eine Entmündigung gibt es seit 30 Jahren nicht mehr.

Aber ich werde mal mitlesen, welche Ideen es hier noch gibt.

Liebe Grüße
Schoko

Bearbeitet von schokofrosch
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Danke für deine Antwort.
Beim nur körperlichen fällt es zugegeben leichter, als beim Gefühl, dass der ganze Mensch geholfen bekommen könnte, aber sich selbst im Weg steht.
Sie soll so leben dürfen wie sie will. Effektiv zerstört die Situation momentan das Familiengefüge, weil es um sie sehr viel Diskussionen und Streit gibt, gerade, weil sie sehr widersprüchlich agiert je nach Kontakt.

Gesetzlichen Betreuer muss ich mal googeln. Vielleicht könnte man damit den Druck aus der Familie bekommen.

Eine Entmündigung wäre vermutlich sowieso nicht hilfreich gewesen. Das gäbe noch mehr böses Blut und mal ehrlich, entmündigt oder nicht, es kann sie ja keiner damit zwingen tagsüber wach zu sein oder Tabletten zu nehmen.

Ich weiss gar nicht auf was ich hoffe, eigentlich vor allem Erfahrungswerte glaub ich.

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Wie schokofrosch schon schrieb: es gibt keine Entmündigung. Das ist abgeschafft.

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Hallo,

wie alt sind die beiden? Wer ist zugänglicher? Kennt ihr evtl. den Hausarzt falls vorhanden? In welchem Verhältnis stehst du zu dem Ehepaar?

Viele Grüße

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Hallo,

Ende 70, Hausarzt vorhanden aber ohne Reaktion auf Ansprache des Problems, engere Familie.

Ändert die Info was für dich an der möglichen Herangehensweise?

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Okay.
Es ist wie es ist, es hat jeder das Recht auf sein Leben. Für euch heißt es auf einen Krankenhausaufenthalt warten und einen Schlachtplan zu entwerfen. Gibt es aus guten Zeiten noch Patientenverfügung und Vollmachten? Wer wäre bereit die Betreuung zu übernehmen? Wohin mit Person zwei, wenn Person eins im KH? Wo ist die nächste geriatrische Reha? Welche Altenheime kämen in Frage? Wie lang ist die Wartezeit? Evtl. das Geldinstitut sensibilisieren bzgl. ungewöhnlicher Kontobewegungen. Kontakt zu Demenzgruppen, Beratungsstellen aufnehmen.
Ansonsten, den Menschen nehmen wie er ist. Du kannst ihm seine Wahrnehmung nicht nehmen, aber du kannst damit arbeiten. Alles gegen reden führt nur zu einer Eskalation der Situation. Regelmäßig vorbeischauen und grob orientierend die Lage checken. Beim Kaffee schauen, ob die Handlungsplanung, Ernährungszustand, Allgemeinzustand und die Orientierung noch passt (Blick in den Kühlschrank).
Mir ist bewusst, dass eure Lage hart, zermürbend und traurig ist.

Bei weiteren Fragen gerne. Ich arbeite in der geriatrischen Reha als Therapeutin.

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Ich kenne das von meinem Vater.
Und es tut mir leid, aber solange es keine Diagnose wie zB Demenz oder ähnlich Schwerwiegendes gibt, das nahelegt, dass ihre Urteilsfähigkeit eingeschränkt ist, oder sie nicht mehr selbstständig leben können, weil beispielsweise das Haus vermüllt ist oder sie das Bett nicht verlassen kann, werdet ihr nicht wirklich was machen können.
Ich weiß nicht, wie nahe ihr verwandt seid, vermute aber, es handelt sich um deine Mutter oder Schwiegermutter, allenfalls Tante. Wenn ersteres oder zweiteres, würde ich ihren Hausarzt ins Vertrauen ziehen, wenn sie überhaupt einen hat..
Im Grunde kann man nur abwarten und Hilfe leisten, so weit man es schafft oder will.
Traurig, aber wahr.

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Es tut mir leid wegen deinem Vater. Wie geht ihr damit emotional als Familie um?

Bei uns möchte jeder helfen, Vorwürfe zu mangelnder Unterstützung werden dauernd gemacht, aber nichts wird angenommen oder umgesetzt. Alle Beteiligten sind inzwischen ziemlich überfordert mit der Situation, es wird durch die unkoordinierten Hilfeversuche nur noch schlimmer für alle. Abstimmung ist kaum möglich, weil da ganz verschiedene Vorstellungen von Hilfe aufeinander prallen. Von Aktionismus über Trost spenden bis forsche Anreden ist alles dabei, alle glauben Recht zu haben, keiner findet gut was die anderen tun.

Es hat zu viele Auswirkungen, um ignoriert zu werden, ist aber zu schwammig für ein benennbares Problem, gerade, weil kein Arzt überhaupt in die Nähe kommen darf für eine ernsthafte Untersuchung.
Körperliches lässt sie akut unter Protest untersuchen, aber nicht behandeln, psychisches auf gar keinen Fall. Es wird also keine Diagnose geben, ausser es ist etwas massives.

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Ich finde es dennoch gut, dass ihr mehrere seid, vor allem langfristig macht es das leichter.
Mein Vater lebte nach dem Tod meiner Mutter alleine, er ist seit 6 Jahren tot. Bei ihm kam dazu, dass er Alkoholiker und schwerst lungenkrank war.
Und ja, ich habe ihm einige Male die Ambulanz vorbeigeschickt, wenn er mich dann im Ernstfall doch panisch anrief, aber ins Telefon japste: Keinen Arzt, ich mach ihm nicht auf, ich erschieße ihn (!) Er war Offizier, hatte eine Waffe, es war völlig verrückt.
Ich hab dann immer den Notarzt angerufen, dass mein Vater Hilfe braucht, aber eine Waffe im Haus hat und verrückt und besoffen ist. Die mussten mit der Polizei kommen, um ihn untersuchen zu können. Danach kam er jedesmal auf die Intensivstation.
Das Notfallarmband bekam er zu Weihnachten, er schmiss es auf den Boden und weigerte sich es zu tragen. Ich versuchte ihn zu überreden, hab ihm Szenarien erzählt (plötzlicher Sturz),Monate lang. Ich wohnte mit meinen Söhnen und meinem pflegebedürftigen Exmann 30 km entfernt in der Großstadt und zerriss mich seit Jahren zwischen Kids, Mann und anspruchsvollem Job.
Das Armband wurde nie getragen. Und irgendwann stürzte er. Betrunken und mit einem leichten Schlaganfall.Kam nicht hoch, sein Handy lag im anderen Zimmer, er kam 12 Stunden bis die Betreuerin kam, nicht ran (wie ich es befürchtet hatte). Durch das lange Liegen auf einer Stelle und den Druck gingen massenhaft Muskelzellen zugrunde, die Proteine usw fluteten auch seine Nieren und führten zu Nierenversagen.
Ja, so war das. Er tat mir leid, ich habe mehr als alles versucht, obwohl unser Verhältnis miserabel war und ich eh schon ziemlich am Sand war nach 14 Jahren mit dem kranken Mann.
Aber er konnte und wollte nicht, war trotzig, gemein und versoffen.
Und er war nicht dement, also war es seine Entscheidung, immer wieder. Es ging ihm um Widerstand, glaube ich: NICHT zu tun, was ihm geraten wurde.
Und ja, ich habe irgendwann resigniert. Jeder, der geistig da ist (auch wenn er säuft), hat das Recht sich auf seine Weise das Leben schwer zu machen, auch sich auf Raten umzubringen.

Ich wünsche euch alles Gute und starke Nerven.
Und passt hauptsächlich auf euch und eure Grenzen auf.

Bearbeitet von survived
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man kann einen Pflegedienst informieren, das könnte aber nach hinten losgehen.
eine betreung übers Amt muss bezahlt werden, und ist eher nicht günstig.
Ich bin das seit 35 Jahren beim Onkel meines Mannes

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Wie meinst du einen Pflegedienst informieren? Sowas kann man ja nicht gegen ihren Willen beauftragen, oder?
Betreuung übers Amt wäre dann sowas wie familieninterne Pflege? Oder sowas wie ein Beistand für z.B. Gesundheitliches?

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Du kannst einen Antrag auf Einrichtung einer rechtlichen Betreuung beim Amtsgericht stellen. Da gibt es Vordrucke. Dazu kannst du auch eigentlich noch deinen Text von oben als Anlage nehmen. Die müssen das ermitteln und schicken zunächst einen Sozialarbeiter hin. Es kann auch ein psychiatrisches Gutachten mit Zwang erstellt werden. Wenn sie schon so krank ist, dass die freie Willensbildung aufgehoben ist (das kann nur der Psychiater feststellen), dann kann auch gegen ihren Willen ein Betreuer eingesetzt werden. Das kann jemand aus der Familie sein. Wenn da keiner zur Verfügung steht oder es zu Konflikten kommt, kann ein Berufsbetreuer eingesetzt werden.

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Danke dir für die Erklärung. Das ist wohl der letzte Schritt für wenn es noch weiter eskalieren sollte.
Es wird wohl schwierig werden, als Laie den Punkt zu finden, wann sie offiziell nicht mehr für sich Verantwortung tragen können.

Schlimm ist, dass es schon jetzt grosse Auswirkungen auf das Leben der engen Familie hat, insbesondere ihren Mann, der aber mit den Veränderungen und der Hilflosigkeit total überfordert ist.

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Nein, ich würde es jetzt schon angehen. Da gibt es noch weitaus weniger gravierende Fälle, die auch einen Betreuer haben. Wenn jetzt nichts bei rauskommt und es schlimmer wird, kann man immer wieder einen neuen Antrag stellen.

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Hat die Frau vielleicht Demenz oder Alzheimer? Dazu passen die von dir beschriebenen Symptome und das Verhalten

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Ich möchte nicht mutmassen, ich bin kein Arzt.
Demenz, Depression, Altersstarrsinn… vielleicht ist es auch alles noch im normalen Spektrum…wir können das nicht beurteilen.

Das einzige was ich sagen kann, ist, dass ihre Schwester seit Jahren die Diagnose Demenz hat. Es könnte familiär eine Neigung vorhanden sein.

Selbst wenn, sie lässt sich nicht untersuchen.

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Das klingt ein wenig nach meiner Oma. Was du hier beschreibst kann ein eindeutiger Hinweis auf Demenz sein. So ähnlich hat es sich damals bei meiner Oma dargestellt:
- Alle sind böse zu ihr. Alle wollen ihr nur Böses.
- Keine Zusammenhänge mehr herstellen können.
- Zu grossen Teilen agressiv. Sie wurde teilweise richtig bösartig - obwohl sie eigentlich die liebste Oma der Welt war.
- Der Tagesablauf bricht völlig zusammen.
- Verschiedenste Dinge an völlig untypischen Orten verlegen und dann erzählen jemand hätte es ihr weggenommen/versteckt usw. (z. B. Gebiss zum Schuhputzzeug)
- Erzählungen Geschichten spielen sich nur noch in der Vergangenheit ab

Später kamen dann noch Aktionen dazu wie:
- Nackig durchs Mehrfamilienhaus laufen.
- Mit Wasser gefüllte Lampenschirme versuchen an zu schrauben usw.

Es wurde am Ende wirklich gefährlich. Bevor dann noch etwas später die körperlichen Einschränkungen bekommen haben.


Wenn sie sich nicht untersuchen lassen möchte, dann könnt ihr leider wenig machen. Was ihr aber jetzt unbedingt auf den Weg bringen solltet, wo sie noch "halbwegs" okay ist, sind Vollmachten, Patientenverfügungen usw. Irgendwann wird der Punkt kommen, wo ihr Handlungsfähig sein müsst, weil sie es nicht mehr ist. Und dann müsst ihr es dürfen. Sonst bestimmen andere über sie.

Bearbeitet von Inaktiv