Hallo Zusammen,
heute schreibe ich mal hier , weil mich etwas sehr traurig macht .
Ich hatte mit meinem Mann eine Ehekrise, die letzten Endes zur Trennung führte . Meine Schwester war hier meine erste Ansprechpartnerin, ich habe über alles mit ihr gesprochen .
Zur Vorgeschichte; wir haben 15 Jahre Altersunterschied. Sie 58, ich 43. Etwa als ich geboren wurde , ist meine Schwester in die Drogenszene abgerutscht . Erst Cannabis und Kokain , letztlich Heroin und alles was man sonst noch so konsumieren kann. Sie ist politoxikoman und bipolar. Seit 1994 ist sie im Methadon Programm. Dass sie noch lebt gleicht eigentlich einem Wunder . Inzwischen ist es so, dass sie regelmäßig zwischen geschlossener Psychiatrie und Tagesklinik wechselt.
Zu Hause war sie immer willkommen . Ich hatte trotzdem immer Achtung vor ihr, meiner großen Schwester . Obwohl ich ihre kalten Entzüge gesehen habe , obwohl ich mir meiner Mutter über den Straßenstrich gefahren bin um sie zu suchen. Es sind viele Dinge vorgefallen und es war immer schwierig mit ihr . Oft taucht sie einfach Wochenlang ab, reagiert nicht auf Anrufe oder Nachrichten , das kennen wir eigentlich schon . Meistens meldet sie sich spätestens dann wenn das Geld wieder knapp wird.
Sie entschuldigt sich immer und sagt sie versteht es selbst nicht , sie hätte soviel Scham in sich, dass sie oft mit uns nicht sprechen kann .
Nun seit der Trennung bzw der Krise davor , was sie durchgehend telefonisch für mich da, hat mich aufgebaut und mir wahnsinnig gut geholfen . Ich war wirklich dankbar und habe einen einmaligen Einblick in ihr Seelenleben bekommen und sie in meines . Ich hab das sehr genossen , auch wenn die Umstände ätzend waren .vor 2 Wochen war sie sogar hier für 3 Tage .
Vor einer Woche kam dann plötzlich eine Sprachnachricht in der sie ganz übel über meinen Mann geschimpft hat . Er sei ein Ar... Der unsere Tochter kaputt macht und am liebsten würde sie ihm jemanden vorbeischicken, der ihm mal zeigt wo es lang geht (höflich ausgedrückt ) oder sie würde ihm direkt eine rein hauen . Ich kann das alles gar nicht so genau wieder geben. Ich habe ihr allerdings nie etwas Böses über ihn gesagt . Er ist auch nicht böse , wir haben es einfach nur beide verbockt und für unsere Tochter machen wir gerade das Beste draus .
Ich hab ihr dann noch geantwortet wie ich das sehe , aber meine Nachricht hat sie gar nicht erst mehr abgehört und seitdem ist Funkstille . Ich hab ihr noch ein paar Mal geschrieben aber sie liest es nicht mal mehr .
Ich weiß gar nicht so genau , was ich mir hier erhoffe , aber es macht mich gerade einfach nur unglaublich traurig , auch wenn ich dieses Verhalten schon kenne .
Schwester wieder mal untergetaucht
Hallo Felina,
du hast geschrieben, deine Schwester hätte eine bipolare Erkrankung als Folge ihrer jahrzehntelangen schweren Suchterkrankung.
Der plötzliche Wechsel von Zuneigung und Kümmern hin zum Abtauchen und Ghosten könnte nach meiner Meinung gut in den Rahmen einer bipolaren Störung passen.
Überhaupt würde ich bei diesem Vorleben und den Vorerkrankungen deiner Schwester auf keinen Fall rationale Verhaltensmuster oder gar eine ausgeglichene Emotionalität erwarten.
Ich interpretiere ihr von dir geschildertes Verhalten eher als Ausdruck ihrer tiefgreifenden Erkrankung.
Auch wenn es dir wahrscheinlich gerade nicht hilft: ich glaube, würdest du mir die Geschichte Angesicht zu Angesicht erzählen, würde ich dich umarmen.
Zunächst möchte ich dir und deinen Eltern meinen großen Respekt aussprechen, dass ihr so für sie da seid und sie nie habt fallen lassen. Einem Suchtkranken einen solchen sicheren Hafen zu bieten kostet viel, viele Emotionen, Kräfte und wahrscheinlich auch Geld.
Deine Schwester ist seit 40 jahren Drogenabhängig. Wie du schon sagst, es ist ein Wunder, dass sie noch lebt. Aber ihr Körper wird in allen Bereichen schaden haben,auch in den hirnstrukturen.
Dazu ihre bipolare Erkrankung (was war zuerst da?). Solche radikalen Wechsel im Verhalten und Gedankengang gehören dazu. So hart es ist.
Auch wenn sie deine Schwester ist und sie in guten Phasen eine Bereicherung für dein Leben ist, ist da eben auch die Sucht. Und die macht sie unberechenbar.
Vielleicht solltest du dir überlegen, wie weit du sie in deine Gedanken und Sorgen lässt. Das heißt ja nicht , dass du sie komplett aus deinem Leben streichen sollst. Aber eben gewisse Themen auslassen. Wie deine Beziehung und deinen Partner.
Für wie real hältst du ihre Ankündigung, deinem (Ex?) Mann etwas anzutun?
Hast du Unterstützung für dich? Jemandem, mit dem du dich austauschen kannst?
Ich wünsche dir Kraft für all das, was kommt.
Vielen Dank für deine Antwort:)
Heute geht man davon aus , dass die bipolare Störung zuerst da war , da diese wohl meist schon in sehr jungen Jahren Auftritt. Sie wird wohl nur anfangs verkannt , weil die manischen Phasen anfangs überwiegen und die depressiven Phasen erst später häufiger werden . Vieles war wohl durch den Drogenkonsum auch unentdeckt .
Ich nehme es ihr auch nicht ernsthaft übel . Sie ist kein schlechter Mensch , sie ist "nur" krank und das wird sich sicher auch nicht mehr ändern .
Für die Familie war's oft schlimm. Meine Mutter hat 2 mal versucht sich das Leben zu nehmen . Ich hatte als Jugendliche eine Wahnsinns Angst , ich könnte auch in solche Kreise geraten weil mir als Kind erklärt wurde "das kann jedem passieren , wenn man an die falschen Freunde gerät".
Aber egal wie sie sich verhalten hat , egal wie tief sie gerade im Sumpf steckte, wenn ich sie brauchte war sie immer da. Leider lässt sie nicht zu, dass wir für sie da sind . Wenn sie mal wieder im Krankenhaus war , erfahren wir das immer erst hinterher . Inzwischen kommen ja zu den seelischen Leiden auch viele körperliche ( COPD, chronische Enzephalitis, Hepatitis C) .
Sie hat mal gesagt sie will nicht mehr leben . Aber sie will warten bis unsere Eltern gegangen sind , weil sie nicht will, dass sie noch ein Kind beerdigen müssen . Und wenn das so kommt , dann habe ich nur noch meine Tochter als Familie.
Dass sie meinem Mann ernsthaft was tut oder jemanden dahin schickt glaube ich nicht . Sie mag ihn ja eigentlich und weiß dass er mir immer gut getan hat, auch jetzt noch . Aber sie neigt auch zu cholerischen Anfällen, wohnt aber auch 300km weit weg.
Wahnsinn, was du alles miterleben musstest.
Ich möchte die Nochmal nahelegen, dass auch du Hilfe in Anspruch nehmen kannst/sollst.
Du hast viel mitgemacht und ja, du solltest dich eben auch darauf vorbereiten, dass ihre Erkrankungen und die Sucht sie Irgendwann umbringen.
Deine Eltern und du, ihr habt über 40 Jahre wahnsinniges geleistet. Ihr habt sie nur untergehen lassen, egal wie tief sie im Sumpf steckte. Das was ihr da geleistet habt, schaffen nur die wenigsten. Aber es hat eben auch eure Kräfte geraubt. Deine Mutter hat zwei mal versucht, auszusteigen.
Hattet ihr Hilfe? Selbsthilfegruppe? Therapeuten?
Ich würde dir gerne etwas sagen, dass dir hilft. Wirklich. Fühl dich unbekannterweise nochmal umarmt.
Wow, ihr habt etwas geschafft, was viele nicht mal im Ansatz hinbekommen. Ihr habt über Jahrzenhnte eine Verbindung aufrecht erhalten, trotz der extremen emotionalen Belastung, die das für euch alle bedeutet. Deine Familie hat meinen größten Respekt, ihr seid sicherlich auch der Grund, das sie so weit kommen konnte.
Trotzdem oder gerade deswegen....deine Schwester ist schwerkrank. Ich kann mir also gut vorstellen, das die Zeit, in der sie dir Kraft geben konnte und wollte, für sie selber unsagbar antrengend war. Von daher bewerte ich ihren "Ausbruch" ein wenig anders.....nämlich, das es gar nicht darum geht, WAS sie dir da als Sprachnachricht hat zukommen lassen, sondern das es auch sie sehr bewegt hat, aber jetzt selber am Limit ist. Ich glaube einfach, das sie mit der Nachricht, dir noch mal einen Schub geben wollte, weil sie dich jetzt nicht mehr weiter unterstützen kann. Vielelicht spielte auch ihre eigene Vergangenheit mit rein, ein persönlicher Groll gegen Männer (sie hat da sicherlich einiges an negativer Erfahrung hinter sich), gegen das Verlassen werden, gegen das im Stich gelassen werden.
Ich denke wirklich, das du nicht traurig sein brauchst, sie hat dich bis zu einem bestimmten Punkt versucht zu stärken.....jetzt kann sie nicht mehr. Vermutlich kann sie das aber nicht aussprechen, von daher dieser Schuß gegen deinen Mann.
Habt ihr eigenltich als Familie auch in den letzten Jahrzehnten Hilfe und Unterstützung von Außen gesucht? Ihr alle tragt da ein verdammt schweres Paket, ich bewundere euch für eure Kraft und Stärke. Und ich bin mir sicher, das deine Schwester genauso denkt. Sie wird sicherlich auch von sich enttäuscht sein, das sie dir nicht weiter beistehen konnte.
Schau auf das, was sie dir geben konnte und nicht auf das, was sie jetzt nicht geben kann.
Ich wünsche euch allen alles Gute.