Ich bin chaotisch, sagt ja der Titel schon. Schon immer. Mein Schulranzen sah meist aus wie Bolle. Meine Schrift war schlecht. Ich bin ziemlich zerstreut und vergesslich. Mein Vater ist auch so. Meine Schwester ebenfalls. Meinem Vater wurde das "unordentlich sein" in der Kindheit mittels Schlägen abtrainiert, er ist seither zwanghaft ordentlich, wird bei jedem Flusen nervös. Aber er vergisst dauernd irgendwo etwas, seine Sekretärin trug ihm in der Arbeit alles hinterher und wir suchten immer seine Sachen.
Ich selbst kann nur sehr schwer Ordnung halten. Alles, was bei anderen Leuten so nebenbei geht, fällt mir enorm schwer. Beispiel: Tasche. Immer nehme ich mir vor, sie sofort an den Haken zu hängen. Dann ist irgendwas und es ist aus dem Sinn. Und wenn ich aus der Wohnung gehen will, ist sie wieder nicht da und die gesamte Familie sucht. Oder, wenn ich mir vornehme, die Wäsche zu verräumen, läuft das oft so: Ich räume die Wäsche in das Zimmer vom meinem Großen. Dort sehe ich einen krümeligen Teller, räume ihn in die Küche. Dort sehe ich, dass die Geschirrspülmaschine auch ausgeräumt gehört. Während ich das tue, sehe ich, dass die Besteckschublade auch mal wieder ausgewischt gehört etc. pp. Am Ende 10 verschiedene Arbeiten halb gemacht.
Ich hasse mich wirklich dafür, dass ich so bin. Bin so unglücklich deswegen. Ich hab eigentlich alles, einen netten Mann, 3 tolle Kinder, eine gute Familie, ein Haus mit Garten. Aber ich bin meist angestrengt und gestresst und dadurch unglücklich. Wenn ich eine Schublade mit lauter Kleinkram-Teilen vor mir sehr, könnte ich heulen. Als hätte ich lauter Knoten im Kopf.
Ich war schon bei der Psychiaterin deswegen. Diagnose ADS. Tabletten halfen nur wenig, hatten dafür Nebenwirkungen. Ab und an nehme ich sie noch, aber die Wirkung ist nicht durchschlagend.
Habe 2 Psychotherapien gemacht. Die halfen schon irgendwie, ich gelte als extremst zuverlässig und organisiert. Nur als im Haushalt chaotisch.
Es ist einfach alles so anstrengend und wenn es mir mal schlechter geht, bricht alles, was ich mir an klarer Struktur aufgebaut habe wieder zusammen.
Auch Stimmengewirr oder viele Anforderungen gleichzeitig machen mich total fertig. Schon als Kind wurde mir samstags im Kaufhaus immer übel.
Kennt das jemand und hat noch ein paar Tipps für mich?
Ich bin so chaotisch und zerstreut - und das macht mich so unglücklich
Es klingt als ob du enorme Ansprüche an dich stellst, deine „Leistungen“ mit den der anderen vergleichst. Der Druck steigt, bis du noch fester in der Spirale bist.
Ich denke, da hilft es, bei jeder Aufräumaktion zu denken, dass du die aktuelle Aufgabe jetzt fertig machst. Bewusst nicht nach links und rechts schauen, kein Multitasking versuchen. Das geht eh nicht. Qualitätsarbeit entsteht nicht durch Multitasking, im Gegenteil. Versuche dein Bewusstsein zu stärken für deine momentane Priorität. Übe das, bis es sich einpendelt. Denn auch wie du jetzt vorgehst ist lediglich ein angelerntes Muster.
Mir hilft es zu wissen, dass ich „hangry“ werde, wenn ich von Aktion zu Aktion springe. Ich bin erschöpft, kriege Hunger und werde unausstehlich. Das versuche ich zu vermeiden, stampfe beim inneren Ablenkungsversuch auf und sage mir bestimmt: „Nein, jetzt bleibst du kurz hier und machst es fertig!“ Natürlich wenn die Ablenkung nicht durch echte Notfälle ausgelöst wird 😎.
Dinge wie Handtasche stelle ich immer an derselben Stelle ab. Sonst finde ich sie garantiert nicht mehr. Ich will aber nicht immer wieder ewig suchen, also: fester Platz. Das geht soweit, dass ich es nicht mag, wenn andere Familienmitglieder meine Sachen nehmen/deplatzieren. Mein Mann meint manchmal, ich teile nicht gern 🤨. Dabei will ich lediglich den Überblick nicht verlieren. Denn das würde zu Zeitverlust führen und Zeit ist kostbar! Er selbst verteilt die Inhalte seines Werkzeugkastens (habe den Werkzeugkasten schon Jahre nicht mehr gesehen) überall im Haus und muss sich bei einem neuen Projekt zunächst aus vier Stockwerken alles wieder zusammensuchen. Oder er fängt mit etwas an und merkt mittendrin, dass ihm etwas Wesentliches fehlt. Er macht sich das aber irgendwie nie zum Stress.
Das Problem fängt also im Kopf an. Überlege dir 1-2 (nicht mehr!) Strategien, die dir nachhaltig helfen würden und halte dich an diese. Viel Glück und Durchhaltevermögen!
PS: Deine familiäre Veranlagung würde ich nicht zu fest als Thema präsent halten. Diese Denke sendet dir das Signal: Ich bin deswegen so und kann es eh nicht besser. Das solltest du beginnen wegezuschieben. Du bist du und schaffst es.
Ja, das ist es ja aber. Ich habe für die Tasche extra einen Haken. Aber dann ist beim Heimkommen wieder irgendwas. Kleinkind muss Pipi, mittleres Kind jammert wegen Haus, es sagt irgendjemand was. Und es ist weg aus meinem Hirn. Und ich finde die Tasche später im Bad (wo ich sie zur Hilfe beim Pipi machen abgestellt habe) ohne die geringste Erinnerung daran.
Ich bin genau so wie du, und zwar sowohl zu Hause als auch auf der Arbeit. Also habe ich mir meinen Trick von der Arbeit mit heimgeholt: ich arbeite eine Sache zuende (außer etwas ist wirklich dringend) und ALLES, was mir währenddessen einfällt, kommt auf meine To Do Liste, also selbst so etwas wie der Krümelteller und die Küchenschublade. Dann ist es aus dem Kopf, ich kann die Spülmaschine zuende ausräumen, und wenn ich das nächste Mal 5min habe, werden drei Sachen von der Liste erledigt. Ich habe das als Notiz auf dem Handy, wenn du nicht immer ein Handy dabei hast, leg dir Zettel und Stift in jeden Raum!
Viel Erfolg von einem Scatterbrain zum Nächsten!
Eine gute Idee, aber ich hab mich schwer im Verdacht, dann sogar die Zettel zu verlegen
Häng doch in jedes Zimmer so einen Zettel auf mit Stift dran. Da kannst du immer sofort aufschreiben, wenn dir was einfällt, was zu tun ist. To Do-Listen sind wirklich hilfreich. Dann vergisst du auch die Wäsche nicht (du siehst ja beim Abhaken, ob der Punkt gemacht wurde oder nicht).
Hi,
deswegen gehe ich so gerne arbeiten..................da bin ich so, wie ich früher war.
Ich bringe das Ding, was ich am machen bin, zu Ende, fertig.
Seit ich Kinder habe, fange ich auch 12 Baustellen an, wo ich so darüber stolper, und am Ende des Tages, ist nichts geschafft............außer ich, und ich habe noch schlechte Laune.
Ich bekomme es daheim nicht mehr hin.
Ich war 3 Monate arbeitssuchend daheim, es sieht schlimmer aus, als vorher....................
Du bist nicht alleine!
Aber helfen, kann ich Dir nicht.
Gruß
Hi
Ich bin exakt genau wie du, nur ohne dass es mich fertig macht. Bin da eher entspannt, ich bin wie ich bin und das gehört einfach zu mir, ändern könnte ich es eh nicht.
Ich versuche aber auch, wie auf der Arbeit, immer wieder mit mir selbst zu reden und erinnere mich daran, erst die eine Sache fertig zu machen.
Öfter schreibe ich mir zwischendurch Sachen an mein Board am Kühlschrank, was ich noch machen möchte, was mir so zwischendurch einfällt, damit es mich nicht ablenkt.
Das klappt nicht immer. Z.B. ich gehe in das Kinderzimmer zum Lüften und statt zu lüften trage ich dreckige Socken ins Wäschezimmer. Unten fällt mir dann irgendwann ein , nachdem mit dir fertige Spülmaschine in den Weg gekommen ist, dass ich ja lüften wollte. Dann mache ich die Fenster auf, gehe nach unten und Stelle eine Waschmaschine ein, dabei fällt mir ein, dass ich ja die Spülmaschine gar nicht fertig ausgeräumt habe. Zwinge mich die Wäsche fertig einzustellen und dann räume ich die Spülmaschine aus, wenn mir nicht gerade einfällt fertige Wäsche zusammen zu legen. So ist das bei mir. Ich denk mir da immer, jeder Schritt hält fit und irgendwie ist am Ende doch alles irgendwie gemacht, nur etwas durcheinander 😅
Manchmal frage aber ich mich, ob das schon Demenz ist. Aber eigentlich bin ich schon immer so.
Wie gesagt, es hilft sich daran zu erinnern, Sachen fertig zu machen, bzw sich selbst zu zwingen erst danach andere Sachen zu tun.
Dann hilft aufschreiben, To do Liste.
Ich höre oft entspannte Musik (ich höre immer instrumentale und schöne klassische Musik, wie Filmmusik) beim Kochen oder Hausarbeit, da stört mich der Lärm nicht so im Haus und irgendwie kann ich mich dabei besser konzentrieren.
Ich finde so ein gewisse Schusseligkeit eigentlich ganz süß, so lange es einem nicht total im Weg steht.
Sei nicht so hart zu dir. Ich verstehe, dass du gerne einen geordneten Kopf hättest und es nicht wie im Bienenstock sein soll.
Aber so sind wir, du bist nicht alleine. Ich finde es liebenswert und meistens sind so chaotische Menschen kreativ und total nette Menschen.
Wir sind nicht alle gleich und das ist völlig in Ordnung.
Versuche dich selbst zu akzeptieren und lieben zu lernen.
Alles Gute
Lilly
Waren die Psychotherapien auf ADS abgestimmt oder allgemein psychotherapeutisch?
Wie wurdest du über Medikation aufgeklärt? Gibt es Alternativen?
Ich selbst habe ADHS
Medikation hilft bei mir sehr gut. Allerdings wurde mir direkt gesagt, dass es nicht automatisch so ist. Es gibt (inzwischen) verschiedene Präparate mit verschiedenen Wirkstoffen.
Nicht jedes ist für jeden geeignet.
Je nach Aufklärung würde ich da noch mal abwägen. Wenn keines in Frage kommt, fällt diese Option raus. Falls ein anderes Präparat in Frage kommt, wäre es evtl. eine Option.
Manche Ärzte kennen sich super aus, manche gar nicht. Das können alles Psychiater sein. Nur haben auch da jeder so ihre Fachgebiete, wo sie mehr oder weniger oder keine Erfahrung haben.
Wie sah die Therapie aus? Auf AD(H)S zugeschnitten?
Mir hat eine gezielte ADHS Verhaltenstherapie sehr geholfen.
Es gibt verschiedene Therapieformen.
Was für den einen gut ist, muss für den anderen nicht passen.
ADS ist ein Fisch unter Vögeln. Wenn Therapeuten auf Vogel soll fliegen therapiert wird es schwierig. Seit ich eine Fisch lernt im Wasser schwimmen Therapie hatte, geht es mir besser und im Alltag leichter.
Hier schließe ich mich an.
Ich habe auch adhs und weiß, wie sich das Chaos im Kopf anfühlt. Es ist mehr, als bloß zerstreut zu sein.
Vielleicht hast du noch nicht die richtige Medikation gefunden, liebe TE.
Unbehandelt kann ads auch zu Depressionen führen, daher würde ich dir raten, dich nochmal an die Ärztin zu wenden.
Glaub mir, ich kenn das genauso. Ich habe im letzten halben Jahr 2 Autoschlüssel verloren, 3 EC-Karten, eine gesamte Handtasche und 2 Handys geschrottet. Das alles passiert mir, weil ich versuche 20 Dinge gleichzeitig zu machen und mit dem Kopf immer schon beim nächsten bin.
Wenn ich ganz alleine bin, geht’s. Aber sobald Menschen um mich rum sind, die was wollen, drehe ich frei und verzettele mich. Lustigerweise passiert mir das auch nur im privaten Bereich. Auf der Arbeit vergesse ich nie einen Termin und bin straff organisiert…
Im Haushalt hilft es mir, manchmal, mir bewusst Zeiträume mit mir selbst auszumachen: die nächste halbe Stunde nur Bad, dann 30 Minuten nur Wäsche… klappt manchmal und oft nicht. Am besten fahre ich mit Hausputz, wenn alle weg sind und ich mich vollkommen darauf konzentrieren kann.
Ich merke mittlerweile, wenn ich innerlich zu hochtourig laufe, denn das ist bei mir sicher das Kernproblem: ich überhitze mental wie ein Motor ohne Wasser… mittlerweile ahne ich: heute ist ein Tag mit Handyzerstrottungspotenzial. Was mir dann am besten hilft: Stecker ziehen, z.B. sich mal eben 20 Minuten alleine in einen Raum legen und nichts machen oder meditieren… aber dazu hat man ja nicht immer Zeit… wobei: nach hinten raus lohnt es sich, weil ich danach mehr Fokus habe.
Schlussendlich werde ich aber im Privaten ein Schussel bleiben und nie die Frau sein, die nie was verliert. Ich kalkuliere ein monatliches Budget für Shit happens…
Wie du macht mir Reizüberflutung zu schaffen. In Supermärkten wird mir zwar nicht schlecht, aber schwindelig und kürzlich war ich in so ner Shoppingmall und habe festgestellt: das ist meine Definition von Hölle…
Die positive Seite von so reizoffenen Menschen ist, finde ich, dass sie dann doch viel mitbekommen. Ich bin mega darin, Stimmungen zu erspüren und Gesamtsituationen zu erfassen… und da bleiben halt manchmal nicht so viele Ressourcen übrig für die ordentliche Verstauung von Portemonnaies und Schlüsseln…
Ich mach’s mittlerweile wie Deichbrise: ich freu mich über meine Stärken und bin milde mit meinen Schwächen… die gehören halt zu mir.
Und parallel teste ich Überlebensstrategien: ich habe mittlerweile immer ein Zweithandy mit Datenbackup… und habe mir gerade in der Cyberweek 4 Airtags bestellt. Die kommen jetzt an Schlüssel, ins Portemonnaie und in die Handtasche und mit einem chip ich mein Kind… Scherz, aber gut wäre das. Das kommt nämlich ganz nach mir und geht manchmal auf längst bekannten Wegen verloren, weil’s halt schusselig ist.