Gestern wurde ja in Teilen Deutschlands, auch bei uns, vor starkem Unwetter gewarnt.
Irgendwie fing es dann an zu Gewittern, ziemlich zeitgleich bei meiner Mutter und bei mir. Ich gebe zu, ich hatte ziemlich Angst wegen des angekündigen Starkregens, da ich vor drei Jahren die Flut miterleben musste.
Meine Mutter, Witwe, schrieb mir gestern, früher sei ja ihr Mann noch zum Anlehnen da gewesen, aber sie habe jetzt total die Panik.
Ich gebe zu, es war KEINE Rache, dass ich nur zurück geschrieben habe, wir werden es beide überleben, und auf die Tränen-Emojis und weitere indirekte Hilferufe nicht reagiert habe.
Ich musste nur plötzlich daran denken, dass meine Schwester und ich als Kinder auch immer Angst hatten, der Blitz könne einschlagen und das Haus mit uns drin abbrennen. Meine Eltern gingen trotzdem abends aus, auch bei Gewitter, ließen uns Grundschulkinder allein, und meine Mutter sagte noch zu meiner Schwester, die ihre Angst zugab, sie solle sich nicht so anstellen.
Ich hatte Angst, dass wenn ich meine Mutter anrufen oder weiter mit ihr schreiben würde, dass ich dann irgendwann genau das erwähnen würde: ich hab auch Angst, die hatte ich als Kind schon, meine Schwester auch, und wir waren trotzdem bei Gewitter abends stundenlang allein. Mussten damit klar kommen, auch wenn es nicht schön war, also tu du es auch und hör auf, bei mir als Flutopfer Hilfe zu suchen.
Reiner Selbstschutz. Hätte ich das so erwähnt, hätte mich das emotional wohl total fertig gemacht, und meine seit 40 Jahren alkoholkranke Mutter hätte erst geheult und sich dann volllaufen lassen, falls das nicht eh schon passiert war.
Es ging mir um MICH, dass ich sie in der Situation nicht moralisch unterstützt habe, damit ICH nicht neben der Angst vor Starkregen noch mehr psychisch belastet werde.
Meine Therapeutin, die mich jahrelang begleitet hat, würde sagen, ich habe richtig gehandelt, trotzdem plagt mich nein Gewissen. Meine Mutter hatte Panik und ich "nur" Angst- aber sie hat doch in dem Moment mehr gebraucht als "wir werden es überleben" - auch wenn es letztlich genauso kam...
Bin ich eine schlechte Tochter?
Hallo Isabelle,
aus meiner Sicht bist du keine "schlechte Tochter". Erstmal bist du ein Mensch und kein Mensch ist perfekt.
Die Situation gestern hat dich ziemlich getriggert. Zu deinen eigenen aktuellen Ängsten kamen die Erinnerungen an alte Angst. Also hast du für dich gesorgt, so gut es ging. Daran ist nichts falsch.
Ja, vielleicht hat deine Mutter Unterstützung von dir erhofft. Du warst aber nicht in der Lage dich darauf einzulassen. Ein emotionaler Austausch hätte weder deiner Mutter noch dir was gebracht, im Gegenteil. Also alles richtig gemacht. Und mal ehrlich, "nur Angst" oder "Panik" deutet für mich darauf hin, dass du deine eigenen Gefühle manchmal weniger wichtig nimmst, kann das sein?
Dein "wir werden es überleben" hört sich für mich nicht leichtfertig an, sondern sagt im Subtext doch: Mir geht's auch nicht gut, aber hoffen wir das Beste. Offenbar hat deine Mutter überhaupt nicht's außer ihren eigenen Gefühlen wahrgenommen, deine zumindest nicht.
Pack das schlechte Gewissen in eine Kiste, leg ein Kuscheltuch dazu, schreib drauf "bitte nicht füttern!" und dann ab damit in den Schrank, ganz nach hinten.
Gut, dass ihr alle wohlbehalten seid!
liebe Grüße
Hm, ich verstehe euch beide. Sie hatte allein Panik, und du bist traumatisiert von der Flut. Als Mutter hätte ich dir ausdrücklich abgeraten, ins Auto zu steigen und zu mir zu fahren. Dort kannst du nicht viel für sie tun, aber du hättest dich in Gefahr begeben. Denkt sie nicht daran? Leider schwindet bei vielen mit zunehmenden Alter die Empathie, ich werde hoffentlich nicht so.
"Meine Eltern gingen trotzdem abends aus, auch bei Gewitter, ließen uns Grundschulkinder allein, und meine Mutter sagte noch zu meiner Schwester, die ihre Angst zugab, sie solle sich nicht so anstellen."
Unverantwortlich ohne Ende. Aber das würde ich ihr trotzdem nicht vorhalten, es ist ja nicht mehr zu ändern.
Aber grundsätzlich finde ich, dass alte Leute nicht allein sein sollten, aber anderes Thema...
Sie kann gut für sich sorgen, ist erst 69 und hat selbst mal gesagt, sie würde nie bei meiner Schwester oder mir wohnen wollen, auch wenn sie mal nicht mehr kann.
Ich würde sie ehrlich gesagt auch nicht aufnehmen, allein wenn sie wie damals auf die Idee kommt, total blau nachts aufzustehen, den Herd einzuschalten und sich wieder hinzulegen, muss das nicht unbedingt in meiner Wohnung sein. Von allem anderen mal abgesehen.
Bleib bitte dabei. Für dich. Die alkoholkranke Mutter im eigenen Haus würde dich vollkommen in die Falle des nie endenen Verantwortungsgefühls und schlechte Gewissen ziehen.
Hallo Isabelle,
du hast anscheinend so einige Traumata erlebt. Kindheit mit alkoholkranker Mutter und zu wenig emotionaler Sicherheit. Zuletzt die Flut 21.
Euer Telefonat hat wohl beides angerührt. Ein einfaches Telefonat und eigentlich einfache Sätze sind bedeutungsvoller geworden, weil bei dir viel dahinter steckt. Obwohl du anscheinend Therapie gemacht hast, habe ich den Eindruck, dass du noch nicht im Reinen bist mit deiner Mutter und deiner Haltung zu ihr. Wegen dieses Satzes:
"Ich gebe zu, es war KEINE Rache, dass ich nur zurück geschrieben habe, wir werden es beide überleben, und auf die Tränen-Emojis und weitere indirekte Hilferufe nicht reagiert habe."
Wenn du keine Rache üben wolltest, musst du nichts "zugeben". Aus dem "zugeben" spricht für mich etwas anderes: Du bist verdammt wütend auf deine Mutter, und das noch heute. Und stehst noch nicht ganz dazu. Gib es doch unumwunden zu: Deine Mutter hat euch verdammtnochmal im Stich gelassen und du hast jetzt keinen Bock, dich all zu sehr um sie zu kümmern. Sie soll sich selbst Hilfe und Absicherung fürs Alter suchen, du tust "das Nötigste" und hältst per Telefon Kontakt. Du hast verdammtnochmal genug mit dir zu tun.
Das ist mein Eindruck aus deinem Post, wenn es nicht der Wahrheit entspricht, überlies meine Antwort: Dein Post hört sich für mich noch etwas selbstmitleidig an. Das kommt meiner Erfahrung nach, wenn frau sich Wut und Aggressionen verkneift. Die haben Frauen aber genau so wie Männer, es kommt ja nur drauf an, dass ich sie nicht in Gewalt ummünze. Ich kann sie aber zur Abgrenzung meiner Gefühle nutzen. Und dann ist auch kein schlechtes Gewissen mehr, wenn die Mutter selbstmitleidig anruft und vergessen hat, dass die Tochter ein Fluttrauma hat.
Also, ich hab erst durch manche therapeutische Intervention zu meiner Wut gefunden, und das tut ganz schön gut, die (nur für mich) zu spüren, wenn ich mich ausgenutzt fühle. Vor allem gegen das konditionierte schlechte Gewissen, das in Wirklichkeit ja umgedrehte verkappte Eigenaggression ist und (berechtigt) zur Mutter gehört.
Ich gebe es zu... weil ich liebe sagen würde: " ich hätte ihr voll gern eins reingewürgt, aber dann werde ich womöglich enterbt" als zuzugeben, dass ich selbst mit der Sache ein Problem habe.
Ich weuss nicht, ob ich es verständlich erklären kann: Meine Mutter hat mich früher echt hängen gelassen. Obwohl ich ihr für zwei Dinge sehr, sehr dankbar bin.
Aber die Frau, die ich heute Mama nenne, ist für mich eine andere. Sie könnte auch Lena heißen oder Tante Anna oder so.
Ich weiss inzwischen vieles, weshalb ich einiges von damals besser verstehe, aber natürlich gibt es Dinge, die ich heute noch unmöglich finde. Aber die grabe ich normalerweise nicht aus, es sei denn, sie ist am Telefon wieder dicht und fängt wieder von meinem Vater an: ich will ja nicht lästern, aber der hat früher...
Im allgemeinen kann ich damit umgehen, manchmal, zb bei dem Gewitter, eben nicht.
Sie hst übrigens auch Freunde, ich bin also für sie nicht der einzige Mensch auf Erden.
Nö. Bist du nicht. Wäre das meine Mutter, würde ich ihr das trotzdem heute noch vorhalten. Wie schei*e ist das denn bitte, einem Kind zu sagen, es soll sich nicht anstellen, wenn`s draußen gewittert und mir mein Kind sagt, es hat Angst und ich geh fröhlich Party machen. Unmöglich. Und ja, in meinen Augen verjährt das nicht. Ich weiß sehr wohl, dass da mein inneres Kind dann sprechen würde, aber wäre mir dann egal, wenn mir meine erwachsene Mutter dann deswegen die Ohren volljammert
Guten Tag. - Ich habe einmal von meiner Mutter gehört, daß sie bestimmte Verhaltensweisen meiner Oma (also ihrer Mutter) gegenüber an den Tag legt, weil es eine bewußt-unbewußte Rache/Revanche/Retoure/Replik/Reminiszenz ist für gewisse rigorose/strikte/unnachgiebige Behandlung, die ihr in der Kindheit zuteil wurde. (Meine Omma war nicht Alkoholikerin, sondern stets erznüchtern und nach außen eine "Bilderbuchmutter".) Will sagen: Was Du neulich unter Umständen gefühlt haben magst, wurde wohl auch schonmal von andern gefühlt. Momentan opfert sich meine Mutter trotzdem total für die Pflege meiner betagten Oma auf, obwohl im Zorn sogar manchmal so Anwürfe kommen wie "Schlechte Tochter!". Familienbande, unlogisch, ich heiße es nicht gut...! - Alles Gute für Dich, wünsche ich Dir!
Interessant, was du schreibst denn den "Racheverdacht" hatte ich gerade bei meiner Mutter schon sehr oft. So nach dem Motto, nur als Beispiel: "ich bekam früher keine Schokolade, meine Eltern assen sie allein, und heute bin ICH es, die die Schokolade allein isst und due Macht hat zu bestimmen, dass meine Kinder zuschauen müssen. Schmeckt richtig gut unter ihren gierigen Augen."
Vielleicht hatte ich konfus geschrieben. Ob meine Oma gewisse Dinge gegenüber meiner Mutter gemacht hat, weil sie sich dafür rächen wollte, wie es ihr in der Kindheit erging (also bei meiner Ur-Oma während des 2. Weltkriegs), weiß ich nicht. Beachte bitte, daß ich den Rache-Aspekt bezogen hatte auf meine Mutter: Sie retourniert nun - durchaus mit schlechtem Gewissen und teilweise unbewußt - so manche Schandtat, die sie in der Kindheit erlebt hat durch meine Oma. Wie bei Dir, mit dem Gewitter. - Du weist ja den Rache-Aspekt Deinerseits kategorisch zurück; ist okay, ich will da nicht reinreden. Meinte nur, selbst FALLS es Anteile davon in Deinem Verhalten geben sollte, wärst Du nicht allein damit und bräuchtest Dich nicht gewissensmäßig zu zerbeißen. Du könntest mal die Möglichkeit in Erwägung ziehen, vielleicht ist es ja doch eine Art "Heimzahlen", ein hilfloses spätes Aufbegehren Deinerseits. Wie bei meiner Mutter. - Oh Gott, ist das alles persönlich; zum Glück sind wir hier nicht als Klarnamen unterwegs... Wieder alles Gute für Dich.