Ihr Lieben,
als ich letztes Jahr schwanger geworden bin, haben mein Mann und ich viel über unsere jeweilige Vergangenheit in der Kindheit gesprochen. Primär haben wir das aus dem Grund getan, dass wir nicht wollen, dass wir den selben Erziehungsstil wie unsere Eltern ihn bei uns gepflegt haben, auch unserer Tochter gegenüber ausleben.
Seit dem ich nun Anfang diesen Jahres Mama geworden bin, denke ich noch viel verstärkter an bestimmte Situationen aus meiner Kindheit zurück, die ich nicht verstehe.
Meine Mama ist sehr früh mit meinem Papa zusammengekommen und die beiden haben auch sehr schnell geheiratet und uns Kinder bekommen. Mein Papa war 24/7 arbeiten und meine Mama hat zuhause den Haushalt geschmissen und die Kindererziehung übernommen. Ausflüge, gemeinsame Spaziergänge, gemeinsames Mittag- oder Abendessen gab es nicht. Mein Papa war nicht wirklich präsent und wenn, dann immer nur sehr kaputt und ausgelaugt von der Arbeit.
Meistens bekamen wir Geschwister dann auch zuhören, wie kaputt er sich für uns (Familie) macht und er alles anders gemacht hätte in seinem Leben, als zu heiraten. Auch das er nur mit meiner Mama wegen uns Geschwistern zusammen ist und zusammen bleibt. Mein Papa litt zudem unter starken Depressionen und hat sich 1/2 mal versucht (davon weiß ich zumindest) das Leben zu nehmen. Auch das hat er uns Geschwistern erzählt. Er sagte dann immer, aber ich kann euch ja nicht alleine lassen. Wer sorgt dann um euch.
Meine Eltern sind seit 25 Jahren verheiratet und schlafen seit dem ich denken kann in getrennten Zimmern. Sich Liebende Eltern habe ich nicht erlebt und kenne ich auch nicht. Dementsprechend war die Situation bei uns zuhause immer schon angespannt. Ich erinnere mich noch sehr gut, dass ich als kleines Kind versucht habe, meine Eltern auf liebevoller Art und Weise näher zu bringen. Ich glaube nämlich, meine Mama war auch in so eine Art Depression gerutscht und hat tagsüber nicht sonderlich viel mit uns Geschwistern und vor allem meinem Vater gesprochen. Wenn er dann abends von der Arbeit zurückkam, so ausgelaugt und kaputt wie er war, hatte ich immer ein sehr schlechtes Gewissen gegenüber ihm, weil er sich ja so sehr für uns opfert. Mein Vater ist selbstständig in einem kleinen Betrieb gewesen und hat montags bis sonntags von morgens bis abends gearbeitet.
Jedenfalls erinnere ich mich dann an Situationen zurück, wo er wie gesagt abends sehr müde nachhause kam, und meine Mama nicht mit ihm geredet hat. Ich habe quasi von meinem Kinderzimmer gelauscht und wenn ich merkte, Papa versucht mit Mama ein Gespräch aufzubauen und sie antwortete mit keinem Wort und ignorierte ihn, rannte ich ins Esszimmer und versuchte die ,Stimmung aufzubauen‘. Das ist etwas beispielsweise, was mir sehr im Kopf geblieben ist. Dieses Gefühl von, ich muss die Familie retten.
Ich erinnere mich an Situationen, wo meine Mama sich im Wohnzimmer verbarrikadiert hat und sehr laut die Musik aufdrehte. Das Wohnzimmer hatte damals keinen Schlüssel und meine Mama hat die Couch vor die Türe geschoben. Wir Geschwister waren sehr klein und haben gegen die Türe geklopft und geschrien und versucht diese zurück zu schieben. Meine Mama schob zurück, ignorierte unser weinen.
Auch haben wir bei schlechten Noten/Leistungen die Bestrafung bekommen, dass wir von zuhause weg gehen mussten. Meine Mama hat demnach uns (Grundschulalter) die Tür vor der Nase zu gemacht und gewartet bis wir aus der Wohnung heraus auf die Straße laufen. Vom Fenster hat sie uns dann zurück gerufen.
Körperliche Gewalt gab es bei uns nie, jedoch sind sehr viele Sachen auf psychischer Ebene passiert die mich bis heute begleiten und die ich nicht verstehe. Ich glaube, dass meine Mama sehr überfordert mit allem war und auch deswegen so gehandelt hat. Nachvollziehen, kann ich es trotzdem nicht. Ich könnte niemals mich so gegenüber meiner Tochter verhalten.
Das war natürlich jetzt nur ein kleiner Teil. Es gab viele auch schöne Momente, jedoch merke ich, wie sehr ich noch an meine Kindheit gefesselt bin. Vieles prägt mein Leben jetzt. Unsere Familie hatte nie Freunde und alle waren böse, jeder hatte einen bösen Hintergedanken und will einem nur das schlechte.
Dementsprechend bin ich so (leider auch immer noch) durchs Leben gegangen und habe keine Freunde, wenige Bekanntschaften. Das alles will ich für meine Tochter nicht. Dieses voreingenommen sein, ich will irgendwie aber auch lange diesen Umschwung schaffen, kriege es nicht hin.
Entschuldigt bitte den langen Text.
Wie würdet ihr denn vorgehen? Ich würde auch gerne meine Eltern auf alles ansprechen, auch wenn es viele Jahre zurück liegt. Ich glaube nur, dass das in einem groß Streit ausarten würde. Die beiden sind keine einfachen Menschen und haben bspw. in der Schwangerschaft viele Monate nicht mit mir geredet, weil ich sagte, dass mein Mann und ich erst zuhauseBesuch empfangen möchten und nicht im Krankenhaus. Da könnt ihr Euch vorstellen, was dann alles andere für Konsequenzen haben könnte.
Ich danke Euch für alle Antworten
Wie Traumata aus der Kindheit bewältigen? (Achtung, lang)
oh, lass dich mal druecken. Du bist ja schon sehr reflektiert und weisst wo deine Schmerzpunkte liegen. Leider ist es bei Traumata und Wunden so dass die alten Vermeidungsstrategien so im Kopf und Koerper 'festsitzen' dass sie sehr viele unserer Reaktionen und Gefuehle leiten. Wenn es geht, ist eine Therapie sehr hilfreich und ich finde die Arbeit von Verena Koenig und Stefanie Stahl als Einstieg sehr gut.
Die Buecher Das Kind in dir muss Heimat Finden (Stahl) und Bin ich traumatisiert (Koenig) haben mich erst mal darauf hingewiesen wie tief Traumata sitzen. Beide haben sehr gute Podcasts. Objektiv wusste ich alles und hab es auch mit meinem Therapeuten besprochen aber es ist einfach nie in meinem Unterbewusstsein angekommen....
Viel Glueck auf deiner Reise
Wie?
Therapie.
Das tut mir sehr leid für dich!!!
Meine Kindheit war sehr ähnlich. Ich kann mich auch nicht erinnern, meine Eltern jemals wirklich harmonisch oder zärtlich miteinander gesehen zu haben. Meine Mutter war ihm gegenüber immer sehr abweisend. Ihrerseits waren die Gefühle wohl schon lange erloschen, dennoch hat sie sich nicht getrennt.
Ich habe auch einige Ausraster meiner Mutter erlebt. Mein Vater war immer schon sehr dominant und leistungsorientiert. Alles in allem auch bei mir keine wirklich liebevolle Kindheit oder Jugend.
Mir kommen auch regelmäßig Situationen von früher hoch oder ich werde in der Gegenwart durch etwas stark angetriggert.
Wie man damit fertig wird, das weiß ich leider auch nicht.
Therapie habe ich schon viel gemacht, hat diesbezüglich wenig geholfen.
Mit meinem Vater habe ich seit einpaar Jahren keinen Kontakt mehr.
Meine Mutter sorgt sich gut um meinen Sohn, da sehe ich das einwenig als "Ausgleich" für damals an.
Hallo,
wenn es dich so sehr belastet, würde ich mit auch eine Therapie suchen.
Und zwar jetzt, wo dein Kind klein ist.
Du meinst zwar bestimmt, dass du im Leben noch nie so wenig Zeit hattest aber zum einen kannst du ein Baby zu solchen Terminen noch mitnehmen. Ein Kindergartenkind, das alles versteht, dann nicht mehr.
Außerdem kann es ja Monate dauern oder länger, bis du überhaupt eine Therapie bekommst. Also lieber früh suchen, dann hast du Hilfe, wenn sie mal noch nötiger werden sollte.
Zusätzlich kann ich mir vorstellen, dass es dir hilft, dich mehr mit deiner Familiengeschichte zu beschäftigen.
Du bist selbst so reflektiert: deine Eltern sind es offenbar nicht, aber trotzdem oder gerade deswegen gibt es Gründe, warum sie so sind, wie sie sind.
Überforderung, klar. Aber jeder von uns ist mal überfordert. Trotzdem schlägt nicht jeder seinem Kind die Tür vor der Nase zu.
Wie waren deine Großeltern? Wir sind deine Eltern aufgewachsen? Welche Schulbildung haben sie, welches Umfeld?
Welche Erwartungen hatten sie an ihr Leben, welche Versprechen gab es, die nicht eingetreten sind? Und auch: welche Moralvorstellungen hatten sie und/oder ihr Umfeld?
(Von Moral lese ich zum Beispiel viel: man trennt sich nicht wenn Kinder da sind. Man versorgt Frau und Kinder, auch wenn es noch so schwer ist. Man achtet drauf, dass die Kinder gute Noten heimbringen... alles völlig falsche und schädliche Methoden, aber dahinter steht ja offenbar eine Moral und ein Lebensbild von richtig und falsch.)
Du kannst deine Eltern nicht fragen "warum hast du in Situation X soundso gehandelt?". Das wissen sie nicht. Und wenn sie aus Überforderung gehandelt haben, wissen sie sogar, dass das damals falsch war.
Aber du kannst nach deinen Großeltern fragen. Nach dem Lebensumfeld. Nach dem, was von den Menschen erwartet wurde. (Und wenn es nur die Erwartung ist, dass die Wäsche auf der Leine immer schneeweiß ist...).
Und vielleicht erfährst du, warum deine Eltern so geworden sind.
Je mehr man weiß, wie und warum etwas entsteht, desto mehr kann man ja an dem Prozess ändern.
Du tust das, du reflektierst und durchbrichst den automatischen Prozess.
Jetzt kannst du deinen Eltern jahrzehntelang vorwerfen, dass sie das nicht getan haben.
Oder du findest heraus, wie SIE sich im Vergleich zur Generation davor verändert haben, positiv oder negativ oder gar nicht. Dann hast du einen interessierten Ansatz, kannst (vielleicht) verstehen und musst weniger vorwerfen.
Und die Fragen an deine Eltern werden automatisch positiver: Erzähl mal von früher, statt: warum hast du früher?
Viel Glück.
Hört sich sehr wie meine Kindheit an, nur dass meine Mutter die schwer Depressive war die uns als Druckmittel ständig "verlassen" hat, gepackte Koffer standen immer bereit und wenn wir uns "nicht benommen" haben, ist sie mit gepackten Koffern weg u hat uns alleine zurück gelassen. Waren wahrscheinlich immer nur so 20min, aber Kleinkinder haben kein zeitgefühl u wir dachten halt echt die Mama ist weg. Vater so wie bei dir 0 präsent und nur am Arbeiten u hat uns auch nur ignoriert u sonst nur extreme Streitigkeiten zwischen den Eltern für die ich oft verantwortlich gemacht wurde. Generell total liebloser Umgang, ich wurde von meiner Mutter auch nur beschimpft, etc. Mutter hat gebetsmühlenartig uns jeden tag erzählt wie sehr sie es bereut kinder bekommen zu haben usw. Plus meine Mutter wuchs als Vollwaise auf u hatte eine enorm beschissene Kindheit, musste hungern usw u das hat sie uns auch jeden Tag vorgehalten, wie gut es uns quasi geht weil wir was zu essen kriegen. Also ich hab das aber trotzdem gut weggesteckt weil ich mich mit ca 12 schon ziemlich abgekapselt habe v meiner Familie u eigentlich nur mehr bei Freunden gelebt habe u die mein Rückhalt u Familie waren, bin auch sehr früh ausgezogen.
Aus Erfahrung kann ich dir sagen es bringt 0 seine Eltern damit zu konfrontieren, man muss irgendwie damit Frieden schließen u ihnen tatsächlich vergeben. Meine Eltern waren damals extrem jung (Anfang 20) u meine Mutter extrem traumatisiert u mein Vater quasi ein ahnungsloser Junge u sie konnten halt nicht anders. Ich hatte auch immer schiss als Mutter die gleichen Muster zu wiederholen aber mach ich 0, muss aber auch sagen seitdem ich selbst Mutter bin flasht es mich schon wie scheiße meine Eltern mit so kleinen Kindern umgegangen sind, kann dich da verstehen. Ich war nie in Therapie, aber bin glaub ich gut davon gekommen weil ich mich halt schon enorm früh von ihnen distanziert habe (soweit es ging) aber eigentlich ist sowas halt wirklich wichtig in einer Therapie zu bearbeiten. Meine Geschwister haben zum Teil schlimme mentale Probleme die schätze ich daher kommen. Heute hab ich aber ein wirklich gutes Verhältnis zu meinen Eltern, meine Mutter ist einfach zufriedener seitdem sie sich nicht um kleine Kinder kümmern muss und mein Vater ist auch irgendwann reifer geworden. Unser Verhältnis ist aber nicht innig, ich hab weder Mutter noch Vatergefühle ihnen beiden gegenüber, sondern eher so freundschaftlich.