Vorwürfe und Gedanken nach Tod meines Onkels

Hallo,

Ende November letzten Jahres hat mein Onkel die Diagnose Lungenkrebs im Endstadium erhalten. Mein Onkel war alleinstehend, hat aber dadurch, dass er keine eigene Familie hatte, sehr viel Zeit mit meiner Familie - meinen Eltern, meinen Geschwistern und mir - verbracht. Wir haben jedes Weihnachtsfest mit ihm gefeiert, waren früher mit ihm im Urlaub, er war zum Mittagessen da und wann immer er Hilfe oder Unterstützung brauchte, hat er sich an uns gewendet. Als ich mich von meinem ersten Freund getrennt habe, waren meine Eltern im Urlaub und mein Onkel hat mich getröstet.
Er hatte 28 Jahre lang eine eigene Pizzeria, in der meine Mama von Beginn an und ich die letzten zehn Jahre nebenbei mitgearbeitet habe. Um es kurz zu sagen, war er für mich nicht "nur" ein Onkel, sondern hat unser Familienleben mein ganzes Leben lang auf eine besondere Art und Weise begleitet. In den letzten Jahren lief es in seiner Pizzeria nicht mehr ganz rund und er hat sich sehr verschlossen, war unzufrieden und überfordert, hat viel getrunken. Nachdem dann die Krebs-Diagnose im Dezember kam hatte er eine Prognose von 3 Monate, nach denen er auch verstorben ist. Da er so verschlossen und wahrscheinlich auch überfordert mit seiner Situation war und große Angst hatte, war es unheimlich schwierig, für ihn da zu sein.

Zwei Monate nach seiner Diagnose hat auch meine Mama die Diagnose Darmkrebs bekommen und wurde sofort operiert, lag immer wieder auf der Intensivstation, da einiges schiefgelaufen ist und zwischendurch waren wir uns nicht mehr sicher, ob sie noch einmal nach Hause kommt.

Für mich war es eine unglaublich schwierige Zeit, ich wollte für meinen Onkel da sein, habe meine Mama täglich besucht, sehr viel in der Pizzeria gearbeitet, da das meinem Onkel sehr wichtig war und nebenbei studiert. Für meinen Onkel war es so wichtig und sein größter Wunsch,
Noch einmal ein schönes letztes Weihnachtsfest zu feiern und obwohl er so schwach und krank war, hat er meinen Bruder, meinen Vater und mich zum Mittagessen eingeladen und bekocht (ich weiß heute manchmal nicht, woher er die ganze Kraft genommen hat). Da genau an diesem Tag auch meine Mutter wieder zurück auf die Intensivstation verlegt wurde und es ihr sehr schlecht ging, haben wir nur sehr wenig Zeit bei meinem Onkel verbracht und sind sofort wieder zurück ins Krankenhaus, um in der Nähe meiner Mama zu sein.

Mir tut es immer wieder so weh, dass wir meinen Onkel allein gelassen haben und die letzten Wochen seines Lebens nicht so für ihn da sein konnten, wie er es gebraucht hat. Ich wünsche mir, dass ich ihn nur einmal gefragt hätte, was er noch für Wünsche hat, ob er über seine Angst sprechen möchte oder ähnliches. Ich hatte aber einfach so große Angst um meine Mama und war zugleich überfordert mit der Situation meines Onkels.

Am 13.2. ist mein Onkel verstorben, am 14.2. bin ich für ein halbes Jahr in mein Auslandssemester gestartet. Ich glaube, diese beiden Tage waren die schlimmsten meines Lebens. Ich kann nicht beschreiben, was ich gefühlt habe und wie schlimm es für mich war, von zu Hause wegzugehen. Da ich bereits ein Tag nach dem Tod meines Onkels abreisen musste und an der Universität anwesend sein musste, konnte ich nicht zu seiner Beerdigung gehen. Bis heute habe ich das Gefühl, dass ich seinen Tod nicht verarbeiten und verstehen konnte. Ich mache mir viele Vorwürfe, auch, weil ich ihm nicht die letzte Ehre erwiesen habe und ihn zum Grab begleitet habe.

Obwohl ich noch sehr oft das Bedürfnis habe zu weinen, mache ich das am liebsten für mich alleine, da ich weiß, dass meine Familie den Trauerprozess hinter sich hat und mir manchmal.. blöd?.. vorkomme, dass mich das ganze noch so beschäftigt.

Wahrscheinlich gibt es auch keine Tipps, wie ich die verpasste Beerdigung wieder gut machen kann und die Zeit wird einfach helfen, dass ich den Tod trotz dessen verstehen kann..

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Erst einmal tut es mir sehr leid zu lesen, was Du alles durchmachen musstest. Das muss ja eine furchtbare Zeit gewesen sein!
Und man liest aus jeder Zeile heraus, dass Du alles menschenmögliche getan hast, um beiden gerecht zu werden und sie zu unterstützen. Mach Dir bitte keine Vorwürfe. Dein Onkel kannte doch Deine Situation und hat mitbekommen, was Du alles gemacht hast.

Vielleicht hilft es Dir, wenn Du einen Brief an Deinen Onkel schreibst und Dich so noch einmal von ihm verabschiedest. Schreib in den Brief alle Gedanken und Gefühle, die Du hast. Den Brief kannst Du zu seinem Grab bringen oder ihn verbrennen und die "Asche" verstreuen. Oder vielleicht hast Du einen schönen Ort (eigenen Garten oder eine Stelle, wo ihr öfter spazieren gegangen seid) und Du kannst den Brief dort vergraben.
Vielleicht kannst Du auch ihm zu Ehren an einem schönen Platz einen Baum oder eine schöne Pflanze pflanzen.
Letztlich hilft bei Trauer eigentlich nur, viel darüber zu sprechen (mit sich selbst oder mit engen Vertrauten) und die Zeit selbst. Irgendwann tut es nicht mehr so sehr weh.
Alles Gute!

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Hallo meine Liebe,

ich denke auch, dass du dir nichts vorzuwerfen hast! Du hast getan, was dir in diesem Moment möglich war neben all den anderen Verpflichtungen. Mach dir da bitte keinen Kopf.

Jeder Mensch trauert anders und auch das ist normal. Wenn deine Familie das anders verarbeitet hat ist es weder besser, oder schlechter, einfach anders.

Für viele ist die Beerdigung ein wichtiger Abschluss, für viele ist es wichtig einen Ort zum trauern zu haben.

Wie es für dich richtig ist weisst nur du, für mich ist weder eine Beerdigung wichtig, noch der Ort der Bestattung. Vielleicht kann dir das hilfreich sein:
Bei mir sind als “außerordentlich wichtige“ Personen meine Oma (alter und Krebs), mein Vater(ganz plötzlich, ein paar Tage vor seinem 70) und meine Tochter ein paar Tage nach der Geburt gestorben.
Für meine Seele beruhigend war, zu wissen,dass kein Streit zwischen uns war, dass sicherlich alle meine liebe gespürt haben und ich mir einbilde, dass sie um mich herum sind.
Nicht selten habe ich mit ihnen gesprochen, wenn ich mit dem Hund im Wald bin und diese Ruhe spüre. Sie umgeben mich und ich werde sie irgendwann wiedersehen. Solche Gedanken nehmen mir auch die Angst vor dem Tod, was ich als schönen Nebeneffekt empfinde. Ich bin überhaupt nicht gläubig, aber man muss sich seine eigenen Rituale schaffen wie meine Vorrednerin schrieb, finde ich die Idee mit dem Brief auch sehr schön, meiner Tochter habe ich vor der Einäscherung auch einen mit in den Sarg gelegt. Ich denke alle Menschen, die nicht mehr bei uns sein können wissen, wie es in unseren Herzen aussieht und nur das ist wichtig!
Du hast überhaupt nichts falsch gemacht und für die verpasste Beerdigung, die dir immer noch auf der Seele liegt...erschaffe dir DEIN Ritual als Ersatz!

Alles Gute und liebe Grüße
Sonja

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Vielen Dank für eure lieben Worte! Da ich für eine Woche im Urlaub gewesen bin, komme ich leider jetzt erst dazu, euch darauf zu antworten. Ich habe die Nachrichten aber noch vor dem Urlaub gelesen und mir eure Zeilen zu Herzen genommen!

Die Idee mit dem Brief finde ich wirklich schön. Kurz vorm Tod meines Onkels habe ich ihm auch einen Brief geschickt, einfach weil es so viel zu sagen gab, was ich mich nie getraut habe, persönlich loszuwerden. Und er hat mich eine Woche später darauf angesprochen und mir gesagt, dass er den Brief jeden Tag liest. Darüber, dass ich auch jetzt nach seinem Tod noch all meine Gedanken in einem Brief loswerden kann, habe ich gar nicht nachgedacht. In der nächsten Woche werde ich das Grab "herbsttauglich" bepflanzen und ihm einen Brief hinterlassen. Das wird ganz bestimmt nochmal gut tun. Und auch bei Spaziergängen sollte ich viel häufiger an die schönen Momente und die Dinge, die ich vor seinem Tod noch für ihn tun konnte denken und nicht nur daran, was ich alles noch gern getan hätte...denn davon gibt es sicherlich immer noch eine ganze Menge, wenn ein nahestehender Mensch verstirbt. Vielen vielen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt, meine Zeilen zu lesen und mir eure Tipps mit auf den Weg zu geben.

Ich wünsche euch alles Gute!!