Alte Eltern streiten nur noch

Meine Mutter ist 70, mein Vater 80, wir Kinder sind 46 (Bruder), 45 (ich) und 36 (Bruder).
Mein äterer Bruder lebt mit Freundin und kleinem Kind ca. 1 Stunde weg, mein jüngerer Bruder lebt zu Hause (Single), ich lebe 6 Stunden entfernt (Single). Ca. alle 6 Wochen komme ich für ein paar Tage ~ 1 Woche zu Besuch.
Seit einem Jahr ca. fällt mir auf, dass die Beziehung zwischen meinen Eltern sehr kühl ist. Meine Mutter reagiert auf fast alles, was mein Vater tut oder sagt, gereizt. Sie schimpft und lästert über ihn mir gegenüber, doch das würge ich immer sofort ab. Er setzt immer wieder Zeichen der Versöhnung, zB bringt ihr das Essen ins Wohnzimmer, doch sie redet nur mit ihm, wenn es unbedingt sein muss.
Gerade habe ich einen Streit mitbekommen, wo es darum ging, dass er sie, als wir klein waren, viel alleine gelassen hat, auch als es ihr nicht gut ging und wie sehr ihr das weh getan hat.
Ich verstehe das nicht, wie auf einmal ein Thema, das 35 Jahre alt ist, aufkommt. Jetzt streiten sie gerade wieder, aber ich mag nicht lauschen. Ihre Stimme ist hoch und schrill, sie knallt eine Schublade zu und geht. Er schweigt dazu oder redet zu leise.
Mit meinem jüngeren Bruder habe ich darüber noch nicht gesprochen, er wird wahrscheinlich mit den Schultern zucken und sich nichtswissend geben.
Mein Vater ist mittlerweile schon älter und etwas gebrechlich. Ich finde es schade und traurig, wenn man sich die letzten Lebensjahre so vermiest. Ich habe den Eindruck, meine Mutter verwendet meinen jüngeren Bruder als Ersatzpartner, mit ihm lacht und redet sie ohne Ende. Jeden Abend sitzt mein Vater mit dem Tablet in der Küche, sie liegt auf der Couch im Wohnzimmer und schaut fern.

Hat jemand eine ähnliche Situation? Familientherapie etc. ist nicht möglich.

Liebe Grüße
V.

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Im Gegensatz zu dir kann ich sehr gut verstehen, weshalb das Thema nach 35 Jahren 'erst aufkommt'. Deine Mutter hat es vermutlich die ganze Zeit über - mal mehr, mal weniger - beschäftigt. Dein Vater scheint sie sehr verletzt zu haben und sie hat ein Pflaster drüber geklebt.
Das Leben hat sie abgelenkt von sich selbst. Sie hat sich um euch Kinder gekümmert, um Haus, Garten, Arbeit (?). So kann eine Ehe jahrelang 'gut' gehen. Nur wenn dann die Ablenkung wegfällt, die Kinder aus dem Haus sind, beide Partner zu Hause, dann kann es schwierig werden und das wird es dann oft auch. Auf einmal hat deine Mutter Zeit nachzudenken, ihr läuft 'die Zeit weg' und vielleicht fragt sie sich jetzt, warum sie das jahrelang mitgemacht hat. Ob es nicht anders besser gewesen wäre. Womöglich hat sie das Gefühl, jetzt, wo sie sich mit sich selbst und ihrem Leben auseinandersetzt, ihr wurde etwas genommen. Dazu kommt, der Unterschied zwischen 70 und 80 ist halt wieder groß. Das war er auch mit 20 und 30, die Jahre dazwischen ist er vielleicht nicht so sehr ins Gewicht gefallen.
Dein Vater wird gebrechlich, wie du schreibst, ist deine Mutter noch fit? Dann fängt es ja wieder an. Sie muss verzichten und kann das Leben nicht so leben, wie sie es gerne möchte. Weil sie wieder (?) Rücksicht auf ihn nehmen und ihr Leben seinen Bedürfnissen anpassen 'muss'.

Das habe ich bei meiner Oma gesehen, die jahrzehntelang alles für die Familie getan und sich selbst dabei immer zurückgestellt hat. Dann wurde mein Opa früh pflegebedürftig, sie hat nie wirklich gelebt und hat ihm das (unbewusst) übel genommen. Obwohl das zwischen ihnen die Große Liebe war - sofern es so etwas überhaupt gibt. Sie hat ihn auch bis zuletzt geliebt, aber unterschwellig, wenn sie es hin und wieder zugelassen hat, habe ich gespürt, dass sie nach seinem Tod auch irgendwie erleichtert war. Für sie war das der einzige Weg in ein eigenes Leben, sie hätte ihn niemals verlassen. Er hat ihr zwar den Rest ihres Lebens gefehlt, aber die sechs Jahre ohne ihn waren für sie mit die besten ihres Lebens und so sehr ich meinen Opa auch geliebt habe, so sehr sein Verlust geschmerzt hat, ich bin froh, dass sie diese Jahre für sich hatte.

Eine Lösung gibt es für so eine Situation vermutlich gar nicht. Aber sei nicht so streng mit deiner Mutter und schieb ihr nicht die alleinige Verantwortung zu. Sie hat sicherlich ihre Gründe, gereizt zu sein und aus deinem Post lese ich irgendwie, dass du deinen Vater als 'Opfer' siehst. Hinzu kommt ja auch immer, dass du nicht weißt, was alles zwischen ihnen vorgefallen ist und das müsst ihr als Kinder auch gar nicht wissen. Man sollte nur immer daran denken, dass das, was man sieht und hört selten die ganze Wahrheit ist. Was du machen kannst, ist mit deiner Mutter zu sprechen. Ganz objektiv, ohne Vorwürfe. Frag sie doch mal, wie sie ihr Leben rückblickend so sieht, was sie jetzt gerne machen würde und sag ihr, dass ihr immer zu ihr und eurem Vater stehen werdet, egal, was da noch kommt. Das hilft manchmal schon.

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Dem ist fast nichts hinzuzufügen.
Ich kann die Mutter auch verstehen. Wahrscheinlich geht es vielen Müttern im Alter so.
Jahrelang haben sie sich für die Familie aufgeopfert und alles zurückgestellt und am Ende bleibt wenig übrig.
Dazu kommt natürlich (so erlebe ich es häufig), dass Frauen im Alter sehr fit im Kopf bleiben/ sind und Männer oft weniger.
Da schlägt man sich häufig auf die Seite des Vaters.

Witzigerweise wird in anderen Unterforen stark über das Thema mental load etc geschrieben.

Vielleicht ist das was du beschreibst eine Folge im Alter...

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Frag deine Mutter, wie es ihr geht. Frag auch deinen Vater, wie es ihm geht. Natürlich einzeln. Neutral und ohne auf deren Streitigkeiten Bezug zu nehmen. Dann kommt der Grund bestimmt heraus. Jeder hat seinen Pain Point.
Zu deiner Frage, weshalb eine 35 Jahre alte Geschichte hervorgekramt wird: Je älter man wird, desto mehr tritt das Langzeitgedächtnis in den Vordergrund. Da kommen Dinge hoch, und wenn sie nie wirklich verarbeitet waren, ist der Umgang bestimmt schwer. Und dann ist dein Vater 80 - das nervt deine Mutter vielleicht, weil sie den Unterschied sieht. Hygiene usw. Ich kann ihre Haltung verstehen, aber respektlos dürfte sie natürlich nicht werden. Er hat ja nichts dafür, wenn sie trotz allem bei ihm bleibt.