Aufarbeitung eigene Kindheit/ Grenzen setzen

Hallo urbia- Forum,

ich versuche mich kurz zu halten, vielleicht erstmal zum familiären Hintergrund:

Ich bin 28 Jahre alt, habe zwei kleine Kinder und bin glücklich verheiratet.
Meine Eltern haben sich getrennt als ich ca. 9 Jahre alt war. Es war eine sehr unschöne Trennung mit gegenseitigen Schikanen, Anwälten, Anzeigen, körperliche Gewalt etc.
Meine Mutter hat ihren Kummer über die Trennung im Alkohol ertränkt, mein Vater hat sich mit seiner neuen Freundin ein neues Leben aufgebaut. Dazu behaupte ich, mit meinem Laienwissen, dass mein Vater starke narzisstische Züge hat.
Meine Kindheit war sehr geprägt von der Alkoholsucht meiner Mutter und dem cholerischen Verhalten meines Vaters, es gab von beiden Elternteilen aus emotionalen Missbrauch an meiner Schwester und mir.
Insgesamt also alles nicht sehr schön.

Ich habe das alles lange erfolgreich verdrängt bzw. als normal empfunden, doch seit ich vor knapp 5 Jahren selbst Mutter geworden bin, kommen viele Dinge wieder hoch bzw. verstehe ich erst wie - sorry- "abgefucked" das Verhalten meiner Eltern war und bis heute teilweise ist.

Ich habe mich die letzten Jahre intensiv mit meiner Kindheit beschäftigt, habe auch viel über mich selbst gelernt und über meine Verhaltenweisen, welche bis heute durch meine Kindheit geprägt sind.
Manchmal habe ich das Gefühl mein Kopf schwirrt vor lauter Analysen und Selbstreflexion und an manchen Tagen bricht alles über mich herein.
Ich habe zeitweise auch regelmäßig die psychologische Beratungsstelle meiner Uni genutzt, dann aber seit der Schwangerschaft mit meiner Tochter pausiert.
Von langen Aussprachen bis zu Kontaktpausen habe ich mit meiner Familie schon alles durch und es hat sich nicht wirklich etwas geändert. Ich habe auch das Gefühl die Einizge aus der Familie zu sein, die versucht das alles aufzuarbeiten und an sich zu abreiten, was das Ganze noch anstrengender macht.

Mir fällt es unglaublich schwer einen gesunden Umgang mit meinen Eltern zu finden. Auf der einen Seite wünsche ich mir, vor allem für meine Kinder, eine "normale" Familie und lasse daher oft zu, dass meine Grenzen überschritten werden oder verzeihe zu oft und zu schnell Verhalten, welches in einer Familie nichts verloren hat (Beleidigungen gegen mich und meinen Ehemann, emotionale Erpressung und Manipulation etc.).
Ich merke auch oft, dass da eine Angst mitschwingt, von meinen Eltern abgelehnt und nicht geliebt zu werden.
Das spiegelt sich auch ziemlich im Verhältnis zwischen meiner Schwester und mir wieder.
Wir haben uns während unserer Kindheit aneinander geklammert wie zwei Ertrinkende (ich bin die ältere Schwester und habe häufig die Mutterrolle übernommen) und heute haben wir zwar ein gutes Verhältnis, welches aber doch auch von Konkurrenzdenken und der Angst, die Eine könnte der Anderen etwas (Materielles, sowie die Liebe/ Zuwendung der Eltern) wegnehmen, beeinflusst wird.

Auf der anderen Seite möchte ich endlich lernen Grenzen zu setzen bzw. klar zu kommunzieren wenn diese überschritten werden und mich nicht mehr vom Wohlwollen meiner Eltern abhängig fühlen.
Auch bin ich schon lange am Überlegen mich in psychologische Behandlung zu begeben. Was mich jedoch davon abhält ist, dass
1. Ich mich noch nicht 100% bereit fühle
2. Ich mich frage, ob es mir wirklich so schlecht geht, dass ich das brauche
3. Ich Lehrerin werden möchte (bin kurz vorm Master- Abschluss) und Angst habe, dass mir der Besuch bei einer Psychologin im Hinblick auf eine Verbeamtung negativ ausgelegt werden könnte

Vielleicht war/ ist hier ja jemand in einer ähnlichen Situation.
Ich würde mich sehr über Erfahrungen, Ratschläge und Tipps freuen.

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Hm, ich kann nur mit Erfahrungen und lautem Denken dienen.
Mein Vater ist auf Nimmerwiedersehen verschwunden als ich 6 war, meine Mutter ist eine in vielfacher Hinsicht traumatisierte Frau mit Affinität zum Alkohol und hatte nicht mehr die Kraft, mir emotionalen Halt zu geben. Sie war viel feiern und sehr grenzüberschreitend in meine Richtung. Bis heute hat sie klare Vorstellungen davon, wie ich sein soll, und wenn ich anders bin, redet sie wochenlang nicht mit mir. Meine Geschwister... tja, mein Bruder und ich haben ein seltsam symbiotisches Verhältnis. Er neigt aber auch zur Cholerik und ist psychisch sehr instabil und trinkt. Meine Schwester hat sich sehr frühzeitig aus unserem Familiengefüge rausgezogen, die spielt irgendwie keine Rolle.

Bis ich vor einem Jahr ne Therapie begonnen habe, fand ich meine Herkunftsfamilie tatsächlich normal und hab da nicht drüber nachgedacht. In die Therapie gegangen bin ich, weil mein Mann zu viel trinkt und ich mich nicht trennen konnte, obwohl ich gelitten habe wie ein Hund.

Ich war immer die Klimaanlage der Familie und fühle mich bis heute dafür verantwortlich, dass sich alle in meinem Umfeld wohl fühlen und das oft unter Inkaufnahme von Selbstaufgabe.

Ich kenne das Gefühl, die einzige zu sein, die hart an sich arbeitet und alles seziert und so lange reflektiert, bis man die Orientierung verloren hat. Durch Therapie ist das ehrlich gesagt noch schlimmer geworden und ich denke tatsächlich darüber nach, sie abzubrechen.

Warum?

1. Ich weiß mittlerweile, woher mein etwas seltsames Bindungsverhalten und meine völlige Unfähigkeit, Grenzen zu setzen, kommen.
2. Ich hab nur die eine Herkunftsfamilie. Eine zweite kriege ich nicht. Und irgendwie denke ich, sie haben es alle so gut gemacht, wie sie eben konnten. Die sind ja selbst alle von irgendwas kaputt und haben ihre Verletzungen weitergegeben. Meine Verantwortung sehe ich darin, diesen Kreislauf zu unterbrechen und es mit meinem Sohn besser zu machen.
3. Ich hätte so gerne wieder Leichtigkeit in meinem Leben. Ich lebe mittlerweile von meinem Mann getrennt; habe mir ein eigenes Leben aufgebaut, schaffe es mittlerweile ab und an meiner Mutter und meinem Bruder Paroli zu bieten... was will ich mehr? Ich mag nicht mehr grübeln.

Der Weg bis hierhin war aber wichtig. Ich rate dir also generell nicht von Therapie ab, sondern mein oberster Rat ist, wieder in Kontakt zu deinem Bauchgefühl zu kommen und hinzuspüren, was dir gut tut und zu üben, dafür einzustehen... Ich konnte meinen Bauch bloß irgendwann gar nicht mehr hören vor lauter Denken.. da hat Therapie dann doch irgendwie geholfen. Und sie hat geholfen, Muster zu erkennen.

Wann fängt denn dein Referendariat an? Ich würde vermutlich warten, bis du die Prüfung für die Private Krankenversicherung und ggf. ne Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hast. Ich kann deine Befürchtungen da total nachvollziehen.
Ich hab ne kaputte Niere und damals fast keine Versicherung gefunden, die mich aufnehmen wollte und zahle heute echt horrende Summen für die PKV...

Wenn du magst, schreib mir gerne ne PN. Mir hat es unfassbar geholfen, mich hier bei Urbia über Jahre auszukotzen. Laut Denken hilft mir eh am besten.

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Liebe Würfelbecher,


am Anfang beschreibst du deine Kindheit die geprägt war von einer unschönen Trennung deiner Elter, von einer Alkohol kranken Mutter einen narzisstischen und cholerischen Vater und von emotionalen Missbrauch.

Ich denke diese Aussage trifft den Nagel auf den Kopf:

"abgefucked" das Verhalten meiner Eltern war und bis heute teilweise ist."

Durch deine Schwangerschaft konntest du erkennen was alles nicht so lief und erkennst auch was es bei dir leider ausgelöst hat. Du möchtest auch das Erlebte verarbeiten.

Du hast versucht dich mit ihnen auszusprechen . Hattest den Kontakt zweitweise unterbrochen. Es hat sich aber leider nicht geändert. Du möchtest für deine Kinder eine " normale" Familie. Was ist aber eine normale Familie. Ist eine normale Familie eine Familie die aus Kindern, Eltern und Großeltern besteht. Ich denke schon. Aber leider kommt bei euch ein weiter Punkt hinzu. Die Großeltern verhalten sich nicht wie Großelter. Sie beleidigen dich und deinen Ehemann und erpressen emotional und manipulieren. Das werden eure Kinder auch mitbekommen.

Ich kann mir aber eine andere normale Familie vorstellen. Kinder, Eltern und Großeltern von nur einem Elternteil. Dafür aber eine normale Familie ohne Erpressungen und Manipulation.

Du hast sehr große Probleme um deine Kindheit zu verarbeiten. Deine Eltern belasten dich und ziehen dich herunter. Überlege ob nicht vielleicht ein totaler Kontaktabbruch helfen kann. So lange sich deine Eltern so gegenüber dir verhalten setzt du dich der krankmachenden Umgebung weiter aus.

Günstig ist wenn du zu einer Therapie bereit bist.

Eine Therapie kann erfolgreicher sein wenn es dir relativ gut geht. Denn dann braucht man nicht zu viel Zeit für die sogenannte Stabilisierung.

Ob es sich auf die Verbeamtung auswirken kann, kann ich dir leider nicht sagen.

Viele Grüße

blaue-Rose