Das Gefühl nicht trauern zu dürfen

Hallo,
Ich habe vor ca. 2 1/2 Jahren mein Baby in der 12 ssw verloren.
Der Herzschlag, der eigentlich schon kräftig war, hat einfach aufgehört.
Heute wäre ihr Geburtstag, sie wäre 2 Jahre alt geworden.

Ich weiß, dass es nichts ungewöhnliches ist, dass das oft passiert und dass es die natürliche Auslese der Natur ist. Und die Zeit, in der ich schwanger war, war so kurz, es war ja noch nicht mal ein fertiges Baby, es sah noch aus wie ein Alien.

Und mir kommt es so falsch vor, auch nach so langer Zeit noch traurig zu sein, mich an den Geburtstag zu erinnern, der ja nie stattgefunden hat. In meinem Kopf ist es ein Mädchen, wir hatten uns schon einen Namen ausgedacht. Ich mein, das Kind hat nie außerhalb meines Körpers existiert. Trotzdem habe ich heute morgen geweint und mich dafür geschämt. Ich würde so gern den großen Geschwistern davon erzählen, aber warum? Was würde es ihnen nutzen?
Außerdem habe ich mittlerweile ein gesundes kleines Mädchen, welches gerade ein Jahr alt geworden ist.

Ich weiß auch nicht, was ich mir mit diesem Beitrag erhoffe.
Vielleicht geht es jemand ähnlich.

Ich würde am liebsten irgendjemandem sagen, dass ich so traurig bin, ich hätte das kleine Wesen so gern kennengelernt, gekuschelt, gestillt, gesehen wie es sich entwickelt und würde so gern wissen, wie es ausgesehen hätte, welchen Charakter es wohl gehabt hätte. Ich hätte dem kleinen Kind heute so gern ein Geburtstagstisch dekoriert, Kuchen gebacken, Kerzen angezündet.
Und trotzdem fühlt sich meine Trauer so unverhältnismäßig an und deswegen behalte ich das alles lieber für mich.

Meine Mutter hatte mehrere Fehlgeburten/ sogar Totgeburten. Sie hat nie darüber gesprochen, ich habe es eher zufällig von meiner Oma erfahren. Ich habe das Gefühl ich sollte mich „nicht so haben“ und kein großes Gewese darum machen.

Aber wohin mit meinen Gefühlen?

Liebe Grüße

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Hallo Anni,

mein herzliches Beileid zu deinem Verlust!

"Ich habe das Gefühl ich sollte mich „nicht so haben“ und kein großes Gewese darum machen."

Warum - weil andere in den Generationen vor uns das so gemacht haben? Meinst du, die haben nicht getrauert um ihre toten Babys? Ich glaube, das haben sie sehr wohl - es gab allerdings seinerzeit eher die Tendenz zum Totschweigen. Man hatte stark zu sein, Gefühle konnte man sich nicht leisten und davon wollte auch keiner was hören. Und überhaupt, das war doch noch gar kein "richtiges" Kind! Also machten viele Frauen ihre Trauer mit sich selbst aus. Meine Mutter war auch betroffen - sie wurde von meinem Vater nicht mal vom Krankenhaus abgeholt. War ja "nur" ne Fehlgeburt, er hatte schließlich zu arbeiten.

Ich finde es schade, dass du dir selbst die Trauer um deine Fehlgeburt absprichst. Natürlich hast du dich auf dein Baby gefreut, natürlich hast du Pläne geschmiedet - es hat ja auch in dir gelebt, bis es leider starb. Ja, das passiert vielen Frauen, das ist leider so - aber ist es deshalb weniger schlimm und nicht wert, betrauert zu werden?

Ich könnte mir vorstellen, dass du Angst hast, auf Unverständnis zu treffen, wenn du dich öffnest und über deine Trauer sprichst. Dass da dann Sprüche kommen wie "Ach, hab dich doch nicht so. Das ist doch jetzt so lange her", "Du hast doch jetzt Kinder, da brauchst du doch nicht mehr traurig sein" oder "Das war doch noch gar kein richtiges Baby". Diese Sätze sind vor allen Dingen unsensibel, unqualifiziert und zeigen nur eins: Die Hilflosigkeit vieler Leute gegenüber trauernden Personen. Trauer wird in unserer Gesellschaft immer noch ausgeklammert, man soll das mal schön für sich machen und niemanden damit belästigen. Eine liebe Freundin, deren Mutter heuer verstorben ist, musste sich nach vier Wochen anhören, dass "Jetzt aber doch auch mal wieder gut wäre" mit Trauern. Ach, ich wusste gar nicht, dass Trauer ein Ablaufdatum hat?

Ich möchte dir gerne mit auf den Weg geben, dass deine Trauer legitim ist und gesehen werden will. Sie gehört zu dir, ebenso wie dein Sternenkind. Was spricht dagegen, über dieses Kind auch mit deinen lebenden Kindern zu sprechen, ihm einen Namen zu geben, eine Kerze anzuzünden und darum zu trauern, dass es nicht auf die Welt kommen durfte?

Wenn du deinen Kindern diese Offenheit vorlebst, und das idealerweise ganz viele Menschen tun, dann werden künftige Generationen offener, sensibler, respektvoller und können anders mit negativen Gefühlen und Trauer umgehen als wir, die wir oft noch ganz andere Glaubenssätze eingeimpft bekommen haben. Das wäre jedenfalls mein Wunsch.

Und zum Abschluss lasse ich dir einfach noch eine dicke Umarmung da!

Liebe Grüße,
DieKati

Bearbeitet von DieKati
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Vielen Dank für deine einfühlsamen Worte und dass du dir die Zeit genommen hast so ausführlich zuallererst antworten.
Das tat echt gut, schon nach dem ich den Beitrag geschrieben habe ging es mir etwas besser, das ganze mal in Worte zufassen…
Liebe Grüße

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Super, dass dir das Aufschreiben schon etwas geholfen hat. Das zeigt umso mehr, dass auch solche Gefühle, die man sich selbst oder auch andere einem am liebsten absprechen würden (wenn das denn so einfach wäre...), ihren Raum und ihre Beachtung brauchen.

Alles Liebe weiterhin!