Das Wort "willensstark"

Hallo an alle,

soeben habe ich einen anderen Thread kommentiert und im Nachhinein fällt mir auf, wie sehr mich dieses Wort, ja... fast schon anwidert.

Zu lesen ist dieser Kommentar bei "Sohn schwierig auf dem Spielplatz".

Ich will gar nicht abstreiten, dass ich drüber hinaus geschossen bin.

Wie dem auch sei: eine kurze Erklärung.

Mehr und mehr liest man ja dieser Tage von diesen so unglaublich willensstarken Kindern, die es scheinbar nur vereinzelt zu geben scheint. Denn irgendwie wird dieses Wort fast wie eine Ausrede genutzt.
Zumindest empfinde ich das sehr so.
Auch eine Freundin nutzt dieses Wort sehr, sehr, sehr oft - für ihr absolut überzogenes Kind.
Dieses Kind schreit wirklich sinnlos herum, beißt, tritt, kratzt, schubst, macht alles mögliche kaputt.

Aber was will man machen?
Der ist eben willensstark. 🤷

Versteht ihr meine Ansicht?

Bei vielen habe ich schon bemerkt, dass immer Fehlverhalten so entschuldigt wird.
Als wolle man sich aus der Verantwortung ziehen, denn eigentlich müsste man ja zwischendurch schon auch ein ums andere Mal eingreifen.

Ich könnte ewig so weitermachen.

Für mich hat jedes Kind einen starken Willen und will den natürlichen auch durchsetzen.
Einige lernen zeitig Kompromissbereit, andere erst später.
Was ich auch absolut OK finde, denn jeder entwickelt sich anders.
Aber sich mit diesem Wort scheinbar aus der Affäre ziehen zu wollen - das geht doch nicht.

Oder etwa doch?
Sehe ich das falsch?

Ich bin gespannt auf eure Assoziationen.

Liebe Grüße ❤️

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Mir geht es genauso - ich finde das Wort auch furchtbar. Meiner Meinung nach wird es als Beschönigung immer gern dann verwendet, wenn die Kinder einfach nur schlecht erzogen sind. (Auf dem gleichen Level für mich: "Mein Kind hat ja Ansätze von Hochbegabung / ist eben hochsensibel"...)

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Ich finde es auch nicht gut, wenn solche Eigenschaften als Ausrede bei Fehlverhalten vorgeschoben werden. Wenn ein Kind auf dem Spielplatz meinem Sohn die Schaufel aus der Hand reißen würde und die Eltern des Kindes nicht eingreifen, weil das Kind eben "willensstark" sei, dann würde ich mich auch aufregen. In dem als Beispiel angeführten Thread war das jedoch überhaupt nicht der Fall.

Und es bringt doch nichts die Worte selbst zu verurteilen. Kinder sind nunmal nicht alle gleich. Manche sind besonders stur (oder eben willensstark), ca. 20% sind hochsensibel und ca. 2% sind hochbegabt. Es darf doch Worte für Eigenschaften geben und wir dürfen da doch auch drüber sprechen und müssen nicht so tun, als hätten alle Kinder bei Geburt identische Veranlagung und würden ausschließlich durch die Erziehung geformt.

Meine Kinder sind eher wild, das eine auch ziemlich stur (willensstark?). Im Freundeskreis gibt es auch hochsensible Kinder (habe ich so eingeordnet, die Eltern selbst betonen das nicht). Wenn man gemeinsam ein Wochenende verbringt, merkt man, dass die hochsensiblen Kinder komplett andere Bedürfnisse haben und einen anderen Tagesablauf brauchen, als meine Kinder. Die eine Familie ist sich dessen bewusst, geht darauf ein und alles ist recht harmonisch. Die andere Familie hat das überhaupt nicht auf dem Schirm, das Kind ist ständig überreizt und dauernd am weinen und schreien. Ich finde es zu kurz gegriffen dann zu sagen "alles eine Sache der Erziehung". Ich finde es wichtig auch über unterschiedliche Eigenschaften von Kindern sprechen zu dürfen.

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Genau, in dem Thread ist das so direkt nicht der Fall. Daher schrieb ich ja auch, dass ich über das Ziel hinausgeschossen bin im Eingangspost.
Einen Fehler einzusehen ist mein geringstes Problem.

Das Wort verurteile ich wirklich im Zusammenhang mit den Eltern, die darauf bestehen, dass das Kind ja willensstark ist.
Leider nehmen sich diese Eltern zu oft aus der Verantwortung.

Beispiel:

Wir waren gestern wieder beim Sport.

Ein Kind, ein halbes Jahr älter als meiner, ist enorm rücksichtslos, drängelt ständig und wäre mehr als nur einmal fast auf meinen rauf gesprungen, der einen guten Kopf größer ist. Also nicht zu übersehen.
Meinen habe ich dann kurz beiseite genommen und darauf aufmerksam gemacht, dass er gut auf andere Kinder achten muss, damit sie sich nicht im Weg sind. Dafür hab ich ihn an der Hand gehalten und 5s Aufmerksamkeit gefordert. Wäre er weggerannt, hätte ich noch einmal den Versuch gestartet. Ging ja nur um einen Satz.
Der andere Junge wurde von der Mutter auch angesprochen, im Vorbeirennen und sichtlich desinteressiert, sie nicht einmal beachtet.
Was hat die Mutter gemacht?
Dumm gegrinst und Schulter gezuckt.

Willensstark?

Ich denke nicht.
Ich finde, es ist Bequemlichkeit.
Und wir machen sehr oft die Erfahrung, dass diese Eltern die Kinder als willensstark betiteln.

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Im positiven Sinne würde ich persönlich das Wort "willensstark" verwenden, wenn z.B. jemand lange und hart für etwas arbeitet - um eben seinen Willen durchzusetzen. Aber für etwas Positives - keine Ahnung, sehr viel trainiert, weil er unbedingt den Rekord im 100 m Lauf knacken will - so etwas.

Aber du hast schon Recht - manchmal wird es irgendwie als Ausrede für - mein Kind schreit herum und schubst und es wäre jetzt anstrengend etwas dagegen zu tun - verwendet.

Aber vielleicht nicht unbedingt in dem Beispiel mit dem Spielplatz-Thread.
Aber allgemein wird das schon manchmal so verwendet.

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Ich sehe das Wort auch eher positiv. Für mich persönlich hat es eher was mit charakterstark und durchsetzungsfähig zu tun. Unsere KiA schrieb bereits bei der U5 ins Heft „ Kind ist sehr willensstark“. Sie hat die KiA ständig unterbrochen und ihr gezeigt, wie sie das machen würde. Der Eintrag hat mich im ersten Moment auch irritiert, aber eigentlich bin ich ganz froh darüber. Ich als Kind war sehr schüchtern und eher introvertiert. Hab fast immer gehört und war artig ( wie man das damals so schön ausgedrückt hat). Mittlerweile bin ich ganz froh, dass ich die Schüchternheit ablegen konnte und auch gelernt habe, meine Meinung zu sagen. Von daher freut es mich, dass unsere Tochter das komplette Gegenteil ist ( auch wenn ich mir manchmal wünsche, sie würde in gewissen Dingen eher nachgeben). Sie hat halt ihren eigenen Kopf und weicht ohne Protest selten von ihren Plänen ab. Aber man kann lernen damit umzugehen.

Bearbeitet von jaykay83
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Hi,
hast du Beispiele dafür, wie man lernt, damit umzugehen?
Das fehlt uns nämlich hier bei unserem Kind, das auch seinen eigenen Kopf hat und damit inzwischen Probleme in der Schule bekommt.
LG N.

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Für mich ist "willensstark" ein Euphemismus wie z.B. "stattliche Erscheinung".

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Das ist auch interessant! So habe ich es noch nicht wahrgenommen.

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Oder 'aufgeweckt". Wenn ich lese "mein Kind ist sehr aufgeweckt" dann weiß ich meist schon, dass dieses Kind vor allem frech, rücksichtslose und vorlaut ist.

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Für mich ist "willensstark" ebenfalls ein Euphemismus für "verhaltensauffällig", und eine rote Flagge in Bezug auf dauerhaften Umgang mit dem als solches bezeichneten Kind. Meistens ist es das Kind, das andere Kinder körperlich und psychisch traktiert und weder fremde noch eigene Grenzen kennt.

Für Erwachsene ist das Wort bei mir paradoxerweise dann aber positiv belegt, im Sinne von "beißt sich durch und hat einen eisernen Willen zum Erfolg, auch über die eigenen Grenzen hinweg".

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Vielleicht liegt es in erster Linie an deiner Freundin, dass das Wort so viel bei dir auslöst? Willensstark ist ja keine Entschuldigung für Fehlverhalten. Klar stört es dich dann, wenn deine Freundin es vorschiebt.

In dem von dir erwähnten Thread hatte ich diesen Eindruck nicht. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, wurde mit "willensstark" dort auch nur erklärt, warum es nicht so einfach ist, das Kind von einer Planänderung zu überzeugen.

Für mich ist "willensstark" eine freundlichere Ausdrucksweise für "stur" und somit eine Eigenschaft, die Vor- und Nachteile hat. Man will ja für sein Kind weder, dass es sich von anderen sofort verunsichern lässt, noch will man, dass das Kind keinerlei Einsichtsfähigkeit hat.

Und ja, auch wenn viele Kinder in der Autonomiephase sicher auch mal besonders stur sein können, ist diese Eigenschaft doch von Kind zu Kind unterschiedlich stark ausgeprägt. Und wenn man dann nach Lösungen für ein Problem sucht, ist es doch eine relevante Info, ob das Kind besonders stur/willensstark ist, oder sich vielleicht zu schnell verunsichern lässt und anpasst.

Für mich ist es einfach eine Information über das Temperament des Kindes - keine Entschuldigung für grobes Fehlverhalten oder gar mangelnde Begleitung durch die Eltern.

Eine Sache stört mich aber ebenfalls etwas an dem Wort, genauso wie auch beim Wort "gefühlsstark". Beide implizieren für mich, dass andere Kinder "willensschwach" oder "gefühlsschwach" sein könnten. Das fühlt sich nicht richtig an. Ich bevorzuge deshalb "stur" und "erlebt Emotionen besonders intensiv".

Bearbeitet von JuIi
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Wie auch immer man es nennt, es gibt so Kinder einfach. Meine Freundin hat zB so eine Tochter ich habe früher immer gesagt, "Bin ich froh, dass ich die nicht erziehen muss!".

Wenn die nicht wollte, dann wollte die nicht. meine Freundin ist eigentlich ziemlich streng und strukturiert, aber das Mädchen war eine ziemliche Herausforderung. Heute ist sie eine angenehme Zeitgenossin, aber das hat ihre Eltern oft an die Grenzen gebracht.

Ich bin viel "luschiger" in der Erziehung und lasse oft schonmal fünfe gerade sein. Aber mein Sohn war immer schon total folgsam. Der hat meistens gemacht, was man von ihm wollte. Da müsste ich gar nicht besonders streng sein.

Abgesehen davon, dass es solche "willensstarken" bzw sturen Kinder tatsächlich gibt, stimme ich dir allerdings zu, dass viele Eltern das als Ausrede benutzen, um sich vor der Erziehung zu drücken.

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Hey!

"Willensstark" ist auch eines der Worte, das ich nicht im U-Heft meines Kindes stehen haben möchte. Noch weniger als "lebhaft".

Für mich haben Kinder, die dann als willensstark gelten, eher eine geringe Frustrationstoleranz.

Ich kenne ein paar Menschen, die wirklich "willensstark" sind. Die ihre Ziele verfolgen und sich in Vorhaben verbeißen können- aber sie sind emotional flexibel genug und gehen nicht unter die Decke, wenn es dann doch schwieriger wird.


Liebe Grüße
Schoko

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Ich hab da auch lieber gar nichts stehen 😅. Oder auch ein "positive Entwicklung", das wir mal bekommen haben, weil die Auffälligkeiten von der letzten U sich normalisiert hatten.

Ich hoffe es ist allen klar, dass das U-Heft nicht genutzt wird, um Lobeshymnen zu schreiben, sondern um relevante Auffälligkeiten zu dokumentieren.

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"sondern um relevante Auffälligkeiten zu dokumentieren."

Ich hab gerade den Text gelesen, man freue sich über den Kommentar "willensstark", da das Kind ständig die Ärztin unterbrochen habe. Mir scheint "willensstark" eher ein Synonym für "impulsiv" zu sein.

Die letzte U hatten wir auch mitten in den KiGa-Ferien nach 4 Tagen Regenwetter. Gott, war ich naiv, die U in die Ferien zu legen.

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Hallo,
für mich hat es zwei Bedeutungen:
Zum ersten positiv, man kann willenstark sein, wenn man etwas erreichen will und alles dafür gibt, dass das klappt.
Zum zweiten negativ, wie in Deinem Fall. Ein willenstarkes Kind bringe ich eher in Verbindung mit unerzogen, hört nicht, "hat die Eltern im Griff", kann sich nicht benehmen, die Eltern kommen nicht gegen das Kind an. Das Wort wird benutzt, um das Fehlverhalten des Kindes (oder auch der Eltern, die sind es ja oft in Schuld, wenn sie das schlechte Benehmen durchgehen lassen) schön zureden.
LG
Elsa01