Werden wir weiterhin unsere Werte achten?

Mit Blick in die USA, die aufgrund ihrer 0-Toleranz-Politik bei illegaler Zuwanderung, sogar Familien auseinander reißen und mehr als 2000 Kinder gesondert interniert haben, frage ich mich, wann werden wir auch hier in Europa so weit sein, dass wir es akzeptieren, massiv Menschenrechte über Bord zu werfen und die Werte, die sich die westlichen Demokratien, insbesondere die in Europa, auf die Fahne geschrieben haben, einfach hinter uns zu lassen. Und was bedeutet das für unsere Zukunft?

Wenn am Ende die Orbans, Straches und Salvinis (Innenminister Italien von der rechtsradikalen Lega Nord) die Oberhand gewinnen und Europa Menschen auf der Flucht in außereuropäischen Internierungslagern einpferchen wie Vieh. Und das, was Europa einmal stark und einig gemacht hat, endgültig beerdigen? Das Asylrecht abschaffen und alle Länder außerhalb unserer Komfortzone zu einer Art entmilitarisierten No-Go-Area erklären?

Wenn man Ende die politischen Würstchen von Storch, Petry oder Gauland Recht behalten und Europa bei illegalem Grenzübertritt auf Menschen schießt oder die Menschen gleich wie Verbrecher behandelt und ähnlich wie in den Staaten, Familien auseinander reißt? Vor zwei Jahren hätte ich diesen Gedanken noch als absurd abgetan.

Ich bemerke gerade bei denen, die schon immer gegen Migration waren, vor allem bei mutmaßlichen Wirtschaftsflüchtlingen, dass es ihnen herzlich egal ist, was mit Menschen passiert, die nicht "zu uns" gehören. Aber auch bei gemäßigt denkenden Menschen zeigt die Angst, die von politischer Seite geschürt wird, Wirkung. Zwei Drittel der deutschen Bevölkerung lehnen eine weitere Zuwanderung ab. Auch wenn wir weit weg sind davon , eine wirkliche Belastungsgrenze erreicht zu haben, ist die gefühlte Bedrohung so groß, dass scheinbar alles, was fremd, was nicht wenigstens europäisch aussieht, abgelehnt oder zumindest skeptisch betrachtet wird.

Sind wir wirklich so mutlos geworden, dass wir meinen, nur eine restriktive Politik der Abschottung könnte die Lösung sein? Haben wir das nicht alles schon einmal in Europa gehabt und welche Folgen haben wir erleben müssen? Alles vergessen, alles egal?

Dieser Tage darf man nur noch flüstern vom europäischen Traum von Einigkeit und Gleichheit und Einigkeit, verpflichtet den Werten von Menschlichkeit und Brüderlichkeit. Zu groß ist die Gefahr, dass man aus irgendeiner Ecke als linksversiffter Gutmensch niedergebrüllt wird.

Eine CHRISTsoziale Partei, die einerseits Kreuze in öffentlichen Räumen aushängen will, nutzt die Stimmung der Menschenfeindlichkeit, der Wut wegen krimineller Ausländer und der Angst vor dem Fremden, um eine durch und durch unchristliche Politik mit aller Macht und Gewalt durchzusetzen.

Ich glaube, mein Gefühl des Fremdschämens für viele meiner Landsleute aber auch für einige Politiker war schon lange nicht mehr so groß.

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Alles schön und gut - aber die Asylgesetzgebungt ist nuneinmal NICHT für Menschen da, die "nur" ein besseres Leben wollen. Asyl ist für Menschen da, die politisch verfolgt werden.

So beschreibt auch die All­ge­meine Erk­lärung der Men­schen­rechte in Artikel 14 das poli­tis­che Asyl­recht. Sie gewährt dieses Recht allerd­ings nur sehr eingeschränkt, näm­lich als Recht des Men­schen, es in anderen Län­dern zu suchen. Dage­gen verpflichtet Art. 14 keinen Staat, poli­tisch Ver­fol­gten auch tat­säch­lich Asyl zu gewähren. Damit spricht Artikel 14 das Asyl­recht nur in der Form an, in der die Staat­en bere­it sind es zu gewähren.

Deutschland war (und ist) hier mehr als großzügig. Aber es kann nicht im Alleingang alle Menschen aufnehmen und versorgen, denen es wirtschaftlich schlechter geht. Das ist schlicht und einfach nicht möglich ohne selbst zum Pflegefall zu werden.

"Wer halb Kalkutta aufnimmt, hilft nicht etwa Kalkutta, sondern wird selbst zu Kalkutta!" - Dieser Satz von Peter Scholl-Latour stimmte schon immer!

So wie du kann nur jemand reden, dem es wirtschaftlich und sozial ausgesprochen gut geht. Der nie mit 250 anderen Bewerbern um eine halbwegs bezahlbare Wohung konkurrieren mußte oder dem noch nie mit dem Hinweis auf "1.000 Andere, die den Job für noch weniger machen" extra Druck in seinem sowieso schon beschissen bezahlten Zweitjob gemacht wurde. Wenn du ernsthaft der Meinung bist, wir wären "weit weg von einer wirklichen Belastungsgrenze" kann ich nur davon ausgehen, daß du irgendwo weit weg von den sozialen Brennpunkten dieser Republik wohnst (vermutlich in einem Eigenheim im Grünen) und dir auch keinerlei Sorgen um deinen Job machen must. Anders ist dieser (ich muß es leider so nennen) vor Gutmenschlichkeit triefende Text nicht zu erklären. Es gibt genügend Leute, die selbst genug Probleme haben ohne sich auch noch die Probleme aller wirtschaftlich Benachteiligter auf diesem Planeten zu Eigen machen zu müssen. Und nur weil das so ist sind das noch lange nicht alles schlechte Menschen. Den linksgrünen Lebensentwurf muß man sich nämlich erst einmal leisten können...

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Meine Lektion aus den letzten Jahren und Jahrzehnten ist eine andere, nämlich die, dass wir mit Einseitigkeit nicht weiterkommen.

Schon in den 90ern haben die Konservativen darin versagt einzugestehen, dass wir de facto ein Einwanderungsland sind (und auch schon immer waren). Zugleich haben die Progressiven geglaubt, Einwanderung ist ein Alle-Tage-Multikulti-Straßenfest und man bräuchte Einwanderung weder steuern, noch von den Einwanderern etwas fordern.

Als Resultat hatten wir Einwanderung, aber nicht per Einwanderungsgesetz, sondern per Asylrecht, nicht von permanenten Zuwanderern mit Perspektive, sondern von temporär Geduldeten -- wie soll Integration da gelingen?

Seinerzeit hat irgendwann die radikale Rechte in Form der REPUBLIKANER & Co rabatz gemacht, die Etablierten haben sich empört -- und am Ende doch das Asylrecht verschärft.

Bei der jüngsten Flüchtlingskrise wieder ein ähnliches Spiel: Die Rechten wollen die Grenzen gleich dicht machen, die Etablierten sagen, wir schaffen das -- nur um später die Balkanroute über entsprechende Deals dicht zu machen.

Die Konservativen wollen eine Obergrenze, die Progressiven sind dagegen, herauskommt eine "Spanne", die natürlich auch eine obere Grenze hat, die aber nicht "Obergrenze" genannt werden darf, alles klar?!

Du störst Dich an der derzeitigen Wortwahl in der Öffentlichkeit, zu recht, finde ich, aber es ist für mich wiederum nur die Gegenbewegung zur ersten Friede-Freude-Eierkuchen-Phasen, wo wir die Flüchtlinge an den Bahnhöfen freudig begrüßt haben, um die Altkleidervorräte in Kellern und Speichern zu entsorgen. Das war auch alles nett, aber jetzt sind die Leute noch immer da und wieder zeigt sich: Auch unter den Zugewanderten gibt's solche und solche Menschen und und dass Integration in jedem Falle langwierig ist und oft mühselig dazu, zumal mit zu wenig Geld und zu wenig Perspektive.

Du schreibst, die "wirkliche Belastungsgrenze" sei noch nicht erreicht. Das ist objektiv sicher richtig. Zugleich möchte ich die "wirkliche Belastungsgrenze" lieber nicht kennenlernen, denn schon bei der Annäherung daran befürchte ich weniger nette Auseinandersetzungen.

Was erträglich ist und was nicht, ist ja 1) sehr subjektiv und 2) regional und lokal auch sehr verschieden. Bin ich beim Schützenfest auf dem Dorf ist der Ausländeranteil nahe null, geh' ich ins Schwimmbad in der Stadt denke ich plötzlich, das ist ja schon ein ganze Menge Zuwanderung, das sah vor drei Jahren noch anders aus.

Noch interessanter, was dann in den Schulen passiert. Es stimmt, die Christsozialen sind scheinheilig mit ihren Kreuzen am Eingangstor. Die sind den Progressiven aber auch nur Empörung wert, ihre Kinder schicken sie weiter in die Schulen. Wenn aber plötzlich der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund gefühlt zu hoch wird, was passiert dann? Dann stimmen die Progressiven plötzlich ab, nicht mit dem Wahlzettel, aber mit den Füßen und schicken ihre Kinder auf andere Schulen, entweder in einem anderen Stadtteil oder sogar in die boomenden Privatschulen, am Ende gar in religiöse, allen Grundsätzen zum Trotz -- ist das weniger scheinheilig?

Ich finde es fehlt irgendwie die Mitte, statt Ehrlichkeit und Mäßigung haben wir Helikoptermoral und Drama.

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Danke, sehr schön geschrieben und schlußendlich:
>>Ich finde es fehlt irgendwie die Mitte,...<<
Genau so sehe ich das im Moment auch!

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Ist denn die Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel so weit weg von der Mitte, die du dir wünschst?

Ich empfinde die Mehrheit der deutschen Bevölkerung genau in dieser Mitte. Aber die Ränder sind viel lauter und deswegen entsteht der Eindruck, man habe nur links oder nur rechts.

Außerdem sind die Verfehlungen einer zu laxen Integration von Grünen und SPD der Vergangenheit für mich nun kein Grund, grundsätzliche Werte abzuschaffen, die lange Zeit von allen Parteien anerkannt wurden. Nur die AfD stellt in der jüngeren Geschichte von allen Bundestagsparteien diese Werte in Frage.

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Heute morgen in der Zeitung--ein großer Artikel bezüglich dem Streit Seehofer/Merkel, ein Artikel über akuten Pflegekräftemangel, ein Artikel über fehlende Lehrer im sonderpädagogischen Bereich und ein Bericht über kaputte Brücken in NRW, die aufgrund fehlender Kohle nur langsam saniert werden können.
Alles hintereinander weg. Da sitzt den Leuten wohl das Hemd näher, als die Hose.
Dazu kommt, dass die Schlagzeilen bestimmt werden durch Verbrechen, die von Flüchtlingen begangen wurden. Und nein, ich lese nicht die Bild, sondern die WZ ;-) Aber der Strafprozess wegen Mia hat heute begonnen.
Da kommen eben bei vielen Menschen Dinge zusammen, die nicht unbedingt nach "Refugees Welcome" klingen. Und diese Menschen mitsamt der Ängste und Sorgen kann man dann nicht noch mit Vorwürfen überhäufen und denen sagen "Jetzt stellt euch mal nicht so an, ihr seid eine Schande für Europa".
Anstatt dich fremdzuschämen für deine Landsleute, wäre Ursachenforschung vielleicht nicht verkehrt ;-) Erst dann kann man ALLEN helfen, wenn man die Ängste kennt, bzw. sich versucht hineinzudenken.

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"Anstatt dich fremdzuschämen für deine Landsleute, wäre Ursachenforschung vielleicht nicht verkehrt "

Wenn Globalisierungsverlierer auf einmal Rechtsaußen oder Autokraten zu ihrer vermeintlichen Rettung wählen, doch dann schäme ich mich dafür. Weil diese Menschen aus der Geschichte nichts gelernt haben.

Gott sei Dank machen das aber nicht alle. Die 40% der Erwerbstätigen in Deutschland, die seit den 90er Jahren kaum Lohnzuwächse hatten, denen muss konkret geholfen werden. Mehr sozialer Wohnungsbau, eine ausgleichendere Steuerpolitik, höherer Mindestlohn usw. Aber mit diesen Versäumnissen haben doch Flüchtlinge nichts zu tun. Obwohl sie derzeit der Sündenbock für alles Üble sind. Es entsteht doch geradezu der bizarre Eindruck in manchen Kreisen, dass wir vor der Flüchtlingskrise Dinge wie sexuelle Belästigung nicht hatten, keine Vergewaltigungen usw..

Mir geht es aber eigentlich darum, dass derzeit bestimmte Wertvorstellungen beliebig gedehnt, ausgehöhlt oder über Bord geworfen werden. Wozu haben wir ein Grundgesetz oder eine europäische Verfassung wenn die, jedesmal wenn es etwas enger wird, geändert und verschärft werden. So wie Anfang der 90er Jahre.

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Was die Werte angeht, die Du erwähnst, so glaube ich nicht, dass die Bevölkerung diese Werte je wirklich verinnerlicht hat oder sie sogar befolgt. Außer auf Sonntagsveranstaltungen im Grünen. Vielleicht teilen viele Menschen diese Werte nicht einmal. Mein weißer Nachbar, der mit mir am Wochenende zum gleichen Fußballverein pilgert, den kann ich vielleicht noch als meinesgleichen ansehen und eine gewisse „brüderliche“ Verbundenheit nachempfinden. Aber der Schwarzafrikaner, der es wagt hier vorbeizuschauen, nachdem ich mit meinem Konsumverhalten seine Lebengrundlage ruiniert habe, was hat der freche Kretin hier verloren? Soll er doch Kuchen fressen wenn er kein Brot hat! Das ist kein Mitmensch, niemand, den ich als Bestandteil meiner sozialen Sphäre betrachte.

Was ich so wie Du sehe, ist, dass wir diese Werte auch als Zielsetzung aus den Augen verlieren. In ganz Europa. In manchen Ländern ganz unverblümt. Und dabei geht es nicht um Polarisierung von One-World-Junkies und konservativen Wählern sondern um eine Wertebasis, die universelle Gültigkeit hat. Diese erodiert derzeit in einem schleichenden Prozess. Auch und gerade in der aktuellen Diskussion, in der nahezu alle europäischen Regierungschefs nur noch darüber reden, wie schnell man möglichst viele Menschen wieder los wird. Und wenn sie am Ende im Meer absaufen, was soll’s? Es gibt doch genug von ihnen. Sind sie doch sogar selbst Schuld wenn sie auf die bösen Schlepper hören oder nicht gleich in ihrem Land bleiben, um es wieder aufzubauen, nach dem man es mit unseren Waffen und unserer Technologie in Schutt und Asche gelegt hat.

Ich habe in den letzten zwei oder drei Jahren so viel Schund in Foren und Netzwerken gelesen, so viel menschenverachtenden Dreck, Dinge, von denen ich immer gedacht habe, wir hätten eine solche Denkweise zumindest bei uns in Mitteleuropa längst hinter uns gelassen. Von Menschen, die aus innerster Überzeugung hinausschreiben, doch kein Nazi zu sein und noch nie Rechts gedacht zu haben. Dabei kam mir dann tatsächlich der zynische Gedanke, vielleicht ist das, wovor sich rechte Wähler am Meisten fürchten, nämlich die „Umvolkung“ gar nicht so eine schlechte Sache. Besser das Land mit ein paar arbeitsscheuen Taugenichtsen aus den Tiefen des afrikanischen Kontinents neu zu bevölkern als es diesem dekadenten und mitleidlosen Wohlstandsproletariat zu überlassen, dass derzeit die Deutungshoheit über die europäische Migrationspolitik bekommt.

Weil wir im globalen Vergleich so unermesslich reich sind und weil wir diesen Reichtum Jahrhunderten von Ungerechtigkeit und Unterdrückung verdanken, machen wir uns heute ständig schuldig, ob wir wollen oder nicht. Aber deswegen leben wir auch so komfortabel. Und ein einziger Click auf den Switch-Off-Button vom TV oder Computer lässt uns wieder Abstand nehmen von den Bildern, die uns dann heimsuchen und bei dem ein oder anderen von uns noch so etwas wie ein Restgewissen animieren.
Es gibt völlig unterschiedliche Varianten, auf diese Situation zu reagieren. Die einfachste ist, die eigenen Schuldgefühle zu ignorieren und wie oben erwähnt, den Fernseher einfach auszuschalten. Und vielleicht wohlfeil am nächsten Tag in Foren ihr zynisches Blabla verfassen……so wie ich jetzt.

Oder aber diese Gefühle in Aggression umzuwandeln. So machen es derzeit die AfD, die CSU, Teile der CDU und der Linkspartei. Sie tun so, als stünden wir Invasoren gegenüber, die ohne Grund und ohne Anlass in unsere Länder und Sozialsysteme einfallen, um uns dessen zu berauben, was wir doch ganz alleine erarbeitet haben. Dabei kann sich jeder mit ein wenig mehr IQ als einem Sack Bohnen ausmalen, dass wir es selbst sind, die diese Menschen vor unsere Türe treiben. Aber wer will das denn wissen? Das ist doch die Frage.

Ich habe wirklich den Verdacht, dass die Reaktionen mancher auf das Thema Migration auch mit jenem unterschwelligen Schuldgefühl zu tun haben. Auf einmal wollen doch tatsächlich Menschen aus den Ländern, deren Wirtschaft wir mit unserem Konsum und unserer Exportpolitik in die Grütze fahren oder zumindest dabei helfen, persönlich bei uns vorbeikommen. Wie peinlich ist das denn? Wer Fluchtursachen bekämpft, bekämpft dabei gleich kollektive Schuldgefühle mit.

Übertrieben und mit einem Beispiel gesagt: Auch an meinem Smart Phone klebt vermutlich Schweiß und Blut. Von in Minen schuftenden Kindern oder von chinesischen Arbeitssklaven. Und ich wette, mindestens die Hälfte derer, die sich das vor Augen führen, zucken am Ende nur mit den Schultern und lassen ihren Unisono-Standardfurz vom Stapel: „Mimimimi, man kann nun mal nicht allen Menschen helfen!“
Nee, stimmt, kann man nicht Du Blitzbirne! Aber wie wäre es, wenigstens einigen zu helfen, statt gleich die Türe zuzuschlagen? Oder wenn man einigen geholfen hat, gleich das Wehklagen zu beginnen, wer das denn alles bezahlen soll? Kleinmut als Lebensphilosophie, Ignoranz als Grundeinstellung.

Gutmenschen, wie ich einer bin, haben sich, um mal die Formulierung eines anderen Autors zu wählen, ihren eigenen Ablasshandel geschaffen. Wir kaufen Bio ein, fahren am Wochenende auch mal mit dem Fahrrad, kaufen fair gehandelten Kaffee oder Schokolade oder überlegen uns, dass Eigenheim öko-optimiert auszubauen - um dann doch wieder auf die Malediven zu fliegen und mit dem Reisekonsum die Ökobilanz weltweit in den Keller zu fahren.

Aber diese Art Ablasshandel hat natürlich Grenzen. So sehr ich dafür bin, Flüchtlinge aufzunehmen und der Meinung bin, es könnte – vernünftig auf die Jahre verteilt – auch noch ruhig die ein oder andere Million mehr sein, so habe ich doch am Ende noch keinen einzigen dieser Menschen keinen einzigen bei mir zu Hause beherbergt. (Meine Mutter mit 93 Jahren hat dies getan, zumindest in einer Mietwohnung in ihrem Besitz. Und vielleicht reicht ihre Tat ja auch für mich, um mir Absolution zu verschaffen.)

Was mir Hoffnung gibt ist, dass wir Menschen es in größeren Gruppen schaffen, unser kollektives Bewusstsein zu ändern. Und das mündet dann am Ende in Gesetzen, die z.B. bleifreies Benzin verbieten, Dosenpfand einführen, die Prügelstrafe in der Kindererziehung abschaffen, FCKW-freie Produkte verbannen und vielem mehr. Nur müssen wir uns dazu aufraffen. Und der Gesetzgeber muss es umsetzen. Und um bei dem Smart Phone-Beispiel zu bleiben: Warum nicht ein Gesetz, dass den Verkauf von Geräten aus der Verarbeitung von Seltenen Erden aus Sklavenhaltung verbietet? Warum kein Gesetz, dass es der EU verbietet, Agrarüberschüsse in die dritte Welt zu exportieren um die dortigen lokalen Märkte zu überschwemmen, so dass der dortige Milchbauer seine Geschäftsgrundlage verliert und eines Tages an meine Türe klopft. Und ich ihm sagen muss: Tja Pech mein Guter, wir wollen Dich hier auch nicht! Außerdem, was habe mit der EU und deren Agrarpolitik im fernen Brüssel zu tun?! Ich will doch nur billig Milch kaufen. Den Liter Bio-Milch für maximal 1 Euro. Und jetzt scher Dich weg, schwarzer Mann, im nächsten Leben wird bestimmt alles besser.

Am Ende des Tages bin ich mir jedoch sicher, kann jeder einzelne etwas tun. Es nützt allerdings nicht auf die Politik zu warten. Die macht nur das, von dem sie meint, die Bürger erwarten es von ihr. So wie eben die CSU derzeit meint, ihre potentiellen Wähler erwarten nun endlich ein paar Menschenopfer. Möglichst eins von kriminellen Flüchtlingen, dann haben wir auch noch gleich eine gute Tat für unsere blonden Töchter vollbracht. Also werden alle zu Illegalen erklärt, das klingt doch schon mal ganz schön kriminell oder?

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Ganz schön zynisch. Aber ich denke, wir liegen nah beieinander

Es ist ein echtes Dilemma. Wir wollen dass keine Menschen mehr kommen und die Lebensgrundlagen in deren Ländern verbessern, machen aber selbst als Konsumenten unverdrossen das Gegenteil von dem, was wir sollten.

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Du hast natürlich wieder so was von Recht. So sind wir wieder bei dem Teufelskreis, der hier schon ausführlich diskutiert wurde und dennoch vergisst man oft, was man selbst eigenltich dazu beiträgt, daß es Menschen gibt, die in ihrem Land nicht mehr leben wollen...
Dennoch sage ich, man muss zuerst das Chaos hier sortieren und Herr der Lage werden und dann wieder handeln, momentan muss man eine "goldene" Mitte finden.

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Danke für Deine Worte. Ich bin da ganz bei Dir. Mich macht inzwischen vieles fassungslos und ich frage mich, wo das Menschsein bleibt.

Aber wenn ich sehe, wie in meiner (reichen, auch im innerdeutschen Vergleich) Stadt Autofahrer, die in der Mehrzahl alleine im Auto sitzen, sich weigern, dem Rettungswagen Platz zu machen, dann ahne ich, was sich in dieser Gesellschaft ausgebreitet hat. Und das ist bestimmt kein deutsches Problem. Es ist ein Problem unserer Zeit.

Amerika hat uns die Demokratie herbeigebombt. Wir haben sie mit gesenktem Kopf angenommen, auf unsere Art interpretiert. Ich habe mal den sehr lesenswerten Wikipedia-Artikel über Roosevelt, der das damalige Amerika lange und stark geprägt hat in mich aufgesogen und in diesem Moment wurde mir klar, dass uns genau solche Personen nicht mehr begegnen.

Auch das hat tiefe Ursachen.

Deutschland, Europa, die Welt hat starke Probleme. Die Menge der Menschen, die Asyl suchen, ist ein klitzekleiner Teil davon. Der größte ist die Schwindsucht der Werte für die wir einmal dankbar waren. Ich bin nicht optimistisch.

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.........-Gutmensch- als Schimpfwort.
Das sagt so viel über unsere Zeit aus.
So erschreckend viel.

https://m.youtube.com/watch?v=kDV29Kkc-LA

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Nein, nicht über unsere Gegenwart, sondern über uns.

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ganz ehrlich , die kriege und zwar alle die gehören beendet,
dafür könnten sich unsere politiker einsetzten und nicht Waffen an kriegsländer verkaufen was frau merkel gerne tut...

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Dem kann man nur vollumfänglich beipflichten!!!

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Das ist eine sehr vereinfachte, und damit leider unzulängliche Sicht auf die Dinge. Waffen zu exportieren oder auch nicht verhindert keine Kriege. Und ja, ich fände es auch toll, wenn es null Waffen (Kriegswaffen) auf der Welt gäbe. Und ja, jeder Krieg ist ein Krieg zu viel.

Um das ganze aber einmal in Relation zu setzen, weil du hier explizit Frau Merkel angesprochen hast: Wenn du schon mit dem Finger auf jemanden zeigst, dann solltest du Trump und Putin nicht ausklammern, denn die USA und Russland exportieren 5-6 mal soviel wie Deutschland.

Anteil Waffenexporte weltweit 2010-2014:
USA: 31%
Russland: 27%
China: 5%
Deutschland: 5%
Frankreich: 5%

https://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_R%C3%BCstungsexport

Kriege verhindert man mit Diplomatie und Verhandlungen. Kriege werden weniger, wenn Menschen auf der Welt überall unter besseren Bedingungen leben. Hier muss man ansetzen und in den letzten 50 Jahren haben sich die Lebensbedingungen der Menschen - global gesehen - drastisch verbessert.

Interessant ist auch zu sehen, dass, obwohl die Anzahl der Konflikte in den letzten Jahren angestiegen ist, sie vom Ausmaß her kleiner sind und weniger Tote zur Folge haben. Kriege zwischen Ländern gibt es eigentlich kaum noch, es sind heute vor allem Bürgerkriege und innerstaatliche Auseinandersetzungen mit Intervention ausländischer Staaten.

https://ourworldindata.org/war-and-peace#war-and-peace-after-1945

(decline == sinken, increase == ansteigen)

"The absolute number of war deaths has been declining since 1946. In some years in the early post-war era, around half a million people died through direct violence in wars; in contrast, in 2016 the number of all battle-related deaths in conflicts involving at least one state was 87,432.

The decline of the absolute number of battle deaths is visualized in the following graph that shows global battle deaths per year by world region. There are three marked peaks in war deaths since then: the Korean War (early 1950s), the Vietnam War (around 1970), and the Iran-Iraq and Afghanistan wars (1980s). There has been a recent increase in battle deaths driven by conflict in the Middle East, particularly in Syria, Iraq and Afghanistan.
...
As we have seen, the number of war victims varies hugely between different wars; whereas 1,200,000 died during the the Korean War (1950–1953), other wars had 'just' 1,000 victims. For this reason, statistics on the number of wars should not be considered without information on the size of these conflicts.

The following figure shows that the overall number of ongoing conflicts each year has increased, as compared to the immediate post-WWII period. This increase however only relates to civil conflicts within states. Conflicts related to the expansion or defence of colonial empires ended with decolonisation. Conflicts between states have almost ceased to exist.
...
The increase in the number of wars shown before is predominantly an increase of smaller and smaller conflicts. This follows from the previously shown facts that the number of war victims declined while the number of conflicts increased."

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Passend dazu:

https://ze.tt/moderatorin-beginnt-in-live-sendung-zu-weinen-als-sie-ueber-die-familientrennung-an-der-us-grenze-berichten-soll/

Mag sich jeder selbst ein Bild davon machen.

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Und leider auch:

http://www.sueddeutsche.de/politik/ungarn-gesetz-fluechtlingshelfer-1.4024993

Ich erinnere in diesem Zusammenhang gerne daran, dass Ungarn seit dem Untergang der kuk-Monarchie mit dem Problem des Bedeutungsverlusts kämpft. Das wird aber nicht die alleinige Ursache sein. Man darf wohl auch nicht vergessen, dass Ungarn der Staat war, in dem die Faschisten bis zuletzt erbittert an Hitlers Seite gekämpft haben und Onkel Adolf in den Frühlingstagen 1945 seine letzten Elitetruppen dorthin schickte um Budapest "freizukämpfen".

Wie bezeichnend ärmlich, wenn deutsche Politiker (außerhalb der AfD!) deren Regierungschef bewundern.