Nur eine Zweck-Gemeinschaft?

Mütter-Freundschaften

Kinder im gleichen Alter, ein ähnlicher Tagesablauf, vielleicht der Besuch des gleichen Baby-Kurses: So entstehen Mütter-Freundschaften. Geht es jedoch um Erziehungsfragen, kommt es häufig zu Konflikten, an der so manche "Freundschaft" zerbricht.

Autor: Maja Roedenbeck

Mütterfreundschaft - fragile Beziehung mit eigener Dynamik

Freundinnen mit Babys
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Das Thema Freundschaft wird in Studien und Ratgebern von allen möglichen Seiten beleuchtet: Da geht es um den Unterschied zwischen Frauen- und Männerfreundschaften, um die Bedeutung von Kinderfreundschaften für die Entwicklung der Persönlichkeit, und, und, und. Nur eine Art von Freundschaft wird von den Experten vernachlässigt: die Mütterfreundschaft. Dabei beschreibt dieser in der Umgangssprache geläufige Begriff eine ganz besondere zwischenmenschliche Verbindung mit einer ganz besonderen Dynamik, die für viele Frauen während der ersten Jahre mit Kindern sehr wichtig ist. Über kurz oder lang gerät jedoch fast jede Mütterfreundschaft in ähnliche Konflikte und nicht selten zerbricht sie daran. Nämlich dann, wenn die Frauen die Belastbarkeit und die Bedeutung ihrer so jungen, so fragilen Beziehung überschätzen oder die der Mütterfreundschaft bei weitem überlegene Mutter-Kind-Bindung zwischen der Freundin und ihrem Nachwuchs unterschätzen.

Die klassische Mütterfreundschaft geht so: Zwei Frauen treffen sich zufällig jeden Nachmittag um drei mit ihren einjährigen Sprösslingen auf dem Spielplatz oder immer montags morgens beim Babyturnen. Man kommt miteinander ins Gespräch, man hat dieselben Probleme und Fragen rund um durchwachte Nächte, Kindergartenplatzsuche und Töpfchentraining, und so entsteht schnell die typische Sympathie zwischen Leidensgenossen. Schon bald treffen sich die Frauen nicht mehr nur zufällig, sondern verabreden sich einmal die Woche mit den Kindern, freuen sich über das Verständnis der „Freundin“ für ihre Situation und über ihre Gesellschaft. Nach einem Jahr glauben sie, eine echte neue Freundschaft etabliert zu haben, die sich gar mit anderen Sandkastenfreundschaften, die bis heute gehalten haben, messen kann. Dabei handelt es sich „nur“ um eine Mütterfreundschaft ohne die Basis aus Höhen und Tiefen, die über Jahre hinweg miteinander durchgestanden wurden.

Geschichten von wunderbaren, unverwüstlichen Mütterfreundschaften wie der zwischen Sängerin Madonna und Schauspielerin Gwyneth Paltrow sind Märchen, die von Gala, Bunte und Co. gern verbreitet werden, im normalen Alltag mit Kindern jedoch keinen Bestand haben. Die Wirklichkeit sieht anders aus, wie ein Blick in die Foren und Chatrooms aller möglichen Familienangebote im Internet beweist. Die Konflikte zwischen Mütterfreundinnen, die dort aus erster Hand beschrieben werden, klingen dabei auffallend ähnlich und lassen sich frei nach der Redewendung „Beim Geld hört die Freundschaft auf“ auf die Formel „Bei der Kindererziehung hört die Mütterfreundschaft auf“ herunterbrechen.

Dauerbrenner unterschiedliche Erziehungskonzepte

Auf www.rabeneltern.org beschreibt zum Beispiel Kira, Mutter von Nathalie und derzeit in New York wohnhaft, wie sie auf dem Spielplatz dazwischengeht, wenn ihrer Tochter Schippe und Eimer mit Gewalt weggenommen werden: „Daran ist fast schon einmal eine sehr gute Mütterfreundschaft zerbrochen. Meine Freundin war der Meinung, man brauche sich auch dann nicht einzumischen, wenn ein Kind bereits blutet, und zwar meins. Wenn ich davon erzähle, merke ich, dass ich diesen Nachmittag immer noch nicht so ganz verknust habe!“ Eine typische Situation, in der Mütterfreundschaften auf die Probe gestellt werden: Die beiden Frauen haben unterschiedliche Erziehungskonzepte, die auf unterschiedlichen Lebenseinstellungen basieren. Wenn sie aufeinanderprallen, entstehen Diskussionen, die so grundsätzlich sind, dass sie in Ruhe geführt werden müssten, damit sie nicht eskalieren, und nicht im Eifer des Gefechts auf dem Spielplatz zwischen anderen Müttern, die sich einmischen, und Kindern, die sich um Schippe und Eimer streiten. In solchen Momenten haben Mütterfreundinnen gar nicht den Kopf frei, um sich wie vernünftige Erwachsene zu benehmen und aufeinander einzugehen. Ihre Beziehung leidet mitunter sehr.

Auch wenn die Kinder schon älter geworden sind und mit ihnen die Mütterfreundschaft, bleibt sie fragil, denn sie ist per Definition erst nach der Mutter-Kind-Bindung zwischen den beiden Müttern und ihrem jeweiligen Nachwuchs entstanden und wird niemals enger sein. So beschreibt Ramona aus Dresden auf www.spin.de, wie ihre 12jährige Tochter von ihrer besten Freundin ausgenutzt und vor anderen Kindern erniedrigt wird: „Natürlich muss sie lernen, mit Zurückweisungen zu leben, sie muss da alleine durch, es ist nur sehr schwierig, sich zurückzuhalten, weil ich mit der Mutter sehr gut befreundet bin. Die Mutter spricht mich immer mal darauf an, aber ich sage dann immer, dass ich mich raushalte.“ Und das, obwohl Ramonas eigener Impuls ihr sagt, dass es richtig wäre, ein ernstes Wörtchen mit der Tochter der Freundin zu reden. Sie muss in diesem Fall nicht nur entscheiden, wie sie mit dem Konflikt der beiden Mädchen umgehen soll, sondern auch, welche Auswirkungen das auf ihre Mütterfreundschaft hat. Denn die steht hier auf der Probe.

Glucke trifft auf Kuckucksmama

Immer wieder sind es die Erziehungskonzepte, die zwischen den Mütterfreundinnen stehen. Eher autoritär trifft auf eher laissez-faire? Konflikt! „Meine erste Mütterfreundschaft aus dem Pekipkurs ist zerbrochen, als mir meine vermeintliche Freundin mitteilte, ich solle lieber in den Zirkus gehen, Tiere dressieren, als Kinder zu erziehen“, erinnert sich Isabell S. (30) aus Berlin, Mutter zweier Töchter (5 und 3), „Sie fand, ich sei zu streng mit meinen Mädchen, und ich fand, sie tolerierte zuviel. Natürlich habe ich ihr dann im Gegenzug an den Kopf geworfen, dass ich eben kein Kind wie ihren Sohn haben will, der dauernd rumheult oder sogar herumspuckt, wenn was nicht nach seiner Nase läuft. Und das war das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben.“ Klassische Glucke trifft auf Kuckucksmama, die auf die frühe Selbständigkeit ihres Kindes bedacht ist? Konflikt! „Ich habe eine Freundin, die klagt mir ständig wie anhänglich ihre dreijährige Tochter sei. Die bekommt morgens immer noch ein Milchfläschchen und will dabei an Mamas Busen herumfummeln“, erzählt Sabine R. (31), ebenfalls aus Berlin und Mutter einer Tochter (4) und eines Sohnes (3). „Meine Freundin meint, sie könne ihr das nicht verbieten, das wäre doch ein Trauma fürs Kind. Andererseits hat sie es schon im Alter von sechs Monaten in der Kita betreuen lassen und sich damals keine Sorgen gemacht, ob das vielleicht zu früh oder gar traumatisch für das Kind sein könnte. Ich mag mir ihre Klagen nicht länger anhören, aber ich traue mich auch nicht, ihr meine ehrliche Meinung über ihr inkonsequentes Verhalten zu sagen, weil ich Angst um unsere Freundschaft habe.“ Und das zu Recht – die typische Mütterfreundschaft wird solcherlei Vorhaltungen wahrscheinlich nicht überstehen. Sie ist nach ein paar Picknicktreffen im Sommer und Indoor-Spielplatz-Besuchen im Winter einfach noch nicht reif für absolute Offenheit und unverblümte Kritik. Sie ist einfach (noch?) keine echte Freundschaft – und hat trotzdem ihren Wert.

Potential zu echter Freunschaft

Frauen, die ihre Mütterfreundschaft nicht mit falschen Erwartungen unter Druck setzen, haben die größte Chance, daraus Lebensqualität zu ziehen, ohne sich von den Konflikten herunterziehen zu lassen. Denn wenn ich mir eingestehen kann, dass es sich nicht um eine echte Freundschaft, sondern doch eher um eine Zweckgemeinschaft handelt, bei der es nur darum geht, die Sorgen und Nöte, die Einsamkeit und Ausnahmegefühle der Elternzeit zu teilen, kann ich das Ganze viel lockerer sehen. Dann weiß ich: Ich muss diese Frau nicht zu meinem Erziehungskonzept bekehren, ich bin ihr gegenüber nicht zur absoluten Offenheit verpflichtet, denn sie ist nicht meine Freundin im eigentlichen Sinne. Ich bin aber auch nicht gezwungen, Harmonie zu spielen, wo keine ist. Wenn wir nicht zusammenpassen, dann geht die Mütterfreundschaft eben auseinander und es wird sich im Schwimmkurs oder bei der musikalischen Früherziehung eine andere Frau finden, die das Kinderchaos für ein oder zwei Jahre mit mir teilt.

Für Kira, die Mutter der kleinen Nathalie, die auf dem Spielplatz von dem Sohn von Kiras Mutterfreundin verletzt wurde, bedeutet diese Einsicht ganz klare Konsequenzen. Auf www.rabeneltern.org erzählt sie, wie es nach dem Konflikt mit ihrer Mütterfreundschaft weiterging: „Unser Kontakt besteht zwar noch, wenn auch wackeliger als zuvor, den Kontakt zwischen den Kindern haben wir jedoch abgebrochen.“ Es galt zu entscheiden, welche Freundschaft es wert war, erhalten zu werden. Eine Mutter aus Nordrhein-Westfalen mit dem Nickname „Skyduck“ gibt Ramona aus Dresden, deren 12jährige Tochter Probleme mit ihrer besten Freundin hat, auf www.spin.de einen ähnlichen Tipp: „Die Mütterfreundschaft solltet ihr einfach messerscharf von der Kinderfreundschaft trennen. Das sind zweierlei Dinge.“ Um beide zu retten, können sich die Frauen entweder einigen oder das Thema Kindererziehung aus ihrer Mütterfreundschaft verbannen. Dann wird sie aber immer oberflächlich und anfällig bleiben. Manchmal ist die Meinungsverschiedenheit, vor allem in den Augen der Kinder, vielleicht auch gar nicht so unüberbrückbar wie es anfangs scheint und kann mit ein wenig Lockerheit aufgefangen werden. So ergänzt „Ataraxia“ aus Rheinland-Pfalz im Hinblick auf Ramonas Problem: „Du solltest vor allem kein Gespräch mit der Mutter der Freundin deiner Tochter anstrengen, ihr werdet euch die Haare ausreißen, während eure Kinder längst wieder zusammen spielen.“

Nicht zuletzt gibt es durchaus Mütterfreundschaften, die Potential haben. Aus denen eine echte Freundschaft entstehen kann. Das erkennen die Frauen daran, dass sie mehr verbindet als nur Babytalk und Kinder, zum Beispiel ähnliche Karrierepläne, familiäre Hintergründe oder kulturelle Interessen. Dass der Wunsch besteht, die Mutterfreundin auch mal ohne Nachwuchs an einem Erwachsenenort zu treffen und sie nicht nur als Mutter, sondern auch als Frau kennenzulernen. In diesem Fall kommt die Mütterfreundschaft an einen Punkt, an dem sie beweisen muss, dass sie auch Konflikte aushält. Denn eine Meinungsverschiedenheit über Kindererziehung kann dann nicht mehr einfach übergangen werden. Die Frauen müssen sich ihr – wie jedes andere Freundespaar auch – stellen, mit dem Ziel, dass die Beziehung daran wächst.