Missbrauch in der Kindheit aufarbeiten

Hallo ihr Lieben,

Ich habe weiter unten einen Beitrag gesehen, der bei mir einiges ausgelöst hat und ich glaube, ich muss es mir hier einfach mal anonym von der Seele schreiben. Als Kind wurde ich von meiner Schwester eine Zeit lang sexuell misshandelt. Ich war ca. 7 Jahre alt, sie ist 7 Jahre älter als ich. Sie war also schon in einem Alter, in dem man sich bewusst sein sollte, was man da tut. Ich musste sie berühren, sie wollte mich berühren, ich musste ihr zuschauen während sie sich befriedigt hat. Meine Erinnerungen daran sind sehr verschwommen. Viele Jahre lang habe ich es komplett vergessen oder wohl eher verdrängt, aber vor ca. 2 Jahren war es auf einen Schlag wieder da. Seitdem lassen mit die Gedanken daran keine Ruhe. Meine Schwester und ich haben eigentlich ein normales Verhältnis. Wir haben beide Kinder, haben Kontakt, treffen uns etc.
Ich schaffe es nicht, sie damit zu konfrontieren. Sie würde wahrsch damit reagieren, es komplett abzustreiten. Sie hat schon immer jeden Vorwurf aufs schärfste abgestritten (egal wie berechtigt er war) und wenn ich diese Sache anbringe, wird sie wohl alle Verteidigungsmechanismen hoch fahren. Wahrscheinlich kommt auch meine Angst durch, weil sie mich als Kind immer unterdrückt und ihre Überlegenheit als Ältere hart durchgesetzt hat. Ich stand immer unter ihr. Außerdem sind meine Erinnerungen wie gesagt extrem verschwommen und ich könnte sie wohl unter Druck richtig verteidigen.
Aber sonst habe ich mich niemandem anvertraut. Zu meien Eltern besteht kein Vertrauensverhältnis, meine Mutter ist suchtkrank und hat durch jahrelange Manipulationen viele Schäden bei mir hinterlassen. Selbst meinem Mann konnte ich von dem Missbrauch nicht erzählen, zu groß ist das Schamgefühl. Alle anderen schwierigen Umstände meiner Kindheit kennt er und unterstützt mich bei der Aufarbeitung.
Ich habe Depressionen, wenig Selbstvertrauen, und kaum Selbstwertgefühl. Deswegen war ich auch bis Ende letzten Jahres in Therapie, die leider plötzlich endete. An dem Punkt mit dem Missbrauch war ich noch nicht angekommen, ich schaffe es nicht, diese Erlebnisse anzusprechen. Seit dem Ende meiner Behandlung habe ich keinen neuen Therapeuten gefunden und leide sehr. Der Beitrag weite unten hat dies nun alles wieder aufgewühlt. Ich weiß nicht, was ich mir von dem Beitrag erhoffe, aber vielleicht hilft es einfach schon, alles einmal aufzuschreiben.
Hat jemand schon einmal Missbrauch in der Familie erlebt oder jemanden begleitet, dem es so ergangen ist? Wie finde ich den Mut, es anzusprechen und die wichtige Aufarbeitung zu beginnen?

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Da sich mir immer wieder Menschen anvertrauen, habe ich mich damit befasst.
Therapie ist ein guter Weg. Auch wenn es momentan schwierig erscheint.

Missbrauch innerhalb einer Familie ist oftmals nicht nur ein Täter/eine Täterin, sondern ein Netzwerk an Problemen und Verstrickungen.
Es würde mich nicht wundern, wenn es deine Schwester durch andere Täter auch erlebt hat und an dich das Machtgefüge weiter gegeben hat.

Die Frage für dich ist, was tut DIR besser? Sie als Einzeltäterin zu sehen? Sie als Verbündete zu sehen, dass ihr beide Unterdrückte in einem Gesamtgefüge ward? Sie Mittäterin?
Welche Wut (auf wen) kannst du am besten vertragen?

Das Thema ist sehr komplex und schwer in einem Beitrag zusammen zu fassen.

Anlaufstellen können sein (u.a.)
Silberdistel e.V.
Weißer Ring
Wildwasser
Verein gegen Missbrauch
Beratungsstellen zu dem Thema
Manchmal haben auch profamilia oder Caritas Adressen
und einige mehr.

Diese sind kein Therapieersatz. Als erste Anlaufstelle, sich öffnen, Platz finden, nicht die erste sein, die davon berichtet... Tipps, Adressen... nicht alleine sein damit, kann auch sehr wichtig sein.

Es ist häufig so, dass man sich Fremden zunächst eher öffnen kann, als dem direkten Umfeld. Scham, Angst, und andere Gefühle führen dazu. Das ist in Ordnung.

Manchmal kann es sogar gut tun, sein gewohntes Umfeld und Normalität aufrecht zu erhalten. Um nach Therapie und sich öffnen, darin zurück zu flüchten, dort Geborgenheit zu haben, Stabilität.
Manchmal kann es gut sein, sich dort zu öffnen. Um trotz der Vergangenheit und Gesprächen außerhalb Sicherheit und Stabilität zu erleben. Zu erfahren, dass man im jetztigen Umfeld sicher ist.

Wie viel Veränderung tut dir gut? Wie viel auf einmal?

Es gibt auch Bücher zu dem Thema. Was gut tut, kann sehr unterschiedlich sein. Erfahrungsberichte, Sachbücher usw. Da ist die Frage, was tut dir gut und wo sind deine Grenzen.

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Es tut mir sehr leid, was du erlebt hast. Leider ist Missbrauch sehr weit verbreitet. Viele reden da einfach nicht drüber.
Denk daran, dass es dir in Zukunft sehr viel besser gehen wird, wenn du es ansprichst. Ich würde nir auch genau überlegen, mit wem ich darüber spreche. Warum willst du es jetzt deinem mann erzählen? Was glaubst du, wie er reagiert? Du könntest es zuerst in einem professionellen setting besprechen und erst später mit deinem Mann, falls dir das jetzt noch zu unangenehm ist.

Was ich dir von Herzen raten kann, ist, deine Hoffnungen nicht unbedingt auf gesprächstherapie zu setzen. Bei diesem Thema ist meiner Meinung nach körpertherapie sinnvoller, weil sie das limbische System erreicht, dir gesprächstherapie aber nicht. Trotzdem kann letztetes auch sinnvoll sein, um sich selbst besser zu verstehen und um entwicklungsschritte nachheilen zu lassen.
Sehr empfehlenswert ist auch die körpertherapeutin Dami Sharf, die sich auf Posttraumatische Belastungsstörung spezialisiert hat und die auch tolle online Kurse hat, die tatsächlich schon etwas bringen.

Und zum Abschluss und um dir vielleicht etwas Mut zu machen: ich bin selbst betroffen, ich habe 18 Jahren Therapie gemacht (zuerst ein paar Jahre gesprächstherapie, dann KIP, dann Gestalttherapie und seit 1,5 Jahren körpertherapie). Es hat sich irrsinnig viel verändert. Du musst nicht in deinem jetzigen Zustand verharren. Einige Sachen werden vielleicht bleiben (ich habe zb ein angstproblem), aber dein Leben kann dennoch sehr schön und positiv sein.
Ich wünsche dir sehr viel Kraft für deinen Weg und ich hoffe, dass es dir bald besser geht!

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Hallo, vielleicht hilft dir zu wissen, dass solche sexueller Übergriffe unter Kindern und Jugendlichen viel öfter vorkommen als manche denken. Rede mal mit Erzieherinnen in Heimen oder Internate, da ist das immer ein Thema. Viele Opfer solcher Übergriffe denken, sie sind die einzigen, denen das passiert und trauen sich aus genau diesem Grund nicht, darüber zu reden. Aber du bist bei weitem nicht die einzige, die sowas erleben musste. Darum finde ich die Idee mit den Vereinen wie zum Beispiel Silberdistel ganz gut, den hier eine Userin vorgeschlagen hat. Wenn du in einen Kreis reinkommt, wo Menschen mit denselben Erfahrungen sind, wird es dir viel leichter fallen, darüber zu reden. Diese Menschen verstehen dich am besten, sie haben dasselbe erlebt und wissen, wie es dir damit geht. Und ich denke, das gemeinsame Reden darüber wird dir sehr gut tun.
Wünsche dir noch alles Gute 🍀

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Liebe Unbekannte,
Dein Beitrag hat mich gerührt. Habe gerade meine Kinder ins Bett gebracht und komme jetzt erst dazu dir zu schreiben. Dass du dir das alles gerade hier "von der Seele"schreibst ist schonmal ein echt toller Ansatz und zeigt das dass eben kein Thema ist dass einfach unter den Tisch gekehrt werden kann. Damit schafft man sich Zeugenschaft. Du solltest dich damit auseinandersetzen, aber das weißt du auch schon. So wie du schreibst empfinde ich dich als eine sensibele, reflektierte Frau die einfach echt viel Mißbrauch und Manipulation mitbekommen hat. Das was passiert ist, ist falsch und ob deine Schwester in der Lage ist sich auch damit auseinandersetzen weiß keiner. Aber sie weiß was passiert ist, da bringt kein Abwehrmechanismus was. Ich kenne deinen Mann nicht und weiß nicht wie er reagieren würde, aber wäre das mir passiert würde ich mich meinem Mann anvertrauen und erstmal den Kontakt zu meiner Schwester abbrechen. Du musst noch nicht in der Lage sein ein klärendes Gespräch zu führen. "Ich glaube du weißt warum ich gerade erstmal keinen Kontakt möchte"reicht auch. Und eine Therapie bekommst du. Die Therapeuten sind gerade überlaufen aber wenn du dem Hausarzt deine Geschichte erzählst dann hoffe ich dass er es einordnen kann und du schneller einen Platz bekommst. Ich habe in meiner Kindheit ähnliche Erfahrungen gemacht(Stiefvater) und war als junge Frau noch weiter in Kontakt. Die Jahre der Manipulation und Schuldgefühle konnte ich irgendwann beenden. Mir hat eine Psycho Analyse geholfen. Der Weg ist das Ziel, du bist jetzt selber Mutter und du kannst es schaffen dein inneres Kind mehr an die Hand zu nehmen und aus diesem Sumpf heraus zu kommen. Der erste Schritt könnte sein alles mal aufzzschreiben.
Liebe Grüße!