Gibt es hier Familien die sich ganz bewusst "gegen" den Mainstream der Gesellschaft entschieden haben? Wie sieht das bei euch aus?
Ich frage, weil ich eine große Abneigung gegenüber manchen gesellschaftlichen Dingen empfinde, aber keine richtige Idee habe, unabhängig davon zu leben.
Die Welt wird größtenteils von der Gier nach Geld, dem Wunsch nach eigener Selbstvermarktung und Egoismus regiert.
Wie findet man dazu ein Gegenmodell ohne völlig aus dem Rahmen zu fallen?
Aussteiger Familien
Ich möchte mich nicht unbedingt zu erkennen geben, deshalb schreibe ich in grau, in der Hoffnung, dass du meine Antwort trotzdem siehst. Das ist ja immer so eine Sache ...
Wir sind 2019 nach Italien ausgewandert. Wir haben einen alten Hof, spezialisiert auf Oliven, übernommen. Wir leben eher abgelegen. Ein einziger Laden ist fußläufig erreichbar. Hinweg (bergab) etwa zwanzig Minuten, Rückweg natürlich länger.
Mit dem Auto sind wir in einer halben Stunde in der nächsten (ziemlich kleinen) Stadt und am Meer. Es fährt ein Bus, aber nicht oft genug und auch wieder mit einer kleinen Wanderung zur Haltestelle verbunden.
Ich habe es mir sehr romantisch vorgestellt, muss aber sagen, dass es auch sehr anstrengend ist. Abends auf dem Balkon stehen, mit Glück ein bisschen Meer zwischen den Hügeln sehen, und ins Tal schauen, ist ein unbeschreiblich schönes Gefühl.
Überall mit dem Auto hinfahren zu müssen, finde ich am nervendsten.
In Deutschland hatte ich einen Bürojob. Ich war oft geistig müde, aber körperlich nicht ausgelastet. Hier ist es anders herum und dass ich abends noch hier schreibe, ist keine Selbstverständlichkeit. Manchmal fehlen mir geistige Herausforderungen, aber dazu fehlt mir die Energie.
Das einzige, was ich für den Kopf mache, ist Italienisch lernen.
Wir sind letztes Jahr Eltern geworden und machen uns jetzt schon Sorgen wegen der weiterführenden Schule. Grundschule ist erreichbar, aber danach ... wir finden keine befriedigende (und finanzierbare) Lösung. Zum Glück bleiben uns noch ein paar Jahre, aber vielleicht wird unser Lebensmodell daran zerbrechen.
Wir bauen viel selbst für den Eigenbedarf an. Geht hier klimatisch etwas besser als in Deutschland, aber auch in Deutschland hatten wir zwei Hochbeete und Hühner. Wir haben viel im Unverpackt-Laden gekauft und hatten kein Auto (etwas, was ich sehr am deutschen Stadtleben vermisse!), ich habe mich ehrenamtlich engagiert. Habe damit während der "Flüchtlingskrise" angefangen und es beibehalten, bis wir nach Italien gegangen sind.
Minimalismus war und ist auch immer Thema. Bei meinem Freund ist das viel natürlicher als bei mir. Er trägt Kleidung bis zum Zerschleiß und kauft sich sehr, sehr selten was, weil er einfach nicht das Bedürfnis hat. Ich habe mir dieses Konsum-Bedürfnis im Laufe der Zeit abgewöhnt, indem ich mir vor jeder Anschaffung die Frage stelle "Brauche ich das wirklich?" - "Brauche ich es jetzt oder kann es noch warten?" (im zweiten Fall warten und später neu überdenken) - "Was gebe ich dafür ab?"
Seit unsere Tochter da ist, fällt es mir wieder viel schwerer. Seitdem habe ich ständig das Bedürfnis, ihr was zu kaufen, weil es einfach niedlich ist oder weil ich den Eindruck habe, dass irgendein Spielzeug super hilfreich für ihre Entwicklung wäre. Naja, weiß selbst, dass das Quatsch ist und es am besten für sie ist, einfach draußen die Wiese zu erforschen.
Mein Mann nutzt keine Social Media, ich nur Urbia, aber nicht regelmäßig.
Ich weiß nicht, ob mein Beitrag hilfreich ist? Einfach ein Erfahrungsbericht. Und falls du nicht gleich nach Italien auswandern willst, habe ich ja auch geschrieben, wie wir zuvor gelebt haben.
Hallo.
Das kommt drauf an, wie genügsam du leben kannst und willst.
An welches "Lebensmodell" hättest du denn gedacht?
Ich finde, du zäumst das Pferd von hinten auf.
Wenn dir einige "gesellschaftlichen Dinge" missfallen, solltest du dir überlegen, was du anders leben möchtest als der Mainstream und DANN überlegen, wie du das verwirklichen kannst.
Aber du scheinst ja gar keinen Plan zu haben.
>>>Die Welt wird größtenteils von der Gier nach Geld, dem Wunsch nach eigener Selbstvermarktung und Egoismus regiert.<<<
Einfache Antwort: Giere nicht nach Geld, vermarkte dich nicht selbst und sei nicht egoistisch .
Es gibt bei YouTube sehr viele Dokus. Z.B. vom WDR oder Arte.
Gerade vorgestern habe ich auf Arte eine Doku über Aussteiger-Familien gesehen. Die Tini-House-Dokus gehen auch in diese Richtung und dank Cookies wird dir anschließend vermutlich weiteres angezeigt.
Viel Spaß beim inspirieren lassen.
Ich kann deine Frage nicht ganz nachvollziehen. Ob man einem Mainstream folgt oder nicht, das liegt doch an einem selber. Und jeden Hype dem man nicht nachrennt ist doch eine Entscheidung, die man tief im Inneren trifft und dann einfach lebt....völlig unabhängig davon, was andere davon halten.
Zwischen einem Aussteigerleben im herkömmlichen Sinn und dem Mainstreamwahn liegen doch Welten. Da sucht man sich seine Nische und fertig ist das Ding.
Ja, Geld regiert die Welt....aber mein Leben muß Geld noch lange nicht regieren, trotzdem brauche ich dafür nicht komplett aussteigen.
Wir gestalten unser Leben so, wie wir es wollen udn wie es zu uns passt. Es ist uns schlichtweg egal, was andere davon halten.
Und ich denke, das sollte für dich der erste Ansatz sein...nicht nach den anderen schauen und mit sich und seiner kleinen Welt zufrieden leben können. Ist gar nicht so schwer.
kleiner gedanklicher Nachtrag: Wenn dir so gar nicht einfällt, wie man sein Leben unabhängig von der Meinung anderer gestalten kann, dann möchtest du aktuell auch nur einem Hype folgen.
Hm, ich meine Aussteigen nicht im Sinne von "in den Wald ziehen". Ich erlebe den Wunsch mich abzugrenzen da mir gewisse Gesellschaftliche Normalitäten nicht gefallen. Allerdings ist das abgrenzen gar nicht so leicht, da man ja an gewissen Dingen "teilnehmen" muss oder auch aus alter Gewohnheit, das schwer ändern kann. Es ist bei mir wohl noch sehr schwammig 🙈 aber du hast recht, ein erster wesentlicher Schritt wäre wohl drauf zu "sch...." was andere sagen.
Man sagt das immer so daher, aber es ist nicht so einfach
Hi,
es kommt sicherlich auch auf die Einstellung zur Gesellschaft an. Ich möchte Teil der Gesellschaft bleiben und kann ja dennoch einige Dinge anders machen, hier und da nicht mit dem Mainstream gehen. Dazu muss man nicht gleich ein „Sonderling“ werden und meinen die Welt durch einen radikalen Lebenswandel retten zu können.
Ich kenne einige Leute, die „ausgestiegen“ sind und wenn man dann mal Kontakt hat, stelle ich fest, dass sie auch nicht glücklicher sind als vorher.
Wir haben gute Jobs und gönnen uns auch gern etwas. Wir schonen jedoch die Umwelt, in dem wir möglichst viel mit Rad erledigen, weder mit Flugzeug noch mit Schiff verreisen usw. So kleine Dinge eben. Achten darauf Plastik zu vermeiden, Wasser zu sparen usw. - aber alles in einem Maß, in dem wir uns nicht zu sehr verstellen müssen. Umstellen ja, Verstellen nein. Vielleicht ist das bei dir schon Egoismus? Ich weiß es nicht.
Ich halte nur nichts davon, DIE GESELLSCHAFT schlecht zu reden. Es gibt auch viel Gutes in der Welt und ich zB kenne viel mehr Leute, die nicht nach Geld, Macht, Konsum gieren und egoistisch sind. Ich kenne viel mehr Menschen, die bewusst leben und Verantwortung tragen (auch für nachfolgende Generationen) und die sich viel engagieren.
Lange Rede kurzer Sinn: ich glaube man muss nicht aussteigen, man kann auch so einen Beitrag zur Gesellschaft leisten und man muss nicht alle über einen Kamm scheren.
Ach so: unser Gemüse bauen wir im heimischen Garten auch selber an, dazu mussten wir nicht in die Pampa auf einen verlassenen Hof ziehen 😉🙂 (bitte nicht zu ernst nehmen).
LG
Ja, das sehe ich auch so, man muss ja nicht alles ablehnen und das tue ich auch nicht. Ich bin relativ tief im Glauben verankert, zumindest im Vergleich zum "Otto Normal Bürger". Manchmal würde ich mein Leben gerne noch stärker nach der Bibel ausrichten, finde das aber gar nicht so einfach.
Ich bin ja auch eingebunden in diese "Welt".
Hallo,
vielleicht wirst Du ein wenig konkreter? Dann kann man auch besser darauf eingehen, was Du möglicherweise verändern kannst.
Ich selbst kann mit bestimmten "Mainstream" Ansichten auch nichts anfangen. Deswegen bin ich aber nicht besser oder schlechter. Mainstream ist ja nichts Böses. Wenn etwas für mich nicht passt, dann lebe ich es nicht, solange es nicht gegen Gesetze verstößt und niemand dabei verletzt wird.
Teile der Gesellschaft halten ihre eigene Meinung, ihre eigenen Lebensmodelle und Vorstellungen einfach für ein "kleines bischen" *hust* zu bedeutend, zu maßgebend. Die totale Arroganz.
Aber ich habe mich einfach komplett davon frei gemacht.
Das Beste, was ich in meinem ganzen Leben je für mich allein zustande gebracht habe, war, mich (fast) vollkommen frei von der Meinung und dem Urteil anderer zu machen.
Ich bin keine Aussteigerin. Ok, manche Menschen würden mich vielleicht so bezeichnen, weil ich dauerhaft Hausfrau bin. Ohne Rechtfertigung. Einfach so, weil wir dieses Familienmodell für uns am Passendsten empfunden haben.
Somit gibt es hier auch keine Gier nach Geld. Wir haben nicht allzu viel davon. Selbstvermarktung war auch noch nie mein Ding. Ich bin eher ein Schattenmensch.
Ich umgebe mich privat nur mit Menschen, die ich wirklich mag und die zu mir passen. Heißt in meinem Fal, ich habe z.B. keine einzige "Mütterfreundschaft".
Mein bester Freund ist ein 31 Jahre älterer Pfarrer im Ruhestand, der seit einigen Jahren mit seiner Familie im Ausland lebt. Nicht gerade Mainstream. Aber soll ich deshalb auf den Menschen verzichten, den ich neben Mann und Kindern auf dieser Welt am meisten liebe?
Er ist auch nicht der einzige in meinem Freundeskreis, der den gesellschaftlichen Regeln nicht wirklich entspricht.
Und jetzt? Richtig, nichts.
Ich kann Dir, ohne echte Informationen zu haben, Folgendes raten:
Mach einfach Dein Ding. Mach einfach. Es ist scheißegal, was die Nachbarn davon halten. Wenn Du irgendwann tot bist, wird nicht auf Deinem Grabstein stehen, ob Du vierzig Jahre vorher brav beim Meeting warst.
Leb Dein Leben, mach Dein Ding - und lass andere Leute ihr Ding machen. Verurteile nicht, lästere nicht, halte Dich mit Deinem Weg nie für etwas Besseres.
Bist Du nicht. Dein Weg ist auch nicht Besser. Er ist nur anders. Besser für Dich. Für den Nächsten ist ein anderer Weg der Bessere.
Und so erfährst Du auch selbst Akzeptanz.
Das Hauptproblem ist doch, dass Menschen heutzutage meinen wirklich JEDE kleinste Lebensentscheidung nach Außen tragen zu müssen und Reaktionen erwarten. Man muss nicht ständig über alles sprechen, alles kommentieren oder auf alles eine Reaktion erwarten.
Jeder hat wohl Menschen in seinem Leben, deren Meinung ihm wichtig ist und mit denen man bestimmte Dinge besprechen kann.
Aber darüber hinaus? Muss man wirklich überall kundtun welches Familienmodell man lebt, wie man seine Kinder erzieht, welche Sendungen man sich ansieht, wie man sich ernährt... (Liste beliebig fortführbar)
Muss man wirklich alles zur Diskussion stellen, alles politisieren, alles bewerten und bewerten lassen? Von wildfremden Menschen?
Für mich war da der Anfang.
Was will ich, was will mein Mann, was wollen die Kinder? Was passt für uns? Individuell und gemeinsam als Familie.
Und dann einfach MACHEN!
Ist doch nicht mein Problem, wenn es irgendeinem Forenuser in Hamburg oder Berlin nicht passt!
Natürlich können nicht alle Träume mit der Realität mithalten. Manche Dinge gehen einfach nicht. Äußere Umstände kann man in der Regel nicht komplett ausblenden. Man kann aber an ihnen arbeiten und sich dem Wunsch wenigstens ein gutes Stück annähern.
Viel Glück dabei für Dich herauszufinden, was Du wirklich möchtest und was davon mit der Realität vereinbar ist.
Alles Liebe
Du hast wirklich eine sehr schöne und hilfreiche antwort verfasst. Vielen Dank.
Ich würde gerne noch mehr nach der Bibel leben, und stoße aber manchmal an eigene aber auch an äußere Grenzen.
Es gibt ja auch nicht so wahnsinnig viele Menschen mit denen man diese Haltung teilen kann. Es ist nicht so leicht sein Leben zu verändern, auch wenn man Vorteile sieht. Die Macht der Gewohnheit 🙃.