Mein Vater ist Alkoholiker, ich bin schwanger und von der ganzen Situation überfordert

Hallo ihr Lieben,
ich liege wach und meine Gedanken kreisen, deshalb möchte ich mich hier mitteilen und hoffe auf einen Austausch mit welchen von euch, die vielleicht etwas ähnliches durchhaben, und mir im besten Falle positiv berichten können... Achtung, das wird sehr lang!

Also folgendes, mein Vater hat über die letzten Jahre ein Alkoholproblem entwickelt. Die Abwärtsspirale hat damit begonnen, dass er seinen alkoholkranken Bruder tot aufgefunden hat. Er bekam Depressionen, Burnout, es folgten mehrere Psychiatrieaufenthalte, Rehas, Gesprächstherapie, Medikamente etc. Schleichend nebenbei entwickelte sich seine Alkoholsucht, irgendwie ja schon ironisch. Es gab früher bei uns zuhause nie Alkohol, meine Mutter hat eine starke Ablehnung dagegen, nachdem sie viele Jahre bevor sie meinen Vater kennenlernte sehr schlimme Erfahrungen mit einem Alkoholiker gemacht hatte. Das war für meinen Vater nie ein Problem, er ist an sich einfach ein lustiger, geselliger Mensch, der überall gut ankommt und gemocht wird. Meine Mutter ist eher rational und etwas ernster und ruhiger, und hat sich immer ihre emotionale und finanzielle Unabhängigkeit bewahrt. Ich habe ihre Beziehung noch nie verstanden, sie sind absolut verschieden und machen eher jeder ihr eigenes Ding, aber das hat immer gut funktioniert.

Jedenfalls begann es dann, dass mein Vater immer häufiger betrunken nach Hause kam, irgendwann selbst Bier in seiner Garage hatte und immer zwischendurch mal eins getrunken hat. Aufgrund seiner Medikamente dürfte er eigentlich überhaupt keinen Alkohol trinken und reagiert schon auf geringe Mengen sehr stark. Er wird zwar nie gewalttätig oder aggressiv, aber sehr leichtsinnig, wurde inzwischen schon oft genug betrunken beim Fahren erwischt und hat auch keinen Führerschein mehr. Zum anderen verliert er sich dann in wütenden, jammernden, und sehr lauten Selbstgesprächen. Das läuft jetzt seit etwa zwei Jahren und wird immer häufiger und heftiger.
Vor ein paar Wochen gab es eine Art Eskalation, in der er erstmals meine Mutter beschimpfte, dass sie ja an allem Schuld sei, dass sie ihn zum Alkohol treibe, er ja schon seit 20 Jahren unglücklich sei etc.
Meine Mutter fuhr daraufhin weg und kam fünf Tage nicht wieder (mein Bruder und ich wussten bescheid dass sie gut untergebracht ist - Zur Klarstellung: Mein Bruder wohnt in einer eigenen Häfte des Elternhauses, und ich wohne eine Viertelstunde entfernt und bin oft zu Besuch. Weil ich schwanger bin, schirmt meine Familie den Stress etwas vor mir ab, informiert mich aber über alles wichtige.)
In den fünf Tagen ohne meine Mutter trank er noch mehr als zuvor, weil es ihn dann doch störte, dass sie weg war. Er ist dann zu einem Freund gefahren, als eine Art Urlaub, was schon vorher geplant war, und meine Mutter kam nach Hause zurück. Wir haben uns untereinander immer viel ausgetauscht und sie, mein Bruder und ich sind uns einig, dass nur ein Entzug meinem Vater noch helfen kann. Er hat meinem Bruder schon hundert mal versprochen nichts mehr zu trinken, und es jedes mal wieder gebrochen, teilweise innerhalb weniger Stunden. Mein Bruder hat sich schon vor Wochen informiert und eine Entzugsklinik gesucht und angerufen, meinen Vater quasi vorangemeldet.
Am Sonntag kam mein Vater dann zurück und ist jetzt erstmal nebenan bei meinem Bruder eingezogen, weil meine Mutter noch etwas Abstand wollte. Er ist jetzt nach dem Urlaub bei seinem Freund sehr euphorisch, sagte jetzt wird sich alles ändern, er hat da auch nichts getrunken und ihm geht es so gut etc. - haben wir auch alles schon mehrmals erlebt. Für heute war dann eine Aussprache zwischen meinen Eltern geplant und mein Bruder und ich wollten und sollten dabei sein. Meine Mutter war sehr besorgt, ob das in der Schwangerschaft nicht zu viel Stress für mich ist, aber ich wollte unbedingt dabei sein.
Nachdem das Gespräch zuerst echt gut verlief und sehr produktiv war, war mein Vater auch einverstanden, einen Entzug zu machen, zumal er weiß dass meine Mutter nicht mehr mit ihm zusammenleben wird, bevor er nicht trocken ist. Doch dann gab es irgendwie einen Wendepunkt, in dem er plötzlich sagte, dass er nicht in den Entzug gehen wird, dass er das nicht braucht, dass er es alleine schafft da rauszukommen etc. Alles leere Floskeln die wir schon zig mal gehört haben. Er habe jetzt drei Wochen nichts getrunken und er habe sich verändert und dabei bleibe es auch. Meine Mutter war schon drauf und dran zu gehen, aber ich bat sie noch zu bleiben. Mein Bruder fragte ihn bestimmt zwanzig oder dreißig mal mit verschiedenen Formulierungen, ob er wirklich nichts getrunken hat seit Sonntag, und auch kein Verlangen hat, und sich auch kein Bier gekauft hat. Und wenn er jetzt in sein Zimmer geht, ob er dann keine leeren Dosen oder Flaschen finden. Und mein Vater hat darauf beharrt, dass er nichts getrunken und nichts gekauft hat. Natürlich war es gelogen, mein Bruder ging zu "Papas Zimmer" und fand mehrere leere Bierdosen. Ich war in diesem Moment so entsetzt und enttäuscht, mir liefen die Tränen und meine Mutter wollte mit mir rausgehen, war besorgt um mich, aber ich wollte nicht. Ich habe meinem Vater gesagt wie enttäuscht ich von ihm bin, dass er uns so eiskalt anlügen kann und sich selbst belügt. Er versuchte zu erklären, dass er einen Plan habe und seinen Alkoholkonsum einfach langsam runterschrauben will, sodass er irgendwann wieder nur ab und zu in Gesellschaft mal ein Bier trinkt. Mein Bruder sagte ihm, dass er JETZT sofort in der Entzugsklinik anruft und ihn anmeldet, womit mein Vater dann plötzlch wieder einverstanden war. Innerhalb von sieben Tagen werden die sich melden und mein Vater kann dann kommen. Er war sehr eingeschnappt, man merkte dass er sich ertappt fühlt und er das Gefühl hat, wir wollen ihm die Möglichkeit nehmen, es selbst zu schaffen. Aber er sagte, dass er den Entzug für uns machen wird. Irgendwie ist er aber immernoch nicht überzeugt davon, dass er das braucht.

Jedenfalls merke ich jetzt im Nachgang, dass mich dieser Nachmittag doch sehr aufgewühlt hat. Ich muss immer wieder weinen, komme nicht zur Ruhe. Ich habe Angst, dass das alles nicht klappt, dass er doch nicht in den Entzug geht oder dass er ihn durchzieht aber wieder rückfällig wird. Er tut mir so leid weil er nicht versteht, dass er ein ernstes Problem hat, und denkt wir hätten uns alle gegen ihn verschworen und wollen ihm was böses. Es tut mir so weh so hart zu bleiben, auch wenn ich rational natürlich weiß, dass es der einzige Weg ist und dass ihm das helfen kann. Ich weiß, dass ich gerade nichts anderes tun kann als abzuwarten, aber ich weiß einfach nicht wohin mit mir und meinen Gedanken. Ich könnte diesen Text noch um tausend Details erweitern. Dann mache ich mir Stress, weil ich Angst habe, das ist alles zu viel Stress für mein Baby, und schaukele mich selbst hoch.
Ich wünsche mir einfach jemanden, der mir sagt, dass er das alles schon erlebt hat und alles gut ausgegangen ist und der Vater oder was auch immer ein trockener Alkoholiker ist und das auch klappt. Wobei ich natürlich weiß, dass jeder individuell ist und kein Fall ist wie der andere, aber irgendwie sind sie auch doch alle gleich.

Ich hoffe, irgendjemand hat diesen Text bis hierher gelesen und kann mir helfen, mich zu beruhigen und abzureagieren.

7

Auch von mir kommt der Tipp, das du eine Beratungsstelle für Angehörige aufsuchst, damit du lernst, dich zu distanzieren. Das ist kein Hexenwerk. Nimm auch deinen Bruder mit, denn ihr beide schliddert da gerade in eine Position, die nur eure Energie verschwendet. Dort wird euch klar gemacht, was eigentlich Sucht wirklich bedeutet.

Euch muß klar werden, das nur er selber sich helfen kann, er ist noch nicht so weit....bis dahin gilt für euch Rückzug. Ihr habt jetzt einmal alle am Tisch gesessen, damit habt ihr euren Beitrag geleistet. Und solange er nur etwas macht (Entgiftung), damit ihr zufrieden und er seine Ruhe, sind solche Aktionen reine Zeitverschwendung. Un dknallhart gesagt, er nimmt nur einem anderen Menschen einen Entgiftungsplatz weg, der wirklich begriffen hat, das sein Leben sonst vor die Hunde geht.

So wie ich es rauslese, ist deine Mutter da wesentlich klarer in ihrer Vorstellung. Wenn jemand Unterstützung und Hilfe bekommen sollte, dann alleine sie. Dein Vater muß sie sich erst verdienen. Auch dein Bruder sollte sich überlegen, ob er ihn weiter bei sich wohnen lässt, das gibt auf Dauer nur Ärger.

Erst wenn du verstanden hast, was Sucht eigentlich bedeutet, dann wirst du dieses aktuelle Gefühl von Hilflosigkeit und Enttäuschung mit ganz anderen Augen sehen. Es gibt keinen Grund für Mitleid. Und alleine seine Aussage, das ihr euch alle gegen ihn verschworen habt, zeigt deutlich das er noch einen sehr weiten Weg vor sich hat. Deine Mutter wollte mehrmals das Gespräch verlassen.....DAS ist genau die richtige Reaktion, hütet euch davor ihr deswegen ein schlechtes Gewissen zu machen. Orientiert euch lieber an ihr, ihr ist die Problematik leider schon bekannt. Es kann sein, das sie sich nur euch zuliebe auf Dinge einlassen würde, das darf nicht passieren. Und wenn einer zum Hörer greift und einen Termin zur Entgiftung macht, dann ist das alleine dein Vater. Und das wird dann geschehen, weil ER es will und nicht ihr.
Bevor du dir über das Leben mit einem trockenen Alkoholiker in der Familie Gedanken machen brauchst wird noch verdammt viel Zeit vergehen, auch dann werdet ihr von einer Beratungsstelle unterstützt. Er hat ja noch nicht einmal eingesehen, das er ein riesiges Problem hat.

Von daher hat für dich und deinen Bruder aktuell nur eine Sache Priorität: Mit Hilfe einer Beratungsstelle etwas über Sucht zu lernen. Etwas über den Umgang mit einem Süchtigen. Und darüber, das ihr wirklich die Komplexität einer Sucht versteht und nicht aus falschem Mitleid eure Mutter da mit rein- und runterzieht.

Speziell dir würde ich raten, gerade weil du dich noch nicht emotional distanzieren kannst, den Kontakt zu deinem Vater komplett bis zur Geburt abzubrechen. Sollte er es jemals auf die Kette bekommen, dann wird er deine Entscheidung von ganzem Herzen verstehen können. Solange er dir das zum Vorwurf machen sollte, weißt du zumindest, das diese Entscheidung richtig war.

14

Sehe ich ganz genauso! Gut geschrieben

1

Hey!

Ich habe auch ein alkoholkrankes Elternteil, seit 32 Jahren.
Ich gebe dir den Tipp, emotional auf Abstand zu gehen.
Leider glaube ich, dass das mit deinem Vater so nun nichts wird. Er geht zwar in den Entzug aber er hat nichts begriffen und macht den Entzug nicht für dich, sondern für euch. Das sind keine guten Bedingungen.

Liebe Grüße
Schoko

2

Danke für deine Antwort.
Ja genau, du bringst es auf den Punkt. Aber wie macht man das, emotional auf Abstand gehen?

3

Bitte hol dir selber Hilfe in Form von Angehörigenberatung. Die Klinik kann die Adressen in Eurer Nähe nennen.

weitere Kommentare laden
4

Mein Vater hat ebenfalls ein Alkoholproblem, welches aber wirklich von der ganzen Familie totgeschwiegen bzw. so nicht wahrgenommen wird.

Er trinkt wirklich jeden Tag direkt nach Feierabend Bier. Abends dann immer hochprozentiges.
Hat er frei, wird das erste Bier noch vormittags geöffnet.

Nachdem außer mir niemand ein Problem sieht, habe ich mich davon emotional distanziert. Es tut mir wirklich weh, das zu sehen aber ich kann es nicht ändern.
Ich kann ihn nicht ändern.

Die Konsequenz für mich ist, dass meine Eltern mein Kind nicht länger als maximal 2 std tagsüber allein betreuen dürfen.
Abends gar nicht, da ist der Pegel zu hoch.
Mein Kind wird nicht zu meinem Vater ins auto steigen!

Spätestens in 1,2 Jahren, wenn sie alt genug ist um alleine Ausflüge mit ihnen zu machen, werde ich das offen ansprechen müssen da ich eben nicht erlauben werde, dass sie bei ihm mitfährt.

11

<<<Die Konsequenz für mich ist, dass meine Eltern mein Kind nicht länger als maximal 2 std tagsüber allein betreuen dürfen.
Abends gar nicht, da ist der Pegel zu hoch.
Mein Kind wird nicht zu meinem Vater ins auto steigen!>>>

Das ist keine Konsequenz. Ob es nun 1, 2 oder 3 Stunden sind. Konsequenz wäre gar keine alleinige Betreuung.

12

Ich will damit nur sicher gehen dass sie nicht so lang dort ist, dass sie irgendwo mit dem Auto hinfahren.

5

Es tut mir sehr leid um eure Situation. Du kannst aber nur Dir selbst helfen.
Dein Papa empfindet leider keinen Leidensdruck, er ist noch nicht bereit sich zu ändern...
Nimm mal Kontakt zu einer Drogenberatungsstelle und/oder Selbsthilfegruppe für Angehörige auf. Nur das wird dir persönlich helfen. LG 🍀

6

Mein Vater musste 2x in den Entzug gehen. Den ersten hat er für uns gemacht, was nur paar Monate kurz geholfen hat. Den zweiten Entzug wollte er dann wirklich selber. Und ist nun seit Jahren trocken, hat seinen Führerschein wieder. Er geht heute noch freiwillig ab und zu zu so Treffen von ehemals Süchtigen.
Ihm hat es auch geholfen sich neue Hobbys zu suchen und ist sehr viel in der Natur unterwegs.
Heute hat er sogar immer Bier für Gäste im Haus und geht da wirklich nicht ran!

Ich hatte das "Glück", dass seine Sucht erst schlimm wurde, als wir Kinder schon groß und außer Haus waren. Aber für meine Mutter war es eine schwierige Zeit.
Heute geht es uns allen wieder sehr gut und ich kann ihm meine Tochter ohne Probleme anvertrauen und er ist wieder der tolle Familienmensch, der er vorher war.

Vielleicht wird die Geburt seines Enkelkindes Ansporn für deinen Vater sein...
Such da vielleicht nochmal das Gespräch mit deinem Vater, erkläre ihm deine Sorgen, aber auch die Konsequenzen.
Es hilft auch zu akzeptieren, dass dein Vater wirklich krank ist. Er verletzt euch nicht freiwillig, das macht die Sucht leider. Diese ganzen Floskeln, Lügen und Ausreden kenne ich. Auch die Wut, die in einem steigt, wie er das der Familie antun kann.
Vielleicht hilft dir das, es dann nicht zu persönlich zu nehmen.
Er ist krank und braucht professionelle Hilfe.

Wenn es die zu viel wird, kannst du dich sicher auch an eine Suchtberatung wenden.

Also wie du siehst, können solche Geschichten durchaus auch positiv ausgehen. Mein Vater hat die Kurve noch rechtzeitig gekriegt, aber es musste bei ihm selber Klick machen, dass er Hilfe braucht und seine Familie auf dem Spiel steht.

8

Hallo,

Mein Großvater war Alkoholkrank...hat nie den Entzug gewollt und hatte angeblich kein Problem.
Als ich mein Kind bekam gab es die klare Ansage, dass er es sehen darf, aber nicht auf den Arm nehmen oder sonst was darf, da ich zu viel Angst hatte, dass was passiert. Hatten einen Fall in der Schwangerschaft gelesen, dass jemand auf ein Baby gefallen war und es dabei starb. Klar kann sowas auch Personen ohne Alkoholproblem passieren, aber ich wollte es nicht riskieren.
Dann hat es bei ihm endlich klick gemacht, dass es ja so nicht gehen kann. Er war zuerst auch bockig und hat gemotzt. Meine Oma verstand es auch nicht, aber ich bin da hart geblieben und es hat funktioniert.

Er muss es wirklich wollen mit dem Entzug, alles andere hat leider wenig Sinn...

13

Ich habe eine trockene Mutter. Ganz schlimm gewesen und auch chronisch krank durch den Alkohol. Erst als sie selber so nicht mehr leben wollte und den starken Willen hatte hat es funktioniert. Ich bin unheimlich stolz auf sie. Und wir feiern jedes Jahr das sie wieder ein Jahr geschafft hat trocken zu bleiben. Sie war eine Woche im Entzug und dann noch 3 Monate in Therapie stationär und seit dem ist sie trocken.
Erst wenn dein Vater selber den Willen hat wird es klappen. Da könnt ich tun und reden wie ihr wollt. Macht euch nicht co abhängig!