Hallo ihr Lieben,
ich bin schon mehr als 15 Jahre bei Urbia, schreibe heute aber lieber anonym.
Also, wir wohnen in einem Mehrfamilienhaus, < 10 Mietparteien, und wir verstehen uns sehr gut. Gegenseitige Hilfe oder auch nur mal quatschen (ohne Budenkriecherei) ist hier Alltag. Nun hat eine Nachbarin, etwas älter als 70, leider einen Hirnschlag erlitten. Obwohl es über einige Zeit hinweg nicht klar war, ob sie überhaupt überlebt, befindet sie sich nun in der Reha. Ihre nächsten Angehörigen (ein wenig jünger) leben in einem anderen Bundesland, keine Kinder. Nun erreichte mich heute eine Nachricht von ihr, dass sie eher (keine nähere Angabe) nach Hause entlassen werden könnte, wenn ich ihre Einkäufe erledige.
Und nun zum Problem: Nein, die Einkäufe sind es nicht nur, ich habe die Befürchtung, dass sie erwartet, dass inbesondere ich, aber auch die anderen Hausbewohner pflegerische oder eher hauswirtschaftliche Tätigkeiten übernehmen sollen. Ich bin mit diesem Wunsch völlig überfordert. Einerseits finde ich sie sehr nett, aber ich könnte das nicht auf Dauer. Habe es mit meiner Mutter bereits durch, daher etwas Erfahrung. Die Nachbarin sitzt derzeit im Rollstuhl, wohnt im 1. OG, kein Aufzug. Die Einkäufe sind sicher nur die Spitze des Eisbergs, und ich traue mir das einfach nicht zu. Andererseits tut sie mir leid, so plötzlich aus ihrem Leben geworfen.
Wir werden uns natürlich im Haus beraten, da sind noch ein Rentnerehepaar (um die 80) und ansonsten Berufstätige. Ich selbst gehe kurz vor 6 aus dem Haus und bin gegen 17 Uhr zurück, habe auch Familie. Ich habe Angst (wirklich), dass ich (wir) in die Pflegerolle gedrängt werden, und falls wir zustimmen, völlig überfordert sind.
Ich würde gern absagen, traue mich aber nicht, weil ich weiß, wie groß die Enttäuschung sein wird.
Habt ihr Tipps für mich?
Danke!
Bin in der Zwickmühle - Nachbarin
Hey,
hast du vielleicht die Möglichkeit mit ihren Ärzten, Therapeuten oder Pflegern aus der Reha zu sprechen? Dann könntest du konkret fragen bei was sie wohl Hilfe benötigt und auch deine Bedenken schildern.
Liebe Grüße
Versteh deine Zwickmühle sehr gut. Andrerseits finde ich hast du das Recht für dich einzustehen und das zu tun wonach dir ist. Gegenseitige Hilfe ist schön und lobenswert. Aber man darf auch mal nicht wollen und sich nicht verantwortlich fühlen. Ich würde also ihr also sagen, daß du ab und zu ihr gern mal etwas mitbringst vom einkaufen, du es aber nicht regelmäßig schaffen wirst und du dir die Verantwortung nicht zutraust, noch für jemanden verantwortlich zu sein bzw für jemanden sorgen zu müssen. Das wird sie verstehen müssen. Ich denke ehrliche Worte sind sind besser als etwas zu tun was man nicht möchte.
Es ist völlig in Ordnung, wenn du das nicht machen möchtest. Und deine Befürchtung, dass da noch mehr Aufgaben dranhängen, ist sehr berechtigt. Ich habe mehrere Jahre in einer Reha gearbeitet, die meisten Personen da hatten neurologische Erkrankungen. Betroffene können in der Regel recht schlecht abschätzen, wie gut oder eben nicht sie zuhause zurecht kommen. Glaub mir, das Personal ist nicht so naiv und denkt "Ach suuupi, die Frau Müller von nebenan macht die Einkäufe, dann ist ja alles klar!". FALLS du irgendwelche Aufgaben übernehmen möchtest, würde ich auch vorschlagen, du sprichst da mit der fallführenden Person. ABER das ist überhaupt nicht dein Verantwortungsbereich und du darfst einfach nein sagen, ohne dich schlecht zu fühlen.
Hey!
Wenn gelegentliche Einkäufe nicht das Problem sind, würde ich den Kontakt zu ihren Kindern herstellen und mit diesen besprechen, welche Erwartungshaltung vorliegt und was du bereit bist zu tun. Sprich: Nur 1x pro Woche auf Rücksprache einkaufen. Was passiert, wenn du im Urlaub bist, Covid hast? Gibt es einen Hausnotruf, falls sie stürzt?
Google mal, ob es bei euch Lieferdienste wie Picnic oder Flink gibt. Liefert vielleicht ein Supermarkt in eurer Nähe?
Liebe Grüße
Schoko
Ich verstehe, dass du gerne helfen möchtest.
Aber: ihr als Hausgemeinschaft seid nicht in der Pflicht die Pflege und Versorgung der älteren Mitbewohnerin zu organisieren. Von irgendjemandem muss der Vorschlag ja gekommen sein - im besten Fall von der Seniorin selbst (die sich fitter einschätzt, als sie tatsächlich ist), im schlimmsten Fall von den Angehörigen, die elegant die Verantwortung an Außenstehende abdrücken wollen.
Man kann selbst schwerst pflegebedürftige Menschen im eigenen Zuhause belassen, wenn eine professionelle Rundumbetreuung gewährleistet ist - die kostet aber und zwar richtig viel! Die wenigsten können sich das leisten.
Ich würde anbieten in Ausnahmefällen etwas mitzubringen, aber ansonsten auf beispielsweise den Einkaufsservice des DRK oder andere gewerbliche Anbieter verweisen. Ebenso benötigt die Dame wahrscheinlich auch eine Haushälterin und generell pflegerische Betreuung. Solange das nicht alles in trockenen Tüchern ist, wäre ich mit Hilfsangeboten sehr zurückhaltend.
Mal einen Einkauf machen ist ja kein Ding. Für alles andere gibt es einen Pflegedienst. Und wenn die Dame im 1. OG im Rollstuhl sitzt dann ist sie ja quasi dort gefangen und sollte über einen Umzug ins Heim nachdenken. Ist über kurz oder lang die bessere Alternative auch für sie und ihre Lebensqualität.
Das.
Die Frau kommt nicht alleine aus ihrer Wohnung. Wie kommt sie zu Arztterminen, in die Apotheke, wie kommt sie an die frische Luft? Eine Wohnung im 1. Stockwerk ist ohne Aufzug absolut ungeeignet.
Und wie oft vergisst man etwas beim einkaufen? Die Frau kann nicht eben mal los, weil Eier fehlen oder ihr die Milch ausgelaufen ist. Auf keinen Fall zusagen.
Sie sitzt im Rollstuhl, kommt sie da alleine rein? Ich gehe mal aus, es kommt zweimal täglich ein Pflegedienst. Aber was, wenn sie mal zur Toilette muss, sich den Tee überkippt und die Hose nass ist, oder gar umfällt mit dem Rollstuhl? Alles da geb, dir durchaus passieren können. Das ist in einer Wohnung nicht tragbar, wenn nicht ständig jemand greifbar ist. Und das wärst du dann, liebe TE- auch wenn du arbeitest. Du wärst dann die „Blöde“, die rennt und organisiert und mal eben hilft:
Ich würde mich mit den anderen Hausbewohnern und der Familie zusammen setzen. Ein Teil kann ( übergangsweise) sicher erledigt werden. Für Pflege wäre ein externer Dienst zuständig. Eine Pflegestufe steht ihr bei einem Schlaganfall vielleicht zu. Ansonsten offen sein und sagen, wo die (zeitlichen) Grenzen liegen.
Ich war ebenfalls als Nachbarin in einer Straße voller Zweifamilienhäuser, in der jeder jeden kennt und mein Mann und ich deutlich den Altersdurchschnitt nach unten ziehen, vor einigen Monaten in einer ähnlichen Situation. Nur war mir das anfangs nicht so bewusst wie dir.
Was von meiner Seite aus anfangs als leichte Unterstützung einmal täglich gedacht (und auch so abgesprochen) war, wurde schleichend zu genau dem pflegerischen/lebensorganisierendem Mammutjob, vor dem du so Respekt hast.
Im Nachhinein und weil ich da echt schlecht "rauskam" bzw. mich und meine Verantworlichkeit abgrenzen konnte, würde ich beim nächsten Mal vermutlich nein dazu sagen. So Leid dir das für die Dame dann tut, aber es ist leichter, als sich nach Monaten irgendwie da raus lamentieren zu müssen, wenn man erstmal zu so einem Pfeiler geworden ist.