Eigene Mutter: zwischen Liebe und Hoffnungslosigkeit

Ihr Lieben,

Da ich bereits gute Ratschläge im Forum sammeln konnte, wende ich mich diesmal erneut an euch. Diesmal geht es um meine geliebte Mama. Sie hat für uns immer alles getan und sich dabei aber anscheinend verloren.

Ich bin jetzt 40, meine Mutter fast 70 und ich spüre schon seit meinem 13. Lebensjahr eine Verzweiflung in mir, die ich aber mit ihr nicht kommunizieren kann.

Wir sind die typische „alles ist toll“ Familie. Dies ist natürlich verlogen und so älter ich wurde, umso deutlicher wurde es für mich.

In unserer kleinen Familie wurde einfach nie gestritten. Und wenn, hat meine Mutter direkt angefangen zu weinen und damit irgendwie jede konstruktive Kritik/ weiteres Gespräch beendet.

Sie redet selten über ihre Kindheit. Ich weiß aber, sie muss wahnsinnig schlimm gewesen sein. Ich vermute neben Gewalt, wenig Unterstützung, waren da sicherlich noch andere Themen … die meine Mutter aber nie erzählt hat.

Sie hat all das aber nie aufgearbeitet und nach dem frühen Tod meiner Oma, wurde es irgendwie schlagartig noch schlimmer. Sie hat aufgehört zum Friseur zu gehen, hat stark zugenommen (was bitte keine Kritik sein soll) und was mich am meisten verletzt: aufgehört zu Ärzten zu gehen. Dies ist jetzt aber schon fast 30 Jahre her.

Sobald ich aber irgendwie sie darauf anspreche, doch mal zum Zahnarzt zu gehen (ihr fehlen Zähne und sie lächelt deshalb nicht mehr), wird sie emotional und fängt an zu weinen. Nicht mal zum Augenarzt oder Fielmann geht sie. Obwohl sie natürlich schon längst eine Brille benötigt.

Sicherlich schämt sie sich oder hat einfach Angst. Wenn ich darauf aber sage „ ich möchte sie doch gar nicht verletzen und ich kann auch mitgehen“ … Beendet sie das Thema und nach einer kurzen Traurigkeit beginnt sie einfach damit über etwas komplett anderes zu sprechen.

Mein Vater und meine Mutter sind schon ewig zusammen. Aber auch mit ihm darüber reden, klappt nicht. Es tut ihm weh, das spüre ich und sicherlich haben sie darüber geredet … Aber da komme ich nicht weiter

Sobald das Gespräch irgendwie in Kritik umschlägt, weint meine Mutter und mein Vater bekommt Magenschmerzen.

Mich hat es leider soweit gebracht, dass ich im erwachsenen Alter gemerkt habe: ich kann nicht streiten. Und natürlich ist das gar nicht gesund. Ich habe einfach meinen Mann angeschwiegen, geschmollt und nach einem Tag war alles wieder gut. … Pustekuchen! Ich habe genau wie meine Mutter nachtragend immer mal wieder alte Geschichten rausgekramt.

Ich bin gerade dabei all das aufzuarbeiten und so weiter ich komme umso mehr belasten mich die Situationen daheim.

Im Urlaub ist es besonders schlimm, weil ich meine Eltern so wahnsinnig liebe und gleichzeitig einfach dann eine tiefe Traurigkeit spüre. Ich bin ihnen so dankbar für alles, aber das belastet mich immer mehr.

Diese Schachmatt Situation und auch meine Verzweiflung tun mir nicht gut. Sie macht sich halt immer vor uns klein und sagt dann Dinge aber wie „ich bin die einfachste in der Runde“ und „überhaupt nicht kompliziert“ - dabei würde ich das Gegenteil davon behaupten.

Mir tut ihr fehlende Selbstbewusstsein wahnsinnig leid und gleichzeitig habe ich auch Mitleid mit mir, ich bin mit diesen Werten ja auch groß geworden

Kennt jemand so eine Situation? Wenn ich mit ihr bummeln gehe, schaue sie nur für mich. Wenn ich ihr was zeige, fühlt sie sich zu dick. Wenn ich aber mit ihr zum Sport möchte oder Ratschläge gebe, wird sie wütend.

Ich glaube es ist halt einfach etwas psychisches. Nur wird sie wohl niemals bereit sein, an die Themen ranzugehen.

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Ja, das kommt mir teilweise bekannt vor.

Mein Vater war sehr sensibel, Typ "ich mache alles, um des lieben Friedens willen" und bekam auch immer Magenschmerzen, wenn man "stressige" Themen ansprach. Mit zunehmendem Alter waren "stressige" Themen auch mal, dass der neue Fernseher noch programmiert werden musste. Als Kind hatte ich immer Stress, dass wir nicht sofort einen Parkplatz finden könnten, denn dann bekam mein Vater nach außen hin extremen Stress. War der Parkplatz dann gefunden, war alles gut, nur bei mir blieb der Stress noch.

Die Sache mit dem Arzt kenne ich von meiner Oma und zwei weiteren Verwandten. Bei allen dreien ging es nicht gut aus. Meine Oma hat immer Arztbesuche verweigert, nachdem sie bei meinen Eltern einzogen war (wegen Depressionen, Alter, Rückzug usw.). Sie musste dann dreimal ins KH, einmal war sie stark ausgetrocknet und dadurch auch verwirrt. Der Zahnarzt wäre allerdings nicht ins Haus gekommen und so blieb die unpassende Prothese und fiel halt öfter mal vom Oberkiefer.
Im zweiten Fall waren wir als Familie beim Hausarzt des Betreffenden und schilderten Symptome und fragten nach Hausmitteln, weil er sich absolut weigerte, zum Arzt zu gehen. Als er das dann mitbekam, ging er zum Arzt und wurde ans KH verweisen - die Diagnose war dann leider Krebs.
Die Krebsarzt sollte möglichst frühzeitig diagnostiziert werden - er hatte die ersten Symptome gut ein dreiviertel Jahr entdeckt, bevor er ins KH kam und versuchte, sie mit Sport und Fasten wegzubekommen.

Im dritten Fall war das jemand, der nach und nach extrem verwahrlost war, sich weigerte, sich zu waschen, umzuziehen, das Haus zu verlassen, immer weniger essen wollte. Fazit war dann zweimal ein KH-Besuch, einmal wegen offenem Fuß, beim zweiten Mal zwei Jahre später wegen Beinamputation. Dazwischen Pflegedienst.

Allen drei Fällen ist gemeinsam, dass es wirklich immer schlimmer wurde, weil kein Arzt aufgesucht wurde. Zahngesundheit ist halt auch keine Beautysache, sondern mangelnde Mundhygiene kann Infektionen begünstigen (auch Herzprobleme etc.) und ausfallende Zähne wirken sich auf die Sprache aus und eventuell isst man weniger oder weniger vielfältig, was sich wieder auf die Gesundheit auswirkt - ebenso können fehlende Zähne sozialen Rückzug begünstigen.
Ich würde, wenn es möglich ist, zu IHREM Hausarzt gehen und die Probleme ansprechen.
Welche Möglichkeiten sieht er?
Welche Handlungsoptionen bleiben euch?
Es gibt teilweise wirklich noch Ärzte, die Hausbesuche machen. Wenn ihr Hausarzt so einer ist, könntet ihr versuchen, mit ihm einen Termin zu vereinbaren. Vielleicht hilft es ja schon, dass er ihr ins Gewissen redet und sie dahingehend beruhigt, dass Ärzte Schweigepflicht haben und viele Patienten mit gravierenderen Problemen trotzdem in seine Praxis kommen.

Am besten wäre es, man würde ihr langsam und übersichtlich Schritte aufzeigen, die sie ihrem Ziel näher bringen würden.
Sie will nicht zum Arzt: Was ist das Problem? Der Weg? Die Scham? Angst vor der unbekannten Situation? Angst vor Verurteilung? Angst vor der Untersuchung? Angst, da alleine hin zu müssen?
Wenn man die Gründe kennt, kann man versuchen, sie zu entkräften.
Es gibt auch spezielle Ärzte für Angstpatienten. Das wäre auch eine Option.
Es gibt für bestimmte Fälle offene Sprechstunden im KH. Das wäre eher "anonym".

Solche Sachen könnte man ansprechen. Und dann wirklich schrittweise aufzeigen, wie man vorgehen könnte. Bspw. "ich nehme mir frei, wir treffen uns morgens, frühstücken gemütlich, ich bringe dich dann mittags zum Arzt, ich bleibe im Wartezimmer/ komme mit ins Sprechzimmer - je nachdem, was ihr lieber ist - der Arzt hat Schweigepflicht, du kannst erst mal nur reden, du musst dich nicht ausziehen, wenn du das nicht möchtest. Wir fahren dann wieder zurück und trinken noch gemütlich einen Kaffee."

Bearbeitet von Toschkalee
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Ich wünschte, ich wäre früher draufgekommen, was meine Mutter im Leben belastet. Nachdem ich es in Erfahrung gebracht hatte, machten alle Puzzleteile Sinn. Ein wenig leichter ist für sie, dass sie mit mir drüber sprechen kann. Ins Detail möchte ich nicht gehen.
Sie ist jetzt Mitte 70. Gerne würde ich ihr eine Traumatherapie bezahlen, damit sie für sich etwas Ruhe finden kann.

Ich denke, auch deiner Mutter würde eine Therapie gut tun.
Ich glaube, dass du - wie ich selbst - ein wenig co-abhängig bist, aber auch voller Liebe.

Du wirst leider in dem Alter nicht mehr viel bewirken können.

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Liebe Vanessa,
du wirst deine Mutter wahrscheinlich nicht aus ihrer Spirale retten können. Bitte rette dich! Falls du nicht schon dabei bist, mach eine Therapie, damit du für dich die alten Muster durchbrechen kannst.
Begleite deine Mutter, so gut du kannst und halte sie aus, wenn es dir mögliich ist. Auch ohne Zähne. Das hört sich doof an, ich weiß. Du möchtest ja, dass deine Mutter möglichst gesund noch lange lebt. Sie selbst möchte das für sich vielleiicht eben nicht so dringend. Das kann ich gut verstehen, auch ich habe den Zenit längst überschritten und bin müde geworden.
Das Beste, was du für deine Mutter tun kannst ist ihr zu zeigen, dass du dein eigenes Leben meisterst!
Nutze die Zeit, die euch bleibt. Stell deine Fragen. Alte Fotos anschauen ist da immer eine Gelegenheit. Oder nochmal Orte aufsuchen, die wichtig waren.
Deine Mutter bzw. deine Eltern haben einen guten Job gemacht, trozt aller Schwierigkeiiten. Nicht perfekt - und du mußt auch icht perfekt sein, aber dir selbst gut genug. Und hey - da stehst du, erwachsen, schön, in all deiner Kraft!
Alles Gute euch!

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Ich sage jetzt mal du musst aufhören, deine Mutter durch die rosarote Brille zu sehen. Was sie macht ist emotionale Erpressung, und auch teilweise passiv aggressiv. Sie weiß dass du Mitleid mit ihr hast und sie spielt die Opferrolle perfekt.
Meine Mutter hat auch so Züge, wenn auch bei weitem nicht so ausgeprägt. Seit ich darauf nicht mehr eingehe ist es weniger geworden. Natürlich liebe ich sie auch und es definiert nicht unseren Umgang. Aber ich habe aufgehört, mich für sie verantwortlich zu fühlen.
Etwas Distanz oder auch richtig Tacheles reden tut manchmal richtig gut. Das tut auch der Liebe keinen Abbruch. Wahrscheinlich im Gegenteil :)

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Ich verstehe deine Zerrissenheit.

Aber auch ich denke, du wirst deine Mutter nicht mehr ändern können.

Du solltest sie also schon so akzeptieren, wie sie ist. Andererseits darfst du natürlich auch Grenzen setzen und dich vor allem abgrenzen. Also ihr mal sagen, dass du ihr Gejammer aktuell nicht hören möchtest; denn was ändern will sie ja nicht.

Das wichtigste: du bist NICHT verantwortlich. Deine Mutter weiß, du würdest ihr helfen, wenn sie denn will. Sie will nicht. Damit bist du raus. Bedaure sie nicht zu sehr und zieh dir den Schuh nicht an, dass DU da was machen müsstest. Das kann nur deine Mutter.

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Hallo,

ich finde du bist zu nett zu ihr. Meine Oma hatte ähnliche Ansätze, die Kinder waren auch hilflos. Meine Schwester und ich aber schon erwachsen und wir haben dann deutlich gesagt du musst zum Arzt, dann ist der Termin, ich hole dich ab und fahre mit dir. Wenn sie wirklich Angst hat würde ich einfach einen Termin vereinbaren und ihr nur sagen, ich komme morgen um 11 Uhr, also die Arztfahrt gar nicht ankündigen.
Manchmal ist einfach der Anfang schwer.
Zum Thema Trauma, da würde ich Abstand halten, manchmal ist das Erlebte so schlimm, dass man es nicht ausgraben sollte. Mit 70 Jahren, wo soll da die Motivation und Kraft herkommen, nicht das sie dann selber nicht mehr aushalten kann und sich was antut.