Demente Großmutter anlügen?

Würdet ihr für den Familienfrieden einen dementen Menschen anlügen?

Folgende Situation hatten wir Gestern: Mein Mann unsere Tochter ( 12 Wochen) und ich waren seine Eltern besuchen.
Im Haus lebt noch die Großmutter meines Mannes. Diese ist 96 und dement. An manche Sachen, die man zu ihr sagt, kann Sie sich aber noch gut erinnern, vieles vergisst Sie aber auch wieder.
Mittlerweile erkennt Sie öfters auch Personen nicht mehr oder falsch.
Beim letzten Besuch hat Sie Nachmittags beim Kuchen essen noch sehr munter gewirkt und Abends hat Sie mich nicht mehr erkannt .

Gestern war erstmal alles super, Sie hat viel klarer als bei den letzten 2 Besuchen gewirkt und kurz bevor Sie wieder runter in die eigene Wohnung ist hat Sie gefragt, ob unser Kind denn schon getauft wäre bzw. Ob wir Taufen wollten.
Sie hat mich da aktiv gefragt, mein Mann war in einem anderen Raum.
Wir Beide möchten nicht taufen lassen.
Der Oma habe ich nur gesagt, dass Sie noch nicht getauft sei und das hat schon gereicht damit die Stimmung umkippt.
Sie wurde sehr ungehalten( ihr könnt doch kein Heidenkind großziehen, etc.) und wollte uns quasi das Versprechen abnehmen, dass wir unser Kind taufen lassen.
Zum Glück haben meine Schwiegereltern da super reagiert und Sie vom Thema etwas ablenken können.

Jetzt sind mein Mann und ich etwas ratlos, ob wir die Oma in der Hinsicht anlügen sollen, Fall das Thema wieder aufkommt, um den Frieden zu wahren oder ob wir da ehrlich sein sollen.
Denn eigentlich möchten wir Sie nicht anlügen , möchten aber halt auch nicht das der Besuch böse endet.
Und wir wissen ja nicht, ob und an wieviel Sie sich erinnert.

10

Es gibt ein ganz tolles Buch zu Demenz: Die magische Welt von Alzheimer (Huub Bijssen). Da gibt es ein paar grundsätzliche, wirklich hilfreiche Hinweise, beispielsweise:

-Informieren Sie sich über Demenz (In jeder ausführlichen Information wird das Thema Lüge behandelt)

-Reagieren Sie auf das Gefühl, nicht auf den Inhalt (Der Inhalt von Demenzkranken wird verwirrt, für uns unstimmig, aber am besten hilfst du der demenzkranken Oma, wenn du emotional beruhigende Auskünfte und Antworten gibst, die "Realität" ist zweitrangig)

-Bitte keine Kritik (also auch keine Diskussion um religiöse Dogmen)
Usw.

Das Beste, was ihr der Oma jetzt noch geben könnt ist, einfühlsam, annehmend und kreativ auf ihre Wünsche und Einfälle einzugehen. Demenz bringt so viel Verunsicherung, Ängste und Einsamkeit in das Leben der Kranken, dass alle Beruhigung, die möglich ist, ihnen hilft.
Dagegen verblasst so ein Grundsatz wie "immer die Wahrheit sagen" einfach.

Mein Vater war dement, habe auch andere Demente im Freundeskreis mit betreut und viel dazu gelesen. Ich kann dir wirklich raten, dich zu informieren. Dann kannst du auch manche lebenslang angelernte und eigentlich tolle Prinzipien ganz leicht überwinden, ganz ohne schlechtes Gewissen.

Alles Gute für euch und die Oma. Manchmal kann man noch ganz viel schöne Momente erzeugen, wenn man auf die "Realität" des Demenzkranken eingeht und ihn gefühlsmäßig abholt, wo er ist. Und auch manchmal einfach "mitspielt". Dann ist man eben die Jugendliebe oder die verstorbene Mutter oder der verstorbene Partner. So etwas ist für einen demenzkranken Menschen einfach oft beruhigend, und wir nehmen im Berufsleben so viele Rollen an, warum nicht mal eine ganz andere Identität? Man kann das etwas spielerisch und mit Humor sehen.

24

Dankeschön!

Bei meiner eigenen Oma war es ähnlich, da habe ich Sie aber von klein auf gekannt und gewusst wie ich mit ihr umgehen kann.
Hier hat mein Mann mir zwar gesagt, dass Sie früher ein ziemlicher Drache sein konnte und gerne alles bestimmt hat, nur habe ich Sie halt nicht so kennengelernt .
Und bei meiner Großmutter kam nie ein Thema auf bei dem ich hätte Lügen müssen und ich habe in den letzten Jahren bei ihr gewohnt und geschaut das Sie ihre Medikamente nimmt, regelmäßig isst, etc.
Also ist es hier doch irgendwie Neuland.

3

Hallo,

wenn das Thema wieder aufkommt, kannst du direkte Antworten vermeiden, indem du sie z.B. fragst, welche Kirche sie kennt/ mag/ bevorzugt oder welche Rituale rund um die Taufe sie kennt. Oder du fragst nach ihrer Taufe bzw. die ihrer Kinder und wie nach der Taufe gefeiert wurde usw.

Die Oma regt sich auf, wenn ihr ihr die Wahrheit sagt, deshalb würde ich die Frage nicht eindeutig mit ja oder nein beantworten. Demenzkranke werden manchmal aus Hilflosigkeit aggressiv. Das muss man nicht extra provozieren, die Frau ist fast 100 Jahre alt. Ihre Werte sind andere, die Taufe war zu ihrer Zeit essentiell.

Du kannst nach Kommunikation mit Menschen mit Demenz googlen. Vielleicht hilft dir das weiter.

Viele Grüße,
ez

Bearbeitet von erdbeer.zeit
8

So seh ich das auch. Ich würde "lügen". Heute ist eine Taufe den meisten nicht mehr wirklich wichtig, aber zu der Zeit damals war das was völlig anderes. Nee, dafür muss sich die alte Dame nicht aufregen :-)

1

Das Problem würde sich ja auch stellen wenn Oma nicht dement wäre, dass ihr nicht taufen lassen wollt, Oma will es aber.

Mein Mann und ich gehen mit solchen Problemen unterschiedlich um, mein Mann würde ausweichend antworten oder wie du es nennst lügen, ich würde resolut meine Meinung sagen. Das eine ist streitvermeidend oder die Harmonie erhalten, das andere ist Konfrontation.

Es ist euer Kind und ihr habt keine Verpflichtung Omas Willen zu erfüllen, ob sie dement ist oder nicht, denn die Religionsfreiheit gilt auch für euch. Durch die Demenz kann es euch eher passieren, dass Oma jedes Mal fragt, dann habt ihr ohnehin ein Dauerproblem.

Etwas anderes gilt, wenn Oma für die Taufe eine Million Euro in Aussicht gestellt hätte. Dann muss man gucken was man macht. (Achtung Quatsch!)

V.G.

7

Wäre Sie nicht dement, würden wir einmal mit ihr das Thema durchsprechen und wenn es Sie wiederaufbringen würde, würden wir Gehen .

So handhaben wir das auch bei meiner Mutter, die sehr hätte das wir Taufen lassen.

9

Aber eine fast 100 jährige demenzkranke Frau kann nicht mehr in diese Konfrontation einsteigen. Das ist ein ganz wichtiger Unterschied.

weitere Kommentare laden
2

Ja klar, lügen. Das fällt hier für mich unter Notlüge.
Deine Ehrlichkeit in Ehren, aber man muss nicht jeden unnötigen Kampf ausfechten.

26

Und einfach mit einer Gegenfrage gegensteuern?
Oh eine taufe, sehr schön. Kennst du ein gutes lied für eine taufe. Und dann über Musik sprechen. Also es einfach übergehen. Ich glaube das würde ich machen

28

Ja, auch eine sehr gute Idee :-)

4

Vielleicht kannst du es einfach etwas "softer" formulieren ("Wir möchten, das unser Kind sich später einmal bewusst für oder gegen die Taufe entscheidet") - das würde ich jetzt nicht als Lüge ansehen, denn ihr würdet dem Kind die Taufe ja wahrscheinlich nicht explizit verbieten, oder?

5

Wenn der Rest der Familie da auch mit an Bord ist. Klar, lügt was das Zeug hält. Warum soll man einem alten, kranken Menschen solche Konflikte zumuten, an die er sich sowieso immer nur temporär erinnert. Das wäre aus meiner Sicht Quatsch und unsinnige Belastung.

6

Ich würde lügen. Was hast du davon, wenn sie sich aufregt oder die Stimmung hinüber ist.? Die Lüge hat keine praktische Konsequenz, unddie Oma fühlt sich gut.
Eine Grundsatzdiskussion führt in diesem Fall zu gar nichts.
Ebenso wie man " individuelle Wahrheiten" und Erinnerungen Dementer nicht korrigieren sollte, sondern als Gesprächsanlass nehmen kann, bringt " Wahrheit auf Biegen und Brechen" nichts außer Kummer.

11

Wenn Die Oma dement ist, dann wirst Du dich noch auf viele weiter Bösartigkeiten und Sätze einstellen müssen, wenn Du Pech hast. Oft werden demente Personen auch recht böse, gehässig, oder aggressiv etc... - auch mal zu Kindern etc...

Also weiche aus, wo Du kannst, - aber anlügen würde ich sie nicht. -- Letztendlich sind die bösen Sätze vermutlich ne halbe Stunde weiter eh wieder vergessen. Dümmstenfalls kommt die Frage öfter, weil sie es vergessen hat.

Oft hilft das Übergehen/ignorieren einer Frage oder ablenken ganz gut bei Themen, die konfliktbehaftet sind. -- Also zumindest unsere Oma konnte man mit sehr einfachen Fragen, wie "willst Du noch mehr Kaffee" oder "oh, - ich glaub ich muss das Baby wickeln" so ganz gut ablenken und danach einfach von was anderem weiter erzählen das es so vom Alltag zu berichten gibt, wenn mal ne unangenehme Frage kam... Sie hat immer gerne zugehört, wenn wir erzählt haben, wie das Babyschwimmen war usw.... man entwickelt mit der Zeit so seine "Technik" um die Nerven zu schonen.

Bearbeitet von tr357
12

Hallo,
ich vermute mal, die Oma weiß heute schon gar nicht mehr, dass sie Dich danach gefragt hat.
Ich würde ihr auf keinen Fall sagen, dass ihr Euer Kind nicht taufen lassen wollt, sondern tatsächlich "um den heißen Brei" drumrum...sagt ihr, ihr habt euch noch auf keinen Termin festgelegt, weil.... .irgendeine Begründung gibt es sicherlich, damit Uroma erstmal zufrieden ist. Sie kommt halt aus der Generation, in der das Kind direkt am nächsten Sonntag nach der Geburt getauft wurde, egal, ob die Mutter schon fit war nach der Geburt oder nicht. Und mit ungetauften Kindern ging man ja auch nicht raus. Da hat sich wohl auch kaum jemand was dabei gedacht, es war halt einfach so.
Von daher, lasst der alten Dame ihren Seelenfrieden mit einer Notlüge. Alles andere würde sie wohl zu sehr aufregen und dass muss ja nicht sein.
LG
Elsa01