Bin ich so herzlos?

Und täglich grüßt ein neuer Mutter-Tochter-Konflikt.

Meine Mutter (Mitte 70, verwitwet) und ich (Mitte 40, verheiratet, 2 Kinder) hatten schon immer eine komplizierte Beziehung zueinander. Ich empfinde sie als manipulativ und unehrlich. Im Laufe der Jahre und mit wachsender Abgrenzung und auch Emanzipation von ihr empfinde ich das noch stärker.

Gestern im Streit hat sie mir etwas erzählt, womit ich große Probleme habe.

Als Abiturientin wusste ich nicht so richtig, was ich beruflich machen möchte. Ich hätte erstmal ein FSJ gemacht und dann mal geschaut, also eigentlich kein fester Plan. Sie hat mir Stellenanzeige gezeigt und immer wieder gesagt, dass ich mich doch dort als Auszubildene bewerben soll. In dem Unternehmen hat sie selbst eine Berufsausbildung gemacht, ist dann aber direkt gegangen und nicht mehr zurückgekehrt. Ich wollte meine Ruhe haben und habe mich beworben. Nach mehreren Gesprächen und Tests habe ich die Stelle bekommen und dann halt diese Ausbildung gemacht.

Gestern erzählte sie mir, dass damals ein Anruf kam und man mir absagen wollte. Sie kannte den Personaler, der anrief, zufällig aus ihrer eigenen Ausbildungszeit und nach einem längeren Gespräch wurde ich dann doch genommen.

Ich wurde wütend und traurig. Es fühlt sich an wie Betrug und eine Entscheidung über meinen Kopf hinweg. Diese Gefühle möchte ich erstmal sacken lassen, momentan bin ich damit überfordert.

Nun steht meine Mutter auf der Matte und wirft mir Herzlosigkeit vor, weil ich gerade nicht mit ihr darüber sprechen möchte. Sie vermutet hinter meiner Wut, dass ich Geldnöte oder andere Probleme habe, denn jeder andere wäre froh und dankbar.

Ist das so? Wäre jeder andere froh und dankbar?

Übrigens habe ich keine Geldsorgen. Beruflich mache ich mittlerweile etwas ganz anderes. Ich habe eine weitere Ausbildung in einem anderen Berufsfeld gemacht. Die erste Ausbildung war kein Fehler und auch nicht unnütz. Nur beruflich brauchte ich sie nicht.

Ist meine Reaktion herzlos? Ich möchte nicht ungerecht sein, aber gefühlsmäßig bin ich gerade kalt, weil überfordert und wütend.

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Für mein Empfinden ist deine Reaktion unnötig.

Heute Helikoptern alle Eltern um ihre Kinder. Wegen jedem Pups. Versucht jede Kleinigkeit abzunehmen. Jede. Das finde ich falsch.
Und hier hat sie dir einmal eine Enttäuschung nehmen wollen, eine Chance geben können. So ist das manchmal mit Vitamin B (im Gegensatz zu dir war ich dankbar).

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Ich schließe mich dem an!

Zu diesem Zeitpunkt hat es deine Mutter sehr gut gemeint!

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Das verstehe ich nicht... warum bist du jetzt sauer? Weil sie sich eingesetzt hat, dass du die Ausbildung doch machen kannst?

Weil du sie ja eigentlich nicht machen wolltest und die Entscheidung dann damals zu deinen Gunsten ausgefallen wäre, wenn sie sich nicht eingemischt hätte?

Ich denke, wenn ihr sonst keinen Probleme hättet würde dich das nicht so treffen.

Bearbeitet von emmi1980
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Ja, du triffst es wahrscheinlich schon ganz gut: Wenn es sonst keine Probleme bei uns gäbe, dann wäre ich wohl nicht traurig und wütend.

Hätte ich die Stelle nicht bekommen, dann wäre das einfach so gewesen. Habe ich nicht ein Anrecht darauf, auch solche Erfahrungen zu sammeln?

Warum erzählt sie das jetzt nach so vielen Jahren?

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Hallo,

"Warum erzählt sie das jetzt nach so vielen Jahren?"

Deine Mutter ist Mitte 70. In dieser Lebensphase spielt das eigene Ableben oftmals eine größere Rolle, als in jungen Jahren.
Man geht ins Gericht mit sich, macht Résumés, manches Erlebtes wird für immer in Stillschweigen gehüllt und manches nicht.
Sie wollte es loswerden und vermutlich Deine Absolution.
Ich vermute mal, dass sie Deine starke Reaktion überrascht hat, weil es schon so lange her ist. Bestimmt wollte sie dich damals und heute damit nicht verletzen.

Kann es sein, dass Du Dich öfters übergangen gefühlt hast? Das könnte eine mögliche Ursache für Deine Reaktion sein.

Liebe Grüße

Bearbeitet von chaosbraut5
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Ich verstehe dich - man ist doch stolz, seinen ersten Arbeitsplatz bekommen und sich gegenüber anderen Bewerbern durchgesetzt zu haben. Das gibt Selbstvertrauen und man fühlt sich gewollt.

Dass es letztendlich gar nicht so war, ist ein Schlag ins Gesicht und ich kann mir vorstellen, dass einem das irgendwie auch unangenehm ist, mit so viel positiver Energie in den Job gestartet zu sein (ohne zu wissen, dass man diesen ursprünglich gar nicht bekommen sollte) - selbst wenn es Jahre her ist!

Von daher meiner Meinung nach völlig unnötig, dass sie es dir gesagt hat. Entweder hätte sie das gleich tun sollen (und dir damit die Möglichkeit des selbst Wählens lassen können) oder das für immer für sich behalten können.

So gibt es dir doch nur ein negatives Gefühl, auch wenn es schon Jahre zurückliegt.
Und ich denke, das weiß deine Mutter. Was war also die Intention dahinter, diese Information Jahre später zu geben?
Das würde mich als Tochter nun tatsächlich interessieren.

Alles Liebe dir!

Bearbeitet von Lolalisa3
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Ich kann dich verstehen. Vitamin B kann etwas Schönes sein, wenn man es selbst in der Hand hat. Wenn mir angeboten wird meine Bewerbung anzukündigen, eine Freundin einen Kontakt knüpft etc.

In dem Fall hatte deine Mutter dich schon in die Bewerbung reingequatscht. Und dann kommt eine Absage, aber du erfährst nie davon. Sie biegt das für dich gerade, entscheidet über deinen Kopf hinweg. Und vor allem erzählt sie es nicht. Wer weiß, wer das damals wusste und wie der Eindruck war. Mir wäre das im Nachhinein unangenehm, glaube ich, auch wenn es vielleicht gar nicht sein muss.

Aber vor allem würde ich mich null ernst genommen fühlen, wenn sie so ein wichtiges Gespräch führt ohne zuvor meine Meinung einzuholen oder auch nur davon zu erzählen. Das ist total respektlos. Ich kann verstehen dass du enttäuscht und wütend bist, vor allem passt das ja scheinbar auch ins Bild.

Dass sie so gar nicht versteht was sie falsch gemacht hat, zeigt dass deine Meinung und Gefühle sie nicht so arg interessieren. Insofern wird da kein Verständnis kommen, fürchte ich.

Bearbeitet von Laniluna
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Naja - wenn man sich für einen Ausbildungsplatz bewirbt, dann gehen die anderen normalerweise davon aus, dass man sich über eine Zusage freut.

Ich sehe hier also keinen Fehler bei deiner Mutter, dass sie sich dafür eingesetzt hast, dass du die Stelle bekommst.

Vielleicht hätte sie im Vorfeld nicht so viel Druck ausüben sollen, dass du dich dort bewerben sollst - aber du warst erwachsen, du hättest auch einfach nein sagen können.

Ich finde du übertreibst also ein wenig - sie hat es nur gut gemeint und du sagst selbst "Die erste Ausbildung war kein Fehler und auch nicht unnütz" - also dann ist es doch kein Drama - oder?

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Erwachsen - das ist ja so eine Sache. Auf dem Papier war ich fast volljährig. Vom Alltag her halt Schülerin, die daheim im Kinderzimmer gewohnt hat.
Erwachsen ist nicht gleich Erwachsen. Und es hat viele Jahre gedauert, bis ich überhaupt ansatzweise für mich einstehen konnte. Und auch jetzt noch ist es eine Herausforderung. Besonders gegenüber meiner Mutter, die mich auch jetzt noch offensichtlich als unmündigen Deppen behandelt.

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Ich glaube, ein Stück weit kann ich es nachfühlen, auch, wenn es rational wohl nicht wirklich Sinn ergibt.

Was ist es was dich stört? Was ich mir vorstellen könnte:

Das Gefühl, es eigentlich nicht selbst geschafft zu haben.

Das Gefühl, dass sie sich zu sehr in dein Leben eingemischt hat.

Das Gefühl, dass du sonst früher vielleicht etwas besseres gemacht hast.

Das Gefühl, dass es deinen früheren Kollegen gegenüber peinlich war und du es nicht Mal wusstest.


Ich glaube, du fühlst dich nicht dankbar, weil das nicht dein großer Traum war. Wenn du unbedingt diese Ausbildung hättest machen wollen, wärst du vielleicht dankbar. So hat sie dich (vom Gefühl her) erst bequatscht und dann noch " ins Schicksal eingegriffen" und hat jetzt vielleicht (je nachdem, wie sie es erzählt hat), vielleicht auch noch den Triumph. Gefühl, Uhr etwas schuldig zu sein, wegen einem Gefallen, un den du sie nicht gebeten hast (und den du vielleicht auch nicht wolltest).

Also ja, emotional kann ich das verstehen. Rational betrachtet ist es lange her und vermutlich egal.

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Warum bist du sauer? Weil du dann doch genommen wurdest und deiner Meinung nach deshalb eine Ausbildung gemacht hast, die du eigentlich nicht machen wolltest? So schwer deine Beziehung zu deiner Mutter auch ist - sie hat es ja nur gut gemeint, sie wollte dir helfen, dich unterstützen. Dass du eigentlich kein Interesse an dem Beruf hattest, dafür hättest du einstehen sollen.

Die Eltern fanden irgendeinen Beruf oder irgendeine Firma total toll und meinten, dass der Nachwuchs das dann bestimmt genauso sieht. Wenn man null Ahnung hat was man mit sich anfangen soll, ist es immer leicht den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen und danach zu sagen "DU hast mir das eingebrockt - DU bist schuld".

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Aber ich schreibe doch, dass die Ausbildung kein Fehler war. Auch, wenn ich sie nicht gebraucht habe, so habe ich doch viel gelernt und gute Erfahrungen gesammelt. Warum sollte man da von Schuld sprechen oder Vorwürfe machen?

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Deine Mutter hat dich damals eben nicht auf Augenhöhe behandelt. Sie hat deine Entscheidung angenommen, du hast sie nie um Hilfe gebeten. Nein, dankbar musst du ihr nicht sein und herzlos bist du, wenn überhaupt, zurecht!

Es ist ok, wenn du nicht mit ihr drüber reden willst!

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Deine Mutter klingt irgendwie sehr schwierig, um nicht zu sagen toxisch und könnte eventuell in Richtung Narzissmus gehen. Ist das möglich?

Da ich eine solche Mutter auch hatte, erkenne ich es vielleicht recht gut und ich kann dich voll verstehen.

Meine These ist, dass die, die das nicht verstehen, die gesamte Tragweite nicht verstehen, weil sie so nicht aufgewachsen sind.

Ich kann dich absolut verstehen!