Seit fast 50 Jahren renne ich meiner Mutter hinterher

Ich befinde mich zur Zeit gerade in einer Verarbeitungsphase, die mich dennoch sehr traurig macht. Vielleicht finden sich andere Töchter von schwierigen Müttern die mir etwas Trost spenden können? Denn das Kindheitstrauma lässt mich auch nach all den Jahren nicht wirklich los.

Ich bin 1977 als erstes Kind meiner Eltern geboren worden. Ein Wunschkind, und dann noch das gewünschte Mädchen.
Man sollte also meinen meine Mutter wäre damit glücklich gewesen. Anscheinend hat sie aber alles am Muttersein überfordert. Schon in der Schwangerschaft war sie von Selbstzweifeln gebeutelt und die Ehe lief schlecht, sie hatte einen Liebhaber, die Sache flog auf, meine Eltern ließen sich zum Ende der Schwangerschaft scheiden (später heirateten sie erneut). Meine Mutter hat mir diese Lebensgeschichte selber in Bruchstücken gebeichtet und auch einmal erklärt wir hätten vielleicht deshalb so ein schlechtes Verhältnis weil sie ihren eigenen Bauch geschlagen hätte und ich laut gewünscht hätte ich würde verschwinden.

Es war eine schreckliche Geburt, sie hatte eine schwere Infektion danach, konnte mich nicht stillen. Ich bekam die Flasche, wie so viele Baby in den 70er und 80er Jahren. Diese Milch vertrug ich angeblich nicht, ich war ein extremes Spuckbaby.
Wenn ich allerdings Fotos und Videos sehe, sehe ich einen überaus wohlgenährten Säugling. Ich war bestimmt an der obersten Perzentile. Keine Ahnung wie das zusammenpasst.
Ich schlief schlecht, weinte viel, hatte später als Kleinkind extreme Trotzanfälle und wurde spät trocken.

Ich erinnere mich mit grausen an zwanghaftes gefüttert werden. Oft musste ich mich quer über den Tisch erbrechen.
Keine Ahnung ob ich einen übertrieben schnellen Würgreflex hatte oder sie einfach meine Grenzen nie erkannt hat.
Als Klein- und Schulkind wurde ich extrem mäkelig und empfindlich mit essen und war immer an der Grenze zum Untergewicht.
Das Thema essen war immer angespannt. Nie konnte ich genügen.
Zudem war ich wohl auch extreme empfindlich und musste teilweise mehrmals im Monat wegen Erbrechen oder Durchfällen vom Kiga fernbleiben. Meine Mutter erzählte mal, dass die Erzieherin sich schon gewundert hatte, wie ein Kind so oft krank sein kann.

Meine Mutter war insgesamt sehr ungeduldig mit mir, wenig liebevoll, Gewalt war an der Tagesordnung und ich erinnere mich an Nasenbluten und Beulen durch sie.
Mein Bruder wurde knapp vier Jahre nach mir geboren. Und bis auf die Stillprobleme war wohl alles leichter und besser mit ihm.

Nur hatte meine Mutter nie so richtig Interesse sich mit uns zu beschäftigen. Es gab keine gemeinsamen Spiele, wir wurden nicht gefördert, nur verwahrt und versorgt. Auch Spielsachen oder Unternehmungen bekamen wir nur wenig.
Ich hatte die Kindheit durch ein einziges Kuscheltier, zwei Puppen die sich ein selbtgebautes Bettchen teilen mussten und eine handvoll Bücher. Dazu gab es eine Legokiste und später ein paar Kassetten die ich immer und immer wieder angehört habe.
Kaum Auswahl, kaum Material wie Stifte oder ähnliches zum Basteln. Selbst Malpapier war streng limitiert, meine Eltern waren beide extrem sparsam und geizig.

Wir bekamen auch so gut wie keinen neuen Möbel, obwohl meine Eltern sogar ein neues Haus bauten. Alles wurde aus Holzresten selbst gebaut (alte Arbeitsplatte als Schreibtisch) und geschenkte Spielzeugkommode.
Das an sich war auch nicht das Problem, damals als Kind war es mir egal in welchen Möbeln ich wohnte. Nur später ist es mir im Zusammenhang aufgefallen, dass für uns Kinder so gut wie nichts investiert wurde.

In der Schule hatten mein Bruder und ich beide Probleme. Die Aufgaben überforderten uns schnell, wir waren auf nichts vorbereitet. Konnten nicht zählen oder spielerisch Würfelpunkte erkennen, keinen Namen schreiben usw. Für uns beide war die Schulzeit eine einzige Qual, den Anschluss zu halten gelang uns kaum und wir gingen beide mit einem Realschulabschluss ab, in dem Glauben strohdumm zu sein. Erst in der Ausbildung und meinem Auszug (mit Punkt 18) wurde es allmählich besser und ich habe mit einem "sehr gut" abgeschlossen. Mein Bruder hat später sogar das Abitur in der Abendschule nachgeholt und ein Bachelorstudium abgeschlossen.

Auf meinen Bruder ist meine Mutter nun extrem stolz. Er ist ihr Lieblingskind geworden.
Mit mir wurde es in der Pubertät schwierig. Ich wandte mich innerlich von meiner Mutter ab und zeigte ihr oft die kalte Schulter. Ich wollte sie staften für die Dinge die sie mir all die Jahre angetan hatte.
Das sah sie aber nie ein. Immer wurde nur gesagt, ich sei schwierig gewesen und dafür hätte es keinerlei Grundlage gegeben.
Das sie uns vernachlässigte, nach der Scheidung von meinem Vater extrem viel Alkohol konsumierte und ganze Tage nur im Bett lag, das wird totgeschwiegen.

Wir hatten teilweise jahrelang keinen Kontakt als ich erwachsen wurde und selber Familie gründete. Sie war kalt und empathielos zu mir und grenzte sich extrem ab. Auch meine Kinder bekamen so gut wie keine Geschenke, nur einmal im Jahr eine Grußkarte mit 10 Euro drin, ich wurde nie unterstützt, weder finanziell noch tatkräftig.

Viele Jahre später sahen wir uns zur Beerdigung meiner Oma wieder und haben einen Neuanfang versucht. Aber ich kann ihr nicht begreiflich machen was ich vermisse. Gegenseitiges Vertrauen und füreinander da sein ist ihr anscheinend total fremd.

Ich lebe jetzt selber endlich in einer liebevollen Beziehung, bin zum zweiten Mal verheiratet. Und meine Mutter scheint mir das tatsächlich zu missgönnen. Ebenso ein Familienerbe was es vor ein paar Jahren gab. Sie ist seitdem schwer reich. Mehrfache Millionärin, mein Bruder und ich haben einen einen deutlich kleineren Bruchteil geerbt.
Aber meine Mutter ist anscheinend sauer das sie nicht alles bekommen hat und hat mir mal am Telefon gesagt, ich wäre eigentlich gar nicht berechtigt gewesen ihrer Meinung nach, denn ich hätte nie richtig zur Familie gehört. Und das ich mir das Haus in dem ich jetzt wohne ja nur wegen ihrer Tante leisten könne. Und nur wegen dem plötzlichen Gesellen hätte ich mich von meinem ersten Mann getrennt, nicht aus eigener Kraft.
Ich kann das überhaupt nicht verstehen, wie sie mir diesen Bruchteil jetzt noch neiden kann? Ist es nicht egal warum ich mich endlich trennen konnte? Muss sie da eine moralische Wertung (auch noch gegen mich) vornehmen?

Jedenfalls ist sie immer anklagend, weil sie so alleine zuhause sitzt. Keinen Mann mehr gefunden hat, keine Freunde, keine Hobbys und die Tochter weit weg wohnt.
Unser letztes Zerwürfnis wirft nun bei mir wieder die Frage auf, was will sie eigentlich?

Ich habe ihr am Telefon gesagt, ich würde mich in Alter und Krankheit immer um sie kümmern, auch wenn ich dafür Hundert Kilometer fahren müsste. (Das Thema kam durch einen Nachbar auf) Da reagierte sie total gegenteilig drauf, wie ich das erwartet hätte. Sie wurde schnippisch und extrem kalt. Sie bräuchte mich nicht, mein Bruder würde alles regeln und der wüsste wo alle Papiere liegen. Über Pflege und Patientenvollmacht würde sie mit anderen sprechen, aber nicht mit uns (Krankenschwester und Intensivarzt als Schwiegersohn). Ich verstehe es nicht.
Da reiche ich ihr immer wieder die Hand und sie schlägt sie aus.

Aber zur Unterhaltung vorbeikommen und regelmäßig Telefonieren wollte sie.

Was bin ich für sie?

Bearbeitet von immernochtraurig
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Du bist die erwachsene Frau, die einsehen muss, dass ihre Mutter massive Probleme hatte und immer noch hat, psychischer Art offensichtlich.

Du bist diejenige, die erkennen muss, dass es für alle gesünder ist, den Kontakt abzubrechen.

Du bist diejenige, die das alles aufarbeiten und dann heilen muss - ohne deine Mutter.

Such Dir bitte professionelle Hilfe dafür.

Es läuft nicht so, wie du es Dir wünschst - dazu gehören zwei und der andere Part ist leider nicht Willens, Dir deinen Wunsch zu erfüllen.

Es tut mir leid für Dich und ich wünsche Dir viel Kraft.

Liebe Grüße
Scabra

2

"...Was bin ich für sie?..."

Auf jedenfall nicht das was Du Dir all die Jahre verständlicherweise gewünscht hast.
Deine Frage sollte eigentlich eher lauten:

Was ist sie für mich?

Ist sie eine liebevolle, empathische, zugewandte Mutter für Dich? Eher nein!
Kostet Dich jeder Kontakt mit ihr Energie oder bereichert es Dein Leben in irgendeiner Form? Wie war es für Dich in den Jahren ohne Kontakt? Leichter?

Ich befürchte es ist lange überfällig das Du zu dem Schluss kommst das sie NIE für Dich sein wird was Du Dir erhoffst, was Du eigentlich verdient hättest.

Womöglich solltest Du die Gefühle die Du hast mit einem Therapeuten aufarbeiten. Mit etwas Glück kannst Du irgendwann akzeptieren das man manche Dinge einfach nicht ändern kann, egal wie sehr man es sich auch wünscht.

Du wirst Deine Mutter nicht ändern können, aber Deine Haltung zu ihr.

Ich weiss aus eigener Erfahrung wie schwer das ist, so ganz egal wird es einem vermutlich auch nie, aber man kann lernen damit besser zu leben.

3

Ich hab ähnliche Probleme mit meiner Mutter gehabt, aber nicht so schlimm wie du. In deinem Fall würde ich wirklich dazu raten den Kontakt ganz abzubrechen.

Ich hab damals mit meiner Mutter nicht ganz den Kontakt abgebrochen (sie lebst inzwischen nicht mehr), aber ich musste dringend Abstand haben und bin daher ins Ausland gezogen. Der Abstand half mir auch, sie auf Distanz zu halten, weil sie sich sonst in alles hineinmischte und manipulierte. Doch, meine Mutter hat schon eine Menge für uns Kinder getan - aber nicht das was wir gewollt oder gebraucht hätten. Ich bin mit Anfang 20 in Therapie gegangen, und das hat sehr geholfen. Vor allem hab ich da erst verstehen können, dass es nicht meine Schuld war und auch dass ich die ganze Zeit von ihr Dinge erwartet habe, die sie einfach nicht geben kann.

Versuch nicht länger, von deiner Mutter Verständnis und Einsicht zu bekommen. Sie ist dazu nicht fähig. Es bringt nichts, Dinge zu erwarten, die der Mensch gar nicht geben kann. Ich hab das damals auch verstanden.

Oft wird es auch schlimmer, wenn man unbedingt von der Person hören will, dass sie etwas falsch gemacht hat. Meine Mutter hat zu guter letzt doch indirekt zugegeben, dass sie einiges falsch gemacht hat. Aber das hätte sie nie zugegeben, solange ich sie angeklagt habe, sondern erst als ich Verständnis für ihre Situation gezeigt habe. Aber deine Mutter ist da in der Hinsicht viel schlimmer. Ihr scheint wirklich Empathie zu fehlen.

Streich sie besser aus deinem Leben. Und geh in Therapie!

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Warum hast du deiner Mutter unter diesen Umständen gesagt, du würdest sie pflegen?

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Weil ich dachte dann würde sie endlich mal Dankbarkeit oder Weichheit mir gegenüber zeigen.

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Ich möchte nicht von einer Person gepflegt werden zu der Kontakt Abbruch bestand. Es tut mir sehr leid für dich aber das Ideal Bild der Mutter.. Dem du hinterher läufst.. Diese Mutter wirst du nicht haben.

Ihr seid beide.. Du und dein Mann.. Vom Fach Medizin und wisst was du zu tun hast.

Alles gute dir

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Deine Mutter ist für ihr Leben verantwortlich, du für deines. Aber das du dich immer um sie kümmern würdest und auch noch dafür weit fahren würdest, sorry das kann ich nicht verstehen. Gerade weil sich deine Mutter dir gegenüber so verhalten hatte.
Ela

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Da ist viel im argen..

Dein Kindheits Trauma hast du versucht in einer Therapie zu verarbeiten?

Ihr hattet viele Jahre keinen Kontakt mehr, vielleicht auch besser so..

Warum bietest du ihr an sich im Alter und Krankheit zu kümmern wenn euer Verhältnis so zerstört ist? Das belastet dich doch und die Motivation daraus versteh ich nicht.

Wenn sich dein Bruder darum kümmert ist das doch von Vorteil für dich, du bist außen vor..

Für mich liest sich das als wärst du mit keinem Kontakt mit ihr glücklicher.

Da sie wohlhabend ist hat sie auch bei Krankheit auagesorgt und kann sich pflege leisten. Ein sehr beruhigender und glücklicher Umstand fürs Alter.

Ich würde mich dezent zurück nehmen und mein glückliches Leben genießen ohne Mutter.

8

Du solltest dir überlegen, was deine Mutter für dich ist.

Wäre sie eine Fremde oder bekannte - würdest du sie wirklich pflegen wollen? Alles investieren, während du nur Neid und Missgunst zurück bekommst?

Deine Mutter hat Probleme. Schon immer. Und dir daher seit Geburt an enorme Päckchen auf die Schulter gelegt. Und du bist scheinbar schon immer ihr Sündenbock. Schon als Baby warst du „schuld“. Und ich glaube, das braucht sie bis heute und daher auch den Kontakt. Dich nieder machen, damit sie sich gut fühlt. Vielleicht einen Grund für ihre Probleme hat und die nicht angehen muss, weil sie ja Nix ändern kann (ihrer Ansicht nach).

Anyway: sollte das dein Problem sein? Nein! Komm, deine Mutter hat doch echt genug versaut in deinem Leben. Vielleicht, weil sie selbst nicht anders konnte. Das ist ne Erklärung, keine Entschuldigung. Und du darfst nun erkennen, dass deine Mutter keine Person ist, in die du irgendwie Zeit oder Herz investieren solltest, denn von ihr wird NIE zurück kommen, was du dir erhoffst - Liebe und Anerkennung.

Tut mir leid. Du hättest eine andere Mutter verdient. Auch ich kann dir nur raten, das vielleicht therapeutisch aufzuarbeiten. Für dich, für deine Kinder.

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Ich hab meiner Mutter neulich am Telefon gesagt, das ich inzwischen erkannt habe ihr nur hinterher zu betteln. Und es doch schon seit frühester Kindheit auf an Probleme zwischen uns gab.
Da hat sie mir genau das gesagt: Vielleicht solltest du das mal therapeutisch aufarbeiten. So als wäre das allein mein Problem.
Ich mein, sie beschwert sich über die Kontaktabbrüche! Sie weiß nicht was sie falsch gemacht hat, sie bezeichnet sich als Opfer, sie möchte Liebe gezeigt bekommen und nicht alleine sein.
Biete ich ihr aber die ausgestreckte Hand, schlägt sie die von sich und tut so, als käme sie alleine im Leben klar.

Sie zeigt Stacheln, möchte aber geliebt werden!
Auch in Gesprächen mit meinem Bruder sagt sie immer wieder, sie wünscht sich ein anderes Verhältnis zu mir.

Meiner Meinung nach hätte man wenn denn eine gemeinsame Therapie machen müssen. Aufarbeiten was schief gelaufen ist, und dabei auch Fehler eingestehen.

Aber die Ansage: Kümmere dich alleine um dich, zeigt ja schon wieder da sie keinerlei Anteil bei sich sieht.

Ich dachte bisher immer, wenn gewisse Punkte aus der Welt geschaffen sind, könnte man neu anfangen und dann wäre was geklärt. Aber muss nun selber erkennen, dass anscheinend zu viel verbrannte Erde im Laufe der Jahre entstanden ist als das man jemals wieder neu anfangen könnte.
Das Gefühl des Vertrauens, der grundsätzlichen Liebe füreinander ist nicht da.
Und war es scheinbar noch nie. Das erschüttert mich, das muss ich zugeben.

Vielleicht ist sie auch schon weiter im Verarbeitungsprozess und hat längst beschlossen mich niemals nah an sich heranzulassen, weil sie von mir nur böses erwartet.

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Zeigt deine Mutter Anzeichen einer Demenz?
Ich kann mir ihr widersprüchliches Verhalten nicht anders erklären. Habe aber kein medizinisches Fachwissen!!

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Das tut mir sehr leid für dich 😔 Kinder haben eine evolutionär schlaue, aber leider für die Psyche oft schädliche Funktion. Sie tun für die Bindung zu ihrer Mutter alles. Evolutionär betrachtet macht es deshalb Sinn, weil wir die ersten Jahre unseres Lebens hilflos ohne eine sichere Bindung sind. Daher passen wir uns in jungen Jahren so an oder versuchen es wenigstens, dass unsere Bindung gesichert ist. Die Mutter stellt quasi die Bedingungen dafür. Wenn sie Liebe AKA Bindung an (Gegen-) Leistung knüpft, tun wir das auch. Wenn wir von der Mutter abgewertet werden durch körperliche oder psychische Gewalt, werten wir uns selbst ab (Besser selber schlecht sein, als Bindung verlieren), usw. Wenn ein Geschwister bevorzugt wird, tun wir alles um in der Gunst zu steigen. Diese Mechanismen nehmen wir mit ins Erwachsenenleben, obwohl sie da nicht mehr gebraucht werden. Du hast viele Wunden davon getragen und sehnst dich noch immer nach einer warmherzigen liebevollen Mutter. Ich wünsche dir, dass du diese Liebe zu dir, irgendwann in dir selbst finden kannst. Überlege dir, mal eine Psychotherapie zu machen. Alles Gute 🍀