Probleme als Erwachsener mit den Eltern

Hallo zusammen,
ich bin m, Anfang 40, meine Eltern sind beide Mitte 70.
Ich hatte - so dachte ich immer - eine behütete Kindheit. Erst jetzt wird mir langsam klar, dass ich stets unter Spannung stand.
Mein Vater war immer wieder cholerisch. Es kam wegen Kleinigkeiten wie der Einstellung der Heizungen zum Rumbrüllen und Streit zwischen meinen Eltern. Thema war auch immer der Wasserverbrauch im Garten usw. Alles Kleinigkeiten ohne körperliche Übergriffe. Es ging aber so weit dass wir immer auf Eierschalen unterwegs waren und ich erst zur Ruhe kam, wenn ich abends hörte dass er schlief.
Das Glas ist für meinen Vater immer halb leer. Er regt sich über alles auf, schreibt ständig Leserbriefe an die Zeitung… Ich kann mich nicht erinnern ihn je wirklich lachen gesehen zu haben.
Meine Mutter trinkt inzwischen zu viel Alkohol und ist depressiv.
Wenn ich die beiden sehe, beschweren sie sich, wenn ich mit einem von beiden alleine bin, immer über den anderen…
Nun ist mein Vater ziemlich krank geworden und hat mir in einer SMS vorgeworfen, „seine Familie habe sich für seinen Zustand wenig interessiert. Der Zuspruch von außen sei für ihn einfühlsam gewesen“.

Als ich das gelesen habe, wurde ich einfach nur sauer. Ich empfinde Wut. Ich habe kaum Mitgefühl mit ihm. Ich habe ihn auf die Nachricht zum ersten Mal geschrieben dass ich sicher empathischer wäre, wenn ich als Kind nicht stets Angst vor cholerischen Anfällen gehabt hätte. Meine Mum tut mir leid.

Seit dem ist Funkstille.

Mein Problem ist nun auch, dass ich mit psychosomatischen Symptome kämpfe. Ich habe oft innere Unruhe. Seit Tagen träume ich von meinen Eltern. Nun habe ich Symptome einer Blasenentzuendung obwohl ich weiß dass da nichts ist.

Ich weiß nicht weiter, wie ich mich verhalten soll.

Vielleicht hat jemand Rat.

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Lieber Dobby,

es tut mir leid wie es Dir geht und Du jetzt erkennst, dass Dein Leben vielleicht getrübter war in manch Hinsicht als Du es die letzten Jahre dachtest.

Lass Dir gesagt sein: so geht es vielen Menschen. Viele Menschen hatten nicht die Bilderbuchfamilie, die man aus Film und Fernsehen kannte und doch dachte man länger, man hätte in ihr gelebt. Es ging einem ja offensichtlich gut: Essen, Freunde, Dach überm Kopf waren ja meist bei uns hier in Europa da.
Heute blickt man auf alles kritischer und perfektionistischer. Vor allem auch bezüglich psychische Gesundheit wird heute thematisiert, damals verheimlicht. Damals durfte der Platzhirsch zuhause auch ordentlich blöken - kenne ich von zuhause auch. Mein Vater will bis heute das Sagen haben, begreift leider aber die schnelllebige Welt um sich herum nun auch nicht mehr und wird darüber grantig und wüst. Ich zucke nur noch mit den Schultern wenn er über alles und jeden schimpft. Es ist ein Ausdruck über seine eigene Hilflosigkeit, die Welt dreht sich inzwischen zu schnell für ihn, ist mein Eindruck.

Aber zurück zu Dir:
Jetzt hast Du heute den Blick der Gesellschaft, der sich verändert hat und Deine Eltern verstärken im Alter auch ihre negativen Seiten. Das ist schon auch normal, aber lässt Dich natürlich deutlicher drauf blicken, was das nun die verstärkten nicht so guten Charaktereigenschaften Deiner Eltern früher auch mit Dir gemacht haben.
Das tut erstmal auch weh. Das darf es auch.

Du musst Dir aber auch klar machen: Du bist erwachsen, heute darfst Du sein und leben wie es Dir gut tut und Deine Eltern haben in Deinem persönlichen Leben, in Deiner Gedanken- und Empfindungswelt eigentlich nicht mehr so viel Platz. Denn Du bist ja erwachsen.

Ratsam wäre sicher, dass Du Dir über diese Abnabelung bewusst sein musst. Manche haben diese Abnabelung auch im Erwachsenenalter noch nicht wirklich vollzogen, sind noch sehr eng mit den Eltern. Das darfst und musst Du auflösen wenn es Dir nicht gut tut.
Mach Dir bewusst, dass Deine Eltern für Ihres und Du für Dein Leben verantwortlich bist. Reduziere wenn möglich auch den Kontakt um zu Dir selbst zu finden. Bei psychosomatischen Problemen solltest Du auch über eine professionelle Aufarbeitung nachdenken mit Therapie.

...das wären meine Gedanken zu der Situation.
Vielleicht hilft es Dir, die Dinge anders anzusehen. Deine Eltern haben Ihr bestes gegeben, mehr ging nicht. Heute schon gar nicht mehr. Sie merken heute ihre Vergänglichkeit, was sie noch mehr an alte Verhaltensmuster bindet.

LG shealove

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Hallo,

ganz toller Text! Das muss ich dir mal sagen!

LG

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Hallo,

ich bin 50 und hatte wirklich eine behütete Kindheit. Meine Eltern haben mit uns Kindern sehr viel unternommen, gespielt, selten geschimpft, eher Einzelgespräche geführt, damit niemand von den anderen Geschwistern etwas mitbekommt, wenn man etwas angestellt hat. Ich war glücklich.

Alles änderte sich, als ich mich habe scheiden lassen und auch (ungewollt) kinderlos geblieben bin.
Meine Eltern verurteilen mich bis heute dafür. Mein Vater spricht seit mehreren Jahren nicht mit mir. Meine Mutter ist ihm hörig und tut nur das was er sagt, ich telefoniere mit ihr. Wir haben uns erst kürzlich bei der Beerdigung eines Familienmitgliedes nach 6 Jahren wieder gesehen.

Ich kann dir sagen, nach vielen vielen Briefen, Versuchen uns auszusprechen, uns zu versöhnen, habe ich es aufgegeben. Sie leben ihr Leben, ich meins. Wenn ich mit meiner Mutter telefoniere, dauern die Gespräche ca. 5 Minuten, in denen sie mir erzählt was ihr aktuell weh tut. Das war's, kein wie geht's, wie war der Urlaub, gar nichts. Ich lasse es über mich ergehen, wahrscheinlich aus Pflichtgefühl und Dankbarkeit für die schöne Kindheit. Seit ich diese Einstellung habe, geht es mir sehr gut. Kein schlechtes Gewissen mehr - mein Vater spricht zwar nicht mit mir, schickt mir aber vorwurfsvolle WA Nachrichten. Ich lese sie zwar, aber es kommt kein Gefühl mehr hoch, weder Wut, noch Mitleid oder Sonstiges. Mich können sie emotional nicht mehr erreichen. Vielleicht täte es dir auch gut für dich zu beschließen, dass sie dir egal sind. Dann geht es dir besser.

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Hallo,

ja, ich kenne das auch. Wie shealove schon sehr treffend schrieb, im Alter kehren sich die negativen Eigenschaften stärker nach außen.
Das kann ich bestätigen.

Ich habe meine Eltern immer auf ein Podest gestellt. Besonders meine Mutter. Sie war mir auch immer eine Stütze. Heute weiß ich allerdings, dass es doch sehr um Eigennutz ging. Das ist in Ordnung, es half mir ja trotzdem in dem Moment.

Aber es bestätigt dass heutige Verhalten. Das Interesse dreht sich nur um sich selbst. Wenn ich gefragt werde, wie es mir geht, dann ist die Aufmerksamkeitsspanne maximal wenige Minuten - um dann wieder zu ihren Themen zurück zu kehren. Und eigentlich war es schon immer so. Es fiel mir nur nicht auf. Meine Mutter ist sehr Ich - Bezogen unter dem Deckmantel der Hilfsbereitschaft. Sie sonnt sich in Anerkennung für ihre Wohltaten und das ist ihr eigentlicher Motor.

Mein Vater hat mir schon lange nichts mehr zu sagen. Mein Lebensstil passt nicht in seine Welt, also passe ich auch nicht. So weit geht seine Liebe zu mir wohl nicht. Wir sitzen stumm nebeneinander und haben uns nichts zu sagen. Irgendwie war es aber auch schon immer so.

Je älter ich werde, desto weniger erträglich ist das für mich. Ich habe all das lange hingenommen. Inzwischen habe ich mich distanziert. Ab und an fahre ich hin oder unternehme mit meiner Mutter etwas, dass ihr Spaß macht. Ich bin es wohl schon schuldig. Mehr aber auch nicht. In mein Leben integriere ich keinen der Beiden, das hat in der Vergangenheit immer zu Streit geführt und tut mir nicht gut. Meinen Partner kennen sie nur am Rande und das ist auch gut so.

Ich tue meine Pflicht als Tochter, kümmere mich selbstverständlich bei Bedarf und bin höflich. Mehr aber auch nicht. Ich habe akzeptiert und meinen Frieden damit gemacht - nachdem ich ebenfalls psychosomatische Symptome entwickelt habe.
Da war für mich klar: Mach deinen Frieden damit. Denn ändern kannst du sie nicht mehr. Sie würden vermutlich gar nicht verstehen, was ich meine, würde ich das Thema offen ansprechen. also habe ich einen Deckel drauf gemacht.

Alles Gute dir!

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Vielen Dank für eure Erfahrungswerte!

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Hej,

ich kann Dir sagen dass Du damit nicht alleine bist.

Die Spannung kenne ich auch, damals als Kind denkt man dass alles soweit okay ist und in Ordnung. Die Eltern kümmern sich ja gut um einen.
Aber je älter und eigenständiger man wird, desto mehr kristallisiert sich heraus dass eben nicht immer alles so eitel Sonnenschein war.

Mein Vater ist bereits verstorben.
Als ich eine junge Frau war, reagierte er in sehr vielen Momenten arg übergriffig. Vergraulte zum Beispiel Freunde von mir am Telefon, erteilte Hausverbote und entschied wer mich besuchen darf und wer nicht. Wollte meine beruflichen und privaten Weichen stellen. Er machte viel madig. Noch heute ärgere ich mich, wie er mich mit Ü30 abkanzelte weil ich schwanger war.
Er war wie ein wütender brüllender Tiger, der nach wie vor die Kontrolle über alles haben wollte. Auch erfand er viele Lügen und Gerüchte, um seine Meinung zu untermauern.

Irgendwann habe ich auch aufgehört, ihm alles zu erzählen sondern machte nur noch Smalltalk. Denn er verwendete gerne alles Mögliche gegen mich und ich entzog ihm so seine Munition. Das hat ihn noch stinkiger gemacht.

Meine Mutter war ihm stets hörig.

Immer wieder brach er den Kontakt ab bzw. traktierte und beleidigte mich so arg, dass ein Kontaktabbruch unumgänglich war.

In den Jahren vor seinem Tod mutierte er von einem brüllenden Tiger zu einem alten beleidigten schwarzen Kater. Der eingerollt in der Sofaecke lag und vielleicht mal ab und zu unwillig mit dem Ohr zuckte.

Auch meine Mutter ist inzwischen so.
Sie negiert so ziemlich alles, ist immer unzufrieden.
Sie kann sich auch nicht richtig freuen, eher jammert sie über Dinge die zB mein Bruder vor über 30 Jahren gemacht hat und was für Enttäuschungen das waren. Statt sich über ihre zwei Enkel zu freuen.

Glaube mir, es ist echt schwierig.

Ich kümmere mich um meine Mutter, aber ich weihe sie auch nicht in alles ein.
Oberflächlicher Smalltalk, mal gemeinsam einen Film anschauen oder einen Kaffee trinken.
Einmal im Monat fahre ich zu ihr rüber.
Und im Schnitt rufe ich sie einmal pro Woche an.

Ich mache das, was hier auch die meisten vorschlagen: Frieden.
Auch um meinetwillen und für meine eigene Familie.

Ich trage meinem verstorbenen Vater nichts nach, ich habe mit ihm post mortem Frieden geschlossen und wünsche ihm dass es ihm in der Zukunft jetzt besser geht. Wenn ich meine Mutter besuche, dann gehe ich auch immer einmal zum Grab.

Und gegenüber meiner Mutter verhalte ich mich freundlich aber eben weiter auf der Smalltalk-Basis. Alles weiter würde nichts nützen und auf Diskussionen lasse ich mich keinesfalls ein.
Sie ist wie sie ist und das wird sich nicht mehr ändern.

Sie hat ihr Leben und ich meins. Punkt.

Mache es genauso.

LG