Meine Mutter verklärt alles ....

Guten Abend,

habe gerade ein langes Gespräch mit meiner Schwester hinter mir - was würdet ihr machen?

Unser Verhältnis zu unseren Eltern war nie das beste. Wir wurden in einem emotional kalten Elternhaus großgezogen, unsere Eltern zeigten nie großes Interesse an irgendetwas - zu Weihnachten z.B. wurde halt irgendwas gekauft (klingt nun sehr materiell ist und ist vermutlich ein doofes Beispiel). Hauptsache, die Außenwirkung stimmte (Dorf). Meine Eltern standen z.B. sonntags immer um 6.30 auf, zogen die Rollläden hoch und legten sich wieder ins Bett, dass niemand dachte, sie seinen faul. Versuchten wir zu mucken, dann gab es eine "Watschn". Die ganze Ehe funktioniert(e), weil jeder sein Aufgabengebiet hatte, beide waren in ihren 30ern (Dorfstandard uralt) und es war mehr eine Vernunfsehe.

Konflikte wurden nie ausdiskutiert. Nach ein paar Tagen Schweigen ging man einfach zur Tagesordnung über. Am Wochenende waren wir sehr oft bei meinen Großeltern. Wir mussten dort oft übernachten und leider kam es dabei zu sexuellen Übergriffen (Großvater). Obwohl wir nicht gerne hin wollten mussten wir wieder und wieder gehen. Meine Mutter hat nie versucht herauszufinden, warum wir nicht gerne hinwollten. Selbst wenn wir heulten, wir wurden ins Auto gepackt und hingefahren. Meine Großmutter wusste von den Übergriffen. Sie folgte aber dem Muster meiner Eltern - meine Großeltern waren angesehen Geschäftsleute und sie "übersah" einfach, was nachts in ihrem Haus passierte.

Als junge Erwachsene versuchten wir immer eine Erklärung für die emotionale Kälte in unserem Elternhaus zu finden. Wir hatten eigentlich gedacht, dass es meine Eltern vielleicht einfach nicht besser könnten, bis wir selbst Kinder hatten - und sie sich bei den Enkelkindern wirklich zu perfekten Großeltern entwickelten - geduldig und liebevoll wird da stundenlang gespielt. Mich freut es für meine Kinder, aber ich finde es doch befremdlich.

Meine Mutter gab in den 70er Jahren ihren Job auf, als sie heiratete, bekam von ihren Schwiegereltern zur Hochzeit ein komplett abgezahltes Eigenheim geschenkt und konzentrierte sich sehr aufs "Muttersein". Allerdings erfüllte sie das ja nicht - meine Geschwister und ich wurden ganztags in den Kindergarten "abgeschoben"
und die Freizeit verbrachten wir bei zwei Freunden, die zu Hause Bauernhöfe hatten (und damit ein sehr spannendes Leben, sehr nette Eltern, etc.). Meine Mutter war den gesamten Tag zuhause - keine Ahnung, was sie da gemacht hat.

Jetzt erklärt uns meine Mutter immer, wie gut wir es haben im Vergleich zu ihr. Und was sie für eine Supermutter war. Das soll kein Wettbewerb werden oder so. Es verletzt uns aber, weil es so einfach nicht war. Alle Themen (z.B. diese Wochenenden bei unseren Großeltern) werden komplett ausgeklammert. Mein Vater weiß von dem Mißbrauch, wir mussten ihm aber versprechen, es meiner Mutter nicht zu erzählen (Großvater schon lange tot).

Ich will diese Scharade nicht weiterspielen. Ich sehe meine Mutter selten (obwohl wir im gleichen Dorf wohnen). Ich will mir aber nicht mehr anhören, wie glücklich meine Kinderheit war. Sie war es nicht. SIe war geprägt von emotionaler Kälte und sexueller Gewalt. Aufgrund der Distanz hätte ich mich nie getraut, mich meinen Eltern anzuvertrauen. Ich würde meiner Mutter so gerne einmal sagen, wie schrecklich das alles war. Wie unglücklich, alleine, verzweifelt ich war. WIe hilflos gegen die Übergriffe. Wie wütend ich bin - dass sie nun ihren Enkeln das geben kann, was ich mir gewünscht habe (es ist nicht so, dass ich auf meine Kinder eifersüchtig bin, aber ich verstehe es einfach nicht ...). Und dass sie nicht die Mutter war, die sie nun vorgibt oder glaubt zu sein.

Wenn ich das aber sage, wird sie den Kontakt einfach abbrechen. Sie hat ja keine emotionale Bindung zu mir. Meine Kinder werden die Oma verlieren, das möchte ich auch nicht. Die Wut wird ja bleiben. Was würdet ihr machen?

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Wenn deine Mutter in den 70er Jahren geheiratet hat und damals "in ihren 30ern" war, ist sie jetzt eine alte Frau. Glaubst du, du erreichst irgendwas, wenn du sie mit deinen Gefühlen konfrontierst?

Immerhin kennt sie einen wichtigen Grund für dein Unglücklichsein nicht, nämlich den Missbrauch durch deinen Großvater.

Käme allerdings ein Spruch von deiner "glücklichen" Kindheit, würde ich das nicht so stehen lassen.

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Hallo, dir sollte klar sein, dass du irgendwann gar nicht mehr mit deiner Mutter reden kannst, Eltern leben nicht ewig. Ich würde es riskieren, für meinen eigenen Seelenfrieden. Ich habe tatsächlich meinem Vater mal alles vorgeworfen, was ich auf dem Herzen hatte und er hatte für die meisten Sachen gute Erklärungen. Ich war ganz froh darüber, er hat nicht mehr so lange danach gelebt. Evtl. wurde deine Mutter auch missbraucht? Alles Gute für dich!

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zunächst mal, deine geschichte klingt sehr traurig und das tut mir leid. meine eigene kindheit war dagegen deutlich weniger drastisch, aber es gab auch für mich einige punkte, die mich lange beschäftigt haben. ich fand es sehr hilfreich, mit meiner mutter irgendwann, als ich längst erwachsen war, darüber zu sprechen. mir war vieles überhaupt nicht klar, zum beispiel, was für eine schreckliche frau ihre eigene mutter war (die ich zwar als oma kannte und nicht besonders mochte, aber als kind hinterfragt man dieses "nicht mögen" ja nicht, das war eher so ein abstraktes gefühl).

vieles von dem, was ich meiner mutter insgeheim immer vorgeworfen hatte, habe ich dadurch in einem ganz anderen licht gesehen. jeder mensch hat seine geschichte - wer weiss, wie die deiner mutter ist und was sie zu dem gemacht hat, was sie dann wurde. einen versuch wäre es wert, auch wenn ich mich da echt vorsichtig rantasten würde. es ist keinem damit geholfen, ihr auf die alten tage nochmal so richtig einen mitzugeben und ihr ganzes weltbild zu erschüttern. da ist augenmaß gefragt, es sollte keine abrechnung sein, sondern eine annäherung.

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Sorry, hat mit dem eig. Thema nix zu tun, aber mir ging es genauso. Ich konnte meine Oma nicht so gut leiden - und hab als fast erwachsene von meiner Mutter viel erfahren und da ist so einiges schief gelaufen. Als Oma hat sie sich immer sehr bemüht, ivh wollte das aber nicht.

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Du hast, zu recht, sehr viel Wut im Bauch.
Ich rate dir zu einer Therapie, das mit deinem Großvater musst du für dich allein aufarbeiten, da ist deine Mama außen vor.
Ob du alles andere bei deiner Mutter ansprechen willst, solltest du dir gut überlegen, vielleicht hilft dir die Therapie dabei. Es gärt in dir, vielleicht hast du nicht mehr viel Zeit, mit deiner Mutter zu sprechen.

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"Was würdet Ihr machen?"

Ich würde nach meinem Herzen handeln - auch, wenn das bedeutet, dass ich die Traumwelt, die sie sich geschaffen hat, zerstöre.

Niemand - egal ob Mutter oder Kinder oder Fremde - hat das Recht, sich es auf meinem Rücken bequem zu machen.

Das wäre einfach eine weitere Form von Missbrauch, Perversion.

Deine Kinder wollen keine Mama, die sich so behandeln lässt, "nur damit sie eine Oma haben".

Sie wollen eine Mama, die für sich selber einsteht und werden verstehen, warum es nötig war, die Wahrheit zu sagen. Sie wollen eine gesunde Mama, die mit sich und ihrer Vergangenheit im Reinen ist.

Wenn Dich Deine Vergangenheit also so sehr belastet, dann ist mein Rat: Lass es raus. Schaffe klare Verhältnisse und lebe mit den Folgen.

Das klingt im ersten Moment vielleicht schlimm, meist ist es aber viel weniger dramatisch, wenn alles erst mal gesagt ist.

Alles Gute für Dich.

sbl

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Danke!

Es sind zwei Dinge, die mich nun aus der Erwachsenenperspektive ärgern. Das erste ist, warum sie sich nie wunderte, warum wir problemlos (über Jahre) gerne zu unserem verwitweten Großvater väterlichseits gingen (ein ganz toller Mann!), aber immer verängstigt waren, wenn wir zu ihren Eltern mussten. Wenn meine beiden Töchter immer so komisch reagieren, muss ich dann nicht irgendwann einmal schalten, dass da irgendetwas nicht stimmt? Muss ich das nicht hinterfragen? Ich habe auch den Verdacht, dass sie selbst missbraucht wurde - aber ich kann doch dann nicht meinem eigenen Vater Woche für Woche meine Töchter abliefern und ignorieren, was dort geschieht? Und immer darauf bestehen, dass wir über Nacht blieben?

Das zweite, was mich massiv ärgert, ist, dass sie sich immer als Supermutter hinstellt. Sie war es nicht. Eine Szene (von ganz vielen) ist mir wirklich total in Erinnerung geblieben - mit 16 machte ich eine Ausbildung in der nächsten größeren Stadt. Ich hatte dort ein Zimmer bei Bekannten meiner Eltern. Am 23. Dezember bin ich heimgefahren (Zug + Bus + Bus). Der zweite Bus fuhr mir vor der Nase weg ... es war abends und es war der letzte Bus. Ich rief also von einer Telefonzelle aus an (zu dem Zeitpunkt war ich ca. 15km von Zuhause weg). Sie motzte mich an, dass sie so im Stress sei, wegen Weihnachten und ich nun warten müsste, bis das Haus auf Weihnachtsstandard getrimmt wäre, bis sie mich abholt. Ehrlich - ich stand vier Stunden in einem kalten Dorf, hatte Hunger und wurde dann um 22 Uhr abgeholt. Diese vier Stunden haben sich so in mir eingebrannt, wegen dem Kontrast - überall war die Weihnachtsbeleuchtung, aufgeregte Kinder liefen vorbei. Irgendwann einmal ging eine Tür auf, eine Frau kam heraus und fragte, ob alles in Ordnung sei und bot an, mich nach Hause zu fahren ... und meine Mutter ließ mich einfach grundlos warten, weil es nicht in den Plan passte (sie hatte die ganze Zeit ein Auto zur Verfügung). Am nächsten Abend mussten wir dann einen auf glückliche Familie machen. Ich habe sie mit dem mal während eines Streites konfrontiert und sie macht dann komplett zu und sagt, dass es nicht stimmt. Das ist ihre Standardreaktion.

Mir würde es schon helfen, wenn sie sagen würde "Ja, irgendwas lief in eurer Kindheit nicht so, wie ich es mir selbst von mir gewünscht hätte". Es war ja keine Not - sie war 100% Hausfrau, mein Vater hatte ein gutes Einkommen, wir waren gut in der Schule, etc. etc. etc. Ich hätte mehr Verständnis, wenn sie irgendwelche widrigen Umstände gehabt hätte (berufstätig, alleinerziehend, ... was weiß ich).

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Liebes Kirchenmäusle,

zunächst muss ich einmal sagen, dass mich Deine Geschichte sehr berührt. Ich habe auch angefangen meine Vergangenheit aufzuarbeiten, als meine Kinder zur Welt kamen. Es ist oft so, dass dann vieles wieder hochkommt.

Ich habe eine Gesprächstherapie begonnen und viel über Beziehungstraumata gelesen. Ich könnte Dir eine Reihe guter und einfach verständlicher Bücher zu diesem Thema nennen, da wird Dir vieles klar werden. Unter anderem auch, warum alle Beteiligten so agieren, warum ihr die Weihnachtsbeleuchtung so wichtig war und warum sie Euch trotzdem zu den Großeltern geschickt hat.

Die Frage ist zum Schluss, was man mit dem Wissen anfängt - bei mir war es zeitweise so, dass mir meine Eltern dann leid getan haben, weil jeder Täter auch ein Opfer seiner eigenen Erfahrungen ist. Das wechselt dann ab mit Wut und Unverständnis, weil wir leiden OHNE unsere Kinder zu missbrauchen und zu schlagen.

Ich wünsche Dir alle Gute!!!!

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Hey, wenn du magst kannst du mich per pn anschreiben.

Mir ging es fast genauso wie dir, immer wieder darf man sich dann anhören, wieso du hattest es soooo gut blaaa blaaa...
Und glaub mir deine mum wusste bestimmt bescheid mit dem missbrauch!
Da bin ich mir ganz sicher!

Lg und kopf hoch?#herzlich#herzlich
#herzlich
Ich kann dir sooo sehr nachfühlen und verstehe deine wut volkommen!

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1. Konflikte wurden zu der damaligen Zeit in den seltensten Fällen "ausdiskutiert", wie das heute der Fall ist. Kenne ich von meinen Eltern auch nicht anders.
Selbst mein Mann, Jahrgang 1936 schweigt Konflikte eher aus - Diskussionen waren noch nie seine Sache.

2. Was Dir mit Deinem Großvater passiert ist, ist schlicht eine Sauerei - und das würde ich Deiner Mutter auch genauso sagen, Enkel hin oder her. Ihre aufgebaute Scheinwelt, an die sie wohl auch noch glaubt, kann ruhig platzen.
Vielleicht geht es Dir dann schon mal besser, wenn Du das rausgelassen hast.
Wenn nicht, würde ich Dir auch dringend eine Therapie empfehlen, denn so weiterleben geht auch kaum.

3. Den Enkeln die Oma erhalten wollen, ist löblich, aber bitte, unter welchen verlogenen Voraussetzungen ? Das ist doch kein angenehmes Familienklima. Dann sich lieber mal eine Weile zurückziehen - und dann vielleicht einen Neuanfang unter anderen Voraussetzungen in Angriff nehmen. Aber wenn Du einfach nichts sagst, ist die Situation auch nicht besser wie damals, als man alles unter den Teppich kehrte.
Alles Gute.
LG Moni

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Hallo Kirchenmäusle,

deine Geschichte könnte die Geschichte meine Partnerin sein. Bei ihr lief es ähnlich. Ihre Mutter ist jetzt sehr bemüht um ihre Enkelkinder.

Wir gehen auch davon aus, das ihre Mutter von dem Missbrauch wusste. Heute ist es für ihre Mutter ein Tabuthema. Täter werden zum Teil in den Himmel gehoben.

Ich denke wenn ihre Mutter zu geben würde das sie von dem Missbrauch wusste, würde sie auch ihre Mitschuld eingestehen und müsste sich aktiv mit dem Thema auseinandersetze. Sie müsste sich Fragen stellen wie zum Beispiel: Warum hast du nicht dagegen unternommen?

Ich denke es ist reiner Selbstschutz ihrer Mutter. Mir ist aber auch bewusst wenn sie sich zu dem Thema äußern würde, würde in der Familie nichts mehr wie es vorher war.

Ich hoffe du hast jemand mit dem du über alles reden kannst. Vielleicht hast du auch therapeutische Unterstützung.

Wenn du Orte suchst an denen du dich mit Betroffenen austauschen kannst würde ich dir folgendes empfehlen.

http://regen-licht-kind.npage.de/

http://www.urbia.de/club/h%E4usliche+gewalt

MfG

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Hallo,

alles, was Du schreibst, ist sehr heftig. Du schreibst den Missbrauch aber fast emotionslos. Du hast das wahrscheinlich irgendwie sehr verdrängt. Deine Mutter ist ,entschuldige das Wort, nicht ganz "dicht". Wahrscheinlich hat sie ähnliches erlebt und daher kommt diese emotionale Kälte. Warum sie jetzt bei deinen Kindern anders reagiert, kann man nur erahnen. Vielleicht konnte sie mit der Vergangenheit abschließen und bei ihr hat sich dadurch was geändert.

Egal, wie oft Du sie mit der Vergangenheit konfrontieren wirst, sie wird es abstreiten. Sie will es auch nicht wahrhaben. Das ist ein Selbstschutz, den Du auch nicht aufbrechen wirst.

Ich sage, es ganz ehrlich, ich hätte mit dieser Frau keinen Kontakt mehr. Nun hast Du diesen aber seit Jahren weiter gepflegt und würdest in der Tat deinen Kindern etwas wegnehmen. Die Vergangenheit wirst Du nicht mehr ändern. Es ist geschehen und es lässt sich nicht korrigieren. Allerdings kann Dir auch keiner Deinen Mund verbieten, nur ich bezweifle das die Worte den gewünschten Effekt haben werden.

Ich bewundere Dich dafür wie Du trotz allem Dein Leben meisterst. Darauf kann Du stolz sein.

Entweder Du brichst den Kontakt zu deiner Mutter ab oder Du lässt alles an Dir abprallen. Es ist Deine Entscheidung.

LG

Carola