Guten Abend.
Seit Wochen treibt mich ein Problem um. Kurz die Vorgeschichte: Um mein Englisch zu verbessern, arbeitete ich in meinen Semesterferien jahrelang in einem kleinen, ländlichen Hotel und Restaurant in Großbritannien. Unter kam ich immer bei einer Hotelangestellten und mir selbst tat es auch sehr gut. Mein eigenes Elternhaus war sehr kalt - sie war sehr mütterlich und ich gehörte im Sommer wirklich "zur Familie". Ich habe diese Zeit unheimlich genossen.
In dem Hotel arbeitete (finanziert durch das Arbeitsamt) eine Frau, die genauso alt war wie ich damals (22/23). In ihrem Leben war einiges schief gelaufen: sehr problematicher familiärer Hintergrund, eine gescheiterte Ehe, drei Kinder (drei Väter, davon zwei inhaftiert), das dritte Kind hatte sie zur Adoption freigegeben und kam damit nicht klar, die anderen beiden wurden immer wieder vom Jugendamt in Obhut genommen, Drogenerfahrungen, Gelegenheitsprostitution...
Meine Gastmutter warnte mich immer "mich da fern zu halten". Es war so, dass nennen wir sie "Stella" gleich den Kontakt zu mir suchte. Es war das erste Mal, dass ich so direkt mit jemanden mit einer so "krummen" Biografie konfrontiert war und ich war wirklich erstaunt wie "normal" sie war. Und ich mochte sie. Dennoch wollte ich meine "Gasteltern" nicht vor den Kopf stoßen und habe den Kontakt immer geblockt. Ich hatte auch etwas Angst vor der "Unterwelt". Ich kannte das alles nichts und wollte in nichts reingezogen werden.
Dann wechselte der Hotelbesitzer und mein Ferienjob endete. Jahrelang habe ich viel an "Stella" gedacht, der Kontakt zu meinen Gasteltern schlief irgendwann auch ein. Beruflich habe ich nun gelegentlich mit Menschen zu tun, die bei uns im Betrieb "wieder eingegliedert werden" und habe eben die Erfahrung gemacht, dass man vielen Menschen doch wieder zurück in ein "geregeltes" Leben helfen kann. Und irgendwie wurden meine Gewissensbisse immer größer, dass ich mich nicht gekümmert habe. Natürlich wäre es keine Garantie gewesen.
Aber ich weiß z.B. noch, dass sie eines morgens in der Frühstückspause erzählte, dass sie sehr darunter litt, die Schule mit 15 (erste Schwangerschaft) geschmissen zu haben. Und ich glaube ihr das. Und ich habe mehr oder weniger geschwiegen. Warum habe ich nicht gesagt, dass es mit 22 noch eine Chance auf ein "richtiges" Leben gab?
Ich habe beschlossen (nun im Zeitalter von Facebook) nach "Stella" zu suchen. "Stellas" Kinder hatten recht ungewöhnliche Namen und so wurde ich schnell fündig ... und musste lesen, dass sie sich im Jahr nach meinem letzten Englandaufenthalt wohl sehr einsam und verzweifelt in einer Kurzschlussreaktion umgebracht hat.
Natürlich weiß ich, dass es nicht meine Schuld war. Und dennoch denke ich - ich hätte irgendwie versuchen sollen, ihr zu helfen. Irgendwie. Das lässt mich gar nicht los. Ich denke nun immer - wenn sie irgendwen gehabt hätte - außerhalb ihrer seltsamen Familie, außerhalb der falschen Bekannten, vielleicht hätte sie sich retten können. Und ich denke immer klarer, dass ich derjenige hätte sein können. Vielleicht. Oder ein Rädchen im System.
Gewissensbisse ... (Selbstmord)
Nein, hättest du nicht.
Stella hat diese Entscheidung für sich getroffen, du weißt nicht was noch alles eine Rolle gespielt hat, was alles dazu beigetragen und was noch dran hing.
Wenn ein Mensch so verzweifelt ist und sich das Leben nehmen möchte, dann kann ein Aussenstehender kaum etwas tun. Wäre es "nur" ein Hilferuf, hätte sie es nicht geschafft. Sie wollte es, ganz gleich ob du ihr etwas liebes oder aufmunterndes gesagt hättest.
Vielleicht hätte sie sich in deiner Nähe wohlgefühlt, vielleicht hättest ihr euch nett unterhalten und vielleicht wäre auch eine Freundschaft entstanden.
Es ist schön das du so emotional bist und dir Gedanken machst, ich finde das ganz groß. Bin auch so ein Mensch.
In dem Ausmaß finde ich das eher ungesund.
Hallo!
In meiner Familie und der Familie meines Mannes hat es schon Selbstmorde gegeben.
Und weiß Du was? Man kann es nicht verhindern. In keinem Fall. Es ist an den Menschen die Hilfe brauchen, dass sie diese auch annehmen. Wenn man jemandem sagt "ruf doch mal an, komm doch mal vorbei" dann hat man damit genug getan. Wenn er aber weder anruft noch vorbei kommt und mit einem über die Probleme redet, wie soll man da helfen?
Die Bekannte war nur eine sehr entfernte Bekannte, keine enge vertraute, aber sicher hätte sie mit Dir Kontakt aufnehmen können oder mit irgendjemand anderem. Hat sie aber nicht, sondern sich umgebracht.
Selbstmord ist oft die einfach erscheinende Möglichkeit, damit man sich nicht den eigenen Problemen stellen muss. Und wenn in Österreich an hohen Brücken tafeln mit der Telefonnummer der Telefonseelsorge stehen gibt es trotzdem noch leute die lieber springen als die angebotene Hilfe anzunehmen.
>>>Selbstmord ist oft die einfach erscheinende Möglichkeit, damit man sich nicht den eigenen Problemen stellen muss.<<<
Das ist an Zynismus kaum noch zu überbieten.
`Selbstmord ist oft die einfach erscheinende Möglichkeit, damit man sich nicht den eigenen Problemen stellen muss.`
so was widerliches habe ich schon lange nicht mehr gelesen. kotzurbini.
Selbst wenn Ihr Euch angefreundet hättet, hättest Du es nicht verhindern können. Das war eine einsame Entscheidung,
Eine Freundin meiner Mutter hatte auch ein problembeladenes Leben und hat sich mit Rattengift getötet, so wie ich das in Erinnerung habe.
Die beiden waren sehr eng, aber meine Mutter wußte nichts von diesen Plänen, obwohl sie ihr immer zur Seite stand,
Du hättest aufgrund der Entfernung und der kurzen Zeit, die Du sie kanntest, wirklich nichts machen können.
Wenn jemand ernsthaft Suizid begehen will, tut er es in aller Heimlichkeit.
Hallo,
ich verstehe gut, was für Gedanken Dir im Kopf herumgehen. Allerdings glaube ich, daß Stellas Probleme so massiv waren, daß Du sie nicht hättest retten können. Jemand wie sie hätte professionelle, wahrscheinlich sogar stationäre Hilfe gebraucht....Du wirst Dich fragen, warum Du sie nicht in diese Richtung gewiesen hast, aber Du warst damals selbst noch nicht so weit, dies leisten zu können.
Würdest Du sie heute treffen, wüßtest Du, was zu tun ist. Stella hast Du zu früh kennengelernt, leider. Aber es gibt Tausende "Stellas", die Deine Hilfe heute gebrauchen können und denen Du jetzt helfen kannst. Und wie es klingt, tust Du das bereits, und das ist fantastisch und soooo viel mehr, als die meisten anderen Menschen tun.
Sieh es vielleicht mal so.
, tatzel
Ich hatte einen Freund der sich umgebracht hat. Wir wussten alle das es irgendwann passiert. Er ist aus dem Studenten nicht mehr raus gekommen und wir alle gaben ihm zugesehen wie er unter gegangen ist. Ich habe damals bewusst und aktiv den Kontakt gemieden um mich zu schützen. Niemand konnte ihm helfen. Ich würde mir nie freiwillig diese Bürde
Hups zu früh abgeschickt.... diese Bürde auftragen mir noch selten selbstmordegefährdete Freunde zu suchen. Man stellt sich das so einfach vor, wie man helfen könnte. Aber es saugt Dich aus, es belastet Dein ganzes Leben und am Ende kotzt es Dich aus.
Es ist schön, dass Du lieber geholfen hättest. Aber Du kanntest sie kaum und wusstest nicht mal das sie so erwas vor hatte. Darum trifft Dich in keiner Hinsicht eine Schuld.
Lg
wo ist er nicht mehr rausgekommen??
Ich habe ein paar Jahre mehr Lebenserfahrung als Du und musste mich schon mehrfach der Konfrontation "Suizid" stellen - beruflich wie privat.
Nein, Du hättest definitiv NICHTS verhindern können. Ein Suizid ist entweder eine totale Kurzschlußhandlung von einer Minute auf die andere - oder - geplant. Dann sind die Menschen aber bereits in einem derartigen "Tunnelblick" gefangen, dass es ganz sicher eines Profi-Therapeuten bedarf, sie da wieder rauszuholen. Eine andere Variante gibt es nicht, von den Menschen abgesehen, die einen Suizidversuch als Hilfeschrei machen und gefunden werden wollen.
Diese Fakten hat mir auch eine liebe Freundin so bestätigt, die in einer familiär über Jahre hinweg verzweifelten Situation keinen anderen Ausweg mehr sah und nur durch einen extrem glücklichen Zufall rechtzeitig gefunden wurde, was sie lange sogar sehr bedauerte.
Erst in der stationären Therapie konnte man ihr helfen.
Hör auf Dich zu zergrübeln - das bringt Dir nichts und der Frau sowieso nicht mehr. Klingt hart, aber man kann sich auch selber mit unnützen Selbstvorwürfen ziemlich schaden.
LG Moni
Bei deinem Beitrag frage ich mich ernsthaft: Was bringt es dir persönlich, dich mit dieser Lebensepisode so extrem zu befassen, dich mit Schuldgefühlen zu plagen, dich fertigzumachen deswegen, dir so viel Macht einzuräumen, dass du einen Selbstmord hättest verhindern können? An deiner Stelle würde ich der Frage mal nachgehen.
Manchen Menschen kann man nicht helfen. Selbst wenn man es noch so sehr versucht. Was nutzt es dir, Schuldgefühle für etwas zu haben, was du vielleicht sowieso nicht hättest verhindern können? Ich habe in meinem Umfeld auch so eine Person wo ich dachte, wenn ich nur genug Energie investiere und ihr zeige wie schön das Leben sein kann, dann könnte ich sie retten. Aber es ist nicht so. Und ich habe für mich entschieden zu akzeptieren, es liegt nicht in meiner Hand. So solltest du es auch sehen.