Kann man streiten lernen?

Hallo Community,

Ich brauche euer Schwarmwissen!

So langsam bin ich mit meinem Latein am Ende, bin müde, ausgelaugt und zermürbt der ständigen Streitereien zwischen meinem Mann und mir.
Ich bin langsam an dem Punkt, an dem mir alles egal ist, weil ich einfach des Streitens müde bin…wissend, dass das das Ende ist und der Anfang vom Nebeneinander-her-leben.

Es sind wirklich Kleinigkeiten, die bei uns in tagelange Eiszeitstimmung eskalieren.
Gestern fand ich z.B ein Zweithandy in seinem Rucksack, wollte nur nachfragen, warum er zwei Handys im Rucksack hat und dachte mir nichts weiter dabei…er fühlte sich angegriffen und unterstellt mir, ich würde denken er hätte was nebenbei am Laufen. Habe ich aber nie gedacht, geschweige denn gesagt. Ich sagte, dass ich es nicht verstehen kann, dass man ein zweites Handy täglich mit sich führt, ohne es zu nutzen ( es ist wohl sein Urlaubshandy wenn er in Nicht-EU-Ländern Urlaub macht. Jüngst im Sommer in der Türkei. Frühestens nächstes Jahr Herbst fliegen wir vielleicht wieder da hin. Bis dahin führt er es täglich mit. Erschließt sich mir nicht, aber wenn’s schee macht - soll er machen.)
Angeblich hätte ich einen angriffigen Ton, er greift dann verbal nicht weniger zurück an und dann dreht er sich um und ignoriert mich, schläft und schnarcht seelenruhig, während ich heule. Dann folgen mehrere Tage Eiszeit Stimmung.
So läuft das jedes Mal, wegen jeder Kleinigkeit. Uns ist klar, dass das irgendwann nicht mehr passt. Irgendwann sagt einer von uns, dass es zuviel ist.
Ich bin kurz davor.
Vielleicht idealisiere ich den Partner im Allgemeinen zu sehr. Er stellt den wichtigsten Menschen für mich dar, meinen Vertrauten, mit dem ich alles teile. Mich verletzt sein Verhalten so sehr, ich wünschte mir Verständnis. Und, dass er sich mal selbst reflektiert. Für ihn sind immer die Anderen Schuld.

Wir sind zwei schwierige Menschen, temperamentvoll, leidenschaftlich. Beim Streiten ist das sehr negativ…und aaaaaanstrengend!

Kann man richtig Streiten lernen? Wie macht man das?
Oder passt man nicht zusammen, wenn man nicht streiten kann bzw. Kleinigkeiten jedes Mal derart eskalieren???
Was meint ihr?
Über eure Meinung wäre ich sehr dankbar.

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Ich bin nach einem sehr einfachen Konzept gegangen - was mir übrigens ein Lehrer in der Oberstufe vermittelt hat. Er meinte wir müssten lernen besser miteinander umzugehen. Und das läuft darauf hinaus - man soll in "Ich-Botschaften" kommunizieren. Also z.B. sagen "ich fühle mich unsicher/traurig/übergangen (oder was auch immer), in dieser Situation/wenn du X/Y machst."

Also vermeiden zu sagen: "Du hast..... gemacht." Oder gar "Du machst immer.... du machst nie......" Natürlich sollte man auch dem Partner nichts unterstellen, nicht negative Vermutungen haben, sondern lieber offen fragen. Wenn du aber einen Partner hast, der hinter jeder harmlosen Frage etwas komisches vermutet - dann liegt das Problem bei ihm.

Grundsätzlich funktioniert es wunderbar: Ich-Botschaften, einander grundsätzlich mit Respekt behandeln, keine Interpretationen vom Verhalten des Anderen, lieber nachfragen, ruhig über alles reden. Gerne fragen: Was meinst du? Mit meinem zweiten Mann bin ich seit 14 Jahren zusammen und wir haben uns erst einmal ein bisschen gestritten. Wir streiten sonst nie. Hatten aber beide streitsüchtige Ex, daher wollten wir es auch gern vermeiden. Mein Mann arbeitet da sogar vorbeugend und fragt mich manchmal, ob ich über irgendwas reden will.

Wenn du aber einen Partner hast, der sich da nicht in gewissen Rahmen hält, der also immer Andere für alles verantwortlich macht - leider reicht es, wenn einer absolut streiten will. Du kannst es versuchen mit interessierten Fragen: Erzähl mal, was meinst du? Oder so. Schwierig, wenn man temperamentvoll ist - das funkioniert oft besser in höherem Alter. Allerdings nicht mit einem Partner mit dem man von Anfang an gestritten hat - das reguliert sich nicht von allein. Grundsätzlich ist es schon eine gute Idee, etwas abwartend zu reagieren, und genauer nachzufragen. Die allermeisten Menschen kommen dann nämlich selbst darauf, dass es nicht nur ihre eigene, erste Sichtweise gibt. Es ist oft besser, wenn der Andere selbst drauf kommt, als wenn du ihm sagst, dass er unrecht hat.

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Vielen Dank für diesen ausführlichen Plan Tia!
Das hilft mir wirklich sehr weiter.
Das könnte ich mir glatt ausdrucken und an den Kühlschrank hängen! Klasse!!!👍🏼

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Der Text könnte exakt von mir sein.
Bin auch gespannt, ob jemand Rat wriß

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„Kann man richtig Streiten lernen? Wie macht man das?“

Natürlich kann man das. Da gibt es ganze Bücher dazu, Coachings. Paarberatung ist im Endeffekt auch nichts anderes als „geführtes Streiten“. Anhand von den Mustern bzw Strukturen kann man auch besseres Streiten lernen.

Die Frage ist immer, gibt es die Voraussetzung dafür? Wenn dein Freund dich im Streit allein lässt, selbst schläft, während du weinst, würde ich schon an der Grundlage zweifeln. So etwas würde bei uns in der Beziehung zum Beispiel nicht passieren.

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Ich hätte es ehrlich gesagt nie für möglich gehalten, dass ich so etwas mal mit mir machen lasse.
Es ist ein furchtbares Gefühl, wenn man weint ignoriert zu werden…und dann schläft der Andere seelenruhig ein und schnarcht gleichmäßig neben dir, während es dir in dem Moment echt nicht gut geht.
Manchmal macht man Dinge dann eben doch mit, die man so nicht will.
Ich bin ja auch nicht einfach. Ich dachte tatsächlich schon, vielleicht habe ich das verdient…. Hört sich jetzt dramatischer an als es ist.
Ich bin halt auch nicht auf Augenhöhe und erwarte, dass der andere angekrochen kommt.
Wenn beide so stur sind, wird es halt schwierig.

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Ich glaube man fällt leicht in die Denkweise rein, ob man selbst „schuld“ ist oder „verdient“ hat, dass man so behandelt wird.

Wobei für mich eigentlich die entscheidende Frage ist, was für dich Liebe bedeutet und auch wie du geliebt werden möchtest.

Ich habe mal vor langer, langer Zeit einen Mann gedatet. Wir waren nicht lang zusammen, eigentlich nur in der Datingphase, weshalb ich ihn nie als Beziehung gezählt habe. Er hatte in Berlin gewohnt, in einer Gegend zu einer Zeit, wo es abends noch unsicher war. Eines Abends haben wir gestritten und ich bin aus der Wohnung raus. Er blieb in der Wohnung, hat nicht angerufen, hat mich auch nicht gesucht. Ich bin nicht aus Berlin, das war also auch eine fremde Stadt für mich. Nach zwei Stunden war ich wieder da und er hat am Computer gelesen.

Erst habe ich auch gedacht, war ich schuld? War er womöglich auch einfach stur? Aber dann ist mir bewusst geworden, das ist nicht die Liebe die ich möchte und nicht die Beziehung, die ich führen möchte. Danach habe ich die „Beziehung“ beendet.

Lustigerweise hat mein Mann mich nie abends alleine auf die Straße gehen lassen bei einem Streit wo wir doch in einer sehr sicheren Gegend wohnen. Und wir könnten auch garnicht einschlafen, wenn der andere traurig ist und vielleicht sogar weint.

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Hallo!

Ja, Streiten kann man in der Tat lernen. Dazu müssen aber beide Partner bereit sein und sich dann an die Regeln halten, die man im Idealfall mit einer professionellen dritten Person (Coach/Therapeut/im Rahmen von Paartherapien oder Seminaren) für den Streitfall ausgearbeitet hat. Das können unter anderem sein:
- Sprechen in Ich-Botschaften
- Rational und logisch argumentieren
- Vermeiden von Vorwürfen mit Wörtern wie "nie", "immer" "jedes Mal"
- Aktives Zuhören
- Lösungsorientierung statt Problemorientierung, konstruktiv statt destruktiv
- Bei einem Thema bleiben und nicht noch Nebenschauplätze aufmachen
- Akzeptieren können, wenn man nicht immer auf einen Nenner kommt, und Kompromisse suchen
- Wenn es zu viel wird für eine Seite, wird der Streit unterbrochen und es gibt eine Auszeit
- U.v.m.

Das ist anstrengend, weil man sich ständig selbst reflektieren muss. Temperament und Leidenschaft sind oft Ausreden für Leute, die sich im Streit mit Lautstärke übertreffen wollen - "Ich bin halt so". Das muss man für eine gute Streitkultur schon ein bisschen über Bord werfen. Wenn ihr dazu bereit seid, ist es sicher einen Versuch wert.

Die Sache mit dem Zweithandy kommt mir davon abgesehen aber schon komisch vor. Ist die Stimmung bei euch schon grundsätzlich so aufgeheizt oder warum geht er da gleich so in die Angriffshaltung?

Liebe Grüße,
DieKati

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Großartiger Beitrag, danke! Endlich mal jemand, der das Wesentliche zusammenfasst. Eine kleine Ergänzung vielleicht noch:
- Dem Partner immer mit Liebe, Wertschätzung und auf Augenhöhe begegnen, egal, wie groß die Meinungsverschiedenheit ist.

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Absolut richtig - eine wichtige Grundvoraussetzung, ohne die man es eigentlich gleich sein lassen kann.

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