Mein Partner geht mit Konflikten so ganz anders um als ich. Ich habe immer das Bedürfnis verstanden zu werden und möchte so lange darüber sprechen bis "alles wieder gut" ist. Ich bin grundsätzlich ein nachdenklicher Typ, grüble viel und mache mir schnell Sorgen. Er ist pragmatisch und macht Dinge mit sich aus.
Nun ist es so, dass wir vor einigen Wochen gestritten haben. Und die Nachwirkungen sich in mir immer noch bemerkbar machen... Ich möchte eine "Lösung", möchte seinen Standpunkt hören und wissen was auf mich zukommt. Je länger man sich selbst mit einem Thema befasst, desto mehr Erkenntnisse kommen einem selbst. Ich will diese Erkenntnisse mit ihm teilen, mögliche Missverständnisse aus dem Weg schaffen und verstanden werden. Er sagt, irgendwann ist alles gesagt, dann muss man weiter machen und Dinge auf sich zu kommen lassen.
Für mich ist das sehr schwierig. Ich bin mit einem cholerischen Vater groß geworden und daher gewohnt auf die kleinsten Signale zu achten, wegen denen die "Stimmung kippen könnte". Mein Vater ist oft grundlos ausgerastet, hat rumgeschrien und war dann wochenlang beleidigt und hat nicht mehr mit mir oder meiner Mutter gesprochen. In mir haben sich "feine Antennen" für Stimmungsveränderungen entwickelt und so interpretiere ich oft mehr in Dinge, als da sind. Vor allem nach einem Streit mit meinem Freund, wenn ich selbst unsicher bin und die Stimmung noch angespannt ist...
Mein Freund hat eine andere Geschichte in seiner Familie
Seine Eltern waren als er ein Kind / Jugendlicher war eine Zeit getrennt. Sei Vater war zwar präsent an den Wochenende präsent, aber nicht im Alltag. Sein Vater ist ein schwieriger Mensch. Seine Eltern sind heute wieder zusammen aber sein Vater macht seiner Mutter oft das Leben schwer. Er unterstützt sie nur, wenn er dadurch einen Vorteil hat und lässt sie hängen, wie es ihm passt. Er ist nicht verlässlich und spielt mit ihren Gefühlen. Mein Freund hat schon oft gesagt, sein Vater ist "emotional grausam" zu seiner Mutter. Dass er ihr nicht helfen kann, belastet meinen Freund sehr...
Seine Mutter ist eine sehr liebenswerte Person. Sie hat ihm eine schöne Kindheit beschert, viel Zeit mit ihm verbracht und ihm Werte vermittelt. Sie ist emotional aber auch nicht stabil und hatte immer wieder Konflikte in ihrer Familie. Sie ist so lieb, dass sie nie auf den Tisch haut und sich den Raum nimmt, den sie braucht.
Über Probleme hat man bei ihm eigentlich nie gesprochen. Er sagt, er war nie wirklich pubertierend, Ärger mit seinen Eltern gehabt oder rebelliert. Man hat einander viel Freiraum gelassen, akzeptiert aber nicht reflektiert. Bei mir in der Familie ist es üblich, den anderen auch unangenehme Dinge zu sagen. Jemand hat sich blöd verhalten oder ist im Begriff eine "falsche" Entscheidung zu treffen- wer wenn nicht die Familie sagt ihm das, gibt Contra oder hält den Spiegel vor? Wir haben also einen ganz anderen Hintergrund und gehen Probleme unterschiedlich an...
Ich liebe diesen Mann und wir haben eine langjährige, glückliche Beziehung. Wir harmonisieren auf so vielen Ebenen und teilen die gleichen Werte. Unsere Kommunikation, wenn es um Gefühle oder Schwierigkeiten geht, ist aus meiner Sicht aber nicht so optimal... Ich habe das Gefühl, immer diejenige zu sein, die Schwierigkeiten anspricht und daher "schlechte Stimmung" in die Beziehung bringt. Während er viel mehr schluckt und Dinge mit sich aus macht.
Ich würde mich freuen ein paar unabhängige Meinungen zu dem Thema zu hören. Habt ihr eine ähnliche Konstellation in der Beziehung? Wie kann man eine Kommunikation aufbauen, mit der sich beide wohl fühlen obwohl die Bedürfnisse so anders sind?
Unterschiedliche Herangehensweise bei Schwierigkeiten
Schwierig, aber ganz wichtig: den anderen so sein lassen, wie er ist und akzeptieren.
Du hast ja selber toll die verschiedenen Hintergründe beschrieben und dann könntest du ja auch deine Vergangenheit aufarbeiten, um nicht immer zu viel hinein zu interpretieren.
Ob er seinerseits ähnliche Schritte machen will, ist seine Entscheidung. Man kann den anderen nicht ändern, nur sich selber.
Wenn ihr merkt, dass die Schieflage größer wird, dann kann ich eine Paartherapie empfehlen. Die können die Bedürfnisse sehr gut für den anderen übersetzen und das Verständnis wird einfacher.
Ja, nach unserem Streit ist mir auch klar geworden, dass ich da einiges aufarbeiten muss. Gerade zum Thema emotionale Selbstregulierung. Wenn ich mich verletzt fühle, kommen bei mir schnell Gedanken hoch wie "Er weiß doch, dass mich das verletzt. Wenn er sich anders verhalten oder ein bisschen mehr Mühe geben würde, würde es mir besser gehen." Dabei liegen meine Gefühle in meiner Verantwortung. Das habe ich jetzt gelernt und arbeite aktiv daran.
Auf der anderen Seite kann ich nicht leugnen, dass ich mir wünschen würde, dass er das selbe tut... Dass auch er auf mich zu kommt und an sich arbeiten will. Bisher habe ich davon aber noch nichts gemerkt.
Liebe Overthinker,
einiges von dem, was du schreibst, kommt mir bekannt vor. Vor allem das Bedürfnis dafür zu sorgen, dass "alles wieder gut wird". Ich komme aus eine Familie, in der Konflikte nicht gut bearbeitet wurden. Meine Eltern waren als Paar nicht wirklich füreinander gemacht, meine Schwester hat lautstark rebelliert und mir fiel die Rolle zu, für die Familienharmonie zu sorgen. Ätzend.
Ich weiß nicht, wie alt du bist. Ich bin inzwischen 46, seit 16 Jahren liiert und seit 8 Jahren verheiratet. Mein Mann ist auch ein eher ruhiger Vertreter. Wenn er mal grantig wird haut er einen Spruch raus und konnte am Anfang absolut nicht nachvollziehen, dass ich ihn mir so zu Herzen nehme. Für ihn ist danach alles wieder okay. Dazu muss ich sagen, er wird nie beleidigend oder verletzend- grantig eben. Für ihn war vollkommen klar, dass der aktuelle Ärgergrund nichts mit der Grundsätzlichkeit unserer Beziehung und seiner Liebe zu mir zu tun hat.
Was hat mir geholfen? Blöde Antwort aber: Zeit. Mit der Zeit ist meine Sicherheit in die Beziehung so gewachsen, dass nicht bei jedem Streit alles infrage stelle. Und ich habe geübt zu streiten, auch mit anderen. Ich hab das kleine, plüschige Harmoniemonster in den Schrank gesperrt und mal das Biest rausgelassen. Bei kleinen Dingen und weniger wichtigen Beziehungen habe ich angefangen, mir nicht mehr alles gefallen zu lassen. Mitlerweile halte ich es auch aus, wenn jemand stinkig auf mich ist. Und das kam oft vor, als ich begonnen habe im Job Grenzen zu setzen. Vor etwa 2 1/2 Jahren habe ich die Stelle gewechselt mit dem festen Vorsatz mich icht unterbuttern zu lassen. Und da hab ich gemerkt, dass sich das Training echt bezahlt gemacht hat.
Aber ich schweife ab. Was ich dir mit dieser Erzählung in epischer Breite sagen will: es lohnt sich, sich ein dickeres Fell anzutrainieren. In der Beziehung wie im Arbeitsleben
Alles Gute,
Lexi
Liebe Lexi, danke für deine Antwort.
Ich bin 29 und bereits seit 12 Jahren mit meinem Partner zusammen. Eigentlich müsste ich mittlerweile "gelernt" haben, dass nicht jeder Streit die Beziehung in Gefahr bringt. Er weiß auch, dass ich schnell unsicher werde und bspw. große Angst davor habe hintergangen zu werden. Er sagt im halben Spaß oft "Jetzt bin ich seit 12 Jahren nicht weggelaufen, jetzt müsstest du doch eigentlich wissen, dass ich bleibe."
Das Problem ist, ich bin selber sehr emotional und stelle Dinge schnell in Frage. Ich weiß in dem Moment selber, dass es der Emotion geschuldet ist und ich mich auch wieder "fange". Aber ich schließe von mir auf andere und hab daher immer die Angst "Er stellt mich vielleicht WIRKLICH in Frage", "Der Streit hat diesmal vielleicht WIRKLICH aller verändert", "Mit dem Verhalten habe ich WIRKLICH alles kaputt gemacht", usw.
Ein Beispiel: Die Tage nach unserem Streit, hatte ich total das Bedürfnis nach Nähe und wollte sobald er von der Arbeit kam bis zum Schlafen nicht von seiner Seite weichen. Ihm war das verständlicherweise zu viel. Als ich auf Andeutungen nicht reagiert habe, hat er irgendwann recht energisch gesagt "Das ist mir zu viel. Ich brauch Zeit für mich." Damit hatte er absolut recht und ich hätte es früher merken sollen... Ich hab mich dann etwas zurück gezogen und für ihn war die Sache damit erledigt. In mir ging aber das Gedankenkarussell los "warum braucht er Zeit für sich? Denkt er über mich nach und kommt dabei was negatives raus? Warum geht er nicht mehr auf meine Bedürfnisse ein, wenn ich Nähe brauche?" usw.
Das dickere Fell hätte ich sehr gerne. Das ist eine meiner größten Baustellen, das weiß ich, versuch daran zu arbeiten aber es ist unglaublich schwer...
Liebe Overthinker,
ich bin echt niemand der bei der kleinsten Kleinigkeit nach einen Therapeuten ruft, aber hast du deine Familiengeschichte mal bearbeitet? Um ehrlich zu sein, finde ich die Reaktion deines Freunde ausgesprochen gesund. Er weiß, was er braucht und sorgt gut für sich selbst.
Sorgst du auch gut für dich? Oder erwartest du insgeheim, dass dein Partner das tut? Ein in deinem Kopf verfasstes Drehbuch kann er nicht kennen. Vielleicht schaust du wirklich mal nach professioneller Unterstützung. Ansonsten empfehle ich:" Das Kind in dir muss Heimat finden" von Stefanie Stahl.
Alles Gute,
Lexi