Gewissensbisse des Freundes

Hallo liebe Community!

Ich würde mich gerne euch anvertrauen und hoffe auf andere Ansichten, Erfahrungen und Tipps. :)

Ich bin Mitte 20 und habe seit einem Dreivierteljahr einen wunderbaren Partner an meiner Seite. Wir geben uns viel Wärme, sind sehr vertraut und liebevoll miteinander. Und obwohl wir so ehrlich miteinander sprechen können, wie ich es vorher noch nicht erlebt habe, plagen ihn Gewissensbisse.
Wir lernten uns vor zwei Jahren bei der Arbeit kennen, er etwas älter und mein Vorgesetzter. Diese Konstellation ist natürlich sehr klischeehaft und wurde hier in anderen Fällen ja auch schon kritisiert, auch ich hatte große Vorbehalte... Wir verstanden uns auf Anhieb super, haben viel gescherzt, waren sehr wertschätzend miteinander. Von ihm kamen zunehmend Flirtereien. Ich brauchte etwas, um damit umzugehen und um mich zu positionieren. Jede Flirterei für sich alleine war noch gerade so im Rahmen, hat mir auch geschmeichelt, und ich fand ihn auch wirklich attraktiv. In der Summe war es dann aber schon eindeutiger und eigentlich auch zu viel. Er hat mir aber immer zu verstehen gegeben, dass er sofort Abstand halten würde, sollte ich das wollen. Als er sich für wenige Wochen mal zurückgehalten hatte, merkte ich auch, wie sehr mir der Kontakt fehlte. Aber ich habe nicht allzu viel hineininterpretieren wollen. Älterer Chef, jüngere Angestellte, kurzes Abenteuer - das war mir zu vorhersehbar, kenne ich das doch auch aus dem Freundeskreis zur Genüge mit viel Herzschmerz.
Ich habe schließlich die Abteilung gewechselt und obwohl er immer wieder beteuerte, dass er Kontakt halten würde, habe ich dem nicht so viel Bedeutung beigemessen, hätte ihn sehr vermisst, aber ich war mir sicher, dass das nach ein paar Wochen verebben würde. Ist es aber nicht. Wir haben die Arbeit ganz außen vor gelassen, uns viel anvertraut, uns irgendwann getroffen und seitdem nicht losgelassen. :) Wir tun uns gut und ich bin sehr glücklich, er ist ein ganz besonderer Mensch. Er selbst hat immer wieder gesagt, wie froh er sei, dass er es einfach gewagt hat. So ganz ohne Risiko war es ja nicht.
In letzter Zeit häufen sich aber Kommentare zu Gewissensbissen seinerseits. Dass es ihn beschäftigen würde, wie sehr er seine Position ausgenutzt habe, dass er mich bedrängt habe, dass er damit noch nicht abschließen könne. Das tut mir sehr leid und es schmerzt mich auch ein wenig. Ich hatte gehofft, dass wir das hinter uns gelassen hatten, dass wir es verarbeitet haben. Ich habe ihn dazu ermuntert, seine Zweifel gerne und jederzeit mit mir zu besprechen. Und dass ich es schade fände, wenn die Anfangszeit noch zwischen uns stünde. Dass es im Nachhinein tatsächlich nicht immer leicht war für mich, ich aber sehr glücklich über seinen Mut bin. Dann ist das Thema oft erst einmal abgeschlossen, kommt dann aber doch erneut hoch. So, als hätte er ein schlechtes Gewissen oder würde sich schuldig fühlen. Ich habe ihn auch gefragt, was er sich wünschen würde, um besser damit umgehen zu können. Aber leider haben wir noch keine Lösung gefunden.
In letzter Zeit fühlte ich mich durch einen Kunden zunehmend bedrängt, der sich wohl mehr erhofft und auch meinen Wunsch nach Distanz nicht akzeptiert. Auch hier kam unsere Anfangszeit wieder zur Sprache, denn plötzlich hinterfragte mein Freund, ob er die Aufdringlichkeit des Kunden überhaupt verurteilen dürfe, schließlich sei er doch selbst so aufdringlich gewesen. Ich weiß einfach nicht, warum das Thema auf einmal immer wieder aufploppt. Ich versuche ihm so oft es geht zu zeigen, wie viel er mir bedeutet und dass ich ihn niemals mit diesem besagten Kunden vergleichen würde... Was kann ich denn noch tun? Hab es auch schon humorvoller versucht, er hat es bloß irgendwie so verinnerlicht...

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Klingt fast so, als hätte er ein Minderwertigkeitsproblem. Nur woher kommt das? Mein erster Gedanke war, dass er evtl. noch in einer Beziehung steckte als er dich kennenlernte und nun ein schlechtes Gewissen hat.

Ist nur ein Gefühl. Muss nicht stimmen, könnte jeodoch so sein. Warum sollte man ein schlechtes Gewissen haben? Er tat ja nichts Verbotenes.

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Danke dir! Dass er zu der Zeit in einer Beziehung war, kann ich mir nicht vorstellen. Zumindest wäre damit nicht erklärt, warum ihm nur die Art und Weise unseres Kennenlernens ein schlechtes Gewissen bereitet... Du hast recht, verboten war es nicht. Allerdings hätte es (gerade in Zeiten von MeeToo) kein gutes Licht auf ihn geworfen, wenn das irgendwie öffentlich geworden wäre. Unsere "Branche" ist da sehr sensibel, vor allem bei einem so deutlichen Gefälle... Aber inzwischen arbeite ich ja auch überhaupt nicht mehr für ihn.

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Es könnte auch etwas tieferes sein. Manche Menschen werden irgendwie automatisch misstrauisch, wenn sie gut behandelt werden, gerade wegen diesem geringen Selbstwertgefühl. Der Typ denkt vielleicht, sie ist mit ihm nur weil er seine Position ausgenutzt hat. Man muss ihm einfach erklären, dass er an sich ein toller liebenswerter Mensch ist.

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Eigentlich spricht es aus meiner Sicht für deinen Partner, dass er Gewissensbisse hat, seine berufliche Position ausgenutzt zu haben. Da findet ja im Moment gesellschaftlich ein Umdenken statt. Und oft sind es grade die älteren Männer in Führungspositionen, die wenig Schuldbewusstsein entwickeln können. Ich glaube, wir können uns gar nicht vorstellen, wie viel Leid asymmetrische Liebesbeziehungen im Kollegium schon ausgelöst haben.
Das Verhalten deines Partner weist auf ein (über?)großes Gewissen und starke Werte hin.

Aber für dich ist es ja mal sehr gut ausgegangen, obwohl du schon erheblichen Aufwand hattest. Du musstest den Entschluss der Versetzung fassen, dich neu einarbeiten und dich in einem neuen Kollegium einleben. War das alles nur easy?

Ich finde, du kannst seine Haltung wertschätzen und ihm gleichzeitig klarmachen, dass er mit übertriebenem Ausdruck von schlechtem Gewissen mittlerweile aber eure Beziehung belastet. Es kommt dir ja merkwürdig vor, und wenn ich es richtig rausgelesen hab, fürchtest du, dass er euer Glück gar nicht "nehmen" kann?

Ansonsten hat dein Partner recht: Er kann sich jetzt als Vorbild-Führungsperson mit professioneller Distanz nicht mehr aufführen. Für den Verlust seiner Vorbildfunktion hat er aber den großen Preis gewonnen: Dich.
Manchmal muss man eben (selbst die eigenen) Regeln brechen! Wenn er ein Mensch ist, der viel nachdenkt, könnte er natürlich auch den (nicht eingetretenen) negativen Ausgang mit bedenken. Was gewesen wäre, wenn es nicht gepasst hätte? Oder du ihn nicht gewollt, aber wegen ihm die Abteilung gewechselt hättest.
Vielleicht braucht er noch Gespräche darüber und einen Gedankenstopp. Ist ja gut gegangen.

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Liebe Naima,

dein Text hat mich gerade so abgeholt, danke schön dafür! Dein Begriff der "asymmetrischen Liebesbeziehungen" ist absolut passend, leider sind es häufig Frauen, die die Konsequenzen hierfür tragen müssen. Sei es durch einen Verlust des Arbeitsplatzes oder durch Abwertung und Ausgrenzung des Kollegiums.
Ich rechne ihm sein Verhalten auch hoch an, er hat von Beginn an Vertrauen in mich gesetzt. Und ja, es hätte auch anders ausgehen können. Letztendlich konnte ich damals nicht einschätzen, wie er eine Zurückweisung tatsächlich aufgenommen hätte. Er hätte jederzeit Einfluss auf meine berufliche Position gehabt. Aber ich glaube, wir haben uns beide auf unsere Intuition verlassen, die sich zum Glück auch bewahrheitet hat, ganz ohne Fallstricke. :) Obwohl ich tatsächlich einiges in Kauf genommen habe, denn mir wurde nach meinem Wechsel erneut ein Platz unter seiner Leitung angeboten, den ich abgelehnt habe.

Du hast so recht, wahrscheinlich ist sein Selbstbild seitdem angeschlagen. Und er möchte (verständlicherweise!) mit keinem Reichelt oder co. in einen Topf geworfen werden. Bei Unterhaltungen über solche Fälle merke ich auch, dass er das teilweise auf sich bezieht. Dabei hätten wir uns andernfalls ja gar nicht kennenlernen können. Ich hätte ihn ja nun noch weniger privat kontaktieren können, das hätte mir ja gar nicht zugestanden, da war ich automatisch in der passiveren Rolle.

Am besten suche ich bei nächster Gelegenheit noch einmal das Gespräch, danke! :)

Edit: Ihm ist denke ich seine Außenwirkung auch recht wichtig. Ich glaube, das beschäftigt ihn auch...

Bearbeitet von Gewissensbisse
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Von ausnutzen würde ich da nicht sprechen.
Er mochte dich er war verliebt.
Hätte er mit dor geschlafen und dich dann auflaufen lassen, ja dann könnte er ein schlechtes Gewissen haben aber so finde ich das seeeehr übertrieben.

Vlt liegt das eigentliche Problem wo anders.
Minderwertigkeitsproblem, etwas unverarbeitet aus der Vergangenheit was ihn triggert. Vlt hat er mal eine Frau tatsächlich bedrängt oder ähnliches.

Ich würd da gar nicht mehr darauf eingehen.
Ein letztes mal klipp und klar sagen, dass du freiwillig mit ihm zusammen bist und du ein eigenständiger, erwachsener Mensch bist der in der Lage dazu ist eigene Entscheidungen zu treffen und dann muss ruhe sein.

Man kann alles toddenken.

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Danke!
Wir sind beide sehr grüblerisch veranlagt - wahrscheinlich passt es deshalb so gut. :)
Er hat es sich nicht leicht gemacht und immer wieder betont, dass er Berufliches und Privates bisher strikt getrennt hatte. Aber irgendeinen Triggerpunkt wird es noch geben. Am Ende habe ich mich schon schlecht gefühlt, ihn irgendwie in die Bredouille gebracht zu haben. Dabei habe ich es nie darauf angelegt.

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Man kann auch die allerschönste Beziehung zutode diskutieren, analysieren, dramatisieren - und letztendlich paralysieren.
Hört bitte beide auf damit und genießt endlich eure Beziehung, so einfach könnte es sein.
Heute sind die Umstände anders - und fertig.
LG Moni

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Nerviger Mensch. Auf so ein unnötiges Rumgejammere wegen nichts, hätte ich keinen Bock.

Will er dass du dich auch schlecht, statt wohl fühlst?

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Es ist nicht täglich Thema, bloß ab und zu. Ich möchte einfach, dass es ihm nicht mehr zusetzt. :)

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Sitzt er ganz oben bzw. wie groß ist die Firma, gibt es entsprechende Fortbildungen etc.?

Vielleicht wurde er einfach von einer zuständigen Stelle oder eigenem Vorgesetzten noch mal sensibilisiert, also im Sinne eines richtigen Anstoßes von außen, nochmal sein Verhalten zu überdenken.

Wenn ihr ehrlich und gut redet, legt sich das bestimmt wieder.

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Ja, er sitzt ganz oben, 100 Mitarbeiter. Trotzdem ist er auch angestellt/einberufen. Also er ist nicht selbstständig.
Allerdings haben wir keinerlei Berührungspunkte mehr. Und es hat auch noch nicht die Runde gemacht, wir treffen uns auch nahezu nie zufällig.
Sollte er angesprochen worden sein, hätte ich erwartet, dass er das erzählt hätte...

Bearbeitet von Gewissensbisse
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Was ich nicht ganz verstehe: Der Kunde bedrängt dich, respektiert deinen Wunsch nach Distanz nicht. Das war doch aber bei deinem Partner so nicht der Fall...? Offensichtlich ist er ja sogar mal auf Abstand gegangen, ansonsten hast du die Flirts ja offensichtlich genossen und mitgemacht. Das ist für mich etwas völlig anderes und hat nichts mit bedrängen zu tun.

Wir haben auch ein ähnliches Thema in unserer Beziehung, was meinem Mann sehr lange zugesetzt hat und auch jetzt ab und an noch aufkommt. Letztlich half da nichts außer Zeit - irgendwann ist es so weit weg, dass die neuen gemeinsamen Erinnerungen es überlagern. Ich denke nicht, dass du konkret etwas tun kannst, außer vielleicht nochmal darauf hinzuweisen, dass du eine erwachsene, selbstbewusste Frau bist: Wäre dir das alles unangenehm gewesen, hättest du es ihm deutlich zu verstehen gegeben und er hätte sich zurückgezogen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt...insofern schadet es nicht, da auch mal ein bisschen mutiger zu Werke zu gehen ;-) Er hat dir ja auch keine beruflichen Vorteile oder ähnliches verschafft, wofür er sich jetzt schämen müsste. Insofern eigentlich alles gut.

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Liebe roseately,
danke dir! Es tut gut zu lesen, dass du eine ähnliche Erfahrung gemacht hast. Ich hoffe auch, dass es mit der Zeit immer mehr in den Hintergrund tritt.
Du hast es aber ganz richtig verstanden. Dieser Kunde hat keinen Anlass für seine ganzen Avancen bzw. versuche ich, so nüchtern wie möglich zu sein. Meinem Freund hingegen habe ich ja auch Signale gesendet und seine Zugewandtheit erwidert.
Vielleicht stört mich daran tatsächlich, dass ich mich nicht selbstbewusst genug gesehen fühle, schließlich war es ja meine freie Entscheidung. :)

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Ich könnte mir gut vorstellen, dass das tatsächlich ein Punkt ist, der dich unbewusst stört - die Bedenken deines Partners "degradieren" dich. Als wärst du nicht in der Lage, dich gegen ungewollte Avancen zu wehren. Das arme, dem Chef ausgelieferte Lämmchen, was eben mitmachen muss. Überspitzt gesagt. Vielleicht kannst du ihm das nochmal vorsichtig kommunizieren, dass seine Zweifel nicht nur für ihn ein Problem sind, sondern auch dich in eine bestimmte Ecke stellen. Und das ist doch echt unnötig, wenn es so gut läuft :-)