Ungleichgewicht und Rückzug

Hallo liebes Forum,

ich möchte euch auch um eure Einschätzung und euren Rat bitten.

Seit über 1,5 Jahren bin ich (w, 26) mit meinem Freund (41) zusammen. Wir leben etwa 70 km voneinander entfernt, sodass ich nicht unbedingt von einer Fernbeziehung sprechen würde, wir uns aber dennoch nicht täglich sehen.

Beim Schreiben dieses Beitrags habe ich gemerkt, wie schwierig es ist, ein genaues Bild unserer Beziehung zu zeichnen. Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass ich fordernd bin – ich war nie eine klammernde Person. Aber ich versuche, unsere Situation so gut wie möglich zu skizzieren.

Kennengelernt haben wir uns bei der Arbeit, inzwischen arbeite ich jedoch woanders. Und natürlich war unser Altersunterschied anfangs ein präsentes Thema, das wir lange überdacht haben.
Wir hatten aber eine so schöne Kennenlernzeit, voller Vertrauen und tiefgründiger Gespräche, sodass ich diese Zweifel irgendwann über Bord geworfen habe.
Da wir sehr eng zusammenarbeiteten, konnten wir uns gut kennenlernen - und er ist selbst in stressigen Phasen ein tiefenentspannter Mensch, dazu noch sehr intelligent, feinsinnig, warmherzig, ausgeglichen und humorvoll. Er hat sich anfangs wahnsinnig ins Zeug gelegt, mir täglich geschrieben, mir viele Komplimente gemacht, sich wirklich sehr bemüht. Aber immer in gesundem Maße.
Mittlerweile kann auch ich aus mir herauskommen und - obwohl ich mich selbst gar nicht so kenne, da ich bei meinem Ex-Partner doch immer recht zurückhaltend war - fiel es mir total leicht, mich ebenfalls zu öffnen und ihm meine Verliebtheit, Begeisterung zu zeigen. Unterbewusst hatte ich früher wohl immer Angst, irgendwie einengend zu wirken, obwohl ich das Gegenteil war und im Nachhinein auch daran zu knabbern habe, dass mich mein Ex-Partner wohl oft als distanziert wahrgenommen hatte.

Ich bringe meinem jetzigen Partner gerne Kleinigkeiten mit, wenn sie mich anlachen und an ihn denken lassen, auch ohne Anlass. Oder schicke ihm Songs, die gerade zu uns passen, manchmal auch ein kleines Päckchen, Fotos sowieso oder besorge auch mal Theaterkarten als Überraschung.
So lebendig habe ich mich vorher noch nie mit einem anderen Menschen gefühlt. Ich freue mich einfach darüber, ihm eine Freude zu machen - und erwarte das auch nicht im Gegenzug. Er steht mir in der Hinsicht allerdings auch in nichts nach und ist ebenfalls sehr mitteilsam - oder bucht einfach so Hotelübernachtungen. Wir hatten also täglich immer viel Kontakt, haben den anderen am Alltag und der aktuellen Gefühlslage teilhaben lassen.

Seit ein paar Wochen nehme ich aber eine Veränderung wahr. Erst dachte ich an eine Phase - aber inzwischen kommt von ihm bedeutend weniger. Weniger Nachrichten. Weniger Vorschläge für Treffen. Weniger Herzlichkeit. Unsere Treffen selbst verliefen allerdings weiterhin sehr schön. Und obwohl ich selbst eine Freundin von offener Kommunikation bin und auch nichts aufrechnen will, analysiert mein Gehirn immer wieder, wie ungleich unser Engagement gerade ist. Ich habe ihn auch schon gefragt, ob denn alles in Ordnung sei. Und er antwortete, er sei nach wie vor sehr glücklich. Aber trotzdem spüre ich diesen Tritt auf die Bremse... Eine Urlaubsplanung, die immer weiter aufgeschoben wird, ein häufigeres "Abtauchen" für zwei Tage, fehlende Gute-Nacht-Nachrichten... alles kleine Stiche, die in mir Zweifel säen, ob nicht doch eine Schieflage besteht.

Dann wiederum ist er vor zwei Wochen trotz wichtiger Termine für nicht einmal 15 Stunden über 300 km gefahren, nur um mich zu sehen...

Ich wollte also verständnis- und rücksichtsvoll sein und habe mich auch etwas zurückgehalten und auf meinen eigenen Kram konzentriert. Vielleicht hat er gerade einfach das Bedürfnis nach mehr Zeit für sich. Wenn er sich dann gemeldet hat, habe ich selbst mit meiner Antwort nicht warten wollen - solche Spielchen mag ich nicht. Ich habe auch nie vorwurfsvoll reagiert. Bloß erneut angesprochen, dass ich merke, dass er sich zurückzieht und mich frage, ob es ihm gut geht. Es sei bloß einfach stressig gerade... Kurz danach kam auch wieder mehr von ihm, aber nur für wenige Tage. In dieser Zeit waren meine Zweifel wieder wie weggeblasen und ich habe mit Erschrecken festgestellt, dass ich schon ganz schön emotional abhängig bin von ihm. Ich bin traurig, wenn er sich nicht meldet - und super glücklich, wenn eine tolle Nachricht kommt...
Wir haben uns dann zwei Wochen nicht sehen können und wirklich nur sporadisch Kontakt gehabt, ich habe mich auch zurückgezogen. Durch Zufall habe ich dann entdeckt, dass seine Lieblingsband bald in der Nähe auftritt und ihm zwei Karten geschenkt. Er hat sich sehr gefreut, aber dann geantwortet, dass er von dem Konzert wusste, bloß nicht gewusst habe, mit wem er dort hätte hingehen können. Aber dass er sehr gerne mit mir hingehen würde.
In dem Moment habe ich das einfach so stehengelassen. Aber jetzt im Nachhinein beschäftigt mich die Aussage sehr, weshalb er da nicht auch an mich gedacht hatte... Ach, ich bin gerade einfach total traurig und unglücklich. Seit Freitagabend herrscht auch schon wieder Funkstille... und ich schaue so oft aufs Handy, wie eine Abhängige. So kenne ich mich überhaupt nicht... Ich habe Angst, ihn einzuengen, obwohl er das neulich verneint hat, und weiß mich irgendwie nicht richtig zu verhalten. Gegenseitiger Rückzug, so wie jetzt, fühlt sich an wie ein Erkalten aller Gefühle. Hatte ihm heute Morgen noch eine kurze Nachricht geschickt. Er ist ständig online, aber ein Lebenszeichen habe ich schon seit Freitag nicht bekommen. Ich weiß noch nicht einmal, was er dieses Wochenende für Pläne hatte. Mit diesen Wellen komme ich nicht klar. Wahrscheinlich wird er sich in ein paar Stunden melden, als sei nichts gewesen. Und das ist es ja eigentlich auch nicht. Es gab ja keine Differenzen. Wenn er mir einfach nur kurz mitgeteilt hätte "du ich bin die nächsten Tage gerne für mich" wäre das vollkommen in Ordnung für mich gewesen. Aber jetzt fühle ich mich hängengelassen und sensibel und habe das Gefühl, dass er nicht zu mir steht - als wäre ich ein Störfaktor. Zumal es mir in den letzten Wochen psychisch nicht so gut ging und ich ihn gerne als Stütze gehabt hätte...

Habt ihr mögliche Erklärungsansätze? An die Herren - was würdet ihr euch von eurer Freundin in vergleichbarer Situation wünschen?

Ich danke euch.

1

Ich dachte bei anfänglicher Lektüre Deines Beitrags, dass da einfach ganz normal die superkrasse Verliebtheit der ersten Monate schwindet. Das änderte sich aber im weiteren Verlauf.

Ich finde allerdings, dass Du Dir die richtigen Fragen stellst. Wenn man 1,5 Jahre zusammen ist, dann sind häufiges mehrtägiges Abtauchen, nicht in die Urlaubsplanung einsteigen und ein ganzes Wochenende Freitag bis Sonntag verstummen und nicht mal ein Lebenszeichen senden bzw. einen Morgengruß erwidern keine angemessene Kommuikation für eine Beziehung. Ein kurzes Hallo, ein kurzes Telefonat passt in jeden Alltag und auch Momente des größten Stresses im Job.

Es mag übrigens eine komplett fiese Unterstellung sein - aber komplett eisernes Abtauchen/Unerreichbarkeit/keine Urlaubsplanung/Nachrichten unerwidert trotz online.... dann wieder 300 km für 15 Stunden spontan..... nur um ganz sicher zu gehen: Ein "Parallelleben" kannst Du 100% ausschließen, wo er ja 70 Kilometer weg wohnt?

Bearbeitet von ClackClack
3

Das mit dem Parallelleben würde auf jeden Fall zu dem „am Wochenende untertauchen“ passen..

2

Liebe TE,

ich kann deine Besorgnis wirklich sehr gut verstehen. Von Freitag bis Sonntag kein Lebenszeichen zu bekommen in einer echten Beziehung, das ist sehr wenig. Ich nehme an, dass dein Partner keine Wochenend- und Nachtbaustelle in einer Weltmetropole leitet und dort eine Flutwelle oder ein Erdbeben angesagt ist?

An einem WE, aber auch an einem stressigen Arbeitsalltag kann man wenigstens 1mal pro Tag Zeit finden, sich kurz zu melden. Am WE eigentlich auch für ein "richtiges" Telefonat.

Ich bin mit meinem Partner gute 20 Jahre zusammen, und wenn wir uns nicht sehen, haben wir immer das Bedürfnis, mindestens einmal am Tag etwas voneinander zu hören. Und wir haben eine "freilassende" Beziehung, die erst ganz langsam anlief. Wir sind auch erst nach Jahren zusammen gezogen. Aber diese Distanz, die gab es nie, zumindest nicht von dem Zeitpunkt an, an dem wir offiziell zusammen waren.

Leider hast du ja eine wichtige Möglichkeit ausgeschöpft ohne befriedigende Antwort, nämlich ehrlich nachzufragen, was los ist, ob sich etwas verändert hat.

Ich mag keine Spekulationen, aber ich denke, du könntest nun "sicherer" auftreten und deine Grenzen formulieren. Du schaffst es einfach nicht, diese Beziehung so weiter zu führen und dich dabei emotional sicher zu fühlen. Dazu kannst du vollkommen stehen.

Eine Frage habe ich allerdings: Warum gibt es noch keine Pläne, in einer gemeinsamen Stadt zu leben oder sogar zusammen zu ziehen? Zwar ist dein Partner in einer anderen Lebensphase, aber er wird sich sicher schon Gedanken gemacht haben, ob ihr einmal Kinder haben wollt und zusammen leben, oder? Oder vermeidet ihr diese Fragen?

Schont ihr euch vielleicht vor wichtigen Fragen aus einer Sorge, den anderen zu bedrängen und verliert dadurch die Bindung zueinander?

Und mal ganz direkt ausgesprochen: hast du Sorge, dass da eine andere Frau ist? Oder dass dein Partner sich entliebt hat? Dass er vielleicht in einer Krise ist? 42 Jahre ist ein häufiger Krisenzeitpunkt. Ab da fühlt sich das Leben für viele nicht mehr so offen und verheißungsvoll an. Man beginnt schon, Bilanz zu ziehen. Du hingegen bist in einem Alter, in dem oft noch das Gefühl vorherrscht, man könne alles haben und alles bewegen, was man sich nur wünsche. Das Leben scheint noch völlig offen zu stehen.

Viele Fragen, vielleicht habt ihr sogar darüber gesprochen? Gab es Antworten oder Pläne, die du nun einlösen oder angehen könntest? Denn wenn du einen weiteren Schritt Richtung Verbindlichkeit gehst, wirst du besser sehen können, wo dein Partner gerade steht... .Ich hoffe für dich, dass dein Partner ehrlich zu dir ist und du den Grund der Distanzierung erfährst. denn die sehe ich auch in deinen Schilderungen.

Bearbeitet von Naima68
4

Dass sich die Schlagzahl vom Anfang nicht halten lässt, ist normal. Aber wenn seine Aufmerksamkeit so stark schwankt, ist das schon belastend.

Aus Erfahrung wäre mein Rat: Ansprechen. Nicht nur fragen, ob alles okay ist, nicht so vorsichtig sein, sondern wirklich schildern, wie es dich für dich anfühlt. Was du brauchst, was du dir wünschst, was dir fehlt. Im dümmsten Fall merkt er überhaupt nicht, dass du ein Problem hast.

Wir haben damals auch schnell gemerkt, dass das irgendwie alles nicht so einfach ist, wenn man oft getrennt ist, teilweise noch andere Zeitzonen und so...ich wollte nicht bedürftig oder klammernd wirken, habe also ewig nichts gesagt - rückblickend völlig sinnlos, ich hätte mir viel Stress erspart, wenn ich offen mit ihm gesprochen hätte. Haben wir dann, weil er mich förmlich gezwungen hat, und dann hat sich das sehr schnell verbessert.

Also sprich wirklich offen mit ihm, denn sonst quälst du dich noch endlos herum, überlegst, grübelst...

6

"so...ich wollte nicht bedürftig oder klammernd wirken, habe also ewig nichts gesagt - rückblickend völlig sinnlos, ich hätte mir viel Stress erspart, wenn ich offen mit ihm gesprochen hätte"


Genauso war ich auch letztes Jahr. Vor lauter Panik, als klammernde Bedürftige rüberzukommen, schluckte ich alle Fragen runter und heulte lieber nächtelang. Erst nach etlichen Monaten traute ich mich offen zu reden über meine Ängste; hätte mir soviel erspart, gleich zu reden. Heute mach ich es so und, oh Wunder, alles klärt sich❤
LG

5

Das ist der "Fluch" der Handys und der Dauererreichbarkeit....man lauert förmlich auf Reaktionen und wehe, es kommt nichts.
Mein Freund hat genau aus dem Grund keines mehr, wandert derzeit mit Freunden in Abschnitten durchs Gebirge und ich bin im Rheinland bei Freunden.
Erreichbarkeit und Kontakt - null, wir sehen uns erst nächste Woche wieder, telefonieren frühestens Montag.
Ich vermisse ihn sehr, garkeine Frage, aber ich weiß genau, dass er sich dann wieder so sehr auf mich freut wie ich auf ihn, die kleinen Pausen tun ihm gut, eingeengt wird er genug von seinen betagten Eltern
Du liebst ihn, da ist eine gewisse emotionale Abhängigkeit vollkommen normal. Gleich die Beziehung infrage stellen würde ich keinesfalls. Er ist ein Stück älter als Du, mit über 40 sieht man einiges anders als in den Zwanzigern, ist meine eigene Erfahrung auch.
Du musst einfach mit ihm reden und ihr müsst absolut ehrlich zueinander sein. Habt ihr irgendwelche Zukunftspläne?
LG Moni

7

Nie am Wochenende erreichbar? Herzlichen Glückwunsch du bist seine Affärenfrau! Offensichtlicher geht es doch gar nicht mehr. Crazy die Stories hier.

Und täglich grüßt das Murmeltier!

8

Und wo steht "NIE am Wochenende erreichbar"?
Ich lese nur von einem.
Sofort die "Affärenfrau" rauszuholen ist genauso Spekulation wie alles andere hier. Wir können alle nur vermuten.