Vorab möchte ich erwähnen, dass ich ziemlich sicher weiß, dass urbia nicht zwingend die richtige Plattform für meine Frage ist, aber ich auch keine Idee habe, wo ich ein spazialisierteres und halbwegs aktives Forum finde. Ich möchte mir vielleicht auch einfach nur ein wenig Last von der Seele schreiben.
Auch verbitte ich mir jegliche Hasskommentare bei diesem heiklen Thema (wird gemeldet) und bin mir im Klaren, dass sicher noch eine Fachperson zu Rate gezogen werden sollte/muss, aber ich suche tatsächlich nach mehr oder minder persönlichen Erfahrungen, egal ob eben erster, zweiter oder dritter Hand, also auch aus dem familiären Umfeld oder von Freunden und Bekannten ist mir recht.
Und zwar bin ich diejenige, deren Mann sich als trans geouted hat.
Soweit so gut, wir verstehen uns besser denn je, wir lieben uns mehr denn je, unser Kind kommt gut damit klar, ich unterstütze so gut ich kann, es könnte eigentlich alles perfekt sein, aber nun kommt eben das große Aber...
Ich habe Angst, Angst vor der Zukunft, Angst vor der Transition, Angst vor den OPs, Angst vor all den Veränderungen, die damit einhergehen... Es brennen mir so viele Fragen auf der Seele und es dreht sich alles in meinem Kopf.
Was, wenn sich der Charakter verändert? Für die Transition wird eine Hormonersatztherapie benötigt, heißt Östrogen, heißt definitiv charakterliche Veränderungen.
Was, wenn meine dann Frau mich gar nicht mehr möchte?
Was, wenn sie sich in eine richtige Richtung entwickelt, dass ich sie nicht mehr möchte?
Was, wenn irgendwas bei einer OP schiefgeht?
Was, wenn wir gesellschaftlich geächtet werden? Vor allem sorge ich mich um unser Kind, homosexuelle Eltern sind hier durchaus akzeptiert, aber wenn davon einer trans ist? Ich will mir das gar nicht ausmalen.
Was, wenn das Ergebnis nicht wie erwartet/gehofft wird?
Was, wenn allgemein gesundheitlich etwas dagegen spricht (wir sind nun auch schon fast 40)?
Auch weiß ich nicht, wie sich unser Sexualleben verändern wird. Ich hatte bereits eine Beziehung mit einer Frau, der Sex mit ihr war auch schön, aber es ist eben doch kein Vergleich mit banalem, heterosexuellen Geschlechtsverkehr, zumal ein klitoraler Orgasmus nicht mit einem vaginalen vergleichbar ist und unser Sex aktuell wirklich wirklich gut ist... Und das wird ja nochmal ein ganz anderes Level. Ich habe Angst, sexuell auf der Strecke zu bleiben.
Was, wenn uns all der Behördenkram (Suche nach Ärzten, Gutachten, Krankenkassenanträge, Änderung des Geschlechtseintrags, Änderung der Papiere - insbesondere weiß ich nicht, wie einfach oder schwer eine Änderung der Eheurkunde ist) über den Kopf wächst?
Und noch so viel mehr, was in meinem Kopf spukt...
Ach ja, sie weiß natürlich von all den Ängsten und Sorgen, aber ihre Euphorie ist größer und sie sieht lieber das Positive, ist äußerst optimistisch. Ich wäre es auch so gerne, aber es ist eben auch diese große Angst vor Veränderungen da, die ich nicht abschalten kann und die mich zur Zeit auffrisst.
P.S.: Bevor wieder jemand Fake schreit - ich schreibe in grau, weil ich ganz einfach seit knapp 15 Jahren hier auf urbia bin und nicht jeder wissen muss, wer denn nun genau.
Angst vor Veränderung
Ich betrachte es für dich als Aussenstehende einfach nur sachlich und finde, du machst dir viel zu viele Gedanken über ungelegte Eier. Warum? Das kann man doch regeln, wenn es denn wirklich eintrifft. An sich treffen deine Fragen doch fast in jeder Beziehung zu. Hast du bspw in den letzten Jahren nicht darüber nachgedacht, was sein könnte, wenn ihr euch trennt? Nein, oder? Denn darüber denkt man nach, wenn es in diese Richtung läuft.
- Nein, Hormone verändern doch einen Charakter nicht! Dann würde doch jede Ehe scheitern beim Absetzen der Pille.
- Dein Partner könnte dich auch ohne OP irgendwann nicht mehr wollen - so ist das Leben. Es sind Lebensabschnittsgefährten. Du hast es nicht in der Hand, ausser du veränderst dich und Gespräche bringen keine Verbesserung.
- Ja, auch dir steht es zu, deinen Partner nicht mehr zu wollen. Siehe einen Punkt höher: so geht das Leben.
- Eine OP kann immer schief gehen. Das kann auch eine Nasen-OP, eine OP am Knie oder oder sein. Dazu gibt es Informationsgespräche, was alles sein könnte.
- Wenn dein Partner zu alt wäre oder das Ergebnis nicht passt, wird dazu der Facharzt für euch da sein, der den Weg mit euch geht.
- Auch beim Sex gibt es doch Optionen, falls (!) du unglücklich sein solltest. So kann man Spielzeug einbauen, die Beziehung öffnen oder oder.
- Da dein Partner das so sehr will, wird der Papierkrieg machbar sein. Mehr Optimismus. Und einfach unterstützen, soweit es in deiner Macht steht.
- Sollte das Kind Probleme bekommen, kann man einen Umzug abwägen, wenn es nicht mehr tragbar ist.
Sicher mache ich mir zu viele Gedanken um ungelegte Eier, aber wenn die Rolle erstmal eingelegt wurde, fährt der Film durch.
Und doch, ich habe mir immer wieder Gedanken darüber gemacht, was wäre, wenn wir uns trennen und das von Anfang an, denn wie gesagt, ich habe Angst vor Veränderung und bei ihm (ihr) und unserem Kind immer große Verlustangst dazu. Wobei hier wohl die Angst vor Unfällen und Krankheiten überwiegt. Und hier geht es ja explizit um eine große Veränderung, die definitiv bevorsteht.
„Nein, Hormone verändern doch einen Charakter nicht! Dann würde doch jede Ehe scheitern beim Absetzen der Pille.“
Abgesehen davon, dass die Pille eine ganz andere Dosis und eine leicht andere Zusammensetzung hat, gibt es genug Fälle, wo Beziehungen aufgrund der Einnahme oder des Absetzens der Pille gescheitert sind. Auch gibt es Berichte von Patienten und Ärzten über charakterliche Veränderungen während einer Transition durch Östrogen (und auch Testosteron bei transmasc), wo meist eine Dosisanpassung empfohlen wird. Ein klein wenig Hausaufgaben habe ich durchaus erledigt, denn ich möchte ja selbst nicht blauäugig an die Sache herangehen um meine „Frau to be“ so gut wie möglich zu unterstützen und zu wissen worauf genau ich mich einlasse.
„Dein Partner könnte dich auch ohne OP irgendwann nicht mehr wollen - so ist das Leben.“
Das stimmt zwar, allerding würde ich behaupten, dass diese Fälle grundlegend verschieden wären.
„Eine OP kann immer schief gehen. Das kann auch eine Nasen-OP, eine OP am Knie oder oder sein. Dazu gibt es Informationsgespräche, was alles sein könnte.“
Das ist ein wenig am Thema vorbei, meinst du nicht auch? Es geht auch nicht um die möglichen Risiken, sondern das Ausmaß an ggf. notwendigen Operationen, die sonst nicht nötig gewesen wären. Zumal sie auch eigentlich der plastischen Chirurgie skeptisch gegenübersteht und hofft, dass sie nicht großartig etwas nötig haben wird, wie Brustaufbau etc.. Den Kehlkopf jedoch möchte sie gerne reduzieren lassen, da er ihr auch jetzt ein Dorn im Auge ist.
„Wenn dein Partner zu alt wäre oder das Ergebnis nicht passt, wird dazu der Facharzt für euch da sein, der den Weg mit euch geht.“
Das ist uns bewusst und ich habe auch eingangs erwähnt, dass hier Ärzte zu Rate gezogen werden. Ändert nichts daran, dass ich Angst davor habe, dass die Enttäuschung groß sein würde.
„Auch beim Sex gibt es doch Optionen, falls (!) du unglücklich sein solltest. So kann man Spielzeug einbauen, die Beziehung öffnen oder oder.“
Eine offene Beziehung kommt für uns nicht infrage, Toys lösen bei mir leider keinerlei Erregung aus. Im Gegenteil, ich empfinde das Gefühl eher als äußerst unangenehm. Ich war auch bereits einen längeren Zeitraum mit einer (cis) Frau liiert, aber so sehr ich den Sex mit ihr genossen habe, so sehr vermisste ich die Nähe und das Gefühl von heterosexuellem, penetrativen Geschlechtsverkehr. (Oh Gott, das klingt furchtbar, aber das ist die beste Beschreibung für das Gefühl, die ich gerade hervorbringen kann.)
Ich wünschte, ich könnte das so einfach ausblenden, wahrscheinlich ists die Angst, ihr als Frau niemals so nah sein zu können, wie ihr als Mann und sie damit ein Stück zu verlieren.
„Da dein Partner das so sehr will, wird der Papierkrieg machbar sein. Mehr Optimismus. Und einfach unterstützen, soweit es in deiner Macht steht.“
Das sowieso, ich gebe mir die größte Mühe. Es ist halt schwer und doch etwas „Spezielles“.
„Sollte das Kind Probleme bekommen, kann man einen Umzug abwägen, wenn es nicht mehr tragbar ist.“
Durchaus, aber wir sind gerade erst umgezogen und wissen wie furchtbar der Wohnungsmarkt ist. 🥲
Hallo,
ich habe mich erinnert, dass ich auf Spiegel Online im letzten Jahr einen Artikel über ein Paar mit derselben Konstellation gelesen habe. Die beschriebene Frau hat eine Selbsthilfegruppe gegründet. Ich hab noch mal nachgelesen, dort steht aber nicht, ob die Selbsthilfegruppe online oder live ist.
Ich könnte mir vorstellen, dass sehr viele genau dieselben Fragen und Ängste haben, zumindest als Partner:in.
Falls es dich interessiert, findet man den Artikel ganz schnell mit den Stichworten Spiegel online und Transition. Er ist von 2023.
Alles Gute für euch beide!
Ich werde mal googeln, danke. Ich hoffe, der Artikel ist nicht spiegeltypisch voller Vorurteile?
Fand ich nicht. Ich weiß aber, was du meinst mit den Vorurteilen. Habe auch das Gefühl, es wird mehr?
Hallo,
ich möchte aus entfernter beruflicher Erfahrung sehr warnend das hier aufgreifen: "unser Kind kommt gut damit klar".
Euer Kind muss diesen Prozess unfreiwillig ebenfalls mittragen. Je nachdem, wie alt es ist, versteht es die Tragweite eventuell garnicht. Ihr solltet nicht unterschätzen, dass es ein Stück weit seinen Vater verliert. Wie wird euer Umgang da gestaltet? Wie wird dein Mann von eurem Kind angesprochen? "Darf" es überhaupt nicht gut damit klarkommen?
Nur als Denkanstoß
Viele Grüße
Unser Kind wurde von Anfang an sehr offen und aufklärend zu solchen (und natürlich auch anderen) Themen (LGBQT+) erzogen und hat durchaus ein altersgerechtes Verständnis dafür, es befindet sich im beginnenden pubertären Alter. Einfach auch um einen Gegenpol zu seinen transphoben Großmüttern zu bilden und weil ich bereits selbst in einer homosexuellen Beziehung war. Es selbst ist eher „geschlechtsuntypisch“, ganz unabhängig vom Vater, vielleicht war das auch noch ein weiterer Grund, dass mein Mann sich mit dem Thema erneut tiefer befasst hat und sich entschloss, sich zu outen.
Natürlich sind da auch Fragen offen, aber bei diesen kann es immer zu uns kommen und bei Bedarf holen wir uns auch professionelle Hilfe von außen, so ist das nicht.
Mein Mann ist allerdings emotional ein an sich sehr stabiler Mensch, sein Mannsein wird immer Teil von ihm/ihr bleiben, auch wenn das Aussehen sich ändert. Es existiert kein Deadname (also der Geburtsname ist okay, genau wie der neue weibliche), Papa ist weiterhin in Ordnung, schließlich ist es ja der Vater, das Kind hat zusätzlich MaPa eingeführt und wirkt auf den ersten Blick nicht unzufrieden. Natürlich kann keiner von uns in den Kopf gucken, aber wir kennen unser Kind eigentlich recht gut und es weiß, dass es bei Problemen und Sorgen immer offen sein kann und das auch normalerweise ist. Also kurzum, wenn etwas nicht in Ordnung ist, darf es das selbstverständlich kommunizieren.
P.S.: So direkt wird sich auch nichts an Papa ändern, er war schon immer ein äußerst femininer Typ, zierlich, elegant, sanft. Er war schon immer die bessere Frau von uns beiden, ich bin eher breit (früher hab ich Krafttraining gemacht), grobmotorisch und aufbrausend, allgemein sehr kerlig.
Hallo Inkognito,
Zum gesellschaftlichen Aspekt:
Menschen werden "Fremdeln". Ihr werdet euch als Familie intensiv mit dem Thema befasst haben. Für andere ist noch alles neu und unbekannt außer den wenigen Dingen, die man aus den Medien mitbekommt. Und da sind leider nicht jene präsent, die einfach in Ruhe ihr Leben in der geänderten Geschlechterrolle gestalten und in Frieden leben wollen. D.h. in den Köpfen der Menschen steckt, die Sorge, dass jemand wie im viralen "Its MA'AM"-Video ausrasten könnte. Insofern sind viele menschen Transphob - das "-phob " im Sinne von sie haben eine Scheißangst und gehen da vorsorglich lieber auf höfliche Distanz als wegen einer falschen Ansprache oder Pronomen angeschrieen, verspottet oder physisch angegangen zu werden. Diese Distanz ist natürlich nicht die Schuld der großen Mehrheit von Transmenschen, die nur ihren Frieden im neuen Körper finden und in Ruhe leben wollen, trifft diese und deren Familien aber leider am härtesten.
Behaltet einfach im Sinn, dass viele Menschen noch verunsicherter seid als ihr selbst. Bleibt höflich im Umgang, dann gibt sich das mit der Verunsicherung hoffentlich.
Das sowieso. 🫶