Sehr geehrte Frau Dr. Retz,
Ich habe bereits vor ein paar Tagen eine Frage gestellt zu dem Thema, dass mein Sohn (2J 5Mon) oft weint, wenn er von der Oma nach Hause kommt.
Ihre Antwort, dass ich meinen Blick mehr auf unseren restlichen Alltag und unsere restlichen gemeinsamen Situationen lenken soll, hat mir sehr geholfen. Danke dafür.
Heute war allerdings wieder eine Situation, die mich sehr beschäftigt:
Meine Mama war heute da, um mich beim Ins Bett Bringen der beiden Kinder (der kleine Bruder ist 9 Monate) zu unterstützen, weil mein Mann beruflich unterwegs ist.
Am Abend hat sich mein Sohn weh getan. Normalerweise will er immer zu mir, um getröstet zu werden. Heute wollte er zu Oma. Und er wollte nur von Oma ins Bett gebracht werden.
Ist es so, dass er sich die Oma als bevorzugte Bezugsperson auserwählt hat? Kann/Soll ich dem irgendwie gegensteuern? Ist das "normales" Verhalten?
Ich lese derzeit ihr Buch Wild Child und bin total begeistert. Es regt natürlich sehr zum Nachdenken und auch hinterfragen an, ob ich mich meinen Kindern gegenüber immer bedürfnisorientiert verhalte. Zur Zeit ist es für mich manchmal sehr anstrengend mit den beiden Buben. An stressigen Tagen werde ich durch meine Müdigkeit dann oft dem Großen gegenüber laut, was mir dann immer sehr leid tut.
Um dem vorzubeugen, hole ich mir regelmäßig (jeweils 1x pro Woche) Unterstützung von den Omas (damit ich Sport oder den Haushalt machen kann) Nach den Oma Tagen merke ich aber immer wieder, dass ich viel darüber nachdenke, ob mein Großer die Omas lieber mag als mich, sodass ich mir dann nicht sicher bin, ob diese Tage nicht teilweise doch mehr Belastung sind als Unterstützung.
Ich würde mich über Ihre Einschätzung der Situation freuen, und wäre dankbar, wenn Sie Tipps für mich haben, wie ich die Bindung zu meinen Kinder stärken kann, die Situation mit den Omas entspannen kann, und wie ich eventuell damit gelassener umgehen kann.
Vielen Dank im Voraus!
Ist Oma die bevorzugte Bezugsperson?
Hallo,
es freut mich, wenn die Antworten bislang hilfreich waren.
Es ist sehr positiv, wenn Kinder zu den Großeltern eine Bindung aufnehmen und sich die Großeltern auch aktiv engagieren. Eltern brauchen andere, die sie unterstützen.
Die Fragen, die Sie sich einmal stellen könnten, wären: Fällt es Ihnen leicht oder eher schwer, Hilfe von anderen anzunehmen? Warum möchten Sie alles alleine schaffen und bewältigen? Welches Bild haben Sie von einer sog. "guten Mutter"?
Mein Gedanke wäre: Für Kinder ist es gut, wenn diese sehen, dass auch die Eltern von anderen Hilfe annehmen können und auch mal etwas für sich tun (z.B. Sport). Wovon Kinder gar nicht profiitieren ist, wenn die Eltern völlig erschöpft sind und sämtliche Ressourcen quasi aufgebraucht sind.
Ich denke, dass es wichtig wäre darüber zu reflektieren, warum eine einzelne Situation gleich so bedrohlich erlebt wird. Man könnte es ja auch ganz anders betrachten: Das Kind hat eine weitere Bindungsperson, der es vertraut und wo es sich wohlfühlt.
Natürlich ist es wichtig, dass Sie weiterhin die Bindungsbeziehung zu ihrem ältesten Kind pflegen, aber das tun sie ja bereits.
Herzliche Grüße,
Eliane Retz
Herzlichen Dank für Ihre Antwort!
Es tut wirklich gut, sich auf so unkomplizierte Weise so kompetente Ratschläge zu holen! Herzlichen Dank dafür!
Ihre Fragen zur Selbstreflektion helfen mir tatsächlich meine Gefühle und Gedanken zu sortieren.
Ich denke, dass meine Ängste mit unserem Start zu tun haben. Mein Sohn war eine Frühgeburt (35+4). Wir waren dann 16 Tage im Krankenhaus, weil er nicht genug getrunken hat und trotz Sonde nicht zugenommen hat. Das war natürlich eine harte Zeit. Vor allem auch, weil ich oft das Gefühl hatte, dass ich nicht selbst für mein Kind sorgen darf. Es gab einen strengen Zeitplan, wann er gewickelt/gefüttert/... wurde. Auch das Wiegen und das Zunehmen (oder nicht Zunehmen) haben sehr viel Stress und Druck verursacht.
Ich dachte immer, dass ich das gut verarbeitet habe, weil zu Hause dann alles gut war und ich ihn sogar voll stillen konnte.
Aber auch bei der Geburt meines 2. Sohnes (war eigentlich alles sehr unkompliziert) gab es schon Situationen, in denen ich gemerkt habe, dass da doch noch was in mir schlummert.
Nochmals vielen Dank für Ihre Hilfe!
Hallo,
vielen Dank für Ihr wertschätzendes Feedback.
Die Punkte, die Sie nun genannt haben, spielen ganz bestimmt eine sehr große Rolle.
Eltern, die solche Erfahrungen machen mussten, brauchen oft sehr lange, um das zu verarbeiten bzw. fühlen sich dann alltägliche Situationen (wie z.B. die Situation mit der Oma) oftmals sehr rasch bedrohlich an. Denn natürlich hat Sie dann das Thema "Sorge um das Kind, Verantwortung" beim Start ihrer Mutterschaft sehr beschäftigt. Der von Ihnen sehr gut reflektierte Punkt "ich durfte nicht selbst für mein Kind sorgen" scheint bis heute in ihrem emotionalen Erleben eine wichtige Rolle zu spielen, führt schnell zu Ängsten und Verunsicherung. Ich denke, dass es sehr wichtig ist, darüber zu reflektieren und dann auch gut zu trennen, zwischen heute & damals.
Wenn Sie ein gutes Verhältnis zu den Omas haben, besprechen Sie das auch noch einmal und sagen Sie, dass der damals so schwierige Start bis heute noch ein wenig weh tut und Sie dann auch rasch Selbstzweifel entwickeln.
Leider bekommen Frühchen-Eltern viel zu wenig Unterstützung in der Verarbeitung der oft traumatischen Erlebnisse. Die Eltern geben i.d.R. sämtliche Ressourcen, die sie haben, sodass die Kinder dann sehr gut, in dieser frühen Phase begleitet werden. Aber die Eltern werden emotional im Grunde total allein gelassen.
Alles Gute und herzliche Grüße,
Eliane Retz